Erneute Geldbuße und Verwaltungshaft für die SEA-EYE 4 in Salerno

Nach der Rettung von 114 Menschenleben wurde die SEA-EYE 4 am gestrigen Dienstagabend erneut in Italien festgesetzt. Das Schiff darf den Hafen von Salerno nun für 20 Tage nicht verlassen. Die italienischen Behörden haben außerdem eine Geldbuße in Höhe von 3.333 Euro verhängt. Den Seenotretter*innen von Sea-Eye wird ein wiederholter Verstoß gegen ein neues italienisches Gesetz vorgeworfen, das im Feburar 2023 in Kraft getreten ist.

“Uns wird erneut vorgeworfen, dass wir mehr als eine Rettungsoperationen durchgeführt haben. Hätten wir das nicht getan, wären Menschen ums Leben gekommen”, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Die 114 Menschen, die gestern endlich an Land gehen konnten, waren vom 17. bis 19. August in drei aufeinanderfolgenden Einsätzen in der libyschen und der maltesischen Such- und Rettungszone geborgen worden. Einige von ihnen hatten bereits fünf Tage auf dem Meer verbracht.

Am schwersten betroffen waren die Personen im dritten Boot. Vier Patienten waren tief bewusstlos und mussten sofort medizinisch versorgt werden. Zwei von ihnen hatten nach 5-6 Tagen auf hoher See einen schweren Flüssigkeitsmangel erlitten, ein Patient eine ausgeprägte Unterzuckerung – und ein Patient einen Hitzschlag“, berichtet Hannes Petzold, German Doctor und Schiffsarzt an Bord der SEA-EYE 3.

Es ist bereits die zweite Festsetzung für die SEA-EYE 4 in diesem Jahr und auch andere Organisationen sind von der repressiven Politik Italiens betroffen: Das spanische Rettungsschiff OPEN ARMS der gleichnamigen Hilfsorganisation wurde am Dienstagmorgen festgesetzt. Die AURORA von Sea-Watch wurde am Montag in Verwaltungshaft genommen. Die Vorwürfe lauten immer wieder gleich: Verstoß gegen das Piantedosi-Gesetz vom 24. Februar 2023. Inzwischen sind im laufenden Jahr bereits mehr als 2.100 Menschen bei dem Versuch ums Leben gekommen, das Mittelmeer zu überqueren, um in Europa Schutz zu suchen.

“Man muss sich vor Augen führen, dass dieses Gesetz allein für die Seenotrettungsorganisationen geschrieben wurde. Es steht im Widerspruch zum Völkerrecht, das einen Kapitän dazu verpflichtet, Menschen in Seenot zur Hilfe zu kommen. Italiens Gesetzgeber hat eine Situation konstruiert, in der rechtskonformes und menschliches Handeln bestraft wird”, sagt Gorden Isler.

Seenotrettungsorganisationen wie Sea-Eye werden somit immer wieder in die Situation kommen, entscheiden zu müssen, ob sie ihre Schiffe behalten und nach dem ersten Rettungseinsatz umkehren, oder ob sie niemanden zum Sterben zurück lassen und damit die Festsetzungen ihrer Schiffe in Kauf nehmen wollen.

“Die Verantwortlichen von Sea-Eye, Sea-Watch und Open Arms haben sich in dieser Woche dazu entschieden, den Schutz des Lebens über ihre Schiffe zu stellen. Italien bestraft dieses Verhalten nun und gefährdet das Leben vieler Menschen, die dem Meer schutzlos ausgeliefert bleiben”, so Isler weiter.

Sea-Eye wird auch gegen die erneute Festsetzung Klage einreichen. Über die zuvor eingereichte Klage gegen die Festsetzung der SEA-EYE 4 in Ortona ist noch keine Entscheidung getroffen worden.

Sea-Eye fordert europäische Marine Operation zur Rettung von Menschenleben

Innerhalb der vergangenen 72 Stunden konnte die Besatzung der SEA-EYE 4 insgesamt 114 Menschen aus drei hochseeuntauglichen Kunststoffbooten retten. Alle Rettungen fanden in internationalen Gewässern zwischen Malta und Kreta statt. Alle Überlebenden gaben an, dass sie bis zu fünf Tage unterwegs waren und aus der libyschen Region um Bengasi flohen.

Bemerkt wurde der erste Seenotfall, weil es der Crew des Rettungsschiffes GEO BARENTS von Ärzte ohne Grenzen gelang, den Funkverkehr zwischen Fischerbooten und Handelsschiffen abzuhören. Durch das Aussenden des Notrufs MAYDAY RELAY informierte die weiter entfernte GEO BARENTS die europäischen Rettungsleitstellen und die SEA-EYE 4, die sich zu diesem Zeitpunkt in dem Seegebiet zwischen Malta und Kreta aufhielt. Der zweite Seenotfall wurde durch das Alarmphone an die staatlichen Rettungsleitstellen und die SEA-EYE 4 gemeldet. Von dem dritten Seenotfall erlangte die SEA-EYE 4 durch das Mithören von Funkverkehr Kenntnis.

