Wir blicken in die Gesichter von Filimon, Hdru, Omar, Debesay, Huruy und Mogos. In die Gesichter von jungen Männern zwischen 18 und 25 Jahren. Sie hatten die Zukunft vor sich. Sie wollten Berufe erlernen, Familien gründen, in Frieden und Sicherheit leben. Doch sie sind tot. Ertrunken, verhungert und verdurstet auf der Flucht vor Tod, Folter, Krieg und Gewalt.

Ihr Tod wurde billigend in Kauf genommen, wenn nicht sogar eiskalt mit einkalkuliert. Es war und ist den Verantwortlichen schlichtweg egal, ob diese jungen Männer sterben. Das ist eine Unterstellung, das ist polemisch, aber die Fakten sprechen dafür.

Was wir wissen:

Anfang April (die ALAN KURDI ist im Rettungseinsatz) machen sich 63 flüchtende Menschen in einem Gummiboot auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer (siehe auch „Verhungert, verdurstet und ertrunken in einer europäischen Such- und Rettungszone“). Nach einer längeren Odyssee erreichen sie die maltesische Such- und Rettungszone. Malta ist verpflichtet, die Flüchtenden zu retten. Das ist geltendes Recht: Seerecht und Menschenrecht. Diese festgeschriebenen Rechte können auch aufgrund der Pandemie nicht außer Kraft gesetzt werden. Dies haben europäische Richter*innen festgestellt.

Doch Malta beauftragte einen dubiosen Geschäftsmann, der ein unauffälliges Fischerboot losschickte, um die flüchtenden Menschen wieder zurück nach Libyen zu schaffen. Bei dieser Aktion kommen zwölf Menschen ums Leben, darunter die mit Foto und Namen hier gezeigten jungen Männer.

Woher kommen die Fotos?

Zuerst hat avvenire.it die Namen und Fotos der Geflüchteten veröffentlicht. Das Portal ist eine offizielle Website der vatikanischen Nachrichtenagentur und bekannt für einen direkten Umgang mit dem Thema Migration. Die Journalist*innen haben gute Kontakte nach Libyen und so auch zu den Überlebenden des Push-Backs. Dadurch wurden ihnen vermutlich die Fotos zugespielt.

Bestätigt wurde die Recherche auch durch die „Times of Malta“, wo diese Fotos ebenfalls erschienen sind. Beide Portale gelten als vertrauenswürdig und seriös. Wir berufen uns bei der Veröffentlichung auf diese beiden Quellen, eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.

Warum zeigen wir die Fotos?

Weil die Toten ein Gesicht haben und einen Namen. Es sind eben nicht nur Zahlen und Statistiken.

„Es gibt in der Gesellschaft eine Tendenz, die die ganze Diskussion über Flucht und flüchtende Menschen extrem nach rechts gezogen hat. Die Gesprächskultur darüber ist entmenschlicht worden. Auch das ist gewaltsam. Und wenn wir diese Bilder zeigen – die Bilder von echten Menschen, von Schicksalen, die Geschichten dahinter – dann holen wir diesen Diskurs wieder auf eine menschliche Ebene zurück. Ich glaube, dass dieses entmenschlichte Bild korrigiert werden muss und daher ist es richtig, die Bilder zu zeigen“, so Gorden Isler, Vorstand von Sea-Eye.

Isler sieht Parallelen zu der Veröffentlichung des Bildes von Alan Kurdi. Auch damals sei es wichtig gewesen, dieses Bild zu veröffentlichen, weil es den öffentlichen Diskurs verändert habe.

Der Bischof von Malta, Charles Scicluna, ist der Auffassung, dass mit der Veröffentlichung der Bilder keine moralischen Grenzen überschritten werden.

„Die Opfer unserer Politik und unserer Gleichgültigkeit haben Namen und Gesichter, wie wir alle“, so der Bischof auf Twitter.

Ein politischer Skandal

Der maltesische Regierungsbeamte Neville Gafá erklärte unter Eid, dass er auf Anweisung des Büros des Premierministers die Push-Back-Aktion sowie eine weitere Aktion an Ostern organisiert habe.

„Ich bestätige, dass ich in der Osternacht und in den darauffolgenden Tagen an einer Mission beteiligt war, bei der ein Boot mit 51 irregulären Migrant*innen, darunter acht Frauen und drei Minderjährige, in den Hafen von Tripolis gebracht wurde. Auf demselben Boot befanden sich fünf Leichen“, so Gafá. (Quelle: Times of Malta, repubblika.org)

Er bezeugte, er sei auf Anweisung des Büros des Premierministers tätig geworden. Dieses hatte ihn gebeten, die direkte Koordination mit dem libyschen Innenministerium und der libyschen Küstenwache zu übernehmen. Außerdem bestehe der Verdacht, dass es schon mehrere illegale Push-Backs gegeben habe. Inzwischen wurde Strafanzeige gestellt und es soll eine offizielle Untersuchung geben.

(Martin Geiger)

Interview mit Caterina, Bordärztin auf der ALAN KURDI

Seenotrettung in Zeiten der Pandemie. Nach den dramatischen Ereignissen auf der ALAN KURDI liegt das Schiff von Sea-Eye mit seiner Crew in der Bucht von Palermo. 14 Tage Zwangspause. An Bord ist auch Caterina, Ärztin aus Berlin. Wir sprachen mit ihr.

Fangen wir mit einer scheinbar belanglosen Frage an, die aber in Zeiten der Pandemie eine besondere Bedeutung hat. Wie geht’s?

(lacht) Ja, das ist schwierig. Es geht mir gut, auch wenn wir noch eine Woche in Quarantäne auf der ALAN KURDI bleiben müssen. Die Mission war sehr anstrengend, ist dann aber doch gut gelaufen. Ich kann nicht sagen, es geht mir supergut, aber alle an Bord sind nett. Das ist viel wert.

