Das Gericht von Vibo Valentia bestätigt die Pflicht zur Seenotrettung – und bekräftigt, dass das Befolgen von Anweisungen der sogenannten libyschen Küstenwache nicht mit dem internationalen Recht vereinbar ist.

Die Regensburger Seenotrettungsorganisation Sea-Eye e.V. hat einen bedeutenden juristischen Erfolg erzielt: Das Gericht von Vibo Valentia hat in einem Urteil entschieden, dass die Besatzung der SEA-EYE 4 bei einem Einsatz im Mittelmeer im vergangenen Jahr ihrer Pflicht zur Seenotrettung in vollem Umfang nachgekommen ist. In dem Verfahren ging es um eine 20-tägige Festsetzung, die im Oktober 2023 gegen das Schiff verhängt worden war.

Die Richterin stellte klar, dass die von Sea-Eye durchgeführte Rettung zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Sicherheit der beteiligten Personen dargestellt habe. Zudem betonte sie, dass ein Befolgen der Anweisungen der sogenannten libyschen Küstenwache nicht mit dem internationalen Recht vereinbart gewesen wäre.

„Erneut entschieden Italiens Gerichte gegen die italienische Politik und die italienische Verwaltungspraxis. Wir konnten beweisen, dass die Festsetzung ziviler Rettungsschiffe rechtswidrig ist! Dieses Urteil ist deshalb ein Erfolg auf ganzer Linie, weil sich die Richterin nicht auf Verfahrensfragen konzentrierte, sondern die Pflicht zur Seenotrettung betonte und klarstellte, dass kein Mensch im Mittelmeer ertrinken darf“, erklärt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Die SEA-EYE 4 war am 30. Oktober 2023 von den italienischen Behörden festgesetzt worden, nachdem sich die Besatzung geweigert hatte, den Anweisungen der sogenannten libyschen Küstenwache Folge zu leisten. Bei dem Einsatz am 27. Oktober 2023 wurden rund 50 Menschen gerettet. Die Besatzungsmitglieder der SEA-EYE 4 dokumentierten dabei die rücksichtslosen und brutalen Methoden der sogenannten libyschen Küstenwache. Unter Androhung von Gewalt wurde die SEA-EYE 4 aufgefordert, das Seegebiet zu verlassen. Nach mehreren gefährlichen Manövern der unter libyscher Flagge fahrenden Schiffe konnte die Sea-Eye-Besatzung vier der schutzsuchenden Menschen nur noch tot aus einem Schlauchboot bergen.

Seit 2018 sind mehr als 1.500 Kinder im Mittelmeer ertrunken.

Am 20. November 2024 jährt sich die Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention zum 35. Mal. Doch das Abkommen, das den Schutz und die Rechte von Kindern weltweit sichern soll, steht in gravierendem Gegensatz zur Realität an den Grenzen Europas: Seit 2018 sind laut UNICEF mehr als 1.500 Kinder auf der tödlichsten Fluchtroute der Welt ertrunken – allein im Jahr 2023 verloren etwa 300 Kinder auf der Suche nach Schutz ihr Leben im Mittelmeer.

„Es ist unerträglich, dass Kinder weiterhin im Mittelmeer ihr Leben verlieren, obwohl sich alle EU-Mitgliedstaaten mit der Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention dazu verpflichtet haben, das Leben und die Rechte jedes Kindes zu schützen. Diese Verpflichtung darf keine leere Erklärung bleiben. Wir müssen handeln, um das Sterben an Europas Grenzen zu beenden und Kinder auf der Flucht zu schützen”, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Die UN-Kinderrechtskonvention gilt laut Deutschem Kinderhilfswerk als das wichtigste Menschenrechtsinstrument für Kinder und ist die Konvention, die bisher von den meisten Staaten unterzeichnet wurde. Sie wurde am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet und trat am 2. September 1990 völkerrechtlich in Kraft. Seit 1992 gilt sie auch in Deutschland.

Bis Ende 2023 waren laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen weltweit mehr als 117 Millionen Menschen auf der Flucht. Rund 40 Prozent von ihnen sind minderjährig. Sea-Eye hat seit 2016 mehr als 18.000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet – darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche. Im Rahmen einer Kampagne zum 35. Jahrestag der UN-Kinderrechtskonvention macht der Verein auf das Schicksal von Kindern auf der Flucht aufmerksam.

Weitere Informationen

Die zivile Seenotrettungsorganisation Sea-Eye unterstützt die spanische NGO L’Aurora bei Soforthilfen in besonders betroffenen Regionen Valencias.

Die Flutkatastrophe in Spanien hat bislang über 200 Menschen das Leben gekostet, viele werden noch vermisst. Um Menschen mit Lebensmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln zu versorgen, wird die SEA-EYE 4, die derzeit im Hafen von Burriana liegt, als Hilfszentrum genutzt. Küche, Sanitätsstation und Schlafmöglichkeiten auf dem Rettungsschiff stehen den Helfer*innen der Flutkatastrophe zur Verfügung. Die Besatzungsmitglieder engagieren sich zudem ehrenamtlich im Krisengebiet, kochen Mahlzeiten und verteilen Wasser, Erste-Hilfe-Pakete sowie Sicherheitsausrüstung.

