Seenotrettungsorganisation Sea-Eye zieht Bilanz und fordert politische Wende
Am Freitagnachmittag (29.12.2023) erreichte das Seenotrettungsschiff SEA-EYE 4 den von den italienischen Behörden zugewiesenen Hafen von Brindisi, wo 106 Überlebende an Land gehen konnten. Die Menschen waren am zweiten Weihnachtstag aus zwei überfüllten Booten südlich von Lampedusa gerettet worden. Unter den geretteten Menschen sind 45 Minderjährige. Die jüngsten von ihnen sind fünf und sechs Jahre alt und werden von ihren Eltern begleitet. Ein 13-jähriger Junge aus Guinea und ein 14-jähriger Junge aus Mali erreichen Italien allein. Die SEA-EYE 4 erhielt am Samstagmorgen die Erlaubnis, Italien zu verlassen. Das Schiff wird die spanische Hafenstadt Burriana anlaufen, um dort ein planmäßiges Wartungsintervall zu durchlaufen. Für das Jahr 2024 plant Sea-Eye e.V. insgesamt neun Missionen durchzuführen.
Für das Jahr 2023 zieht die in Regensburg gegründete Organisation eine bittere und besorgniserregende Bilanz:
- 2023 war das tödlichste Jahr für schutzsuchende Menschen an den EU-Außengrenzen in den vergangenen fünf Jahren. Mehr als 2.500 Menschen verloren ihr Leben bei dem Versuch, in Europa Schutz, Sicherheit und Freiheit zu finden.
- Rettungsschiffe wurden von Italien in weit entfernte italienische Häfen beordert. So wurden die Missionen der Schiffe unterbrochen oder vorzeitig beendet. Damit wurden die Ressourcen der Seenotrettungsorganisationen von den staatlichen Rettungsleitstellen nicht auf die effektivste Weise eingesetzt, um möglichst viele Menschen vor dem Ertrinken zu retten.
- Seenotrettungsschiffe wurden mehrfach in Italien festgesetzt und Organisationen mit Geldstrafen belegt, weil mehrere Rettungseinsätze durchgeführt worden sind. Die SEA-EYE 4 wurde dreimal für jeweils 20 Tage festgesetzt. Gegen alle drei Festsetzungen klagte die Organisation vor regionalen Gerichten. Eine Festsetzung führte zum Ausfall einer ganzen Mission.
- Die maltesische Rettungsleitstelle hat sich vollständig aus der Koordinierung von Seenotfällen von flüchtenden Menschen zurückgezogen und koordiniert diese nicht mehr. Die maltesische Such- und Rettungszone wurde so zu einem riesigen, lebensgefährlichen Seegebiet für schutzsuchende Menschen in kleinen Schlauch- und Holzboote,
- Die EU-Mitgliedsstaaten einigten sich mit der GEAS-Reform auf eine Asylrechtsverschärfung mit dramatischer Bedeutung. Zukünftig sollen schutzsuchende Menschen an den EU-Außengrenzen allein deshalb inhaftiert werden können, weil sie Schutz suchen. Davon sind selbst Familien mit Kindern nicht ausgeschlossen.
- Der politische Druck auf humanitäre Hilfsorganisationen nimmt zu. So hat der Deutsche Bundestag das Rückführungsverbesserungsgesetz verabschiedet, mit dem Menschen kriminalisiert werden können, die an Land schutzsuchende Menschen unterstützen. Die Kriminalisierung von Seenotrettungsorganisationen konnte nur mit großem Einsatz eines Bündnisses vieler Hilfsorganisationen verhindert werden.
Sea-Eye rechnet mit noch schwierigeren Bedingungen für Seenotrettungsorganisationen in 2024.
„Wir fürchten einen historischen Siegeszug rechtsnationaler Parteien bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Deutschland. Die Antwort auf diese Entwicklung kann nur eine ausgewogene Sozialpolitik sein. Weitere Angriffe auf Menschenrechtskonventionen und auf die Rechte asylsuchender Menschen stärken rechtsnationale Parteien. Es braucht eine schnelle Kehrtwende in der Sozialpolitik und mehr Solidarität gegenüber allen Menschen, die unseren Schutz und unsere Unterstützung benötigen“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.