Nach den dramatischen Ereignissen der letzten Wochen sind Sie jetzt zum Nichtstun verdammt. Wie geht man damit um?

Es ist für mich eine ganz komische Situation. Nachdem die Geflüchteten – unsere Gäste – von Bord waren, dachte ich erst, es ist nicht passiert. Wir waren fertig, fix und fertig. Wir haben in der Zeit, als wir die Geflüchteten an Bord hatten, kaum geschlafen und waren erstmal einfach nur müde (Anm.: Die Crew rettete am 6. April 150 Geflüchtete und übergab sie am 17. April dem italienischen Roten Kreuz). Vieles kann ich noch gar nicht realisieren oder psychologisch verarbeiten. Um das richtig einzuordnen, müssen wir erstmal die ALAN KURDI verlassen (Anm.: Während des Aufenthaltes gab es zwei Suizid-Versuche unter den Gästen).

Ausschiffung
Die Geflüchteten werden dem italienischen Roten Kreuz übergeben

Wie ist die Stimmung an Bord und was machen Sie den ganzen Tag?

Wir beschäftigen uns mit kleineren Arbeiten, bringen das Schiff auf Vordermann, machen Inventur von allen Dingen. Kleine Ausbesserungsarbeiten wie Malerarbeiten stehen an. Alles was wir auf See machen können. Die Stimmung ist gut.

Jetzt sind Sie 14 Tage in Quarantäne auf dem Schiff und wenn Sie an Land dürfen, kommt die nächste. Haben Sie dafür Verständnis?

Ich glaube, wir müssen in Italien nicht noch einmal in Quarantäne, aber wenn ich nach Berlin zurückkomme, dann schon. Natürlich bin ich auf der Reise nicht allein und das Risiko einer Ansteckung ist da. Insofern verstehe ich das. Auch wenn ich mich auf zwei Wochen erneute Quarantäne in Berlin nicht unbedingt freue. Meine Wohnung in Mitte hat keinen Balkon, und wenn man aus dem Fenster blickt, sieht man nur ein anderes Gebäude.  Es gibt schöneres, aber so ist es jetzt nun mal.

Alle Geflüchteten sind negativ auf Corona getestet worden. Beruhigt Sie das?

Ja, das ist schon eine ganz gute Nachricht. Auch die Gäste auf der AITA MARI (Anm.: Das Schiff der spanischen NGO rettete 43 Geflüchtete im Mittelmeer, die ebenso von der italienischen Fähre übernommen wurden) sind alle negativ auf das Virus getestet worden. Ja, das ist eine gute Nachricht.

Was hätten Sie im Fall eines Covid-19-Ausbruches getan?

Es gab im Vorfeld eine Richtlinie von Sea-Eye, die mit den medizinischen Fachkräften ausgearbeitet worden ist, was im Falle einer Infektion mit dem Corona-Virus zu unternehmen ist. Wir hätten die Patient*innen isoliert und diese wären dann ausschließlich von mir und unserer Rettungssanitäterin versorgt worden. So hätten wir die weitere Ausbreitung versucht zu stoppen. Natürlich verbunden mit der Hoffnung, dass keine Komplikationen entstehen, die wir an Bord nicht behandeln können.

Ausschiffung
Abschied von den geflüchteten Menschen

Seenotrettung in Zeiten der Pandemie. Ist das verantwortungsvoll?

Ja, diese Frage ist mir schon öfters gestellt worden. Menschen, die vor Krieg und Elend fliehen, wollen ihr Land verlassen. Viele von ihnen sind schon seit Jahren auf der Flucht, jenseits von Menschenrechten. Sie flüchten vor Folter, Hunger und Elend. Sie wollen in Sicherheit leben. Auch eine Pandemie wird sie nicht stoppen. Wissen Sie, ich bin gebürtige Italienerin. Die Situation in meinem Mutterland ist aufgrund der Corona-Krise extrem angespannt. Ich rede jeden Tag mit meiner Familie dort, mit meinen Verwandten. Ich blende das nicht aus oder ignoriere das. Aber auch die Geflüchteten haben ein Recht auf ein besseres Leben. Wir müssen diesen Menschen helfen. Wir können sie nicht einfach ertrinken lassen.

Machen Sie trotzdem weiter?

Ja! Ich mache trotzdem weiter, ja. Was wir gemacht haben, auch auf dieser Mission, ist notwendig.  Während dieser Zeit sind Menschen gestorben. Sie haben einen Notruf abgesetzt und weil niemand geholfen hat, sind sie ertrunken. Wir hatten schon 150 Personen an Bord und konnten nicht mehr helfen. Aber niemand anders ist gekommen. So etwas darf nicht passieren. Pandemie hin oder her.

Haben Sie Angst vor einer Ansteckung?

Nein. Wenn ich die Mission beendet habe, werde ich wieder im Krankenhaus arbeiten. Da ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass ich mich anstecken werde. Als Ärztin in einem Krankenhaus oder als Kundin in einem Supermarkt ist die Gefahr größer, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren, als als Ärztin auf der ALAN KURDI.

Was tun Sie als erstes, wenn Sie wieder zurück in Berlin sind?

Tja, was ich machen möchte ist, meine Freund*innen zu sehen, ein Bier zusammen am Wasser zu trinken. Aber all das wird so schnell nicht gehen. Wenn ich jetzt daran denke, dass in Berlin Frühling ist, das Wetter schön ist, dann bekomme ich Lust auf das Freiluftkino, auf die vielen kulturellen Möglichkeiten. Aber darauf werden wir alle noch eine Weile verzichten müssen.

(Martin Geiger)

Fünf Tage ignoriert Malta Notrufe und scheint sich Dritter für völkerrechtswidrige Zurückweisungen zu bedienen.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit spielte sich Anfang April ein Flüchtlingsdrama im Mittelmeer ab. Ein Fischerboot mit maltesischer Registrierung kümmerte sich um ein in Seenot geratenes Boot. Obwohl die Flüchtenden sich schon in der maltesischen Such- und Rettungszone befanden, wurden sie zurück nach Libyen gebracht. Das allein verstößt schon gegen geltendes Recht. Doch es liegt der Verdacht nahe, dass hinter dem Vorgehen System steckt.

