Zukünftige Rettungseinsätze gefährdet durch gestiegene Preise bei gleichzeitigem Spendeneinbruch

Am 16.09.2022 erreichte die SEA-EYE 4 mit 129 geflüchteten Menschen, darunter 48 unbegleitete Minderjährige, Tarent. Der Hafen war dem Rettungsschiff am Donnerstag zugewiesen worden. Am Nachmittag konnten die ersten Menschen, von denen mehr als die Hälfte bereits 14 Tage an Bord waren, das Rettungsschiff verlassen.

Während der Rettungsmission suchte die Crew nach zwei Seenotfällen in der maltesischen Such- und Rettungszone und erhielt in beiden Fällen keine Unterstützung von der zuständigen Rettungsleitstelle in Malta. Einmal, als sich die Crew telefonisch nach Informationen erkundigen wollte, legte die Rettungsleitstelle einfach auf.

Die derzeitige wirtschaftliche und politische Lage hat in diesem Jahr bei Sea-Eye e. V. zu einem Spendenrückgang um mehr als 30 % geführt. In Zusammenhang mit den gestiegenen Preisen, insbesondere bei den Treibstoffpreisen, stehen die Finanzabteilung und die Einsatzleitung von Sea-Eye e. V. vor der schwerwiegenden Frage, ob und wann die nächsten Rettungsmissionen durchgeführt werden können. Bisher konnte Sea-Eye e. V. in diesem Jahr trotz Spendeneinbruch fünf Rettungseinsätze durchführen und damit über 800 Menschenleben retten.

Auch die humanitären Organisationen sind mit stark angestiegenen Kosten konfrontiert. Bei einem gleichzeitigen Spendenrückgang sind das zwei wesentliche und bedrohliche Faktoren, die unsere weiteren Einsätze gefährden. Dabei sind unsere Einsätze auch im Herbst und Winter wichtig, weil die Schlechtwetterperioden zunehmen. Weniger Rettungsschiffe führen dazu, dass die Flucht über das Mittelmeer gefährlicher wird, denn die Fluchtversuche aus Libyen finden dennoch statt“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V. In 2022 sind durchschnittlich jeden Tag vier Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer gestorben.

Die Parteien der Ampelkoalition hatten in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, dass man für eine Verbesserung der Situation Sorge tragen würde.

Bisher sind das nur schöne Worte, die niemandem helfen. Wir brauchen keine Würdigungen und wohlklingenden Versprechungen. Die Seenotrettungsorganisationen brauchen endlich substanzielle Unterstützung, um weiter Menschenleben retten zu können, und politische Kurskorrekturen, die dazu beitragen, dass unsere Arbeit überflüssig wird“, kritisiert Isler.

Um den Rettungsbetrieb in den kommenden Monaten aufrechterhalten zu können, hat Sea-Eye zusammen mit Unterstützer*innen, darunter United4Rescue – Gemeinsam Retten e. V. und #LeaveNoOneBehind eine Spendenverdopplungskampagne gestartet: http://sea-eye4.betterplace.org/.

Die Behörden schikanieren die Hilfsorganisationen und erhöhen den Druck auch finanziell. Das passiert, weil man das Ertrinkenlassen von Menschen zur Abschreckung nutzen will. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Strategie aufgeht. Es wird eine Mauer aus Toten gebaut und kaum jemand interessiert sich dafür. Das ist so grausam, das darf auch in schwierigen Zeiten nicht untergehen“, sagt Erik Marquardt, Mitgründer von LeaveNoOneBehind, die Sea-Eye finanziell unterstützen. Erik Marquardt ist auch Abgeordneter in der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz des Europäischen Parlaments.

82 Menschen werden vermisst

Von Sonntag bis Montag (04.-05. September) suchte die Crew des Rettungsschiffs SEA-EYE 4 nach einem Seenotfall in der maltesischen Such- und Rettungszone, der von AlarmPhone an die SEA-EYE 4 und die maltesische Rettungsleitstelle gemeldet worden war. AlarmPhone sendete mehrfach aktualisierte Koordinaten, bis die Verbindung zu den 82 Menschen abriss.

