Verhungert, verdurstet und ertrunken in einer europäischen Such- und Rettungszone

Fünf Tage ignoriert Malta Notrufe und scheint sich Dritter für völkerrechtswidrige Zurückweisungen zu bedienen.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit spielte sich Anfang April ein Flüchtlingsdrama im Mittelmeer ab. Ein Fischerboot mit maltesischer Registrierung kümmerte sich um ein in Seenot geratenes Boot. Obwohl die Flüchtenden sich schon in der maltesischen Such- und Rettungszone befanden, wurden sie zurück nach Libyen gebracht. Das allein verstößt schon gegen geltendes Recht. Doch es liegt der Verdacht nahe, dass hinter dem Vorgehen System steckt.

Es sind dramatische Szenen, die sich Anfang April auf der ALAN KURDI abspielen. Mit 150 Geretteten ist das SEA-EYE-Rettungsschiff hoffnungslos überfüllt. Kein Hafen lässt die Einfahrt zu. Zwischenzeitlich wird sogar die Versorgung mit Nahrungsmittel und Medizin verweigert. Seenotrettung in Zeiten des Corona-Virus. Die Pandemie verschließt Europas Herzen und Häfen.

Zeitgleich startet am 9. April ein Gummiboot aus dem libyschen Garabulli. An Bord befinden sich 63 Menschen – darunter sieben Frauen und drei Kinder. Ihr Ziel: ein sicherer Hafen. Das Boot wird am nächsten Tag von einem Flugzeug der EU-Grenzagentur Frontex in den libyschen Such- und Rettungsgewässern gesichtet.

Noch in der Nacht wird über Alarmphone ein Notruf abgesetzt. Das seeuntaugliche Boot nehme Wasser auf, das Leben der flüchtenden Menschen sei in akuter Gefahr. Die Position der GPS-Daten besagte, dass sie sich in internationalen Gewässern aufhielten. Alarmphone wandte sich an die maltesischen, italienischen und libyschen Behörden, es wurde jedoch keine Rettungsmission gestartet.

Am Morgen des 11. April werden schließlich die Zuständigen in Libyen erreicht. Aber wegen der Pandemie werden auch hier keine Rettungsmissionen mehr gestartet. Am Sonntag, den 12. April – Europa feiert das christliche Osterfest –, ist das in Not geratene Boot laut GPS-Daten in der maltesischen Such- und Rettungszone angekommen. 24 Stunden später starten sowohl italienische als auch maltesische Behörden Luftüberwachungsmissionen, die diese Angaben bestätigen. Angaben, die für die Zukunft wichtig werden könnten, da sie eine klare Zuständigkeit Maltas belegen und für eine Untersuchung des Vorfalls relevant werden könnten.

Das portugiesische Handelsschiff IVAN, dass sich in der Nähe des in Not geratenen Bootes aufhält, wird angewiesen, vor Ort in Warteposition zu gehen und erst im Notfall einzugreifen.

Dann überschlagen sich die Ereignisse. Migranten springen beim Anblick des großen Schiffes von Bord und versuchen schwimmend das rettende Boot zu erreichen. Vollkommen entkräftet ertrinken drei von ihnen im Meer. Einem Überwachungsflugzeug halten die Verzweifelten ein Baby in die Luft, um zu zeigen, wie groß ihre Not und Verzweiflung ist.

Kurz vor Sonnenaufgang kommt Rettung in Form eines Fischerboots. Die MAE YEMANJA übernimmt die Überlebenden, die IVAN wird angewiesen, sich zu entfernen. Da Malta seine Häfen geschlossen hat, bringt der Kapitän die Flüchtenden zurück nach Libyen. So weit, so einfach. Ist es aber nicht.

Die Wahrheit scheint viel schrecklicher. Die MAE YEMANJA, die am 15. April – sechs Tage nach ihrem Auslaufen – mit 56 Menschen an Bord den Hafen von Tripolis erreicht, ist wahrscheinlich kein harmloses Fischerboot.

Fünf Menschen kamen ums Leben. Verhungert und verdurstet. Sieben Menschen werden bis heute vermisst. Sie sind vermutlich alle ertrunken.

Nach Angaben des maltesischen Bloggers und Enthüllungsjournalisten Manuel Delia verließ die MAE YEMANJA den großen Hafen von Malta am 14. April ohne klares Ziel. Nach der Ausfahrt schaltete die Besatzung das Radar aus und erst am Folgetag in Libyen wieder ein.

Die Registrierung des Fischerbootes läuft auf Malta, als Eigner wird Carmelo Grech ausgewiesen, ein in Malta bekannter Geschäftsmann mit dubioser Vergangenheit. In einem Schmugglerprozess wurde er kürzlich trotz belastender Indizien von allen Anklagepunkten freigesprochen. 2015 wurde er mit 300.000 Euro in bar in Libyen aufgegriffen, was eine ausführliche Untersuchung nach sich zog, die allerdings wundersamer Weise im Sande verlief. Auch die maltesische Enthüllungsjournalistin Daphne Capuana Galizia, die am 16. Oktober 2017 durch eine Autobombe ermordet wurde, recherchierte über die weit verzweigten Geschäftsinteressen Grechs.

Offiziell heißt es, dass Grech die MAE YEMANJA kürzlich an ein libysches Unternehmen veräußert haben will. Eine Gesellschaft, die sich allerdings wieder auf den maltesischen Unternehmer zurückverfolgen lässt. Weiter heißt es, die MAE YEMANJA wurde nur entsandt, um die Flüchtenden mit Wasser und Lebensmittel zu versorgen.

Inoffiziell kommt der Verdacht auf, dass Malta kleinere, private Schiffe entsendet, um flüchtende Menschen wieder zurück nach Libyen zu bringen und sich so – gegen geltendes Recht – eines Problems zu entledigen. Die Menschen werden in solch dubiosen Missionen zurück verfrachtet in die Lager, in denen Misshandlungen, Vergewaltigung und Folter an der Tagesordnung sind.

Noch ist unklar, ob dem Schiffseigner der MAE YEMANJA für seine zweifelhafte Rettung Geld von staatlicher Seite bezahlt wurde.

„Eiskalt sollte es uns in Deutschland den Rücken hinunterlaufen, wenn der maltesische Ministerpräsident Robert Abela den Tod von bis zu 12 Menschen mit seinem ‚reinen Gewissen‘ kommentiert und meint er habe im ‚nationalen Interesse‘ gehandelt.“ sagt Gorden Isler Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

„Wenn der Tod dieser Menschen in Maltas Interesse war, dann reden wir nicht mehr nur über unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge. Besorgniserregend und verstörend finden wir, dass es keine Kritik aus Deutschland an Maltas handeln gibt“, so Isler weiter.

Gegen die maltesische Regierung und Ministerpräsident Robert Abela wurde Strafanzeige erstattet. Die Justiz hat gegen ihn und Armeechef Jeffrey Curmi Ermittlungen aufgenommen. Neben diesem Vorfall geht es auch um den Vorwurf, die Besatzung eines Patrouillenboots habe den Motor eines Flüchtlingsboots zerstört und die Menschen ihrem Schicksal überlassen.

(Martin Geiger)

Quellen: Times of Malta, alarmphone.org, avvenire.it
Symbolfoto: Fabian Heinz/ Sea-Eye (Juni 2019)