Sea-Eye verurteilt Ungleichbehandlung von Schutzsuchenden

Nachdem die 476 geflüchteten Menschen eine Woche auf engstem Raum auf der SEA-EYE 4 ausgeharrt hatten, hat heute, den 22.06.2022, die Ausschiffung in Messina begonnen. Gestern hatte die italienische Küstenwache der SEA-EYE 4 Messina als sicheren Hafen zugewiesen.

Die Crew der SEA-EYE 4 hatte in der Woche zuvor 494 flüchtende Menschen aus verschiedenen Booten in Seenot gerettet. Während der Wartezeit auf einen Hafen mussten 18 Menschen aus medizinischen Gründen von Bord evakuiert werden. Die Menschen waren mit seeuntauglichen Booten aus dem libyschen Bürgerkrieg geflüchtet. Viele waren zuvor jedoch bereits aus ihren Heimatländern geflüchtet. Die Menschen stammen aus 23 unterschiedlichen Herkunftsländern. Darunter Afghanistan, Äthiopien, Eritrea, Mali oder Syrien.

Auch in Ländern wie Afghanistan, Äthiopien, Eritrea, Libyen, Mali oder Syrien gibt es langjährige bewaffnete Konflikte oder es werden sogar Kriege geführt. Derzeit gibt es aber nur für die Menschen sichere Fluchtwege in die EU, die aus der Ukraine fliehen. Menschen aller anderen Herkunftsländer müssen sich weiterhin für die Chance auf Sicherheit und ein Asylverfahren der Gefahr aussetzen, an den europäischen Grenzen zu sterben. Es handelt sich klar um strukturellen Rassismus. Wir brauchen sichere Fluchtwege für alle schutzsuchenden Menschen, ganz egal welche Hautfarbe sie haben und vor welchen Gewaltherrschern sie fliehen“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Italienische Küstenwache evakuiert vier Menschen

Die SEA-EYE 4, deren Crew im Laufe der Woche 494* Menschen aus Seenot gerettet hat, erreichte am Freitagmorgen, den 17.06., Sizilien. Aufgrund der hohen Anzahl an Menschen, ist es für das dreiköpfige medizinische Team schwer, allen Personen eine angemessene Versorgung zukommen zu lassen. Zwar befindet sich die Mehrheit der Menschen in einem stabilen Zustand, aber es gibt viele Patient*innen, die eine umfassendere, medizinische Versorgung benötigen.

Die italienische Küstenwache evakuierte deshalb am Freitagmittag vier Personen aufgrund ihres Gesundheitszustands von Bord.

Eine Patientin, die evakuiert wurde, ist im achten Monat schwanger, hat jedoch Komplikationen und kann ihr Baby nicht mehr spüren. Zudem hat sie Verätzungen an den Beinen. Eine weitere Person hat eine gebrochene Hand und benötigt eine Röntgenuntersuchung sowie weitere Behandlung. Bei einer Person mit Epilepsie gingen die Langzeitmedikamente zur Neige. Eine vierte evakuierte Person leidet an starken Verätzungen.

Medizinische Evakuierung

Insgesamt haben mehrere Patient*innen Verätzungen und einige Patient*innen hatten auf den Booten Dämpfe von Kraftstoff eingeatmet. Viele Patient*innen haben deshalb körperliche Beschwerden. Einige Menschen zeigen Anzeichen von schwerer Erschöpfung bis hin zu Traumatisierung. Andere Patient*innen wurden wegen Unterkühlungen behandelt. Nach der Evakuierung einer Schwangeren sind nun noch zwei schwangere Frauen an Bord. Eine Frau im achten Monat und eine Frau im vierten Monat. Ihr Zustand ist derzeit stabil.

Medizinische Evakuierung

Mit so einer hohen Anzahl an vulnerablen Menschen an Bord, besteht auch ein hoher medizinischer Versorgungsbedarf, den unser medizinisches Team auf Dauer allein nicht abdecken kann. Dank unserer Kooperation mit der Bonner Hilfsorganisation German Doctors sind wir zwar für Erstversorgungs- und Notsituationen sehr gut aufgestellt – aber nicht alle weiterführenden Behandlungen und notwendigen Untersuchungen können in unserem Bordhospital durchgeführt werden. Derzeit behandeln wir z.B. viele Menschen mit Wunden und Verätzungen, die durch den Kontakt mit einem Salzwasser-Treibstoffgemisch in den Booten entstanden sind, sodass unser Verbandsmaterial knapp wird. Damit es nicht zu weiteren medizinischen Evakuierungen kommen muss, benötigen alle Menschen an Bord schnellstens einen sicheren Hafen und medizinische Hilfe“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

*Hinweis: Am 15.06. wurde die Gesamtzahl der Geretteten mit 492 angegeben. Bei einer späteren Zählung wurden 494 Menschen erfasst. Durch die heutige Evakuierung von vier Patient*innen befinden sich derzeit 490 geflüchtete Menschen an Bord der SEA-EYE 4.