Die maltesische Rettungsleitstelle unternahm keine erkennbaren Versuche, das Boot zu finden. Die maltesische Rettungsleitstelle behauptete bei einem Telefonat gegenüber eine*r Mitarbeiter*in von AlarmPhone, dass es “keine Informationen” habe. Schließlich wurde der AlarmPhone-Mitarbeiter*in vorgeworfen, dass sie die Leitung für andere Seenotfälle besetzen würde.

Aufgrund der Größe des Suchgebietes war es der SEA-EYE 4 nicht möglich, das Boot ohne aktualisierte Koordinaten zu finden. Über den Verbleib der 82 Menschen gibt es keine Informationen. Obwohl sich der Seenotfall in der maltesischen Such- und Rettungszone ereignet hatte, bezog Malta die SEA-EYE 4 nicht in eine koordinierte Suche ein.

Nach intensiven Tagen der Suche durch unsere Crew, wissen wir nichts über das Schicksal der Menschen, die in der Such- und Rettungszone eines EU-Mitgliedsstaates um Hilfe gerufen haben. Hätte Malta ein Aufklärungsflugzeug geschickt und uns in die Suche einbezogen, hätten wir die Menschen möglicherweise gefunden. Das jedenfalls hätte die maltesische Rettungsleitstelle unternommen, wenn es sich um Europäer*innen in Seenot gehandelt hätte“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Bereits am 02. September rettete die Crew der SEA-EYE 4 76 Menschen aus einem kleinen, doppelstöckigen Holzboot aus Seenot. Der Seenotfall war zuvor durch die NADIR der Organisation Resqship gemeldet worden. Unter den geretteten Menschen sind 17 unbegleitete Minderjährige und ein Kind. Das medizinische Team musste in den folgenden Tagen mehrere Patient*innen im Bordhospital versorgen.

Am Dienstag, 06. September, verschlechterte sich der Zustand eines Patienten massiv. Er litt an starken Schmerzen im Unterleib und hatte Fieber. Die SEA-EYE 4 forderte daraufhin bei Malta eine medizinische Evakuierung an, worauf der Patient mit einem Helikopter zur medizinischen Behandlung an Land gebracht wurde.

Gestern Abend (06. September) übernahm die SEA-EYE 4 von der RISE ABOVE 54 zuvor gerettete Menschen, weil sie für deren Versorgung besser ausgerüstet ist.

Die zusätzlichen 54 Flüchtlinge – darunter 30 Minderjährige – waren sehr geschwächt und dehydriert, als sie an Bord der RISE ABOVE genommen wurden. Drei Tage lang hatten sie ohne Essen und Trinken auf ihrem Boot ausgeharrt. Inzwischen sind sie alle stabilisiert. Da sie jung sind und keiner von ihnen eine chronische Erkrankung hat, sind wir zuversichtlich, dass die neuen Gäste zumindest körperlich stabil bleiben“, erklärt Dr. Angelika Leist, German Doctors-Einsatzärztin und Schiffsärztin an Bord der Sea-Eye 4.

German Doctors stellt regelmäßig ehrenamtliche Ärzt*innen für die Rettungsmissionen der SEA-EYE 4 und beteiligt sich finanziell am Betrieb des Bordhospitals, in dem ein dreiköpfiges Team bei Rettungseinsätzen nicht selten dutzende gerettete Menschen behandeln muss.   Nun befinden sich 129 Menschen an Bord der SEA-EYE 4. Unter ihnen sind 48 Minderjährige, von denen 47 unbegleitet sind. Die Crew hat in Italien um einen sicheren Hafen gebeten.

An Bord der SEA-EYE 4 erzählte ein junger Mann aus Bangladesch unserem Crewmitglied Fiona, weshalb er sein Land verlassen hat und welche Gefahren ihm in Libyen begegnet sind. Die folgenden Schilderungen beruhen auf zwei Gesprächen, die mit Audioaufnahmen und Notizen dokumentiert wurden.

Ich wurde in Dhaka, Bangladesch, in einer 5-köpfigen Familie geboren. Ich bin allein hierhergekommen.

