Frontex in der Ägäis (Credit: IMAGO / ZUMA Press)
Teil 7 – Frontex außer Kontrolle
Autor: Matthias Monroy
Niemand kann der EU-Grenzagentur Weisungen erteilen, so steht es in ihrer Verordnung. Auch aus diesem Grund muss Frontex abgeschafft werden. Die EU muss außerdem den Friedensnobelpreis zurückgeben.
In den 18 Jahren ihres Bestehens hat sich Frontex grundlegend verändert. Aus der Einrichtung, die den Grenzpolizeien der Mitgliedstaaten koordinierend zur Seite stehen sollte, ist ein mächtiger Apparat mit einer eigenen Polizeitruppe geworden. Die neuen Verordnungen von 2016 und 2019 haben ihre Fähigkeiten abermals beträchtlich erweitert. Das Kontrolldefizit hat sich damit weiter vergrößert.
Frontex ist eine unabhängige Agentur mit eigener Rechtspersönlichkeit, so haben es die EU-Mitgliedstaaten einst beschlossen. Ein umfassendes Weisungsrecht, über das in Deutschland beispielsweise Innenminister:innen für die Polizeibehörden verfügen, existiert für Frontex nicht. Ihr Direktor ist „in der Wahrnehmung seiner Aufgaben völlig unabhängig“, so steht es sogar in der Verordnung von Frontex.
Frontex soll die Grundrechte-Charta der EU und das Völkerrecht achten. Dies wird allerdings von der Leitung beständig ignoriert. Es ist aber äußerst schwierig, Frontex zu einem Kurswechsel zu zwingen. Dies wurde deutlich, nachdem verschiedene internationale Medien Beweise vorlegten, wie Griechenlands Küstenwache in großem Umfang Geflüchtete völkerrechtswidrig in die Türkei zurückschiebt. Daran sind auch Einheiten beteiligt, die EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der Frontex-Mission „Poseidon“ nach Griechenland entsandt haben.
Gemäß Artikel 46 der Frontex-Verordnung kann der Direktor bei offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen in einem Gaststaat einen dortigen Einsatz beenden. Neben Griechenland sind derartige Verstöße unter anderem für Kroatien belegt. Der amtierende Direktor Hans Leijtens weigert sich trotzdem, den Artikel 46 in den beiden Ländern zu aktivieren und Frontex abzuziehen.
Als „Hüterin der Verträge“ soll die EU-Kommission die Umsetzung des europäischen Rechts überwachen. Frontex muss dazu in Brüssel regelmäßig Berichte vorlegen. Allerdings ist auch die Kommission gegenüber Frontex nicht anordnungsbefugt.
Das EU-Parlament soll Frontex zwar kontrollieren, hat dazu aber außer der Freigabe oder Zurückhaltung von Haushaltsmitteln kaum Kompetenzen. Zwar kann der Direktor zu Anhörungen geladen werden, Weisungen können ihm aber auch die Abgeordneten nicht erteilen. Zudem ist das Parlament auch keine Firewall für die Einhaltung der Menschenrechte, das hat die „Frontex Scrutiny Working Group“ belegt. Der parlamentarische Sonderausschuß sollte die bekannt gewordenen Pushbacks in Griechenland untersuchen, der anschließend vorgelegte Abschlußbericht hat jedoch die grundsätzliche Ausrichtung der Agentur nicht infrage gestellt und wurde sogar von Frontex feixend begrüßt.
Auch Gerichte konnten den Kurs von Frontex bislang nicht korrigieren. Die Agentur kann beispielsweise nicht vor dem Menschenrechtsgerichtshof des Europarates zur Rechenschaft gezogen werden. Denn die EU hat – anders als alle Mitgliedsstaaten – die Europäische Menschenrechtskonvention nicht unterzeichnet. Das wird insbesondere zum Problem, wenn Frontex nun über eigene, bewaffnete Polizeieinheiten verfügt.
Über einige Möglichkeiten zur Einflußnahme verfügt der Frontex-Verwaltungsrat, in den jeder EU-Mitgliedstaat sowie die Kommission je zwei Vertreter:innen entsenden. Dort werden aber nur strategische Entscheidungen über die Weiterentwicklung der Agentur getroffen, das Tagesgeschäft der Grenzagentur bleibt außen vor. Allerdings kann der Verwaltungsrat Druck auf den Direktor ausüben, denn dieser wird von ihm ernannt – und auch abberufen, wenn nötig. Diese Macht haben die Mitgliedstaaten bislang nur gegenüber dem damaligen Direktor Leggeri genutzt: Nachdem immer mehr Skandale über ihn offenkundig wurden und sogar das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung deshalb ermittelte, haben die Regierungen Leggeri zum Rücktritt gedrängt.
Frontex bleibt aber auch unter Hans Leijtens ein Symbol der brutalen EU-Migrationspolitik. Ihre Einsätze tragen maßgeblich dazu bei, dass etwa das Mittelmeer zur tödlichsten Grenze der Welt geworden ist. Wer wie die EU tatsächlich die Menschenrechte in den Mittelpunkt stellen will, muss die Abschaffung von Frontex vorantreiben. 2012 erhielt die EU den Friedensnobelpreis mit der Begründung, sie habe 60 Jahre lang zur Befriedung Europas beigetragen. Diese Auszeichnung muss die EU zurückgeben, wie das Netzwerk „Abolish Frontex“ zurecht fordert, denn ihre Migrationspolitik ist einer Friedensnobelpreisträgerin unwürdig.
Der Autor: Matthias Monroy
Matthias Monroy hat viele Jahre im Deutschen Bundestag für einen Abgeordneten zum Thema gearbeitet. Inzwischen ist er Redakteur für Netzpolitik.org und das Neue Deutschland. Monroy arbeitet weiter u.a. zu den Themen Polizeiarbeit in der Europäischen Union, Migrationskontrolle, Internetüberwachung, Satellitenaufklärung und Drohnen.
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