Es sind dramatische Szenen, die sich Anfang April auf der ALAN KURDI abspielen. Mit 150 Geretteten ist das SEA-EYE-Rettungsschiff hoffnungslos überfüllt. Kein Hafen lässt die Einfahrt zu. Zwischenzeitlich wird sogar die Versorgung mit Nahrungsmittel und Medizin verweigert. Seenotrettung in Zeiten des Corona-Virus. Die Pandemie verschließt Europas Herzen und Häfen.

Zeitgleich startet am 9. April ein Gummiboot aus dem libyschen Garabulli. An Bord befinden sich 63 Menschen – darunter sieben Frauen und drei Kinder. Ihr Ziel: ein sicherer Hafen. Das Boot wird am nächsten Tag von einem Flugzeug der EU-Grenzagentur Frontex in den libyschen Such- und Rettungsgewässern gesichtet.

Noch in der Nacht wird über Alarmphone ein Notruf abgesetzt. Das seeuntaugliche Boot nehme Wasser auf, das Leben der flüchtenden Menschen sei in akuter Gefahr. Die Position der GPS-Daten besagte, dass sie sich in internationalen Gewässern aufhielten. Alarmphone wandte sich an die maltesischen, italienischen und libyschen Behörden, es wurde jedoch keine Rettungsmission gestartet.

Am Morgen des 11. April werden schließlich die Zuständigen in Libyen erreicht. Aber wegen der Pandemie werden auch hier keine Rettungsmissionen mehr gestartet. Am Sonntag, den 12. April – Europa feiert das christliche Osterfest –, ist das in Not geratene Boot laut GPS-Daten in der maltesischen Such- und Rettungszone angekommen. 24 Stunden später starten sowohl italienische als auch maltesische Behörden Luftüberwachungsmissionen, die diese Angaben bestätigen. Angaben, die für die Zukunft wichtig werden könnten, da sie eine klare Zuständigkeit Maltas belegen und für eine Untersuchung des Vorfalls relevant werden könnten.

Das portugiesische Handelsschiff IVAN, dass sich in der Nähe des in Not geratenen Bootes aufhält, wird angewiesen, vor Ort in Warteposition zu gehen und erst im Notfall einzugreifen.

Dann überschlagen sich die Ereignisse. Migranten springen beim Anblick des großen Schiffes von Bord und versuchen schwimmend das rettende Boot zu erreichen. Vollkommen entkräftet ertrinken drei von ihnen im Meer. Einem Überwachungsflugzeug halten die Verzweifelten ein Baby in die Luft, um zu zeigen, wie groß ihre Not und Verzweiflung ist.

Kurz vor Sonnenaufgang kommt Rettung in Form eines Fischerboots. Die MAE YEMANJA übernimmt die Überlebenden, die IVAN wird angewiesen, sich zu entfernen. Da Malta seine Häfen geschlossen hat, bringt der Kapitän die Flüchtenden zurück nach Libyen. So weit, so einfach. Ist es aber nicht.

Die Wahrheit scheint viel schrecklicher. Die MAE YEMANJA, die am 15. April – sechs Tage nach ihrem Auslaufen – mit 56 Menschen an Bord den Hafen von Tripolis erreicht, ist wahrscheinlich kein harmloses Fischerboot.

Fünf Menschen kamen ums Leben. Verhungert und verdurstet. Sieben Menschen werden bis heute vermisst. Sie sind vermutlich alle ertrunken.

Nach Angaben des maltesischen Bloggers und Enthüllungsjournalisten Manuel Delia verließ die MAE YEMANJA den großen Hafen von Malta am 14. April ohne klares Ziel. Nach der Ausfahrt schaltete die Besatzung das Radar aus und erst am Folgetag in Libyen wieder ein.

Die Registrierung des Fischerbootes läuft auf Malta, als Eigner wird Carmelo Grech ausgewiesen, ein in Malta bekannter Geschäftsmann mit dubioser Vergangenheit. In einem Schmugglerprozess wurde er kürzlich trotz belastender Indizien von allen Anklagepunkten freigesprochen. 2015 wurde er mit 300.000 Euro in bar in Libyen aufgegriffen, was eine ausführliche Untersuchung nach sich zog, die allerdings wundersamer Weise im Sande verlief. Auch die maltesische Enthüllungsjournalistin Daphne Capuana Galizia, die am 16. Oktober 2017 durch eine Autobombe ermordet wurde, recherchierte über die weit verzweigten Geschäftsinteressen Grechs.

Offiziell heißt es, dass Grech die MAE YEMANJA kürzlich an ein libysches Unternehmen veräußert haben will. Eine Gesellschaft, die sich allerdings wieder auf den maltesischen Unternehmer zurückverfolgen lässt. Weiter heißt es, die MAE YEMANJA wurde nur entsandt, um die Flüchtenden mit Wasser und Lebensmittel zu versorgen.

Inoffiziell kommt der Verdacht auf, dass Malta kleinere, private Schiffe entsendet, um flüchtende Menschen wieder zurück nach Libyen zu bringen und sich so – gegen geltendes Recht – eines Problems zu entledigen. Die Menschen werden in solch dubiosen Missionen zurück verfrachtet in die Lager, in denen Misshandlungen, Vergewaltigung und Folter an der Tagesordnung sind.

Noch ist unklar, ob dem Schiffseigner der MAE YEMANJA für seine zweifelhafte Rettung Geld von staatlicher Seite bezahlt wurde.