Vicent Aleixandre, Gründer von L’Aurora und Koordinator der Aktion in dem betroffenen Gebiet, begrüßt jede Art von Hilfe: „Unsere Leute haben alles verloren. Die Armut in den betroffenen Gemeinden wird sich exponentiell vervielfachen. Als Gesellschaft müssen wir ihnen zur Seite stehen und Mechanismen und Instrumente entwickeln, um den Bedürftigsten zur Seite zu stehen.“

Anna di Bari, Vorstandsmitglied von Sea-Eye, ergänzt vor Ort: „Das Ausmaß der Zerstörung ist auf den Bildern kaum zu erkennen, Gespräche mit Betroffenen geben einen Einblick, was die Menschen verloren haben. Mit L’Aurora haben wir einen engen Verbündeten, der die Region gut kennt und mit voller Überzeugung dort hilft, wo kaum Hilfe ankommt. Dass Sea-Eye dabei unterstützt, ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Denn gerade die Region um Valencia hat uns in den vergangenen Jahren mit Solidarität und Herzlichkeit aufgenommen, wenn wir im Hafen von Burriana lagen.“

Für den Hilfseinsatz sammelt Sea-Eye derzeit Spenden. Interessierte finden weitere Informationen hier: Solidarity with València

Italienische Küstenwache evakuierte medizinischen Notfall

Am Donnerstagmittag, 07.11.2024, brachte der Rettungskreuzer SEA-EYE 5 insgesamt 78 Überlebende aus zwei verschiedenen Seenotfällen, die sich vor Lampedusa ereignet hatten, in Pozzallo auf Sizilien in Sicherheit.

Die Einsatzleitung von Sea-Eye hatte sich zuvor ab Dienstag um die Zuweisung eines nahegelegenen Hafens bemüht, woraufhin die italienische Küstenwache Ortona zugewiesen hatte, obwohl sie bereits aufgrund eines Rettungsfalls in der letzten Woche wusste, dass der Sea-Eye Rettungskreuzer aus technischen Gründen eine solch weite Strecke nicht zurücklegen kann. Zudem ist für die Überlebenden ein Verbleib auf der SEA-EYE 5 für mehr als 24 Stunden aus humanitären Gründen nicht zumutbar. Erst am Mittwochabend nannte die italienische Küstenwache schließlich Pozzallo als Ausschiffungshafen.

Es ist einfach beeindruckend, dieses ehemalige DGzRS-Schiff auf dem Mittelmeer im Einsatz zu sehen. Schiff und Besatzung leisteten in den vergangenen zwei Wochen überragende Arbeit und retteten insgesamt 175 Menschenleben. Die ehemalige NIS RANDERS wird noch viele Leben bewahren“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Neben verschiedenen kleineren Verletzungen musste ein Patient mit einer schweren chronischen Krankheit an Bord behandelt werden. Ein weiterer Patient litt an einer sich schnell entwickelnden Wundinfektion. Ihm ging es schließlich so schlecht, dass die italienische Küstenwache ihn evakuieren musste. Nachdem ich einige Zeit mit den geflüchteten Menschen verbracht und Vertrauen aufgebaut hatte, berichteten sie von Gewalt, Folter und unmenschlichen Lebensbedingungen, die sie in Libyen erfahren haben“, schildert Einsatzärztin, Tamsin Drew, von German Doctors die medizinische Lage.

Die Besatzung der SEA-EYE 5 hatte am Dienstag und Mittwoch in drei Einsätzen 110 Menschen vor Lampedusa gerettet. 31 Personen aus dem dritten Rettungseinsatz wurden am Mittwoch von der italienischen Küstenwache vor Lampedusa übernommen. Zudem wurde eine weitere Person von der italienischen Küstenwache aus medizinischen Gründen von Bord evakuiert. Seit Dienstagmorgen kam es vor der Mittelmeerinsel zu mehreren Seenotfällen.

Italienische Küstenwache weist der SEA-EYE 5 Hafen außerhalb ihrer Reichweite zu

Die Besatzung des neuen Bündnissschiffes SEA-EYE 5 hat zwischen Dienstag und Mittwoch (5.11.-6.11.) in drei Einsätzen 110 Menschen vor Lampedusa gerettet. Seit Dienstagmorgen kam es vor der Mittelmeerinsel zu mehreren Seenotfällen.

Am Dienstagmorgen informierte die Organisation Alarmphone die zuständigen Behörden und die Seenotrettungsschiffe über 54 Menschen, die sich in der maltesischen Rettungszone, in der Malta für die Koordinierung der Seenotrettung zuständig ist, in Seenot befanden. Um 10:56 Uhr entdeckte die Crew der SEA-EYE 5 das Boot und kontaktierte die maltesischen Behörden. Mehr als fünf Stunden rang Einsatzleiter Jan Ribbeck mit den maltesischen und den italienischen Behörden um die Koordinierung des Seenotfalls. Da sich die Situation verschlechterte, das Boot fahruntüchtig war und Wasser eindrang, evakuierte die SEA-EYE 5 Crew das Boot schließlich. 

