Gemeinsame Pressemitteilung von United4Rescue, Sea-Watch, SOS Humanity und Sea-Eye

Innerhalb der letzten Woche setzt die italienische Regierung drei zivile Seenotrettungsschiffe unter deutscher Flagge fest. Die Humanity 1, die Sea-Watch 5 und die Sea-Eye 4 werden aufgrund falscher Anschuldigungen an ihrer lebensrettenden Arbeit gehindert. Die italienische Regierung blockiert mit der Sea-Eye 4 erstmals ein Rettungsschiff für 60 Tage und eskaliert damit ihr Vorgehen gegen die zivile Flotte.

In einer neuen Welle der Festsetzungen blockiert die italienische Regierung die Rettungsschiffe Humanity 1, Sea-Watch 5 und Sea-Eye 4 – nach der Rettung von über 390 Personen. Alle drei Schiffe sind Teil des Bündnis United4Rescue, getragen durch die evangelische Kirche und über 900 Partner*innen. Die im Falle der Sea-Eye 4 60-tägige Blockade, eskaliert die Behinderungsmaßnahmen gegen die zivile Flotte. Zusammen mit der 20-tägigen Festsetzung der Sea-Watch 5 und Humanity 1, werden die Rettungsschiffe für insgesamt 100 Tage aktiv aus dem Mittelmeer ferngehalten. Seit Januar 2023 waren insgesamt neun Schiffe der zivilen Flotte in 19 Festsetzungen durch die italienischen Behörden blockiert.

Jede der drei aktuellen Festsetzungen basiert auf falschen Anschuldigungen und rechtswidrigen Anforderungen. Die italienischen Behörden verweisen fälschlicherweise auf ein unkooperatives Verhalten der Schiffe gegenüber der sogenannten libyschen Küstenwache. Allen Festsetzungen vorangegangen waren Versuche der sogenannten libyschen Küstenwache, Menschen in Seenot völkerrechtswidrig nach Libyen zurückzuzwingen. In zwei Fällen – Humanity 1 und Sea-Eye 4 – wurden die Schiffscrews mit Waffen bedroht. An Bord der Sea-Watch 5 starb ein 17-jähriger Junge, nachdem alle Küstenstaaten eine medizinische Evakuierung verweigerten.

Italien versucht mit allen Mitteln, die humanitären Einsätze der Seenotrettungsorganisationen zu verhindern. Die Festsetzungen sind ein Akt politischer Gewalt gegen zehntausende Menschen, die über das Mittelmeer flüchten, um in Europa Schutz zu suchen. Dagegen wehren wir uns mit allen juristischen Mitteln, denn neben den Festsetzungen droht sogar die dauerhafte Beschlagnahmung unseres Rettungsschiffes“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

„Diese Eskalation stellt eine neue Stufe der Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung durch Italien dar! So soll mit allen Mitteln die Arbeit der Rettungsorganisationen behindert werden. Dabei kostet jeder Tag der Festsetzung Menschenleben. Wir sind zutiefst beunruhigt über diese Entwicklung und stehen als United4Rescue mit unserem Bündnis aus über 900 Organisationen hinter jedem einzelnen Schiff. Gemeinsam fordern wir die sofortige Freigabe der Schiffe!”, sagt Sandra Bils, Vorstandsmitglied von United4Rescue

Eine Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache bei illegalen Pullbacks nach Libyen verstößt gegen internationale See- und Menschenrechte. Libyen ist kein sicherer Ort für aus Seenot gerettete Menschen, wie kürzlich vom obersten italienischen Gericht abermals bestätigt wurde. Gleichzeitig machen sich die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten durch ihre Unterstützung der sogenannten libyschen Küstenwache zu Komplizen schwerster Menschenrechtsverletzungen auf See und in libyschen Haftzentren.

SOS Humanity, Sea-Watch und Sea-Eye wehren sich mit gerichtlichen Klagen gegen die unrechtmäßigen Festsetzungen ihrer Rettungsschiffe. Das sogenannte Piantedosi Gesetz, auf dessen Grundlage die Schiffe festgehalten werden, sieht bei wiederholter Festsetzung die Beschlagnahmung von zivilen Rettungsschiffen vor.