„Eiskalt sollte es uns in Deutschland den Rücken hinunterlaufen, wenn der maltesische Ministerpräsident Robert Abela den Tod von bis zu 12 Menschen mit seinem ‚reinen Gewissen‘ kommentiert und meint er habe im ‚nationalen Interesse‘ gehandelt.“ sagt Gorden Isler Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

„Wenn der Tod dieser Menschen in Maltas Interesse war, dann reden wir nicht mehr nur über unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge. Besorgniserregend und verstörend finden wir, dass es keine Kritik aus Deutschland an Maltas handeln gibt“, so Isler weiter.

Gegen die maltesische Regierung und Ministerpräsident Robert Abela wurde Strafanzeige erstattet. Die Justiz hat gegen ihn und Armeechef Jeffrey Curmi Ermittlungen aufgenommen. Neben diesem Vorfall geht es auch um den Vorwurf, die Besatzung eines Patrouillenboots habe den Motor eines Flüchtlingsboots zerstört und die Menschen ihrem Schicksal überlassen.

(Martin Geiger)

Quellen: Times of Malta, alarmphone.org, avvenire.it
Symbolfoto: Fabian Heinz/ Sea-Eye (Juni 2019)

Am 6. April 2020 erhielten Sea-Eye und andere Seenotrettungsrettungsorganisationen ein Schreiben vom Innenministerium. Darin wurden wir aufgefordert, unsere Rettungseinsätze einzustellen.

„Angesichts der aktuellen schwierigen Lage appellieren wir deshalb an Sie, derzeit keine Fahrten aufzunehmen und bereits in See gegangene Schiffe zurückzurufen.“

Brief des Innenministeriums an die deutschen Seenotrettungsorganisationen

Grund dafür sei, dass Italien und Malta die Aufnahme von aus Seenot geretteten Flüchtlingen und Migranten aufgrund der Corona-Krise verweigerten.

Anstatt nach einer Lösung zu suchen, forderte uns das Innenministerium auf, keine Rettungen mehr durchzuführen. Als uns das Schreiben um 17 Uhr erreichte, hatten wir an diesem 6. April bereits 150 Menschenleben gerettet und zu uns an Bord genommen. In unserem Brief an Innenminister Horst Seehofer fragen wir, wem es in Europa dadurch schlechter geht, dass wir diese Menschen vor dem Tod gerettet haben.

Offener Brief von Sea-Eye an den Innenminister Horst Seehofer

Antwort auf den Brief des Innenministeriums an die Seenotrettungsorganisationen

Jedes Menschenleben zählt. Niemand ist entbehrlich.       

Sehr geehrter Herr Seehofer,

unser heutiger offener Brief hat einen besonderen Grund. Wir danken Ihnen zunächst für Ihr klares Bekenntnis zur Seenotrettung: „Unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen rechtfertigen muss“ (so zitierte Sie die Süddeutsche Zeitung am 19.09.2019).

Aus Ihrem Ministerium erhielten wir jedoch am 6. April um 17 Uhr einen Brief. Darin appellierte Ihr Abteilungsleiter Ulrich Weinbrenner an Sea-Eye und weitere Organisationen, bis auf Weiteres keine Rettungen mehr zu unternehmen und laufende Missionen abzubrechen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Crew der ALAN KURDI an diesem Tag bereits 150 Menschenleben gerettet. Wir waren entsetzt über diese bisher ungekannte Klarheit und Bitte aus Ihrem Ministerium, die Rettung von Menschenleben einzustellen. Dieser Appell wird von uns so verstanden, dass Ihr Ministerium uns aufforderte, Menschen sterben zu lassen.

Wir wollen Ihnen heute deutlich mitteilen, dass wir gegen diesen unsäglichen Appell entschieden protestieren und ihm auf jede erdenkliche Weise widersprechen. Menschen wegen des Ausbruchs einer Pandemie im Mittelmeer ertrinken zu lassen, ist ein genauso schlechter Grund wie jeder andere Grund, der bisher in der Debatte um die Rettung von Schutzsuchenden auf dem Mittelmeer vorgetragen worden ist. Einen solchen Appell von einem Ministerium der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten, die sich in ihrem Grundgesetz den Menschenrechten – einschließlich des Rechts auf Leben – verpflichtet hat, macht uns fassungslos.

Sie wissen vermutlich, dass an Ostern – wenige Tage nach Ihrem Brief – tatsächlich zwölf Menschen im zentralen Mittelmeer ums Leben kamen. Die Notrufe wurden veröffentlicht. Die Menschen flehten am Telefon um Hilfe, ja sie flehten um ihr Leben. Doch niemand kam, niemand half ihnen.

Wem in Europa geht es denn heute besser, weil diese Menschen sterben mussten? Wer musste vor diesen Menschen beschützt werden? An welchen Ressourcen hat es ernsthaft gemangelt? Der maltesische Ministerpräsident kommentierte das Unglück so, dass er ein „reines Gewissen“ habe, weil er aus „nationalem Interesse“ gehandelt habe. Wie kann der Tod von Schutzsuchenden im Interesse einer europäischen Nation sein? Wie können geschlossene europäische Häfen und unterlassene Hilfeleistung Menschen in Europa das Leben retten?

Wo bleibt die Kritik an solch erbarmungslosem politischen Handeln? Wo bleibt der Widerspruch der Bundesregierung und seiner Minister*innen? Wo bleibt die Hilfe, Herr Seehofer?

Die von der ALAN KURDI geretteten Menschen wurden nach einer 12-tägigen Blockade von einem italienischen Schiff übernommen. Wie konnte Ihr Ministerium ernsthaft an uns appellieren, die Rettungen einzustellen, anstatt vom ersten Tag an, als Sie von der Abfahrt der ALAN KURDI erfuhren, zusammen mit Ihren Kolleg*innen im Auswärtigen Amt an einer solchen Lösung mitzuwirken? In den letzten zwei Wochen mussten wir uns immer wieder rechtfertigen, wie wir in diesen Tagen ernsthaft Menschen vor dem Ertrinken retten können. Wir geben Ihnen mit Ihrer oben zitierten Äußerung vom 19.09.2019 Recht, Herr Minister: Das ist unglaublich und furchtbar traurig.