76 Menschen aus sinkendem Schlauchboot gerettet

Nachdem die SEA-EYE 4 bereits in drei Rettungseinsätzen 416 Menschen gerettet hatte, wurde dem Rettungsschiff am Mittwochabend, den 16.06.2022, erneut ein Seenotfall gemeldet. Die Organisation Alarm Phone berichtete den Behörden bereits im ersten Notruf, dass das Schlauchboot beschädigt sei, Wasser eindränge und die Menschen um Hilfe riefen. Als die SEA-EYE 4 den Unglücksort erreichte, war in den Schläuchen kaum noch Luft. Mit Lichtern versuchten die Menschen bei Nacht auf sich aufmerksam zu machen.

Die Menschen hatten großes Glück, dass die SEA-EYE 4 zum Zeitpunkt des Notrufs weniger als drei Stunden entfernt war und dass sie bei Nacht noch rechtzeitig gefunden worden sind, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Der schwierige Rettungseinsatz zog sich bis Mitternacht hin. Die Einsatzboote brachten 76 Menschen auf die SEA-EYE 4.

Rettungseinsatz

Sehr viele der in der Nacht geretteten Menschen, haben Verätzungen und müssen deshalb im Bordhospital der SEA-EYE 4 behandelt werden. Denn wenn in den Schlauchbooten Kraftstoff ausläuft und sich mit Meerwasser mischt, entsteht ein chemisches Gemisch, das die Haut sehr stark verätzt. Die Geretteten leiden außerdem an Unterkühlung, Dehydrierung und schwerer Erschöpfung. 

Die SEA-EYE 4 ist nun mit 492 geretteten Menschen auf der Suche nach einem sicheren Hafen.

Die zivilen Hilfsorganisationen Sea-Eye und Alarm Phone haben heute Nacht ein schweres Unglück verhindert. Von staatlichen Akteuren gab es erneut keine Reaktionen. Die sogenannte libysche Küstenwache reagierte überhaupt nicht und das ist kein Einzelfall. Genau deshalb sind nun erneut so viele Überlebende auf der SEA-EYE 4, für die wir nun ganz dringend einen sicheren Ort zur Ausschiffung benötigen. Dieser Ort kann nach internationalem Recht nur in Europa liegen“, so Isler.

Die heute Nacht geretteten Menschen müssen nach der Erstbehandlung an Bord nun zügig an Land kommen, um adäquat weiter behandelt werden zu können. Es ist erschütternd, dass die Rettung weiterhin von NGOs wie uns und auch vom Glück abhängig ist, dass Seenotretter gerade in der Nähe sind. Die EU muss sich endlich gemeinsam um eine menschenwürdige Lösung kümmern“, so Dr. Harald Kischlat, Vorstand German Doctors e. V.

Die Bonner Hilfsorganisation unterstützt den Betrieb des Bordhospitals substanziell und stellt regelmäßig German Doctors-Einsatzärzte, um die medizinische Erstversorgung auf der SEA EYE 4 zu gewährleisten.

Rettungseinsatz

Sogenannte libysche Küstenwache behindert Rettungsaktionen und entführt Menschen zurück nach Libyen

Die Crew der SEA-EYE 4 hat in zwei Tagen bei drei Einsätzen 416 Menschen aus Seenot gerettet. Am vergangenen Montagnachmittag, dem 13. Juni, kam das Rettungsschiff 63 Menschen,  darunter 30 Minderjährige und ein Baby,  zur Hilfe, als diese mit ihrem Schlauchboot auf der Flucht über das Mittelmeer in Seenot geraten waren. Am heutigen Mittwochmorgen, dem 15. Juni, erreichte die Crew ein großes, stark überfülltes Holzboot. Viele der Insassen waren unter Deck zusammengedrängt. Die Crew evakuierte das Holzboot und brachte alle 290 Menschen, darunter 19 Minderjährige, sicher an Bord der SEA-EYE 4. Am Mittwochnachmittag fand die Crew ein weiteres Schlauchboot und rettete 63 Menschen, darunter 13 Minderjährige.