60 Tage Festsetzung aufgrund Verhinderung eines illegalen Pushbacks

Nach der Rettung von insgesamt 145 Personen aus Seenot während zwei Einsätzen am 7. und 8. März setzten italienische Behörden am 11. März das Schiff SEA-EYE 4 für 60 Tage fest und belegten es mit einer Geldbuße von 3.333 Euro. Die Begründung dazu ist nicht haltbar, denn der SEA-EYE 4 ist es völkerrechtlich nicht erlaubt, sich an einem Pushback ins Bürgerkriegsland Libyen zu beteiligen. Dies wäre der Fall gewesen, hätte sie ihre vorangeschrittene Rettung unterbrochen und die 84 Schutzsuchenden an die hinzugekommene, sogenannte libysche Küstenwache übergeben, welche mit Waffen auf das Einsatzboot zielte. De facto bestraft Italien zum wiederholten Male Rettungsschiffe dafür, sich an geltendes Völkerrecht zu halten. Sea-Eye wird sich wie bei früheren Festsetzungen juristisch gegen die Blockade wehren.

Italiens oberstes Berufungsgericht bestätigte erst im Februar diesen Jahres, dass Pushbacks nach Libyen völkerrechtswidrig sind und bekräftigte damit die strafrechtliche Verurteilung eines Kapitäns, der 2018 flüchtende Menschen zurück nach Libyen gebracht hatte. Schutzsuchende Menschen dürfen nicht in den jahrelangen, grausamen Bürgerkrieg, aus dem sie geflohen sind, zurückgebracht werden. Denn die Liste an schweren Menschenrechtsverletzungen (bspw. Folter, Sklaverei, Vergewaltigung, willkürliche Hinrichtungen), denen flüchtende Menschen dort ausgesetzt sind, ist lang.

Nun bestraft Italien die SEA-EYE 4 und zwei weitere deutsche Seenotrettungsschiffe, die bereits festgesetzt wurden, dafür, sich nicht an Anweisungen der sogenannten libyschen Küstenwache gehalten zu haben. Diese Anweisungen hätten jedoch zu einer Beteiligung an Pushbacks geführt, denn die sogenannte libysche Küstenwache bringt die flüchtenden Menschen zurück in den Bürgerkrieg. Die Rechtswidrigkeit dieser Handlung zeigt sich insbesondere in Berichten über Menschenrechtsverletzungen, die Menschen nach einem Pushback in Libyen erleiden mussten.

Obwohl es illegal und zutiefst unmenschlich ist, Menschen in einen blutigen Konflikt zurückzubringen, aus dem sie geflohen sind, fordert Italien von deutschen Seenotrettungsorganisationen, sich genau daran zu beteiligen. Unsere Weigerung, bei diesen abscheulichen Verschleppungen mitzumachen, wird mit Schiffsblockaden und Geldbußen bestraft. Dabei ist nur Deutschland als Flaggenstaat berechtigt, unser Schiff für Fehlverhalten in internationalen Gewässern zu sanktionieren. Nachdem nun drei deutsche Seenotrettungsschiffe in Italien festgesetzt sind, ist es an der Bundesregierung, sich endlich einzuschalten und für die humanitären Einsätze deutscher Rettungsschiffe auch politisch einzustehen“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Den Seenotfall am 7. März, der zur Festsetzung führte, hatte die SEA-EYE 4 zuerst gefunden und während der Suche keinen Kontakt zur sogenannten libyschen Küstenwache herstellen können. Als die Rettung bereits fortgeschritten war und Menschen aus dem seeuntüchtigen Schlauchboot evakuiert waren, erschienen zwei Küstenwachenschiffe am Einsatzort und verlangten, den Einsatz abzubrechen. Dabei zielte die sogenannte libysche Küstenwache mit Waffen auf die Crew des Einsatzboots. Die Crew der SEA-EYE 4 deeskalierte die Situation und brachte alle Menschen auf ihrem Rettungsschiff in Sicherheit. Am 10. März konnten alle geflüchteten Menschen in Reggio Calabria an Land gehen, wo die SEA-EYE 4 nun festgesetzt ist. Es handelt sich um die bisher längste Verwaltungshaft gegen ein Seenotrettungsschiff aufgrund des Piantedosi-Dekrets.

Rescue Evakuation SEA-EYE 4

144 Menschen benötigen dringend sicheren Hafen

Nach einer vorangegangenen Rettung von 84 Menschen am Donnerstagvormittag (07.03.2024) befand sich das Seenotrettungsschiff SEA-EYE 4 auf dem Weg nach Ancona. Zwei Notrufe unterbrachen seitdem die Anfahrt zum zugewiesenen Hafen: Während im ersten Fall die italienische Küstenwache die Bergung übernehmen konnte, rettete die SEA-EYE 4 Freitagnacht 61 Menschen unter schwierigsten Bedingungen. Die Notevakuierung eines Patienten mit Treibstoffvergiftung erfolgte in den Morgenstunden nach einem gescheiterten Versuch bei Nacht. Die Situation an Bord bleibt kritisch, insbesondere für zwei Säuglinge in einem fragilen Zustand. Angesichts dieser Entwicklungen bleibt die Zuweisung eines näheren, sicheren Hafens für die Ausschiffung der nun insgesamt 144 Überlebenden an Bord dringend.

