Italien greift massiv in die Rechte des Flaggenstaates Deutschland, das Europarecht und Menschenrechtsgarantien ein.
Mit neuen Verhaltensregeln will die italienische Regierung zum Jahresende die Arbeit für zivile Seenotrettungsorganisationen weiter erschweren und greift dabei laut Rechtsexpert*innen aus Sea-Eye’s Legal Team massiv in die Rechte des Flaggenstaates Deutschland, das Europarecht und internationale sowie regionale Menschenrechtsgarantien ein.
„Nach der uns vorliegenden Version des Dekrets und einer vorläufigen Einschätzung dessen rechtlichen Aussagegehalts dürfte dieses rechtswidrig sein, insoweit es das Verhalten deutsch beflaggter Schiffe in internationalen Gewässern regeln und bei Einfahrt in das italienische Küstenmeer sanktionieren will. Der Küstenstaat hat keine Regulierungs- und Durchsetzungshoheit betreffend Seenotrettung ausländischer Schiffe jenseits seines Küstenmeers (12 Seemeilen). Italien kann also nicht vorschreiben, wie die Rettungseinsätze in internationalen Gewässern durchzuführen sind, da dies Sache des Flaggenstaates (im Fall von Sea-Eye Deutschland) ist. Auch nach dem Internationalen Seenotrettungsabkommen kann Italien als Küstenstaat (und nur in seiner eigenen Search and Rescue Region) nur koordinieren und Weisungen erteilen, deren Durchsetzung nach internationalem und deutschem Recht dann wiederum Deutschland als dem Flaggenstaat obliegt. Überdies findet sich weder im Internationalen Seenotrettungsabkommen noch in den diesbezüglichen Guidelines der Internationalen Seeschiffahrtsorganisation eine Grundlage für die von Italien geforderten Verhaltensregeln”, sagt Prof. Dr. Valentin Schatz, Mitglied des Sea-Eye Legal Teams.
Italien greift hier also massiv und ohne völkerrechtliche Grundlage in die Navigationsfreiheit Deutschlands aus Artikel 87 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen ein, indem es das Verhalten deutscher Schiffe in internationalen Gewässern regelt und mit Bußgeldern sowie der Beschlagnahme von Schiffen bedroht. Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass Italien bereits im Jahr 2019 in einem Verfahren vor den Internationalen Seegerichtshof in Hamburg (The M/V “Norstar” Case [Panama v. Italy], Judgment of 10 April 2019, paragraph 222) wegen eines ähnlich gelagerten, ungerechtfertigten Eingriffs in Artikel 87 des Seerechtsübereinkommens verurteilt wurde.
„Aus der Asylverfahrensrichtlinie ergibt sich, dass die EU-Mitgliedstaaten Informationen zur Asylantragstellung bereitstellen müssen. Das gilt auch an der EU-Grenze. Aber diese Pflicht kann man nicht auf zivile Seenotrettungsorganisationen oder auf die Besatzungen von Rettungsschiffen abwälzen. Vielmehr ist das die Pflicht EU-Küsten- oder des betroffenen EU-Grenzstaates. Ebenso handelt es sich bei der Pflicht zur Durchführung von Asylverfahren um eine küstenstaatliche Verpflichtung”, sagt Prof. Dr. Anuscheh Farahat, Mitglied des Sea-Eye Legal Teams.
„Sea-Eye wird keinen illegalen Verhaltensrichtlinien und auch sonst keinen behördlichen Anweisungen folgen, die gegen internationales Recht oder gegen die Gesetze unseres Flaggenstaates verstoßen. In unserem Fall sind das die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland. Wir weisen diesen sogenannten Verhaltenskodex deshalb zurück und befürchten, dass dies zu Konflikten mit den italienischen Behörden führen wird. Wir erwarten deshalb von der Bundesregierung, dass man die Seenotrettungsorganisationen unter deutscher Flagge vor dem rechtswidrigen Verhalten der italienischen Behörden schützt und uns im Konfliktfall entschieden unterstützt. Jede Verzögerung unserer Einsätze gefährdet Menschenleben”, sagt Dr. Annika Fischer, Vorständin bei Sea-Eye e.V.