Wir fordern Sie deshalb heute dazu auf,

  • sich nach dem ersten Schritt eines temporären Verteilungsmechanismus für einen dauerhaften, effektiven Verteilungsmechanismus für aus Seenot gerettete Menschen einzusetzen,
  • sich mit den europäischen Mittelmeeranrainerstaaten solidarisch zu zeigen und sich für deren Entlastung stark zu machen,
  • sich für eine Entkriminalisierung der Seenotrettung einzusetzen,
  • sich für eine europäische staatliche Seenotrettung einzusetzen, die den klaren Auftrag hat, möglichst vielen Menschen im Mittelmeer das Leben zu retten,
  • sich für die Unterstützung der zivilen Seenotretter*innen einzusetzen und
  • unmissverständlich klar zu machen, dass jedes Leben wertvoll und kein Mensch verzichtbar ist und niemand auf dem Meer zu irgendeinem Zweck geopfert werden darf.

Unser Verhaltenskodex ist das internationale Recht. Dazu gehören das Seerecht, die Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention. Für einige von uns gehört auch die Bibel dazu, für andere die Erziehung durch unsere Eltern und Großeltern zu freiheits- und demokratieliebenden Europäer*innen. Unsere Werte geben wir nicht auf. Die Seenotrettung geben wir nicht auf. Seien Sie deshalb nicht überrascht, wenn das deutsche Rettungsschiff ALAN KURDI schon bald wieder Menschenleben rettet.

Mit freundlichen Grüßen
Gorden Isler, Vorstandsvorsitzender
Jan Ribbeck, stellvertretender Vorsitzender
Günther Schmidt, Schatzmeister
Dominik Reisinger, Vorstand
Lena Meurer, Vorstand

Rotes Kreuz evakuiert 146 Gerettete auf italienisches Quarantäneschiff

  • beispiellose Solidarität für ALAN KURDIs Mission
  • Bundesinnenministerium appellierte, die Rettungen einzustellen
  • Crew der ALAN KURDI erwartet 14-tägige Quarantäne

Nach einer fast zweiwöchigen Blockade endete die Odyssee des deutschen Rettungsschiffes ALAN KURDI am Freitag vor dem Hafen von Palermo. Bereits am Ostersonntag schlugen die italienische Verkehrsministerin Paola De Micheli und der Leiter des Zivilschutzes Angelo Borelli vor, die geretteten Menschen an Bord des deutschen Rettungsschiffes auf ein größeres, geeigneteres Schiff zu übernehmen. Dort könnten sie einerseits unter Quarantäne gestellt und andererseits besser und sicherer versorgt werden. Am Donnerstagabend schließlich bestätigten die italienischen und die deutschen Behörden die konkrete Umsetzung des Vorhabens für Freitagvormittag.

„Die Situation auf der ALAN KURDI war bereits seit Tagen untragbar. Wir sind unendlich erleichtert, dass diese Blockade endlich endet“, sagte Jan Ribbeck, Missionsleiter für Sea-Eye.

Rotes Kreuz evakuiert 146 Gerettete auf italienisches Quarantäneschiff

Italienische Küstenwache

Unter Koordinierung des italienischen Roten Kreuzes begann am Freitagnachmittag die Evakuierung für 146 gerettete Menschen auf das italienische Passagierschiff RAFFAELE RUBATTINO. Mehrere Schiffe der italienischen Küstenwache, unter anderem das Schiff DICIOTTI, waren in den Transfer der Menschen auf die RAFFAELE RUBATTINO eingebunden.

Ausschiffung

Auf dem italienischen Fährschiff sollen die Menschen nun für weitere 14 Tage unter Quarantäne gestellt werden. Unklar ist bisher, wie es für die Menschen anschließend weitergeht. Italien hat seine Häfen für die Ausschiffung von aus Seenot geretteten Menschen vorübergehend wegen des gesundheitlichen Notstandes geschlossen. Über einen Ausschiffungshafen und die Verteilung der Geflüchteten hatten die Behörden bis zum Freitag keine Pläne veröffentlicht.

„Es ist jetzt sehr wichtig, auch an die geretteten Menschen des spanischen Schiffes AITA MARI zu denken. Auch auf diesem Schiff warten noch rund 40 Menschen auf eine humanitäre Lösung“, sagte Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye.

Beispiellose Solidarität für ALAN KURDIs Mission

Während der Blockade erfuhren Sea-Eye und die ALAN KURDI insbesondere in Italien eine bisher beispiellose Solidarität. Nach einem Brief des italienischen Seenotretters Luca Casarini an Papst Franziskus antwortete das Kirchenoberhaupt und stellte sich unmissverständlich hinter alle zivilen Seenotretter*innen. Besonders hervorzuheben ist jedoch das Engagement des Bürgermeisters von Palermo. Leoluca Orlando stand in regelmäßigem Kontakt zu Missionsleiter Jan Ribbeck und erkundigte sich täglich nach den Menschen auf der ALAN KURDI.

„Man kann sagen, dass Leoluca Orlando ein wichtiger Anwalt der Menschenrechte der geretteten Menschen und auch unserer Crew auf der ALAN KURDI war. Sein Engagement war für das Ende dieser Blockade unentbehrlich wichtig“, sagt Missionsleiter Jan Ribbeck von Sea-Eye.

Doch auch die Seenotretter*innen von Mediterranea und Sea-Watch-Italy insistierten bei der Regierung in Rom. Sie setzten sich dafür ein, dass die Seenotrettung fortgesetzt werden müsse und dass die Schiffe ALAN KURDI und AITA MARI sichere Häfen bekommen. Für die AITA MARI steht eine solche Lösung aber noch aus.