Zum Hintergrund:

Bereits am Donnerstagvormittag rettete die SEA-EYE 4 84 Menschenleben und befand sich auf dem Weg nach Ancona. Die vier Tage entfernte italienische Hafenstadt wurde dem Schiff zuvor von den italienischen Behörden als Hafen zur Ausschiffung der 84 Geretteten zugewiesen.

In der Nacht zum Freitag (08.03.2024) empfing die SEA-EYE 4 einen weiteren Notruf über das Alarmphone, das die Behörden und das Sea-Eye Rettungsschiff über einen Hilferuf in der maltesischen Such- und Rettungszone informierte. Einsatzleiterin Julie Schweickert bot den maltesischen Behörden Unterstützung an, erhielt von dort aber keine Antwort. Die italienischen Behörden gestatteten der SEA-EYE 4, die Anfahrt auf Ancona zu unterbrechen, um nach den schutzsuchenden Menschen zu suchen. Gegen Freitagmittag (08.03.2024) gelang es der SEA-EYE 4 Besatzung, das Boot mit rund 50 Insassen zu finden. Nahezu zeitgleich traf die italienische Küstenwache ein, rettete die Menschen und brachte sie nach Lampedusa. Die SEA-EYE 4 nahm wieder Kurs auf den Hafen von Ancona. 

Wenige Stunden später empfing die SEA-EYE 4 erneut einen Notruf über das Alarmphone. Es handelte sich wieder um eine Position in der maltesischen Such- und Rettungszone. Die maltesische Rettungsleitstelle war wie zuvor nicht für die Sea-Eye-Einsatzleiterin Julie Schweickert erreichbar. Unter erneuter Koordinierung der italienischen Rettungsleitstelle und mit der Genehmigung, die Anfahrt auf Ancona ein weiteres Mal zu unterbrechen, änderte die SEA-EYE 4 den Kurs in die entgegengesetzte Richtung und die Besatzung begann mit der Suche. Nach rund 5 Stunden konnte das Boot unter schwierigen Bedingungen gefunden werden.

Es befanden sich 61 Personen in einem seeuntüchtigen Holzboot, das aufgrund der über ihm zusammen brechenden Wellen sehr viel Wasser aufnahm und zu kentern drohte. Der Seegang machte die gesamte Rettung zu einer großen Herausforderung. Doch unser Team des Rettungsbootes konnte alle Menschen sicher bergen”, sagt Julie Schweickert, Einsatzleiterin an Bord der SEA-EYE 4.

Nach der Rettung von 61 Menschen befinden sich nun 144 Überlebende aus zwei Seenotfällen an Bord und der sichere Hafen von Ancona ist weiterhin 4 Seetage entfernt. Das Hospital Team von German Doctors e.V. und Sea-Eye e.V. ist im Dauereinsatz.

Wir hatten einen Patienten, dem es sehr schlicht ging. Er musste mit Sauerstoff versorgt werden und hatte eine Körpertemperatur von gerade noch 32 Grad. Der Patient litt unter einer Treibstoffvergiftung, weil er zu viele Benzindämpfe eingeatmet haben muss. Malta schickte in der Nacht einen Helikopter, um den Patienten nach Malta zu evakuieren. Doch die unter schwierigen Wetterbedingungen stattfindende Evakuierung wurde vom Piloten abgebrochen. Erst am Samstagmorgen gelang es der Besatzung eines italienischen Helikopters, den Patienten nach Italien auszufliegen”, sagt Dr. Gerd Klausen, Bordarzt für German Doctors an Bord der SEA-EYE 4 und fügt hinzu: “Wir machen uns große Sorgen um zwei Babys, die weiterhin nicht gut trinken. Beide sind sehr schwach. Sie sind sechs und zwölf Monate alt. Ein Baby hat Fieber.”

Die SEA-EYE 4 hat ihren Kurs und die Anfahrt auf den Hafen von Ancona am Samstagmorgen (09.03.2024) wieder aufgenommen. Aufgrund mehrerer Seenotfälle seit Donnerstag ist das Schiff dem Hafen von Ancona aber noch nicht sehr viel näher gekommen.