Ich habe viele Probleme zu Hause und ich denke ständig daran… Das Leben in Bangladesch ist schwierig. Wenn du arm geboren wirst, bleibst du arm, auch wenn du hart arbeitest. Ich bin für meine Familie verantwortlich, da ich der einzige Sohn bin, ich muss sie versorgen und mich um sie kümmern.

Meine Eltern können beide nicht mehr arbeiten. Meine Mutter hatte einen Job in einer Bekleidungsfabrik, aber sie wurde sehr krank, und mein Vater ist zu alt, um zu arbeiten. Er ist ein guter Mann und ein guter Landwirt, aber die Arbeit wird zu schwer für ihn.

Meine beiden Schwestern würden gerne studieren, denn in Bangladesch kann man mit einem Schulabschluss eine gute Arbeit finden. Ich will nicht, dass sie auf den Feldern arbeiten… aber wir haben kein Geld, wir können nicht einmal richtig essen. Zwei Säcke Reis kosten die Hälfte von dem, was ich in einem Monat verdiene.

Zeichnung

Seit Corona hat sich die Lage in Bangladesch verschlechtert, auch der Klimawandel macht uns zu schaffen. Meine Mutter riet mir, nach Libyen zu gehen, weil sie glaubte, dass ich dort gutes Geld verdienen und einen guten Job mit einem guten Gehalt bekommen könnte. Sie verkaufte den Goldschmuck der Familie, um mein Flugticket nach Libyen zu bezahlen.

Ich weiß nicht, wie viel meine Mutter bezahlt hat, aber ich habe gehört, dass einige Leute 300.000 Taka (3.000 Dollar) an Schmuggler*innen gezahlt haben. Wir reisten über Dubai. Als wir am Flughafen in Libyen ankamen, riefen wir eine Telefonnummer an, die uns in Bangladesch gegeben worden war, dann kamen einige Männer und brachten uns in ein Lagerhaus. Man sagte uns, wir würden dort für 200 Dinar pro Monat schlafen.

Meine Mutter hat sich geirrt, Libyen ist ein gefährlicher Ort… etwa 95 % schlechte Menschen und 5 % gute. Ich habe dort ein Jahr verbracht, bevor ich mit dem Boot übersetzte. Ich arbeitete in der Hauswirtschaft mit acht Bangladescher*innen, drei Sudanes*innen und vier Ägypter*innen. Unser Chef war ein böser Mann. Er wollte die Löhne nicht zahlen. Wenn man sich weigerte zu arbeiten, schlug er einen oder drohte, einen mit einer Pistole zu töten. Ich arbeitete fünf Monate lang, ohne bezahlt zu werden. Ursprünglich waren mir 1.200 Dinar pro Monat versprochen worden.

Papierboot

Nach einiger Zeit sprachen ein paar meiner Freunde davon ein kleines Boot mit ein paar Leuten, etwa zwanzig, zu besorgen und nach Italien zu fahren. Über einen Taxifahrer, einen guten Mann, hatten wir eine Verbindung zur „libyschen Mafia“, um ein Boot zu kaufen. Das Boot würde zusammen mit Satellitentelefon, GPS und Schwimmwesten 12.000 Dinar kosten. Es dauerte zwei Monate, bis wir das Geld zusammen hatten.

Wir fuhren am 5. Mai um 22 Uhr los, um die Küstenwache zu umgehen.

Ein paar Stunden später, gegen 2 Uhr morgens, drang plötzlich Wasser ein. Das Boot war defekt, es hatte ein Loch, wir versuchten, es so gut wie möglich zu schließen, aber das Wasser war stärker.

Dann sahen wir die Lichter eines großen Frachtschiffs in etwa 2 km Entfernung. Wir riefen sie um Hilfe. Der Kapitän des Frachters kontaktierte die italienische Küstenwache, aber die war 445 km entfernt. Wir riefen mehrere Schiffe zu Hilfe, aber niemand antwortete. Ich habe um unser Leben gebetet. Schließlich schaltete sich die BSG Bahamas ein und teilte uns mit, dass das Schiff Sea-Eye 4 kommen würde, um uns zu retten.

