Die Toten haben einen Namen – und ein Gesicht

Wir blicken in die Gesichter von Filimon, Hdru, Omar, Debesay, Huruy und Mogos. In die Gesichter von jungen Männern zwischen 18 und 25 Jahren. Sie hatten die Zukunft vor sich. Sie wollten Berufe erlernen, Familien gründen, in Frieden und Sicherheit leben. Doch sie sind tot. Ertrunken, verhungert und verdurstet auf der Flucht vor Tod, Folter, Krieg und Gewalt.

Ihr Tod wurde billigend in Kauf genommen, wenn nicht sogar eiskalt mit einkalkuliert. Es war und ist den Verantwortlichen schlichtweg egal, ob diese jungen Männer sterben. Das ist eine Unterstellung, das ist polemisch, aber die Fakten sprechen dafür.

Was wir wissen:

Anfang April (die ALAN KURDI ist im Rettungseinsatz) machen sich 63 flüchtende Menschen in einem Gummiboot auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer (siehe auch „Verhungert, verdurstet und ertrunken in einer europäischen Such- und Rettungszone“). Nach einer längeren Odyssee erreichen sie die maltesische Such- und Rettungszone. Malta ist verpflichtet, die Flüchtenden zu retten. Das ist geltendes Recht: Seerecht und Menschenrecht. Diese festgeschriebenen Rechte können auch aufgrund der Pandemie nicht außer Kraft gesetzt werden. Dies haben europäische Richter*innen festgestellt.

Doch Malta beauftragte einen dubiosen Geschäftsmann, der ein unauffälliges Fischerboot losschickte, um die flüchtenden Menschen wieder zurück nach Libyen zu schaffen. Bei dieser Aktion kommen zwölf Menschen ums Leben, darunter die mit Foto und Namen hier gezeigten jungen Männer.

Woher kommen die Fotos?

Zuerst hat avvenire.it die Namen und Fotos der Geflüchteten veröffentlicht. Das Portal ist eine offizielle Website der vatikanischen Nachrichtenagentur und bekannt für einen direkten Umgang mit dem Thema Migration. Die Journalist*innen haben gute Kontakte nach Libyen und so auch zu den Überlebenden des Push-Backs. Dadurch wurden ihnen vermutlich die Fotos zugespielt.

Bestätigt wurde die Recherche auch durch die „Times of Malta“, wo diese Fotos ebenfalls erschienen sind. Beide Portale gelten als vertrauenswürdig und seriös. Wir berufen uns bei der Veröffentlichung auf diese beiden Quellen, eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.

Warum zeigen wir die Fotos?

Weil die Toten ein Gesicht haben und einen Namen. Es sind eben nicht nur Zahlen und Statistiken.

„Es gibt in der Gesellschaft eine Tendenz, die die ganze Diskussion über Flucht und flüchtende Menschen extrem nach rechts gezogen hat. Die Gesprächskultur darüber ist entmenschlicht worden. Auch das ist gewaltsam. Und wenn wir diese Bilder zeigen – die Bilder von echten Menschen, von Schicksalen, die Geschichten dahinter – dann holen wir diesen Diskurs wieder auf eine menschliche Ebene zurück. Ich glaube, dass dieses entmenschlichte Bild korrigiert werden muss und daher ist es richtig, die Bilder zu zeigen“, so Gorden Isler, Vorstand von Sea-Eye.

Isler sieht Parallelen zu der Veröffentlichung des Bildes von Alan Kurdi. Auch damals sei es wichtig gewesen, dieses Bild zu veröffentlichen, weil es den öffentlichen Diskurs verändert habe.

Der Bischof von Malta, Charles Scicluna, ist der Auffassung, dass mit der Veröffentlichung der Bilder keine moralischen Grenzen überschritten werden.

„Die Opfer unserer Politik und unserer Gleichgültigkeit haben Namen und Gesichter, wie wir alle“, so der Bischof auf Twitter.

Ein politischer Skandal

Der maltesische Regierungsbeamte Neville Gafá erklärte unter Eid, dass er auf Anweisung des Büros des Premierministers die Push-Back-Aktion sowie eine weitere Aktion an Ostern organisiert habe.

„Ich bestätige, dass ich in der Osternacht und in den darauffolgenden Tagen an einer Mission beteiligt war, bei der ein Boot mit 51 irregulären Migrant*innen, darunter acht Frauen und drei Minderjährige, in den Hafen von Tripolis gebracht wurde. Auf demselben Boot befanden sich fünf Leichen“, so Gafá. (Quelle: Times of Malta, repubblika.org)

Er bezeugte, er sei auf Anweisung des Büros des Premierministers tätig geworden. Dieses hatte ihn gebeten, die direkte Koordination mit dem libyschen Innenministerium und der libyschen Küstenwache zu übernehmen. Außerdem bestehe der Verdacht, dass es schon mehrere illegale Push-Backs gegeben habe. Inzwischen wurde Strafanzeige gestellt und es soll eine offizielle Untersuchung geben.

(Martin Geiger)