Da es weitere Meldungen von Seenotfällen gab, setzte das Schiff die Suche nach weiteren Booten fort. Das Segelboot TROTAMAR III  des CompassCollectives fand ein Boot mit 93 Menschen und stabilisierte die Situation. Die italienische Küstenwache bat die SEA-EYE 5 darum, die TROTAMAR III  zu unterstützen. Auf dem Weg fand die Crew der SEA-EYE 5 ein weiteres seeuntaugliches Boot und rettete 25 Menschen. Am Mittwochmorgen gegen 04:30 Uhr erreichte die SEA-EYE 5 die TROTAMAR III, die bereits 62 Menschen evakuiert hatte und keine weiteren Menschen aufnehmen konnte. Die SEA-EYE 5 nahm daraufhin 31 weitere Überlebende an Bord. 

Die italienische Küstenwache wies die SEA-EYE 5 an, im Laufe des Mittwochvormittags die 31 Überlebenden aus der letzten Rettung an ein Schiff der italienischen Küstenwache vor Lampedusa zu übergeben und die restlichen Menschen nach Ortona zu bringen. Da der Rettungskreuzer SEA-EYE 5 Ortona aus technischen Gründen nicht erreichen kann, bat die Einsatzleitung um die Zuweisung eines näher gelegenen Hafens.

Wir bitten die italienischen Behörden eindringlich darum, die technischen Limitierungen unseres Schiffes zu beachten und einen nahegelegenen Hafen zuzuweisen. Es darf nun nicht zu einem argumentativen Tauziehen auf dem Rücken der Überlebenden kommen. Die SEA-EYE 5 ist ein Rettungsschiff, das Erste Hilfe leistet und Menschenleben rettet. Sie wurde zu keinem anderen Zweck gebaut. Aber sie ist nicht für mehrtägige Seereisen geeignet“, sagte Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Die SEA-EYE 5 und die TROTAMAR III halten nun Kurs auf Lampedusa. 

Die Überlebenden benötigen medizinische Untersuchungen und Behandlungen. Ein Verbleib von mehr als 24 Stunden auf unserem Schiff ist unzumutbar. Als Crew leisten wir alles Menschenmögliche. Aber nach rund 36 Stunden Dauereinsatz sind auch unsere Kräfte nahezu aufgebraucht. Wir brauchen dringend die Erlaubnis, in Lampedusa anlegen zu dürfen“, sagt Jan Ribbeck, Einsatzleiter an Bord der SEA-EYE 5.

Geflüchtete auf der SEA-EYE 5

SEA-EYE 5 Crew rettet 65 Menschen bei Nacht und bringt sie innerhalb von 36h in Sicherheit 

Die Crew des zivilen Rettungskreuzers SEA-EYE 5 empfing am Dienstagnachmittag, 29.10.24, die Meldung eines Seenotfalls im Einsatzgebiet vor Lampedusa. Gegen halb 12 Uhr nachts fand die Crew das überfüllte Holzboot in den Wellen treiben. Der Motor war ausgefallen und die 65 Menschen an Bord trugen keine Rettungswesten.

Das schlechte Wetter, die nächtlichen Bedingungen und die für das kleine Boot hohen Wellen erforderten eine sofortige Evakuierung. An Bord der SEA-EYE 5 konnte die Einsatzärztin allen Menschen einen guten medizinischen Gesundheitszustand ohne schwere Verletzungen attestieren.

Die italienischen Behörden wiesen dem Schiff zunächst den weit entfernten Hafen von Ortona zu. Der Kapitän und die Einsatzleitung überzeugten die italienische Küstenwache davon, dass eine mehrtägige Seereise für die Überlebenden aus humanitären Gründen unzumutbar sei. In der Nacht zum Donnerstag wiesen die italienischen Behörden der SEA-EYE 5 schließlich den deutlich näher gelegenen Hafen von Pozzallo zu.

Disembarkation

Am Donnerstagmorgen, 31.10.24, lief die SEA-EYE 5 in den Hafen von Pozzallo auf Sizilien ein, wo alle geretteten Menschen den Rettungskreuzer verlassen und an Land gehen konnten.

Wir sind überglücklich und dankbar, dass der erste Einsatz unseres neuen Schiffes so gut und sicher durchgeführt wurde. Unsere Besatzung brachte die Überlebenden in weniger als 36 Stunden in Sicherheit. Das war eine außerordentliche Leistung unseres achtköpfigen Einsatzteams”, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Die Rettung verdeutlicht, dass zivile Seenotrettung unverzichtbar bleibt, solange Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ertrinken – und Europa keine Hilfe schickt. Wir danken der Crew und allen Unterstützer*innen, die diesen Einsatz ermöglicht haben und wünschen den Geretteten alles Gute für ihren weiteren Weg!“, sagt Vera Kannegießer, Geschäftsführerin von United4Rescue e.V.