BSG BAHAMAS

Durch Allahs Gnade bin ich am Leben, aber ich bin traurig, weil ich meine Familie vermisse. Ich habe sie seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Mein Telefon ist ins Wasser gefallen und seit ich Libyen verlassen habe, habe ich keinen Kontakt mehr zu ihnen.

Das ist mein Leben. Meine Familie ist mein Traum. Ich möchte ein großes Haus für sie kaufen, eine große Hochzeit für meine Schwestern. Ich wünsche mir eine Frau und viele Kinder.

Schiffspatenschaft ermöglicht weiteren Einsatz trotz rückläufiger Spenden

Das Rettungsschiff SEA-EYE 4 ist von Trapani in Richtung zentrales Mittelmeer aufgebrochen. Ermöglicht wurde die fünfte Rettungsmission in diesem Jahr maßgeblich durch die Stadt Bochum, die im Juli eine Schiffspatenschaft für das Seenotrettungsschiff SEA-EYE 4 übernommen hatte. Die Patenschaft enthält eine Förderung, die sich aus Haushaltsgeldern der Stadt (30.000 €) und Spenden der Zivilbevölkerung (37.714 €, Stand: 30.08.2022) zusammensetzt. Insgesamt ergab die Kampagne „Bochum Rettet“ damit eine Förderung in Höhe von 67.714 €, die für die Missionsvorbereitungen der SEA-EYE 4 verwendet wurden.

Die Unterstützung aus Bochum kam zum richtigen Zeitpunkt. Wir erleben derzeit eine Gleichzeitigkeit verschiedener Krisen, was insgesamt auch zu einem Spendenrückgang bei Sea-Eye geführt hat. Bochum hat gezeigt, wie man mit lokalem Engagement einen Weg aus der Solidaritätskrise an den EU-Außengrenzen finden kann. Wir wünschen uns, dass sich noch viele Kommunen anschließen werden“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

In den Sommermonaten wagen besonders viele Menschen die Flucht aus dem Bürgerkriegsland Libyen. In Tripolis sind im Zuge eines Konflikts zwischen dem Ministerpräsidenten Abdul Hamid Dbeibah und Ex-Innenminister Fathi Baschagha am Wochenende wieder Kämpfe mit zahlreichen Toten ausgebrochen.

Dr. Angelika Leist, German Doctors-Einsatzärztin und Schiffsärztin begleitet die aktuelle Sea-Eye Mission: „Ich engagiere mich auf der Sea-Eye 4, weil es nicht sein darf, dass Menschen auf der Flucht vor einem nicht lebenswerten Leben in Lebensgefahr geraten und keine offizielle Instanz ihnen hilft. Natürlich kann die zivile Notrettung nur eine Übergangslösung sein. Eigentlich sollten die EU-Länder gemeinsam eine Seenotrettung organisieren und nicht noch die sogenannte libysche Küstenwache mit Push-Backs beauftragen.

Angelika von German Doctors

Grundsätzlich wäre es natürlich wünschenswert, die westlichen Länder sorgten gemeinsam mit den Herkunftsländern dafür, dass die Lebensbedingungen vor Ort so sind, dass die Menschen nicht mehr flüchten müssen. Solange dies aber nicht der Fall ist, bin ich froh, als German Doctors-Einsatzärztin helfen zu können. Mein letzter medizinischer Einsatz in den Flüchtlingscamps auf Thessaloniki hilft mir sicher dabei, die Gäste an Bord der Sea-Eye 4 und ihre Beweggründe besser zu verstehen“, so Leist.

German Doctors stellt regelmäßig ehrenamtliche Ärzt*innen für die Rettungsmissionen der SEA-EYE 4 und beteiligt sich finanziell am Betrieb des Bordhospitals, in dem ein dreiköpfiges Team bei Rettungseinsätzen nicht selten dutzende gerettete Menschen behandeln muss.

