40-stündige Transitfahrt bei 33 Grad belastet Gesundheit der Geretteten schwer

In der Nacht von Samstag auf Sonntag reagierte die Besatzung der SEA-EYE 5 gegen 3:00 Uhr auf einen Notruf der Organisation Alarm Phone und konnte 43 Menschen aus akuter Lebensgefahr retten. Wenige Stunden später, gegen 6:00 Uhr, sichtete die Crew ein weiteres seeuntüchtiges Boot mit neun Personen, die ebenfalls sicher an Bord des Rettungskreuzers genommen werden konnten.

Unter den insgesamt 52 geretteten Personen befinden sich drei Babys sowie zwei schwangere Frauen. Der Rettungskreuzer ist aktuell auf dem Weg in den von den italienischen Behörden zugewiesenen sicheren Hafen Brindisi.

„Die Menschen an Bord haben bereits große Strapazen hinter sich“, berichtet Einsatzarzt Dr. Giovanni Cappa von German Doctors, der die medizinische Versorgung auf der SEA-EYE 5 leitet. „Die extreme Hitze und der Wellengang sind eine große Zumutung, insbesondere für die Babys und die schwangeren Frauen. Es wäre so einfach, ihr Leid zu verringern, indem wir so schnell wie möglich einen näher gelegenen sicheren Hafen ansteuern dürften.“

Die SEA-EYE 5 ist für akute Rettungen, jedoch nicht für lange Transitwege ausgelegt.Zudem werden die Trinkwasservorräte zunehmend knapper. Die Crew der SEA-EYE 5 hat bereits zweimal bei den italienischen Behörden um die Zuweisung eines näher gelegenen Hafens gebeten – beide Anfragen blieben jedoch ohne Erfolg.

Gorden Isler, Vorstandsvorsitzender von Sea-Eye e. V., erklärt: „Diese Menschen haben bereits das Unvorstellbare erlebt. Nun zwingt man sie, unter extrem belastenden Bedingungen unnötig lange auf die Ausschiffung zu warten – das sind ekelhafte politische Machtspielchen und ein inhumanes und absolut inakzeptables Verhalten, das auf dem Rücken von Menschen ausgetragen wird, die bereits alles zurücklassen mussten in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft – wohl wissend, dass der Versuch sie das Leben kosten könnte.“

Trotz massiver Kritik aus Zivilgesellschaft und Politik hat der Haushaltsausschuss des Bundestages in seiner gestrigen Bereinigungssitzung entschieden, die Fördermittel für die zivile Seenotrettung vollständig zu streichen. Damit entfällt die bisherige Unterstützung in Höhe von zwei Millionen Euro pro Jahr, mit der seit 2022 humanitäre Rettungseinsätze im Mittelmeer gefördert wurden. Zwischen Oktober 2023 und Februar 2025 konnten durch staatlich unterstützte Missionen von Sea-Eye zusätzlich 747 Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden. Die ersatzlose Streichung dieser Mittel wird konkrete Auswirkungen auf Rettungseinsätze und die Überlebenschancen von Menschen in Seenot haben.

„Diese Entscheidung ist ein politischer Offenbarungseid – und ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, die sich seit nunmehr 10 Jahren in der zivilen Seenotrettung engagieren. Diesen Beschluss werden schutzsuchende Menschen mit dem Leben bezahlen, wenn weniger Rettungseinsätze von Organisationen wie Sea-Eye geplant und finanziert werden können. So wird die Flucht über das Mittelmeer nur noch gefährlicher“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V. „Wir werden nicht aufgeben. Während es dieser Bundesregierung genügt, die Toten zu zählen, werden wir weiter Menschenleben retten.“

Sea-Eye und Campact hatten am Morgen vor der Entscheidung gegen die geplanten Kürzungen protestiert und eine Petition mit 93.724 Unterschriften an Britta Haßelmann und Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen) übergeben. Doch der Protest blieb ungehört.