Die SEA-EYE 5 ist ein ehemaliger Seenotkreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), den Sea-Eye in den letzten Monaten für seinen Einsatz im Mittelmeer umgebaut und ausgerüstet hat. Am 23.10. brach die Crew von Sizilien zur ersten Rettungsmission des Schiffs im Mittelmeer auf.

Sea-Eye e.V. fordert anlässlich des 10-jährigen Endes der italienischen Marineoperation Mare Nostrum eine staatliche Rettungsoperation zur Seenotrettung im Mittelmeer

„Seit dem Ende von Mare Nostrum sind mehr als 27.000 Menschen im Mittelmeer gewaltsam ums Leben gekommen oder werden vermisst. Für die EU gehören die vielen Toten zu einem brutalen Kalkül der Abschreckung. Schließlich kann niemand mehr glaubhaft behaupten, dass ihm das Leid und die vielen Toten an den EU-Außengrenzen unbekannt sei. Und doch lässt die Politik es zu – Tag für Tag. Man muss sich klarmachen, dass es niemanden in Europa heute schlechter ginge, wenn diese Menschen sicher in Europa angekommen und mit offenen Armen empfangen worden wären. Europa wäre heute ein gerechterer Ort, wenn diese Menschen noch am Leben wären. Die EU muss nun endlich in die Verantwortung für die humanitäre Katastrophe im Mittelmeer zurückkehren und menschenrechtsbasierte Lösungen finden. Deshalb fordern wir eine staatliche Marineoperation, deren Ziel es ist, so viele Menschenleben wie möglich zu retten und die Lücke zu schließen, die mit der Einstellung der Operation Mare Nostrum entstanden ist. Solange das nicht geschieht, gibt es Organisationen wie Sea-Eye, die zusammen den Teil der europäischen Bevölkerung vertreten, der für die Menschen einsteht, die sonst von der EU weiter schutzlos auf dem Meer zum Sterben zurückgelassen werden”, erklärt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Die italienische Marine startete die Operation Mare Nostrum am 18. Oktober 2013, nachdem sich vor Lampedusa zwei Bootsunglücke mit mehr als 600 Toten ereignet hatten. Sie rettete in knapp einem Jahr mehr als 150.000 Menschen im Mittelmeer das Leben. Am 31. Oktober 2014 wurde Mare Nostrum auf Drängen der EU beendet. Im Anschluss begann die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) mit der Operation Triton. Bei dieser stand jedoch nicht die Rettung von Schutzsuchenden, sondern die Grenzsicherung im Vordergrund – weshalb es seit nunmehr einem Jahrzehnt keine staatlich organisierte Seenotrettung im zentralen Mittelmeer mehr gibt. Stattdessen haben private und spendenfinanzierte Organisationen wie Sea-Eye e.V. diese Aufgabe übernommen. Trotz ihres unermüdlichen Einsatzes bleibt die humanitäre Krise im Mittelmeer, die jedes Jahr Tausende von Toten fordert, ungelöst.

Am 26. Oktober 2024 feiert eine umstrittene Organisation Geburtstag: Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache wird 20 Jahre alt – das sind 20 Jahre des Wegschauens bei Menschenrechtsverletzungen und 20 Jahre der Migrationsabwehr ohne Rücksicht auf Grundrechte. Für uns also weder ein Grund zum Gratulieren noch zum Feiern. Was die Gründung von Frontex im Jahr 2004 für Schutzsuchende bedeutete und wie sich die Ziele und Schwerpunkte der Agentur in den vergangenen zwei Jahrzehnten verschoben haben – darüber haben wir mit dem Frontex-Experten Matthias Monroy gesprochen.

Was war 2004 die Motivation der EU, Frontex zu gründen?

Die Gründung von Frontex hängt vor allem mit der Entscheidung zusammen, im Rahmen des Schengener Abkommens die Kontrollen an den EU-Binnengrenzen abzuschaffen. In mehreren Fünfjahresprogrammen und schließlich dem Vertrag von Lissabon wurde beschlossen, den Schutz der EU-Außengrenzen zu verstärken und innerhalb der Europäischen Union in Sicherheitsfragen enger zusammenzuarbeiten.

Mittlerweile sind zwei Jahrzehnte vergangen. Wie haben sich die Ziele in dieser Zeit verändert?

Man könnte verkürzt sagen, Frontex hat sich verselbständigt. Ursprünglich sollten die ausführenden Organe weiterhin die Mitgliedstaaten sein, zum Beispiel mit ihren Küstenwachen oder zuständigen Behörden an Landgrenzen. Inzwischen mutiert Frontex aber zu einer Grenzpolizei, die eigenes bewaffnetes und uniformiertes Personal hat, das von Warschau aus kommandiert wird. 2016 wurde die Frontex-Verordnungen dahingehend geändert, dass die Agentur eigene Ausrüstung anschaffen kann. Mit einer weiteren Änderung 2019 begann die Agentur mit der Rekrutierung von eigenem Personal – und damit kann sie unabhängig von den Mitgliedstaaten agieren. Wobei auch diese Frontex-Grenztruppen weiterhin, um an bestimmten Orten aktiv werden zu können, von den betreffenden Staaten eingeladen werden müssen. Dazu kann auch die EU-Kommission an die Staaten herantreten und sie bitten, eine Einladung auszusprechen.