Bochum Rettet

Seit Anfang April wird in der Bochumer Zivilgesellschaft dafür geworben, die Aktion „Bochum Rettet“ zu unterstützen. Ziel der Kampagne ist es, eine Patenschaft für das Seenotrettungsschiff SEA-EYE 4 von Sea-Eye e. V. zu übernehmen. Die Stadt Bochum hat dabei als Kommune beschlossen, jeden gespendeten Euro aus der Zivilgesellschaft bis zu einer Gesamthöhe von 30.000 € durch Mittel der Stadt zu verdoppeln. Dieses Ziel wurde in den drei Monaten des Kampagnenzeitraums weit übertroffen: Insgesamt sind somit über 60.000 € für die zivile Seenotrettung aus Bochum zusammengekommen, um das Sterben von Flüchtenden im Mittelmeer zu verhindern.

Die gespendeten 35.894 Euro zeigen, wie groß die Bereitschaft innerhalb der Zivilgesellschaft ist, die zivile Seenotrettung zu unterstützen. Denn immer noch ist das Mittelmeer die gefährlichste Fluchtroute der Welt, auf der jährlich mehrere Tausend Menschen sterben. Mit dem Projekt ‚Bochum Rettet‘ wollen wir dafür ein Bewusstsein schaffen und aufzeigen, dass wir vor Ort Verantwortung übernehmen können und müssen“, sagt Carla Scheytt, Mitglied des Organisationsteams der Aktion.

Sie fügt hinzu: „Neben sehr vielen Einzelpersonen haben auch Vereine und Organisationen gespendet. An dieser Stelle bleibt es bei uns, Danke zu sagen! Ohne den Einsatz und das Engagement so vieler Menschen wäre das nicht möglich gewesen! Wir sehen den Erfolg der Spendenkampagne als Zeichen der Solidarität der Bochumer Zivilgesellschaft mit Menschen auf der Flucht.

Besonders der Organisationskreis und die Mitarbeiter*innen von Sea-Eye e. V. freuen sich über dieses Ergebnis. Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V., ist zuversichtlich, dass Bochum damit ein Vorbild für weitere Städte werden kann: „Bochum hat gezeigt, dass eine Kommune einen aktiven Part in einer humanitären Fluchtpolitik einnehmen kann. Das gesammelte Geld kommt konkret dort an, wo es gebraucht wird. Mit den eingegangenen Spenden haben wir kürzlich den Schiffstank für die aktuellen Missionen gefüllt.“ Weiterhin sieht er diesen Erfolg nicht als Ende, sondern Beginn einer Projektreihe: „Es gibt bereits Planungen, dieses Erfolgsmodell auch in andere Städte zu tragen. Daran werden wir jetzt mit viel Einsatz arbeiten.

Über eine Abschlussveranstaltung zum Erfolg des Projekts wird das Organisationsteam nach Ende der Sommerferien informieren.

Sea-Eye verurteilt Ungleichbehandlung von Schutzsuchenden

Nachdem die 476 geflüchteten Menschen eine Woche auf engstem Raum auf der SEA-EYE 4 ausgeharrt hatten, hat heute, den 22.06.2022, die Ausschiffung in Messina begonnen. Gestern hatte die italienische Küstenwache der SEA-EYE 4 Messina als sicheren Hafen zugewiesen.

Die Crew der SEA-EYE 4 hatte in der Woche zuvor 494 flüchtende Menschen aus verschiedenen Booten in Seenot gerettet. Während der Wartezeit auf einen Hafen mussten 18 Menschen aus medizinischen Gründen von Bord evakuiert werden. Die Menschen waren mit seeuntauglichen Booten aus dem libyschen Bürgerkrieg geflüchtet. Viele waren zuvor jedoch bereits aus ihren Heimatländern geflüchtet. Die Menschen stammen aus 23 unterschiedlichen Herkunftsländern. Darunter Afghanistan, Äthiopien, Eritrea, Mali oder Syrien.