Rettungseinsatz

Während der Rettung am Mittwochmorgen war die sogenannte libysche Küstenwache zugegen und beobachtete den Rettungseinsatz. Als dieser abgeschlossen war, näherte sich die sogenannte libysche Küstenwache und schleppte das Holzboot ab.

Ebenfalls am Mittwochmorgen erreichte das spanische Rettungsschiff AITA MARI unweit der Position der SEA-EYE 4 einen Seenotfall mit über 100 Menschen, die sich in einem überfüllten Schlauchboot auf der Flucht befanden. Der Einsatz wurde jedoch von der sogenannten libyschen Küstenwache gestört. 17 Menschen, die ins Wasser gesprungen waren, konnten von der Crew der AITA MARI gerettet werden. Die auf dem Schlauchboot verbliebenen Menschen wurden von der sogenannten libyschen Küstenwache auf deren Schiff gezwungen und nach Libyen entführt.

Rettungseinsatz

Heute mussten wir erneut beobachten, wie gefährlich die sogenannte libysche Küstenwache agiert. Von den EU-Staaten finanziert, verschleppt die sogenannte libysche Küstenwache flüchtende Menschen in ein Bürgerkriegsland, wo sie schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Es ist hinlänglich bekannt, dass es Verbindungen zwischen der sogenannten libyschen Küstenwache und den Schleppern gibt. Vor dem Hintergrund allen Wissens über die sogenannte libysche Küstenwache ist es ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mit so gefährlichen Akteuren zu kooperieren. Deshalb hat die EU den Friedensnobelpreis genauso wenig verdient wie diese Milizen die Bezeichnung Küstenwache. Jede Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache muss von europäischer Seite endlich eingestellt werden“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Auf dem Mittelmeer spielen sich im Schatten der medialen Berichterstattung rund um den Ukraine-Krieg nicht weniger dramatische Szenen ab. Menschen, die aus Angst vor einer sogenannten Küstenwache ins Wasser springen und auf der Flucht ihr Leben riskieren – dem muss die Politik endlich ein Ende setzen! Es ist zutiefst irritierend, dass wir als EU offensichtlich weiterhin den möglichen Tod  von Kindern, Frauen und Männern, die über das Mittelmeer vor Armut und Gewalt in ihren Herkunftsländern fliehen, in Kauf nehmen“, so Harald Kischlat, Vorstand German Doctors e. V.

Geflüchtete

An Bord der SEA-EYE 4 befinden sich nun 416 Menschen, für die ein sicherer Ort zur Ausschiffung benötigt wird. Die Crew und das medizinische Personal kümmern sich um die Versorgung der Menschen.

Zahl der Notrufe bei AlarmPhone nimmt im gesamten Mittelmeerraum zu

Die SEA-EYE 4 ist am Samstag (04.06.2022) zur dritten Rettungsmission in 2022 von Burriana aus aufgebrochen. Das Bündnisschiff wird das Einsatzgebiet im zentralen Mittelmeer voraussichtlich am Donnerstagabend erreichen. Seit das Schiff im Mai 2021 in Dienst gestellt wurde, konnten die Besatzungen mehr als 1.600 Menschen vor dem Ertrinken retten.

Von Januar bis Ende Mai 2022 hat die Organisation AlarmPhone bereits 339 Notrufe von Menschen in akuter Lebensgefahr auf See erhalten. Im Vergleichszeitraum 2021 waren es 286 Notrufe. In 2020 waren es 225. (Quelle: AlarmPhone)

Über 700 Menschen sind laut IOM in diesem Jahr im Mittelmeer ums Leben gekommen. In den Sommermonaten versuchten in den letzten Jahren besonders viele Menschen dem Bürgerkrieg in Libyen zu entkommen. Denn in diesen Monaten gibt es deutlich weniger Schlechtwetter-Phasen.

Wir müssen uns wieder klarmachen, dass das kein Normalzustand ist. Dass jeden Tag Menschen um Hilfe rufen, dass regelmäßig Menschen ertrinken und dass es kein europäisches staatliches Seenotrettungsprogramm gibt, dass die nötige Ausstattung mitbringt, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Die EU-Staaten lassen ein weiteres, tödliches Jahr einfach so zu und auch die neue Bundesregierung blieb bisher untätig und lässt das Ertrinken weitergehen. Eigentlich sollten in Berlin nun nach so vielen Monaten alle ihren Platz gefunden haben und wissen, was zu tun ist“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Crewmitglied