Die Überlebenden des dritten Seenotfalls waren in besonders schlechter medizinischer Verfassung. Vier Personen waren bewusstlos. Eine Person war laut Berichten der Überlebenden bereits länger als einen Tag nicht ansprechbar. Das gemeinsame medizinische Team von Sea-Eye und German Doctors hat inzwischen alle vier Personen im Bordhospital akutmedizinisch versorgt und stabilisiert.

Die Menschen waren Meer und Sonne mehrere Tage schutzlos ausgeliefert. Dehydrierung, Hitze und tagelang unbehandelte Vorerkrankungen wie Diabetes können dann schnell zu einer lebensgefährlichen Situation führen. Die Menschen hatten großes Glück, dass sie von unserer Crew gefunden worden sind und nun in unserem Bordhospital versorgt werden“, sagte Jan Ribbeck, der Einsatzleiter von Sea-Eye e.V.

Bereits am Freitagabend bat die SEA-EYE 4 die primär zuständige Rettungsleitstelle auf Malta um Koordinierung und Zuweisung eines Hafens zur Ausschiffung. Am Samstagnachmittag wiederholte das Schiff diese Bitte, weil die SEA-EYE 4 weiterhin in der maltesischen Such- und Rettungszone operierte und Seenotfälle in diesem Seegebiet von Malta koordiniert werden müssen. Eine Antwort aus der maltesischen Rettungsleitstelle steht derzeit noch aus.

Das Seegebiet zwischen Malta und Kreta ist besonders gefährlich für schutzsuchende Menschen. Sie sind oft viele Tage auf See unterwegs. Was dann passieren kann, zeigte uns das große Unglück vor Pylos vom 14. Juni 2023, bei dem viele hundert Menschen ertrunken sind“, sagte Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Die Einsatzleitung von Sea-Eye e.V. entschied deshalb bewusst, dass die SEA-EYE 4 auf ihrer dritten Mission des Jahres in genau diesem Seegebiet eingesetzt werden soll.

Man muss sich immer wieder klarmachen, dass wir hier eine Lücke füllen, die von staatlichen Akteuren bewusst offengelassen wird, um die Zahl der Ankünfte von Flüchtenden in Europa zu reduzieren. Es braucht hier sofort ein Umdenken, denn die Zahl der Todesopfer steigt und steigt. Es braucht eine groß angelegte Marine Operation der EU, die das eindeutige Mandat hat, so viele Menschenleben zu retten wie nur möglich“, sagt Isler weiter. Die SEA-EYE 4 hält derzeit Kurs auf Malta.

Mehr als 2.000 Menschen sind in 2023 im Mittelmeer ums Leben gekommen

Am Samstagmorgen (12.08.2023) hat die SEA-EYE 4 den spanischen Hafen von Burriana verlassen, um in den dritten Einsatz des Jahres aufzubrechen. Die italienischen Behörden verhinderten einen früheren Einsatz durch eine Festsetzung des Rettungsschiffs im Juni. Die Crew der SEA-EYE 4 hatte im Mai in zwei Seenotfällen zuletzt 49 Menschenleben gerettet. Aufgrund der zweiten Rettung setzte Italien das Rettungsschiff mit der Begründung vorübergehend fest, dass Sea-Eye gegen ein neues Gesetz verstoßen habe, das seit Februar 2023 in Italien gilt. Sea-Eye hatte gegen die Entscheidung im Juni Klage eingereicht und das Schiff nach Ende der Festsetzung ins spanische Burriana überführt.

Die Mission wird durch eine wiederholte Förderung der Deutschen Postcode Lotterie ermöglicht. Insgesamt erhält Sea-Eye für die Durchführung der Mission 250.000 €.

Wir sind dem gesamten Team der Deutschen Postcode Lotterie überaus dankbar für die anhaltende und substanzielle Unterstützung. Denn auch, wenn die Spendenbereitschaft wieder grundsätzlich zunimmt, reichen die Spenden insgesamt noch nicht aus. Deshalb sind weiterhin alle Einsätze der SEA-EYE 4 gefährdet“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Die Flucht über das Mittelmeer ist gefährlicher und tödlicher geworden. Insgesamt haben im laufenden Jahr bereits mehr als 2.000 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer ihr Leben verloren. Damit sind in 2023 bereits mehr Menschen ertrunken als im ganzen Jahr 2021.

Die EU-Mitgliedsstaaten haben zugelassen, dass die gemeinsamen Außengrenzen immer gefährlicher und tödlicher geworden sind. Das hat vor allem mit der Abschottungspolitik und der Abwesenheit von staatlichen Rettungsschiffen zu tun. Diese Lücke können zivile Akteure allein nicht schließen. Es braucht sofort mehr Schiffe, um die Zahl der Todesopfer zu reduzieren. So schnell können aber nur staatliche Akteure Schiffe bereitstellen“, sagt Isler weiter.

Die Crew der SEA-EYE 4 wird auf dem Weg in das Einsatzgebiet mehrere Trainings durchführen und voraussichtlich am Ende der Woche die libysche Such- und Rettungszone erreichen.