„Dass die Bundesregierung genau in dem Moment die Mittel streicht, in dem Seenotrettungsorganisationen massiv kriminalisiert und blockiert werden, ist kein Zufall – es ist eine politische Entscheidung mit tödlichen Konsequenzen“, kritisiert Gorden Isler. 

Trotz der finanziellen Streichung kündigt Sea-Eye an, die Rettungseinsätze fortzusetzen – unterstützt von der Zivilgesellschaft:

„Wir danken den zehntausenden Menschen, die sich mit uns gegen diese Politik der Abschottung stellen. Es ist ihr Rückhalt, der uns trägt. Und so lange wir die Möglichkeit haben, werden wir weiter retten – denn jedes gerettete Leben zählt”,  macht Gorden Isler deutlich.

Sea-Eye und WeAct übergeben Petition mit 93.724 Unterschriften – die Bundesregierung schweigt, Grüne sichern Unterstützung zu

Anlässlich der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses protestiert die zivile Seenotrettungsorganisation Sea-Eye gemeinsam mit Campact gegen das drohende Aus der staatlichen Förderung der zivilen Seenotrettung. Die Streichung von 2 Millionen Euro jährlich trifft auf breiten Protest aus Zivilgesellschaft und Politik: Sea-Eye übergab am Morgen eine WeAct-Petition mit rund 94.000 Unterschriften an Britta Haßelmann und Ricarda Lang (Bündnis 90/die Grünen) vor dem Reichstagsgebäude. Bundeskanzler Merz (CDU), Außenminister Wadephul (CDU) und Finanzminister Klingbeil (SPD), die Adressaten der Petition, blieben eine Reaktion bislang schuldig.

„Mit unserer Protestaktion heute wollen wir ganz klar zeigen, dass die Bundesregierung ihren moralischen Kompass verloren hat“, sagt Kai Echelmeyer, Vorstandsmitglied von Sea-Eye e.V. „Statt Menschenrechte zu schützen und Verantwortung zu übernehmen, streicht sie Lebensrettung aus dem Haushalt. Das ist nicht nur ein fatales politisches Signal, sondern eine humanitäre Bankrotterklärung.“

Seit Bekanntwerden der Kürzungspläne Ende Juni regt sich massiver Widerstand gegen die Streichung der Mittel. Sea-Eye und Unterstützer*innen mobilisierten innerhalb kürzester Zeit zehntausende Menschen – unter anderem wurden über 7.000 persönliche E-Mails an Bundestagsabgeordnete verschickt. Adressatin war hierbei vor allem die SPD, die sich auf ihrem letzten Parteitag zur Unterstützung der zivilen Seenotrettung bekannt hatte. Zwölf SPD-Abgeordnete appellierten daraufhin in einem offenen Brief an Außenminister Wadephul, die Kürzung im Einzelplan 05 des Auswärtigen Amts zu überdenken. Ohne die Bundesmittel könnten Einsätze ausfallen – die Folge: mehr Tote im Mittelmeer.

“Dabei ist der Betrag, der bisher [für die zivile Seenotrettung] vorgesehen war, so klein, dass es hier nicht um Haushaltskonsolidierung und Sparmaßnahmen geht, was ja schon schlimm genug wäre, sondern darum, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern und einen grundsätzlich migrationsfeindlichen Kurs durchzusetzen […]. Diesen Kurs gehen wir nicht mit,” stellt Ricarda Lang (Bündnis 90/die Grünen) klar.

Britta Haßelmann (Bündnis 90/die Grünen) unterstreicht: „Zivile Seenotrettung muss finanziert werden. Es ist ein wirklich kleiner Beitrag in diesem großen Bundeshaushalt. […] Deshalb gehen wir mit einer Antragsinitiative von Bündnis 90/Die Grünen, die zivile Seenotrettung weiter zu finanzieren, in die Haushaltsplanung rein. Eigentlich wäre es staatliche Verantwortung und Aufgabe, Menschen aus dem Meer zu retten.” 