Welche Faktoren haben diese Entwicklung befördert? 

Ein Ereignis, das die Entwicklung von Frontex entscheidend geprägt hat, war die Reaktion auf den Sommer der Migration, also die Zeit ab 2014, in der viele Menschen vor allem aus Syrien nach Europa geflohen sind. Bis heute gibt es aus rechten und konservativen Kreisen die Kritik, dass Angela Merkel die Grenzen nicht geschlossen habe – was faktisch auch nicht funktioniert hätte. Die Reaktion der EU war dann aber, Frontex massiv zu stärken und die Festung Europa weiter auszubauen.

Grenzzaun

Werfen wir mal einen Blick aufs Mittelmeer: Welche konkreten Aufgaben hat Frontex hier und wie werden diese umgesetzt?

2013 gab es zwei große Schiffsunglücke vor Lampedusa, woraufhin die italienische Marine die Seenotrettungsoperation Mare Nostrum gestartet hat. In weniger als einem Jahr hat diese Mission 150.000 Menschen im Mittelmeer gerettet. Auf Druck der EU wurde Mare Nostrum aber eingestellt. Dafür ist dann Frontex mit der Mission Triton eingesprungen. Diese war aber nie auf Seenotrettung ausgelegt, sondern auf Grenzschutz. Inzwischen hat Frontex seine Schiffe weitgehend abgezogen und beobachtet Geflüchtete eigentlich nur noch aus der Luft. Frontex chartert Drohnen und Kleinflugzeuge von privaten Firmen, die über dem Mittelmeer fliegen – meistens operieren sie dabei in der libyschen Seenotrettungszone.

Und was passiert, wenn Frontex dort ein Boot mit Schutzsuchenden entdeckt?

Wenn Frontex Boote entdeckt, meldet die Agentur diese in der Regel an die zuständige Seenotleitstellen, darunter auch immer jene in Libyen. Auf den ersten Blick klingt das gut: Die Menschen werden gerettet und Frontex kommt seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nach. Nur: Eigentlich ist es rechtlich verboten, Schutzsuchende zurück nach Libyen zu bringen. Denn Libyen ist ein Bürgerkriegsland und den Geflüchteten drohen dort schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Sklaverei und Vergewaltigung.

An dieser Stelle ist es wichtig zu wissen, dass Libyen auch erst seit 2018 eine eigene Seenotleitstelle hat. Wie bereits erwähnt, gibt es für die EU-Mitgliedstaaten und auch Frontex das Erefoulment-Verbot, sie dürfen also keine Asylsuchenden nach Libyen bringen – die libyschen Behörden aber schon. Deshalb wurde Libyen ermutigt, eine Seenotrettungszone auszurufen und eine Leitstelle einzurichten. Diese kann nun von Frontex angerufen werden, wenn ihre Luftüberwachung Menschen in Seenot entdeckt. Eigentlich könnte man sagen, dass Frontex die Luftüberwachung für Libyen übernimmt, um zu verhindern, dass Menschen nach Europa kommen – ohne dass es eine offizielle Zusammenarbeit mit Libyen gibt.

Leeres Boot

Du hast vorhin gesagt, dass Frontex seine Ausrüstung und sein Personal immer weiter aufstockt. Wohin genau fließt das ganze Geld beim Ausbau der Agentur?

Frontex ist in den letzten Jahren vom Wasser in die Luft gewandert und das kostet natürlich viel Geld. Ein Viertel bis ein Drittel des Gesamtbudgets von Frontex fließt in diese Luftaufklärung. Ich habe vor zwei Jahren eine Studie dazu gemacht und da hat Frontex bereits rund 300 Millionen Euro für Drohnen und Flugzeugverträge ausgegeben. Allein die dieses Jahr erneuerten Rahmenverträge für Drohnen kosten weitere 400 Millionen.

Wie modern ist die Ausrüstung?

Frontex war immer auf dem neuesten Stand der Technik. Die Flugzeuge, die Frontex zur Grenzüberwachung einsetzt, sind mit Kameras, Infrarot und Radar ausgestattet. Außerdem können Satellitentelefone, die Geflüchtete in vielen Fällen auf den Booten haben, von Satelliten geortet werden. Diese Technik wird von Firmen bereitsgestellt und hilft vor allem bei schlechter Sicht oder in der Nacht. Und Frontex forscht nun zu so genannten hochfliegenden Plattformen, die sich autonom in der Stratosphäre bewegen können: Die Agentur hat 5 Millionen Euro für ein Forschungsprojekt mit Airbus ausgegeben, um die Lücke zwischen Flugzeugen, Drohnen und Satelliten zu schließen. So hat es jedenfalls Frontex ausgedrückt – als ob da überhaupt noch eine Lücke bestünde.

Prinzipiell ist diese Technologie ja nicht schlecht – sie könnte beispielsweise eine wichtige Ergänzung sein, um Boote in Seenot schnellstmöglich zu orten.