Auch in Ländern wie Afghanistan, Äthiopien, Eritrea, Libyen, Mali oder Syrien gibt es langjährige bewaffnete Konflikte oder es werden sogar Kriege geführt. Derzeit gibt es aber nur für die Menschen sichere Fluchtwege in die EU, die aus der Ukraine fliehen. Menschen aller anderen Herkunftsländer müssen sich weiterhin für die Chance auf Sicherheit und ein Asylverfahren der Gefahr aussetzen, an den europäischen Grenzen zu sterben. Es handelt sich klar um strukturellen Rassismus. Wir brauchen sichere Fluchtwege für alle schutzsuchenden Menschen, ganz egal welche Hautfarbe sie haben und vor welchen Gewaltherrschern sie fliehen“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Italienische Küstenwache evakuiert vier Menschen

Die SEA-EYE 4, deren Crew im Laufe der Woche 494* Menschen aus Seenot gerettet hat, erreichte am Freitagmorgen, den 17.06., Sizilien. Aufgrund der hohen Anzahl an Menschen, ist es für das dreiköpfige medizinische Team schwer, allen Personen eine angemessene Versorgung zukommen zu lassen. Zwar befindet sich die Mehrheit der Menschen in einem stabilen Zustand, aber es gibt viele Patient*innen, die eine umfassendere, medizinische Versorgung benötigen.

Die italienische Küstenwache evakuierte deshalb am Freitagmittag vier Personen aufgrund ihres Gesundheitszustands von Bord.

Eine Patientin, die evakuiert wurde, ist im achten Monat schwanger, hat jedoch Komplikationen und kann ihr Baby nicht mehr spüren. Zudem hat sie Verätzungen an den Beinen. Eine weitere Person hat eine gebrochene Hand und benötigt eine Röntgenuntersuchung sowie weitere Behandlung. Bei einer Person mit Epilepsie gingen die Langzeitmedikamente zur Neige. Eine vierte evakuierte Person leidet an starken Verätzungen.

Medizinische Evakuierung

Insgesamt haben mehrere Patient*innen Verätzungen und einige Patient*innen hatten auf den Booten Dämpfe von Kraftstoff eingeatmet. Viele Patient*innen haben deshalb körperliche Beschwerden. Einige Menschen zeigen Anzeichen von schwerer Erschöpfung bis hin zu Traumatisierung. Andere Patient*innen wurden wegen Unterkühlungen behandelt. Nach der Evakuierung einer Schwangeren sind nun noch zwei schwangere Frauen an Bord. Eine Frau im achten Monat und eine Frau im vierten Monat. Ihr Zustand ist derzeit stabil.

Medizinische Evakuierung

Mit so einer hohen Anzahl an vulnerablen Menschen an Bord, besteht auch ein hoher medizinischer Versorgungsbedarf, den unser medizinisches Team auf Dauer allein nicht abdecken kann. Dank unserer Kooperation mit der Bonner Hilfsorganisation German Doctors sind wir zwar für Erstversorgungs- und Notsituationen sehr gut aufgestellt – aber nicht alle weiterführenden Behandlungen und notwendigen Untersuchungen können in unserem Bordhospital durchgeführt werden. Derzeit behandeln wir z.B. viele Menschen mit Wunden und Verätzungen, die durch den Kontakt mit einem Salzwasser-Treibstoffgemisch in den Booten entstanden sind, sodass unser Verbandsmaterial knapp wird. Damit es nicht zu weiteren medizinischen Evakuierungen kommen muss, benötigen alle Menschen an Bord schnellstens einen sicheren Hafen und medizinische Hilfe“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

*Hinweis: Am 15.06. wurde die Gesamtzahl der Geretteten mit 492 angegeben. Bei einer späteren Zählung wurden 494 Menschen erfasst. Durch die heutige Evakuierung von vier Patient*innen befinden sich derzeit 490 geflüchtete Menschen an Bord der SEA-EYE 4.

76 Menschen aus sinkendem Schlauchboot gerettet

Nachdem die SEA-EYE 4 bereits in drei Rettungseinsätzen 416 Menschen gerettet hatte, wurde dem Rettungsschiff am Mittwochabend, den 16.06.2022, erneut ein Seenotfall gemeldet. Die Organisation Alarm Phone berichtete den Behörden bereits im ersten Notruf, dass das Schlauchboot beschädigt sei, Wasser eindränge und die Menschen um Hilfe riefen. Als die SEA-EYE 4 den Unglücksort erreichte, war in den Schläuchen kaum noch Luft. Mit Lichtern versuchten die Menschen bei Nacht auf sich aufmerksam zu machen.