Erstmals unterstützte die Bundesregierung ab 2022 die humanitäre Arbeit ziviler Seenotrettungsorganisationen mit jährlich 2 Millionen Euro. Diese finanzielle Unterstützung hat für Organisationen wie Sea-Eye zusätzliche Missionen ermöglicht und ganz konkret Menschenleben gerettet. Die Streichung dieser Mittel wirkt sich direkt auf Rettungseinsätze und die Überlebenschancen von Menschen in Seenot aus. Die Entscheidung des Haushaltsausschusses wird im Laufe der Bereinigungssitzung erwartet.

Zehn Jahre nach dem Tod von Alan Kurdi zwingt der Mangel an sicheren Fluchtwegen Menschen bis heute zur Flucht über das Mittelmeer

Am Sonntagmorgen gegen 9 Uhr erreichte die Besatzung der SEA-EYE 5 einen Seenotfall, den die Organisation Alarm Phone gemeldet hatte. Innerhalb weniger Stunden konnte die Crew 144 Personen retten, die tagelang auf einem seeuntüchtigen Holzboot im Meer getrieben waren.

 Dr. Giovanni Cappa, Einsatzarzt von German Doctors an Bord der SEA-EYE 5, berichtet:

„Einige der Menschen an Bord waren dehydriert und unterernährt. Unter den Geretteten befand sich auch eine schwangere Frau. Der Zustand mehrerer Menschen war kritisch und erforderte sofortige medizinische Hilfe. Dies war eine Herausforderung für die gesamte Besatzung, die sich um die Versorgung kümmern und gleichzeitig eine so große Anzahl von Menschen in Not betreuen musste.“

Der kritische Zustand zweier Personen erforderte eine medizinische Evakuierung. Die beiden medizinischen Notfälle wurden gemeinsam mit 51 weiteren Personen südlich von Lampedusa von einem Schiff der italienischen Küstenwache übernommen.

Die SEA-EYE 5 wurde nach dem Einsatz von den italienischen Behörden angewiesen, die verbleibenden rund 100 Personen zum etwa 40 Stunden entfernten Hafen von Tarent zu bringen. Da der Rettungskreuzer nicht für einen Transfer einer derart großen Menge an Menschen über eine so weite Distanz ausgelegt ist, hat die Crew wiederholt bei den italienischen Behörden darum gebeten, einen nähergelegenen Hafen ansteuern zu dürfen – vergeblich. 

„Obwohl wir sie fortwährend unterstützen, sind die Menschen an Bord gezwungen, aufgrund des weit entfernten Ausschiffungshafens über einen längeren Zeitraum hinweg extreme Temperaturen auf dem Deck und sehr beengte Platzverhältnisse zu ertragen. Unter diesen Bedingungen kann sich ihr Gesundheitszustand nur verschlechtern,“ mahnt Dr. Giovanni Cappa.

Die italienische Seenotrettungsleitstelle schickte am späten Montagnachmittag ein Marineschiff, das die SEA-EYE 5 nach Tarent eskortieren soll.

„Morgen ist der zehnte Todestag von Alan Kurdi, seinem Bruder Ghalib und seiner Mutter Rehanna. Es ist beschämend, dass wir zehn Jahre später immer noch keine legalen Fluchtwege geschaffen haben, sondern Menschen auch im Jahr 2025 immer noch gezwungen sind, lebensgefährliche Fluchten über das zentrale Mittelmeer auf sich zu nehmen. Europäische Regierungen haben nicht nur versäumt, eine staatliche Seenotrettung aufzubauen, sondern behindern zudem aktiv die Arbeit der zivilen Helfer*innen. Dass sie sich dabei besonders kreative Schikanen überlegen, die dazu führen, dass die geretteten Menschen, nach allem, was sie durchgemacht haben, weiterem Stress und gesundheitsgefährdenden Strapazen ausgesetzt werden, ist einfach perfide,“ sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.