Das Mittelmeer ist wahrscheinlich das am besten überwachte Meer der Welt. Und natürlich könnte die Technik helfen, Menschen in Seenot schneller zu finden. Frontex reagiert immer sehr empört, wenn man ihnen vorwirft, dass sie dieses ganze Arsenal nur zur Migrationsabwehr anschaffen und einsetzen – und begründen das damit, dass sie ja eingreifen, wenn sie einen Seenotfall entdecken. Diese Notfälle werden aber nach Libyen gemeldet und eben nicht an die zivilen Rettungsschiffe. So beteiligt sich Frontex daran, dass schutzsuchende Menschen zurück in libysche Lager gebracht werden und dort schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.

Frontex-Drohne

Nicht nur der Umgang mit Libyen wurde Frontex vorgeworfen. Es gab auch zahlreiche Berichte, dass die Agentur bei Push-Backs oder anderen Menschenrechtsverletzungen tatenlos zugesehen hat. Hatten diese Vorwürfe Konsequenzen?

Es wurden schon Maßnahmen ergriffen. Zum Beispiel ist 2022 der damalige Chef Fabrice Leggeri unter Druck zurückgetreten. Er hat Frontex als reine Migrationsabwehrbehörde verstanden und ist jetzt Abgeordneter der rechtsextremen Partei Rassemblement National in Frankreich. Sein Nachfolger Hans Leijtens aus den Niederlanden verfolgt zumindest öffentlich eine andere Politik. Unter ihm wurde auch das Berichtswesen geändert. Bei Frontex gibt es sogenannte Grundrechtsbeobachter*innen, die bei Operationen dabei sind. Unter Leggeri wurde keine einzige solche Stelle besetzt – mittlerweile sollten es etwa 50 Grundrechtsbeobachter*innen sein. Zum Vergleich: Frontex hat 2019 beschlossen, bis 2027 eine Ständige Reserve von 10.000 Grenzbeamt*innen aufzubauen. Die Zahlen verdeutlichen, dass Grundrechtsbeobachter*innen dabei nur einen Bruchteil ausmachen. Und sie können auch nicht eingreifen, sondern nur berichten. In der Praxis zeigen die Grundrechtsbeobachter*innen ebenfalls wenig Wirkung: In Griechenland führt die Küstenwache beispielsweise Push-Backs durch und nimmt dabei bewusst Menschenleben in Kauf – worüber ja auch die BBC dieses Jahr erst berichtet hat. Frontex ist vor Ort und könnte ihnen als internationale Organisation auf die Finger schauen. Wohlgemerkt “könnte” – denn in der Realität tun sie es nicht: Es wurde mehrfach berichtet, dass Frontex-Flugzeuge wegfliegen, um eben nicht Zeuge solcher Praktiken zu werden. Es wird also einfach weiter weggeschaut.

Diese Grundrechtsbeobachter*innen sind selbst Teil von Frontex – und damit nicht parteilos. Gibt es eine externe Überwachungsinstanz für Frontex?

Bei Frontex fehlen definitiv unabhängige Beobachter*innen, die Skandale aufdecken und auch Einfluss darauf haben, was mit ihren Berichten passiert. Diese Rolle übernehmen derzeit eigentlich nur Journalist*innen und Menschenrechtsorganisationen. Sie sind im Moment die einzigen, die dafür sorgen, dass nach diesen Berichten, die sie häufig mithilfe von Informationsfreiheitsgesetzen anfordern, auch etwas passiert. Je weniger Kontrollmechanismen es für Frontex gibt, desto wichtiger ist die Arbeit, die Aktivist*innen und die Medien machen, weil das eigentlich die einzige Möglichkeit ist, Frontex irgendwie in die Schranken zu weisen. Die öffentliche Berichterstattung hat beispielsweise auch erst zum Rücktritt von Fabrice Leggeri geführt.

Frontex ist eine europäische staatliche Agentur. Da muss die EU doch zumindest Kontrollmöglichkeiten haben?

Das funktioniert nicht wie wir das etwa bei der Bundespolizei kennen, der in Deutschland das Innenministerium Anweisungen erteilen kann. Es gibt keine einzige Stelle in der EU, die Frontex solche Weisungen geben darf. Das liegt daran, dass die EU kein eigener Staat ist, sondern eine Gesamtorganisation der Mitgliedstaaten. Dadurch haben wir jetzt eine Behörde, die sich immer mehr verselbständigt. Das Einzige, was die Mitgliedstaaten tun können, ist Druck auszuüben – zum Beispiel, indem sie den Direktor absetzen. Auch das EU-Parlament hat gewissen Einfluss und kann etwa dem Haushalt nicht zustimmen. Aber das war bislang immer nur ein symbolischer Fingerzeig.

Daneben gibt es noch den Europäischen Gerichtshof und den Menschenrechtsgerichtshof des Europarates, die überprüfen, ob Frontex EU-Recht und Menschenrechte einhält. Die dort verhandelten Klagen sind wichtig. Aber sie dauern meistens Jahre und gehen auch nicht immer gut aus.