Die Menschen hatten großes Glück, dass die SEA-EYE 4 zum Zeitpunkt des Notrufs weniger als drei Stunden entfernt war und dass sie bei Nacht noch rechtzeitig gefunden worden sind, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Der schwierige Rettungseinsatz zog sich bis Mitternacht hin. Die Einsatzboote brachten 76 Menschen auf die SEA-EYE 4.

Rettungseinsatz

Sehr viele der in der Nacht geretteten Menschen, haben Verätzungen und müssen deshalb im Bordhospital der SEA-EYE 4 behandelt werden. Denn wenn in den Schlauchbooten Kraftstoff ausläuft und sich mit Meerwasser mischt, entsteht ein chemisches Gemisch, das die Haut sehr stark verätzt. Die Geretteten leiden außerdem an Unterkühlung, Dehydrierung und schwerer Erschöpfung. 

Die SEA-EYE 4 ist nun mit 492 geretteten Menschen auf der Suche nach einem sicheren Hafen.

Die zivilen Hilfsorganisationen Sea-Eye und Alarm Phone haben heute Nacht ein schweres Unglück verhindert. Von staatlichen Akteuren gab es erneut keine Reaktionen. Die sogenannte libysche Küstenwache reagierte überhaupt nicht und das ist kein Einzelfall. Genau deshalb sind nun erneut so viele Überlebende auf der SEA-EYE 4, für die wir nun ganz dringend einen sicheren Ort zur Ausschiffung benötigen. Dieser Ort kann nach internationalem Recht nur in Europa liegen“, so Isler.

Die heute Nacht geretteten Menschen müssen nach der Erstbehandlung an Bord nun zügig an Land kommen, um adäquat weiter behandelt werden zu können. Es ist erschütternd, dass die Rettung weiterhin von NGOs wie uns und auch vom Glück abhängig ist, dass Seenotretter gerade in der Nähe sind. Die EU muss sich endlich gemeinsam um eine menschenwürdige Lösung kümmern“, so Dr. Harald Kischlat, Vorstand German Doctors e. V.

Die Bonner Hilfsorganisation unterstützt den Betrieb des Bordhospitals substanziell und stellt regelmäßig German Doctors-Einsatzärzte, um die medizinische Erstversorgung auf der SEA EYE 4 zu gewährleisten.

Rettungseinsatz

Sogenannte libysche Küstenwache behindert Rettungsaktionen und entführt Menschen zurück nach Libyen

Die Crew der SEA-EYE 4 hat in zwei Tagen bei drei Einsätzen 416 Menschen aus Seenot gerettet. Am vergangenen Montagnachmittag, dem 13. Juni, kam das Rettungsschiff 63 Menschen,  darunter 30 Minderjährige und ein Baby,  zur Hilfe, als diese mit ihrem Schlauchboot auf der Flucht über das Mittelmeer in Seenot geraten waren. Am heutigen Mittwochmorgen, dem 15. Juni, erreichte die Crew ein großes, stark überfülltes Holzboot. Viele der Insassen waren unter Deck zusammengedrängt. Die Crew evakuierte das Holzboot und brachte alle 290 Menschen, darunter 19 Minderjährige, sicher an Bord der SEA-EYE 4. Am Mittwochnachmittag fand die Crew ein weiteres Schlauchboot und rettete 63 Menschen, darunter 13 Minderjährige.

Rettungseinsatz

Während der Rettung am Mittwochmorgen war die sogenannte libysche Küstenwache zugegen und beobachtete den Rettungseinsatz. Als dieser abgeschlossen war, näherte sich die sogenannte libysche Küstenwache und schleppte das Holzboot ab.

