Selbsttötungsversuch an Bord der ALAN KURDI nach zehn Tagen Blockade

Verzweiflung und Ratlosigkeit der geretteten Menschen nimmt dramatisch zu

  • Selbsttötungsversuch an Bord der ALAN KURDI
  • Kapitänin bittet italienische Küstenwache um die Evakuierung mehrerer Personen
  • schwierige Evakuierung bei Nacht
  • Blockade hält trotz Lösungsvorschlag von Italien weiter an

Am Mittwoch kam es an Bord der ALAN KURDI zu einem Selbsttötungsversuch eines 24-jährigen Mannes. In ihrem medizinischen Bericht schreibt die Schiffsärztin von Angstzuständen, Gewalterfahrungen in einem libyschen Gefängnis und einem konfliktbehafteten Verhältnis zu anderen geretteten Personen an Bord. Die Verzweiflung war in der Nacht zum Mittwoch so groß geworden, dass der Mann keinen anderen Ausweg mehr für sich selbst sah, als sich durch Selbsttötung der Situation zu entziehen.

„Der Patient ist eine Gefahr für sich selbst und andere. Wir sind sicher, dass sich der Zustand weiter verschlechtern wird“, schreibt Schiffsärztin Dr. Caterina Ciufegni in ihrem medizinischen Bericht an die italienische Küstenwache.

Die Verzweiflung und Ratlosigkeit einiger Personen erreicht ein bisher unbekanntes Ausmaß. Einem anderen jungen Mann macht der Stress so sehr zu schaffen, dass er sich seit Tagen immer stärker selbst verletzt. Am Mittwochnachmittag hat Kapitänin Bärbel Beuse um die Evakuierung von drei Personen gebeten. Die Antwort der italienischen Küstenwache erfolgte prompt. Ein Offizier des MRCC ROM teilte der Kapitänin über Funk die Koordinaten für einen Treffpunkt mit einem Schiff der Küstenwache mit.

„Wir sind froh und dankbar, dass Rom die Gefahr für die geretteten Menschen und uns genauso einschätzte und sofort ein Schiff schickte“, sagt Kapitänin Bärbel Beuse.

Die Evakuierung verlief sehr schwierig. Die drei Boote der italienischen Küstenwache konnten sich kaum annähern, ohne dramatische Szenen auf der ALAN KURDI zu verursachen.

„Die Menschen sind total verzweifelt und werden seit 10 Tagen auf der ALAN KURDI festgehalten. Sie deuteten an, ins Wasser springen zu wollen, um die italienischen Boote zu erreichen. Sie ließen sich kaum beruhigen“, sagt Jan Ribbeck, Einsatzleiter von Sea-Eye.

Offenbar rechnete die italienische Küstenwache mit solchen Schwierigkeiten, denn sie schickte mehrere Boote für drei zu evakuierende Personen. Die Küstenwache scheint sich über die schwierige Lage auf der ALAN KURDI absolut bewusst zu sein. Nach insgesamt zwei Stunden war die Evakuierung von drei Personen schließlich abgeschlossen.

Seit Sonntag liegt ein Lösungsvorschlag der italienischen Verkehrsministerin auf dem Tisch. Die Menschen auf der ALAN KURDI sollen auf ein größeres Schiff evakuiert werden, um dort besser versorgt und unter Quarantäne gestellt zu werden. Seither sind drei weitere Tage vergangen. Eine konkrete Information über Ort und Zeitpunkt der Evakuierung kommt weder aus Rom noch aus Berlin.

„Die italienischen Behörden sind weiter bei der Vorbereitung eines Schiffes, auf das die 149 Personen verlegt werden können“, teilte das Auswärtige Amt am Mittwochabend der Einsatzleitung von Sea-Eye mit.

Über den Zeitpunkt könne aber keine Auskunft erteilt werden.

Die Häfen von Italien, Malta und Libyen sind geschlossen. 146 Menschen auf der ALAN KURDI und 43 Menschen auf dem spanischen Rettungsschiff AITA MARI wird weiterhin ein sicherer Hafen verwehrt. Für mehrere Seenotfälle übernahm am Osterwochenende keine Rettungsleitstelle Verantwortung. Statt nach 85 vermissten Menschen zu suchen, wurde dessen Existenz von Malta und Italien schlicht abgestritten.

„Der erbarmungslose Umgang mit Flüchtenden scheint derzeit an allen Grenzen der EU politischer Konsens zu sein. Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen, ist kein neues Phänomen und kann deshalb nicht allein mit Corona begründet werden. Die gesteigerte Brutalität gegen Flüchtende und die neue Härte gegen Rettungsorganisationen kann nur mit dem Versuch der abschreckenden Wirkung erklärt werden. Ein solidarisches Verhalten der EU-Mitgliedsstaaten gegenüber Italien und Malta ist längst überfällig“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.