Bundesinnenministerium appellierte, die Rettungen einzustellen

Während der Rettungen vor 11 Tagen hatte ein Brief des Bundesinnenministeriums die Einsatzleitung erreicht. Darin wurde an deutsche Seenotrettungsorganisationen appelliert, Rettungsaktionen einzustellen und Schiffe gegebenenfalls zurückzurufen, weil es an Ausschiffungshäfen im zentralen Mittelmeer fehle. Zu diesem Zeitpunkt hatte die ALAN KURDI bereits 150 Menschenleben gerettet.

„Man kann nicht von uns verlangen, die Rettung von Menschenleben einzustellen, während die selben Politiker*innen in Deutschland fordern, dass alles Menschenmögliche dazu beigetragen werden muss, um möglichst viele Menschenleben zu retten“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye.

Crew der ALAN KURDI erwartet 14-tägige Quarantäne

Der Crew der ALAN KURDI steht nun ebenfalls eine 14-tägige Quarantäne bevor. Das Schiff soll dazu vor Palermo vor Anker liegen. Die nächste geplante Rettungsmission von Sea-Eye fällt diesen Umständen zum Opfer. Die Corona-Krise führte jedoch nicht nur zu operativen Problemen. So wie viele Hilfsorganisationen beklagt auch Sea-Eye einen hohen Spendenrückgang.

„Wir wollen gern alles tun, um einen Rettungseinsatz im Mai starten zu können. Menschen wegen der Corona-Krise ertrinken zu lassen, ist ein genauso schlechter Grund wie jeder andere Grund, der bisher in dieser Debatte vorgetragen worden ist“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye.

Verzweiflung und Ratlosigkeit der geretteten Menschen nimmt dramatisch zu

  • Selbsttötungsversuch an Bord der ALAN KURDI
  • Kapitänin bittet italienische Küstenwache um die Evakuierung mehrerer Personen
  • schwierige Evakuierung bei Nacht
  • Blockade hält trotz Lösungsvorschlag von Italien weiter an

Am Mittwoch kam es an Bord der ALAN KURDI zu einem Selbsttötungsversuch eines 24-jährigen Mannes. In ihrem medizinischen Bericht schreibt die Schiffsärztin von Angstzuständen, Gewalterfahrungen in einem libyschen Gefängnis und einem konfliktbehafteten Verhältnis zu anderen geretteten Personen an Bord. Die Verzweiflung war in der Nacht zum Mittwoch so groß geworden, dass der Mann keinen anderen Ausweg mehr für sich selbst sah, als sich durch Selbsttötung der Situation zu entziehen.

„Der Patient ist eine Gefahr für sich selbst und andere. Wir sind sicher, dass sich der Zustand weiter verschlechtern wird“, schreibt Schiffsärztin Dr. Caterina Ciufegni in ihrem medizinischen Bericht an die italienische Küstenwache.

Die Verzweiflung und Ratlosigkeit einiger Personen erreicht ein bisher unbekanntes Ausmaß. Einem anderen jungen Mann macht der Stress so sehr zu schaffen, dass er sich seit Tagen immer stärker selbst verletzt. Am Mittwochnachmittag hat Kapitänin Bärbel Beuse um die Evakuierung von drei Personen gebeten. Die Antwort der italienischen Küstenwache erfolgte prompt. Ein Offizier des MRCC ROM teilte der Kapitänin über Funk die Koordinaten für einen Treffpunkt mit einem Schiff der Küstenwache mit.

„Wir sind froh und dankbar, dass Rom die Gefahr für die geretteten Menschen und uns genauso einschätzte und sofort ein Schiff schickte“, sagt Kapitänin Bärbel Beuse.

Die Evakuierung verlief sehr schwierig. Die drei Boote der italienischen Küstenwache konnten sich kaum annähern, ohne dramatische Szenen auf der ALAN KURDI zu verursachen.

„Die Menschen sind total verzweifelt und werden seit 10 Tagen auf der ALAN KURDI festgehalten. Sie deuteten an, ins Wasser springen zu wollen, um die italienischen Boote zu erreichen. Sie ließen sich kaum beruhigen“, sagt Jan Ribbeck, Einsatzleiter von Sea-Eye.

Offenbar rechnete die italienische Küstenwache mit solchen Schwierigkeiten, denn sie schickte mehrere Boote für drei zu evakuierende Personen. Die Küstenwache scheint sich über die schwierige Lage auf der ALAN KURDI absolut bewusst zu sein. Nach insgesamt zwei Stunden war die Evakuierung von drei Personen schließlich abgeschlossen.

Seit Sonntag liegt ein Lösungsvorschlag der italienischen Verkehrsministerin auf dem Tisch. Die Menschen auf der ALAN KURDI sollen auf ein größeres Schiff evakuiert werden, um dort besser versorgt und unter Quarantäne gestellt zu werden. Seither sind drei weitere Tage vergangen. Eine konkrete Information über Ort und Zeitpunkt der Evakuierung kommt weder aus Rom noch aus Berlin.

„Die italienischen Behörden sind weiter bei der Vorbereitung eines Schiffes, auf das die 149 Personen verlegt werden können“, teilte das Auswärtige Amt am Mittwochabend der Einsatzleitung von Sea-Eye mit.

Über den Zeitpunkt könne aber keine Auskunft erteilt werden.

Die Häfen von Italien, Malta und Libyen sind geschlossen. 146 Menschen auf der ALAN KURDI und 43 Menschen auf dem spanischen Rettungsschiff AITA MARI wird weiterhin ein sicherer Hafen verwehrt. Für mehrere Seenotfälle übernahm am Osterwochenende keine Rettungsleitstelle Verantwortung. Statt nach 85 vermissten Menschen zu suchen, wurde dessen Existenz von Malta und Italien schlicht abgestritten.