84 Gerettete, darunter Familien mit Kindern und Babys, verbrachten bereits zwei Nächte an Bord. Nun sind 61 weitere Menschen hinzugekommen. Eine Person wurde evakuiert. Wir bitten Italien nun eindringlich darum, uns einen näher gelegenen Hafen zuzuweisen. In den kommenden 48 Stunden wird das Wetter umschlagen. Ein Rettungsschiff ist nicht der richtige Ort, um so viele vulnerable Personen bis zu 6 Tage und Nächte unterzubringen. Wir benötigen wirklich dringend den nächstgelegenen, sicheren Ort zur Ausschiffung aller Überlebenden”, sagt Jan Ribbeck, Director of Mission, des laufenden Einsatzes für Sea-Eye e.V. 

Sea-Eye-Besatzung während Rettung mit libyschen Waffen bedroht

Die Besatzung der SEA-EYE 4 hat während des ersten Einsatzes des laufenden Jahres am Donnerstagvormittag 84 weitere Menschen aus Seenot gerettet. Die aggressiv agierende sogenannte libysche Küstenwache gefährdete die vorangeschrittene Rettung und zielte mit Waffen auf das Einsatzboot des Rettungsschiffs.

Gegen 10 Uhr morgens erhielt das Seenotrettungsschiff von Sea-Eye einen Notruf von Alarmphone, welches die zuständigen Behörden und die SEA-EYE 4 über den Hilferuf eines Schlauchboots informierte. Die SEA-EYE 4 Besatzung lokalisierte die Hilferufenden innerhalb einer Stunde. Die Einsatzleitung bat die italienischen Behörden um die Koordinierung des Seenotfalls. Die italienischen Behörden bestanden jedoch auf die Zuständigkeit Libyens, obwohl laut ihren eigenen Angaben zu dem Zeitpunkt keine Kommunikation mit den libyschen Behörden möglich war. Sie forderten Einsatzleiterin Julie Schweickert dazu auf, es selbst weiter in Libyen zu versuchen. Dies blieb jedoch ohne Erfolg.

In der Zwischenzeit versorgten die Crewmitglieder des Rettungsbootes MOCHARA die schutzsuchenden Menschen auf dem Schlauchboot mit Rettungswesten. Zwei Menschen wurden von der Besatzung des Rettungsbootes aus dem Wasser gerettet. Insgesamt wurden 84 Menschen auf die SEA-EYE 4 evakuiert. Während der Evakuierung näherten sich zwei Schiffe der sogenannten libyschen Küstenwache mit hoher Geschwindigkeit. Einsatzleiterin Julie Schweickert beschreibt ein „super aggressives” Verhalten der Libyer. Während der Rettung zielten die Waffen eines libyschen Schiffes auf die Besatzungen des Rettungsbootes.

Sogenannte libysche Küstenwache

Es kann nicht sein, dass unsere Rettungskräfte während ihrer humanitären Arbeit in den Lauf einer Kanone sehen müssen. Das brutale und rücksichtslose Verhalten der sogenannten libyschen Küstenwache hat mit Seenotrettung nichts zu tun. Die Zusammenarbeit mit diesen gewaltbereiten und bewaffneten Milizen muss von den EU-Staaten eingestellt werden, noch bevor humanitäre Hilfskräfte zu Schaden kommen”, fordert Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Das gemeinsame medizinische Team von German Doctors e.V. und Sea-Eye e.V. begann sofort mit der medizinischen Behandlung und Betreuung der Geretteten.

Unter den Geretteten befinden sich auch viele Frauen und Familien mit Kindern. Vier Kinder sind nicht einmal 2 Jahre alt. Ein Baby mussten wir kurzzeitig mit Sauerstoff versorgen. Wir sind froh, dass wir die Kinder schnell stabilisieren und so viele Menschen retten konnten”, sagt Dr. Gerd Klausen, Bordarzt für German Doctors auf der SEA-EYE 4.

Ammna Bhati, pädiatrische Pflegerin aus London (UK), fügte hinzu, „dass viele Menschen unterkühlt sind und behandelt werden müssen.” 

Am Nachmittag wiesen die italienischen Behörden der SEA-EYE 4 den rund 800 Seemeilen entfernten Hafen von Ancona zu. Das Schiff wird rund 4 Tage für die Anfahrt benötigen und die italienischen Behörden deshalb um einen näher gelegenen Hafen bitten.