Ebenfalls am Mittwochmorgen erreichte das spanische Rettungsschiff AITA MARI unweit der Position der SEA-EYE 4 einen Seenotfall mit über 100 Menschen, die sich in einem überfüllten Schlauchboot auf der Flucht befanden. Der Einsatz wurde jedoch von der sogenannten libyschen Küstenwache gestört. 17 Menschen, die ins Wasser gesprungen waren, konnten von der Crew der AITA MARI gerettet werden. Die auf dem Schlauchboot verbliebenen Menschen wurden von der sogenannten libyschen Küstenwache auf deren Schiff gezwungen und nach Libyen entführt.

Rettungseinsatz

Heute mussten wir erneut beobachten, wie gefährlich die sogenannte libysche Küstenwache agiert. Von den EU-Staaten finanziert, verschleppt die sogenannte libysche Küstenwache flüchtende Menschen in ein Bürgerkriegsland, wo sie schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Es ist hinlänglich bekannt, dass es Verbindungen zwischen der sogenannten libyschen Küstenwache und den Schleppern gibt. Vor dem Hintergrund allen Wissens über die sogenannte libysche Küstenwache ist es ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mit so gefährlichen Akteuren zu kooperieren. Deshalb hat die EU den Friedensnobelpreis genauso wenig verdient wie diese Milizen die Bezeichnung Küstenwache. Jede Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache muss von europäischer Seite endlich eingestellt werden“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Auf dem Mittelmeer spielen sich im Schatten der medialen Berichterstattung rund um den Ukraine-Krieg nicht weniger dramatische Szenen ab. Menschen, die aus Angst vor einer sogenannten Küstenwache ins Wasser springen und auf der Flucht ihr Leben riskieren – dem muss die Politik endlich ein Ende setzen! Es ist zutiefst irritierend, dass wir als EU offensichtlich weiterhin den möglichen Tod  von Kindern, Frauen und Männern, die über das Mittelmeer vor Armut und Gewalt in ihren Herkunftsländern fliehen, in Kauf nehmen“, so Harald Kischlat, Vorstand German Doctors e. V.

Geflüchtete

An Bord der SEA-EYE 4 befinden sich nun 416 Menschen, für die ein sicherer Ort zur Ausschiffung benötigt wird. Die Crew und das medizinische Personal kümmern sich um die Versorgung der Menschen.

Zahl der Notrufe bei AlarmPhone nimmt im gesamten Mittelmeerraum zu

Die SEA-EYE 4 ist am Samstag (04.06.2022) zur dritten Rettungsmission in 2022 von Burriana aus aufgebrochen. Das Bündnisschiff wird das Einsatzgebiet im zentralen Mittelmeer voraussichtlich am Donnerstagabend erreichen. Seit das Schiff im Mai 2021 in Dienst gestellt wurde, konnten die Besatzungen mehr als 1.600 Menschen vor dem Ertrinken retten.

Von Januar bis Ende Mai 2022 hat die Organisation AlarmPhone bereits 339 Notrufe von Menschen in akuter Lebensgefahr auf See erhalten. Im Vergleichszeitraum 2021 waren es 286 Notrufe. In 2020 waren es 225. (Quelle: AlarmPhone)

Über 700 Menschen sind laut IOM in diesem Jahr im Mittelmeer ums Leben gekommen. In den Sommermonaten versuchten in den letzten Jahren besonders viele Menschen dem Bürgerkrieg in Libyen zu entkommen. Denn in diesen Monaten gibt es deutlich weniger Schlechtwetter-Phasen.

Wir müssen uns wieder klarmachen, dass das kein Normalzustand ist. Dass jeden Tag Menschen um Hilfe rufen, dass regelmäßig Menschen ertrinken und dass es kein europäisches staatliches Seenotrettungsprogramm gibt, dass die nötige Ausstattung mitbringt, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Die EU-Staaten lassen ein weiteres, tödliches Jahr einfach so zu und auch die neue Bundesregierung blieb bisher untätig und lässt das Ertrinken weitergehen. Eigentlich sollten in Berlin nun nach so vielen Monaten alle ihren Platz gefunden haben und wissen, was zu tun ist“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Crewmitglied