„Der erbarmungslose Umgang mit Flüchtenden scheint derzeit an allen Grenzen der EU politischer Konsens zu sein. Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen, ist kein neues Phänomen und kann deshalb nicht allein mit Corona begründet werden. Die gesteigerte Brutalität gegen Flüchtende und die neue Härte gegen Rettungsorganisationen kann nur mit dem Versuch der abschreckenden Wirkung erklärt werden. Ein solidarisches Verhalten der EU-Mitgliedsstaaten gegenüber Italien und Malta ist längst überfällig“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Niemand fühlt sich für die Rettung von Menschen verantwortlich

  • Lage auf der ALAN KURDI bleibt unverändert schlecht
  • Unsere Bordärztin dokumentiert Folterspuren
  • Ein Lösungsvorschlag für die ALAN KURDI steht im Raum

Auf dem zentralen Mittelmeer spielten sich am Ostersonntag dramatische Szenen ab. Während die ALAN KURDI vor Sizilien blockiert wird, wurden am Ostersonntag weitere Seenotfälle bekannt, für die sich niemand verantwortlich fühlt. Selbst für Seenotfälle, die eindeutig in der maltesischen Such- und Rettungszone gemeldet wurden, leitete Malta keine Rettungen ein. Die sogenannte libysche Küstenwache hat ebenfalls die Arbeit eingestellt, weil nicht genügend Schutzmasken vorrätig seien, berichtete Spiegel Online. Es ist zu befürchten, dass an diesem Osterwochenende dutzende Menschen ertrunken sind.

Derweil mussten 149 gerettete Menschen ihre achte Nacht auf der ALAN KURDI verbringen. Die Menschen müssen auf engstem Raum an Deck schlafen und sich zwei Toiletten und eine Dusche teilen. In Gesprächen mit unserem Menschenrechtsbeobachter berichteten einige Gerettete, in Libyen gefoltert worden zu sein. Unsere Bordärztin dokumentierte Narben und Verbrennungen. Einer Person wurden die Finger gebrochen.

Die italienische Verkehrsministerin und der Leiter des Zivilschutzes machten inzwischen den Vorschlag, die geflüchteten Menschen auf ein größeres, italienisches Schiff zu transferieren, um dort eine Quarantäne durchzuführen. Das Auswärtige Amt bestätigt, dass es sich um einen sehr ernsthaften Lösungsweg handelt.

Lebensmittel für die ALAN KURDI

Die italienische Küstenwache unterstützte die ALAN KURDI bereits zweimal mit einem Hilfsgütertransport. Leoluca Orlando, der Bürgermeister von Palermo, steht im engen Kontakt zu unserem Einsatzleiter Jan Ribbeck. Orlando kämpft für die Geretteten und die Crew der ALAN KURDI.

„Das Recht auf Gesundheit hat ein jeder Mensch“, sagte Orlando der italienischen Presse.

Am Osterwochenende sollte eigentlich die dritte Rettungsmission des Jahres starten. Aber die Mission musste leider abgesagt werden. Die Blockade setzt Sea-Eye neben dem Corona bedingten Spendeneinbruch ernsthaft zu. Jeder zusätzliche Tag kostet rund 2.500 €. Die Zeiten, in denen die Rettung von Menschenleben zu öffentlicher Aufmerksamkeit und zu Spenden führten, sind längst vorbei. Deshalb bitten wir Sie um Ihre Unterstützung.

In einem dramatischen Rettungseinsatz konnte die Crew der ALAN KURDI letzten Montag 68 Menschen das Leben retten. Ein zweiter Rettungseinsatz mit 82 Menschen folgte wenige Stunden später.

Unsere einzige Bitte an die 27 EU-Mitgliedsstaaten mit 447 Millionen Einwohnern war, diesen 150 Menschen Sicherheit und Frieden zu geben.

Hilfe schickte bisher nur Italien. Wir erhielten Lebensmittel und eine Person wurde von der italienischen Küstenwache evakuiert. Einige Menschen sind durch Folterspuren aus dem Bürgerkriegsland Libyen gezeichnet.

Anna, erste Offizierin der ALAN KURDI, und Josefin, Teil unseres medizinischen Teams, berichten von Bord.

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Video von Boxfish

Italienische Küstenwache evakuiert eine Person in der Nacht zum Karfreitag

  • ALAN KURDI erhält keine Lebensmittel, Medikamente oder Treibstoff von Italien
  • Italienische Küstenwache evakuiert eine Person vor Lampedusa
  • Italien, Malta und Libyen bezeichnen eigene Häfen als unsicher
  • deutsche Rettungsleitstelle mit Koordinierung überfordert
  • ALAN KURDI sucht Wetterschutz im Nordwesten von Sizilien

Rund einen Tag brauchte die italienische Rettungsleitstelle MRCC Rom, um die Bitte der ALAN KURDI-Kapitänin Bärbel Beuse nach Lebensmitteln, Medikamenten und Treibstoff abzulehnen. Die dazu nötigen Bootsdienste seien auf den Inseln Lampedusa und Linosa nicht verfügbar. Italien verwies auf Malta. Die maltesische Rettungsleitstelle reagierte sofort: „Versuchen Sie nicht, das auf Malta abzuladen.“ Damit macht die Rettungsleitstelle in Valletta klar, dass auch Malta nicht zur Hilfe bereit ist.

Die Lage an Bord der ALAN KURDI spitzt sich immer weiter zu, denn das Rettungsschiff ist zur dauerhaften Beherbergung von 150 Menschen nicht geeignet. Die Kapitänin Bärbel Beuse insistiert in der Nacht zum Karfreitag und wiederholt ihre Bitte nach den dringendsten Bedarfen:

Wir müssen betonen, dass unser Schiff innerhalb der nächsten 48 Stunden Lebensmittel benötigt.

