Nach der Quarantäne ist vor der Quarantäne
Interview mit Caterina, Bordärztin auf der ALAN KURDI
Seenotrettung in Zeiten der Pandemie. Nach den dramatischen Ereignissen auf der ALAN KURDI liegt das Schiff von Sea-Eye mit seiner Crew in der Bucht von Palermo. 14 Tage Zwangspause. An Bord ist auch Caterina, Ärztin aus Berlin. Wir sprachen mit ihr.
Fangen wir mit einer scheinbar belanglosen Frage an, die aber in Zeiten der Pandemie eine besondere Bedeutung hat. Wie geht’s?
(lacht) Ja, das ist schwierig. Es geht mir gut, auch wenn wir noch eine Woche in Quarantäne auf der ALAN KURDI bleiben müssen. Die Mission war sehr anstrengend, ist dann aber doch gut gelaufen. Ich kann nicht sagen, es geht mir supergut, aber alle an Bord sind nett. Das ist viel wert.
Nach den dramatischen Ereignissen der letzten Wochen sind Sie jetzt zum Nichtstun verdammt. Wie geht man damit um?
Es ist für mich eine ganz komische Situation. Nachdem die Geflüchteten – unsere Gäste – von Bord waren, dachte ich erst, es ist nicht passiert. Wir waren fertig, fix und fertig. Wir haben in der Zeit, als wir die Geflüchteten an Bord hatten, kaum geschlafen und waren erstmal einfach nur müde (Anm.: Die Crew rettete am 6. April 150 Geflüchtete und übergab sie am 17. April dem italienischen Roten Kreuz). Vieles kann ich noch gar nicht realisieren oder psychologisch verarbeiten. Um das richtig einzuordnen, müssen wir erstmal die ALAN KURDI verlassen (Anm.: Während des Aufenthaltes gab es zwei Suizid-Versuche unter den Gästen).
Wie ist die Stimmung an Bord und was machen Sie den ganzen Tag?
Wir beschäftigen uns mit kleineren Arbeiten, bringen das Schiff auf Vordermann, machen Inventur von allen Dingen. Kleine Ausbesserungsarbeiten wie Malerarbeiten stehen an. Alles was wir auf See machen können. Die Stimmung ist gut.
Jetzt sind Sie 14 Tage in Quarantäne auf dem Schiff und wenn Sie an Land dürfen, kommt die nächste. Haben Sie dafür Verständnis?
Ich glaube, wir müssen in Italien nicht noch einmal in Quarantäne, aber wenn ich nach Berlin zurückkomme, dann schon. Natürlich bin ich auf der Reise nicht allein und das Risiko einer Ansteckung ist da. Insofern verstehe ich das. Auch wenn ich mich auf zwei Wochen erneute Quarantäne in Berlin nicht unbedingt freue. Meine Wohnung in Mitte hat keinen Balkon, und wenn man aus dem Fenster blickt, sieht man nur ein anderes Gebäude. Es gibt schöneres, aber so ist es jetzt nun mal.
Alle Geflüchteten sind negativ auf Corona getestet worden. Beruhigt Sie das?
Ja, das ist schon eine ganz gute Nachricht. Auch die Gäste auf der AITA MARI (Anm.: Das Schiff der spanischen NGO rettete 43 Geflüchtete im Mittelmeer, die ebenso von der italienischen Fähre übernommen wurden) sind alle negativ auf das Virus getestet worden. Ja, das ist eine gute Nachricht.
Was hätten Sie im Fall eines Covid-19-Ausbruches getan?
Es gab im Vorfeld eine Richtlinie von Sea-Eye, die mit den medizinischen Fachkräften ausgearbeitet worden ist, was im Falle einer Infektion mit dem Corona-Virus zu unternehmen ist. Wir hätten die Patient*innen isoliert und diese wären dann ausschließlich von mir und unserer Rettungssanitäterin versorgt worden. So hätten wir die weitere Ausbreitung versucht zu stoppen. Natürlich verbunden mit der Hoffnung, dass keine Komplikationen entstehen, die wir an Bord nicht behandeln können.
Seenotrettung in Zeiten der Pandemie. Ist das verantwortungsvoll?
Ja, diese Frage ist mir schon öfters gestellt worden. Menschen, die vor Krieg und Elend fliehen, wollen ihr Land verlassen. Viele von ihnen sind schon seit Jahren auf der Flucht, jenseits von Menschenrechten. Sie flüchten vor Folter, Hunger und Elend. Sie wollen in Sicherheit leben. Auch eine Pandemie wird sie nicht stoppen. Wissen Sie, ich bin gebürtige Italienerin. Die Situation in meinem Mutterland ist aufgrund der Corona-Krise extrem angespannt. Ich rede jeden Tag mit meiner Familie dort, mit meinen Verwandten. Ich blende das nicht aus oder ignoriere das. Aber auch die Geflüchteten haben ein Recht auf ein besseres Leben. Wir müssen diesen Menschen helfen. Wir können sie nicht einfach ertrinken lassen.
Machen Sie trotzdem weiter?
Ja! Ich mache trotzdem weiter, ja. Was wir gemacht haben, auch auf dieser Mission, ist notwendig. Während dieser Zeit sind Menschen gestorben. Sie haben einen Notruf abgesetzt und weil niemand geholfen hat, sind sie ertrunken. Wir hatten schon 150 Personen an Bord und konnten nicht mehr helfen. Aber niemand anders ist gekommen. So etwas darf nicht passieren. Pandemie hin oder her.
Haben Sie Angst vor einer Ansteckung?
Nein. Wenn ich die Mission beendet habe, werde ich wieder im Krankenhaus arbeiten. Da ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass ich mich anstecken werde. Als Ärztin in einem Krankenhaus oder als Kundin in einem Supermarkt ist die Gefahr größer, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren, als als Ärztin auf der ALAN KURDI.
Was tun Sie als erstes, wenn Sie wieder zurück in Berlin sind?
Tja, was ich machen möchte ist, meine Freund*innen zu sehen, ein Bier zusammen am Wasser zu trinken. Aber all das wird so schnell nicht gehen. Wenn ich jetzt daran denke, dass in Berlin Frühling ist, das Wetter schön ist, dann bekomme ich Lust auf das Freiluftkino, auf die vielen kulturellen Möglichkeiten. Aber darauf werden wir alle noch eine Weile verzichten müssen.
(Martin Geiger)