Was sind die Pläne von Frontex für die nächsten Jahre?

Ursula von der Leyen hat angekündigt, dass sie die Ständige Reserve, also die neue Grenztruppe von Frontex, auf 30.000 Beamt*innen verdreifachen will. Nächstes Jahr könnte das Jahresbudget von Frontex die Milliardengrenze überschreiten. Frontex wird auch mehr eigene Ausrüstung bekommen. Anvisiert ist außerdem, dass Frontex zunehmend außerhalb der EU zum Einsatz kommt.

Moment, eine europäische Grenzschutzagentur außerhalb der EU-Grenzen?

Bei der Gründung war Frontex eigentlich darauf ausgelegt, nur in den EU-Mitgliedsstaaten eingesetzt zu werden. Seit 2016 kann Frontex aber Personal in benachbarte Drittstaaten entsenden. Geregelt wird das über Statusabkommen, bislang gibt es diese mit Albanien, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina sowie Serbien. Seit 2019 darf Frontex auch mit nicht-benachbarten Ländern wie dem Kosovo solche Abkommen abschließen. Die EU-Kommission bemüht sich gerade auch um Verträge mit afrikanischen Ländern wie dem Senegal und Mauretanien. Die Verhandlungen erweisen sich jedoch als schwierig, denn die Regierungen kennen ihren Preis und wissen, was es für die EU bedeutet, wenn Frontex vor Ort tätig werden dürfte. Neben den Statusabkommen gibt es auch diverse Arbeitsabkommen, beispielsweise für den Austausch von Daten.

Glaubst du, dass eine Organisation wie Frontex reformiert werden kann?

Auf keinen Fall ist Frontex reformierbar und sollte deshalb abgeschafft werden. Auch wenn die einzelnen Staaten Migration in irgendeiner Form handhaben müssen – was sie ja bereits mit verschiedenen Behörden und Instanzen tun – brauchen wir keine Organisation, deren primäres Ziel die Abwehr von Migration ist und die dafür sogar Menschenrechtsverletzungen in Kauf nimmt. Zudem ist der Ansatz, Menschen an den Grenzen an der irregulären Einreise zu hindern, völlig falsch, solange das die einzige Möglichkeit ist, in einem Land in Europa Asyl zu beantragen.

Frontex und EU Fahnen

Was sind deine Forderungen an die EU in Bezug auf Frontex?

Das, was jetzt die zivilen Seenotrettungsorganisationen machen, sollten die Mitgliedstaaten übernehmen – nämlich dafür zu sorgen, dass keine Menschen im Mittelmeer sterben. Das sollte nicht die Aufgabe von Vereinen sein, die sich über Spenden finanzieren, sondern eine staatliche Aufgabe. Oder noch besser: Die Politik würde so geändert, dass die Menschen gar nicht mehr fliehen müssen. Dann bräuchten wir auch keine Seenotrettung.


Über Matthias Monroy

Matthias Monroy hat viele Jahre im Deutschen Bundestag für einen Abgeordneten zum Thema gearbeitet. Heute ist er Redakteur im Politikressort der Tageszeitung Neues Deutschland. Seine Schwerpunkte sind Polizei, Geheimdienste und Militär in Deutschland und der EU sowie neue Anwendungen für Überwachung und Kontrolle.

Matthias Monroy

Unser Rettungskreuzer SEA-EYE 5 ist auf der tödlichsten Fluchtroute der Welt im Einsatz. Unterstütze jetzt seine Missionen und werde 1 von 3.000 Schiffspat*innen.

Zu Beginn der Mission erinnerten die Besatzungsmitglieder in einer Schweigeminute an die Toten und Vermissten im Mittelmeer.

Der zivile Rettungskreuzer SEA-EYE 5 hat am 23. Oktober 2024 den Hafen von Licata auf Sizilien verlassen und ist zu seinem ersten Einsatz im zentralen Mittelmeer aufgebrochen. Vor dem Auslaufen legte die Besatzung in einer Schweigeminute Kränze im Meer nieder, um den mehr als 30.000 Menschen, die seit 2014 auf der tödlichsten Fluchtroute der Welt ihr Leben verloren haben, zu gedenken.

„30.000 Tote im Mittelmeer: Das ist die Bilanz des europäischen Grenzregimes des vergangenen Jahrzehnts. Wir werden weiterhin dafür kämpfen, Menschenleben auf der tödlichsten Fluchtroute der Welt zu retten: Mit der SEA-EYE 5 können wir jetzt noch schneller auf Seenotrettungsfälle reagieren. Gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen wollen wir alles dafür tun, dass niemand auf dem Meer sterben muss“, betonte Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

SEA-EYE 5: Training

Die UNO-Flüchtlingshilfe unterstützt die erste Mission der SEA-EYE 5 mit 50.000 Euro. Der Kaufpreis, die Modernisierung und der Umbau des Schiffs wurden unter anderem durch eine Spendenaktion von United4Rescue finanziert. Der Rettungskreuzer ist das vierte Bündnisschiff des zivilgesellschaftlichen Bündnisses.