Inzwischen erklärte neben Italien und Malta nun auch Libyen die eigenen Häfen als unsicher für die Ausschiffung und Versorgung von aus Seenot geretteten Menschen. Aktuell verbietet Libyen einem Schiff der sogenannten libyschen Küstenwache mit rund 280 Personen das Einlaufen in einen libyschen Hafen. Die libysche Küstenwache erklärte derweil, dass sie keine weiteren Rettungen durchführen könne, weil keine Atemschutzmasken vorhanden seien. Vincent Cochetel, Sonderbotschafter der Vereinten Nationen, sagt gegenüber Spiegel Online, dass die Schlepper diese Situation ausnutzen könnten und die Flüchtenden notfalls anlügen würden. Tatsächlich erreichten in den vergangenen Tagen Flüchtende mit mehreren Booten unter großer Gefahr die italienische Insel Lampedusa. Wie viele Boote auf dem Mittelmeer verschwanden und wie viele Menschen ertranken, ist unbekannt.

Es kann nicht sein, dass wir milliardenschwere Rettungspakete für die europäische Industrie sehen und gleichzeitig behauptet wird, dass es für den Schutz von Migrant*innen keine Ressourcen gibt“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V. „So hat Europa eine Situation zugelassen, in der humanitäre Katastrophen mittlerweile miteinander konkurrieren und gegeneinander ausgespielt werden“, sagt Isler weiter.

Die deutsche Rettungsleitstelle gibt in der Nacht zum Karfreitag an, dass man mit der Koordinierung der Situation des deutschen Schiffes überfordert sei.

So schrieb Bremen an die Kolleg*innen in Rom: „I am fully aware of the brisance of the actual situation but MRCC Bremen is not able to respond as you expect or hope for.“

Freitagmittag setzte die ALAN KURDI Kurs auf eine Position nordwestlich von Sizilien, um Wetterschutz vor bevorstehenden, schweren Unwettern zu suchen. Die Sea-Eye-Einsatzleitung informierte die deutschen Behörden bereits am Vormittag über diese Entscheidung.

Italienisches Versorgungsschiff verweigert die Rettung von 82 Menschen

  • ALAN KURDI rettet 68 Menschen am Montagvormittag
  • Libysche Miliz gefährdet Rettung und gibt Schüsse ab
  • weitere Rettung von 82 Menschen am Montagnachmittag
  • italienischer Offshore-Versorger ASSO VENTINOVE verweigert die Rettung
  • Bundesinnenministerium bittet Seenotrettungsorganisationen darum, die Arbeit einzustellen

Am Montagmorgen rettete die Crew der ALAN KURDI 68 Menschen aus einem überfüllten Holzboot in den internationalen Gewässern vor Libyen. Der Notruf wurde von Alarm Phone gemeldet und von Sea-Eye-Kapitänin Bärbel Beuse sofort an die zuständigen Behörden weitergeleitet. Während der Rettung gefährdete ein libysch beflaggtes Schnellboot die Arbeit der Sea-Eye-Rettungskräfte. Nach Schüssen in die Luft sprang rund die Hälfte der Flüchtenden ohne Rettungsweste panisch ins Meer, um zur ALAN KURDI zu schwimmen. Unsere Rettungskräfte brachten alle vorhandenen Rettungsmittel ins Wasser und setzten ein sogenanntes CentiFloat ein, um die Personen vor dem Ertrinken zu retten.

„Als ich die Schüsse der Libyer hörte, hatte ich große Sorge um meine Mannschaft und die Flüchtenden“, sagt Stefan Schütz, Einsatzleiter an Bord der ALAN KURDI.

Nachdem sich die Lage beruhigte und die Libyer sich zurücknahmen, konnten alle Personen mit Schwimmwesten versorgt und gerettet werden.

Schon während der ersten Rettung meldete das Alarm Phone einen weiteren Seenotfall nördlich der Position der ALAN KURDI. Der italienische Offshore-Versorger ASSO VENTINOVE erreichte diesen zweiten Notfall zwar mehrere Stunden vor der ALAN KURDI, leitete jedoch keine Rettungsversuche ein. Aufgrund der Größe wäre das italienische Versorgungsschiff deutlich besser geeignet gewesen, die 82 Personen, darunter auch Kinder, auf dem Holzboot zu retten. Mit der Begründung, dass man für die Bohrinseln bereit bleiben müsse, um dort zu helfen, wenn es zu einem Unglück käme, verweigerte ASSO VENTINOVE die Rettung und lehnte die Zuständigkeit für die Koordinierung ab. Die ALAN KURDI evakuierte deshalb auch das zweite Boot und sucht nun mit insgesamt 150 Geretteten an Bord nach einem sicheren Hafen.

Italienische und maltesische Ministerien hatten nach dem Ablegen der ALAN KURDI gegenüber dem Auswärtigen Amt mit einer Verbalnote klargestellt, dass man einer Ausschiffung von geretteten Personen auch dann nicht zustimmen würde, wenn die Verteilung der Geretteten geregelt worden sei. Als Begründung gaben die beiden Küstenstaaten den gesundheitlichen Notstand im eigenen Land an. Während die zweite Rettung anlief, meldete sich das Bundesinnenministerium bei Sea-Eye und anderen Rettungsorganisationen mit folgender Bitte:

„Angesichts der aktuellen schwierigen Lage appellieren wir deshalb an Sie, derzeit keine Fahrten aufzunehmen und bereits in See gegangene Schiffe zurückzurufen.“

Zu diesem Zeitpunkt war die ALAN KURDI bereits 7 Tage im Einsatz und evakuierte das zweite überfüllte Holzboot.

Jedes Menschenleben ist wertvoll. Wir vertrauen darauf, dass es dem Bundesaußenminister gelingt, für 150 Menschenleben zusätzliche Verantwortung zu übernehmen. Denn Deutschland ist schließlich unser Flaggenstaat. In den vergangenen Tagen hat die Bundesregierung mehr als 200.000 Menschen in einem unglaublichen Kraftakt aus dem Ausland heimgeholt. Es muss doch vorstellbar und menschenmöglich sein, eine Maschine für 150 Schutzsuchende nach Südeuropa zu senden, um die Menschen unverzüglich zu evakuieren. In Deutschland gibt es rund 150 Städte im Bündnis Sicherer Häfen, die ihre Bereitschaft zu Aufnahme von Geflüchteten erklärt haben, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.