„Schnell, rettungserprobt und flexibel einsetzbar: Der Rettungskreuzer ist unsere Antwort auf die Hürden, die der zivilen Seenotrettung in den Weg gelegt werden. Es ist eine Schande, dass die Zivilgesellschaft immer wieder neue Wege finden muss, um weiter Menschenleben zu retten – schließlich ist Seenotrettung Pflicht. Wir wünschen der SEA-EYE 5 und ihrer Crew alles Gute bei ihrem ersten Einsatz!“, sagte Sandra Bils, Vorstandsmitglied von United4Rescue.

Die SEA-EYE 5 wurde im Jahr 1990 gebaut. Sie gehört zur 23,3-Meter-Klasse, einer Serie von sieben Seenotkreuzern der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Für diese war sie unter dem Namen NIS RANDERS bis 2020 vor Maasholm an der schleswig-holsteinischen Küste im Einsatz. Die zivile Seenotrettungsorganisation Sea-Eye e.V. hat das Schiff in diesem Jahr gekauft und in den letzten Monaten überholt sowie technisch modernisiert. An Bord befindet sich auch eine Krankenstation. Deren Ausstattung und Betrieb wird durch die langjährige Sea-Eye-Partnerorganisation German Doctors e.V. ermöglicht.

„Menschen aus Seenot retten und sie direkt medizinisch versorgen: Mit der SEA-EYE 5 können wir gemeinsam noch schneller agieren. So lange die EU-Staaten ihrer völkerrechtlichen Pflicht zur Seenotrettung nicht nachkommen, werden wir uns weiter dafür engagieren, Menschen in größter Not zu helfen“, so Dr. Christine Winkelmann, Vorständin German Doctors e.V.

Das oberste italienische Verwaltungsgericht (“Consiglio dello Stato”) hat am 17.10.2024 die von der Hafenbehörde in Olbia angeordnete Festsetzung aus dem Jahr 2020 gegen Sea-Eye’s damaliges Rettungsschiff ALAN KURDI für rechtswidrig erklärt. Sea-Eye e.V. kündigte an, Schadensersatz einzuklagen. 

Die ALAN KURDI, ein ehemaliges Rettungsschiff von Sea-Eye, war am 9. Oktober 2020 im Hafen von Olbia festgesetzt worden, nachdem die Behörden bei einer achtstündigen Hafenstaatkontrolle angebliche Mängel festgestellt hatten. Zuvor hatten spanische und deutsche Fachbehörden das unter deutscher Flagge fahrende Schiff nach einer mehrwöchigen Werftzeit als einsatzbereit zertifiziert. Die Klage von Sea-Eye gegen die Festsetzung war nun in zweiter Instanz erfolgreich.

Der Richter entschied, dass für das Schiff nur die Anforderungen des Flaggenstaates gelten. Der Hafenstaat, in diesem Fall Italien, kann nur in außerordentlichen Fällen einschreiten, beispielsweise bei Gefahr für Leben und Umwelt. Dies war aber zu keinem Zeitpunkt der Fall. Die bei der Überprüfung festgestellten Mängel stünden nicht im Widerspruch zu den vom Flaggenstaat Deutschland ausgestellten Sicherheits- und Klassifikationszertifikaten. Darüber hinaus kannte er die Notsituation an, die sich aus der Rettung von 133 Menschen in Lebensgefahr ergab.

„Das Urteil von Olbia ist ein wichtiger Erfolg für Sea-Eye – und doch fühlt es sich an, wie eine bittere Niederlage. Die Schikanen italienischer Behörden gegen die ALAN KURDI zwangen uns zur Aufgabe dieses für uns so wichtigen Schiffes. Das Urteil beweist nun, dass die italienischen Behörden seit Jahren staatliche Machtbefugnisse missbrauchen, um gegen die zivile Seenotrettung vorzugehen. Wir werden gegen das zuständige Ministerium auf Schadensersatz klagen und unseren Widerstand gegen die repressive Politik Italiens auf dem Meer und vor Gericht fortsetzen”, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Die ALAN KURDI startete 2018 in ihren ersten Einsatz und war das erste zivile Rettungsschiff im Mittelmeer unter deutscher Flagge. Mit ihr führte Sea-Eye insgesamt zwölf Missionen im Mittelmeer durch und rettete 927 Menschen das Leben. Mehr als 240 Menschen leisteten auf dem Schiff freiwilligen Seenotrettungsdienst. Mehrere Festsetzungen zwangen Sea-Eye 2021, das Schiff aufzugeben.

Sea-Eye hat schon mehrfach gegen rechtswidrige Festsetzungen geklagt – bereits mit Erfolg: Im Juni erklärte das Gericht in Reggio Calabria eine 60-tägige Festsetzung der SEA-EYE 4 vom März 2024 für unrechtmäßig. Die Urteile verzögern sich jedoch oft um mehrere Jahre: Insgesamt sind derzeit noch vier weitere Gerichtsverfahren anhängig. Die Prozesse sind für den eingetragenen Verein mit hohen Kosten und zusätzlichen Aufwand verbunden.