Zum zehnjährigen Bestehen ziviler Seenotrettung im zentralen Mittelmeer zogen United4Rescue, Sea-Watch, Sea-Eye und SOS Humanity auf einer Pressekonferenz Bilanz – und forderten ein Ende der politischen Blockaden von Rettungseinsätzen.

Seit 2015 leistet zivile Seenotrettung unmittelbare Hilfe im zentralen Mittelmeer. Bis April 2025 waren zivile Schiffe an der Rettung von 175.595 Menschen beteiligt – trotz wachsender politischer und bürokratischer Schikanen. Europäische Staaten und die EU setzen weiterhin auf Abschottung statt Schutz und missachten dabei internationales Recht. So führte etwa das italienische “Piantedosi-Dekret” seit Januar 2023 zur Festsetzung ziviler Schiffe in 28 Fällen – insgesamt 680 Tage lang.

„Zehn Jahre zivile Seenotrettung bedeuten zehn Jahre Ignoranz und Wegschauen der Politik. Dort, wo staatliche Akteur*innen ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, sind wir als zivile Flotte zur Stelle. Wir sehen hin. Wir fahren hin. Zehn Jahre zivile Seenotrettung sind eine eindringliche Mahnung, die Stille des Ertrinkens zu brechen. Egal, wie rau der politische Gegenwind für den Schutz von Menschen auf der Flucht wird: In den letzten zehn Jahren haben wir gezeigt, was starke zivilgesellschaftliche Bündnisse erreichen können. Man muss mit uns rechnen“, betont Anna di Bari, Vorständin von Sea-Eye.

Die Unterstützung für zivile Seenotrettung bleibt stark: Zehntausende engagieren sich, spenden und ermöglichen so Rettungseinsätze. Das Bündnis United4Rescue mit fast 1.000 Mitgliedsorganisationen steht exemplarisch für diesen Rückhalt in der Zivilgesellschaft. Ebenso wichtig sind Gruppen wie Refugees in Libya, die sich für die Rechte von Flüchtenden einsetzen und Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, oder das Alarm Phone, das seit über zehn Jahren eine Notruf-Hotline für Menschen in Seenot betreibt. Beide nahmen – stellvertretend für viele weitere – an der Pressekonferenz teil und machen deutlich: Wenn Staaten versagen, versucht die Zivilgesellschaft einzuspringen – auch wenn sie eine politische Lösung nicht ersetzen kann.

Als eine menschenrechtskonforme europäische Lösung stellten die Organisationen das Rettungskonzept Mare Solidale vor. Es skizziert den rechtlichen Rahmen, schlägt konkrete Mechanismen für eine koordinierte EU-Seenotrettung vor und legt eine realistische Kostenabschätzung vor. Die Botschaft ist klar: Die EU könnte das Sterben im Mittelmeer beenden – wenn der politische Wille vorhanden wäre.

Die Organisationen fordern von der Bundesregierung ein klares Bekenntnis zur Seenotrettung als humanitäre und rechtliche Pflicht. Deutschland soll sich in der EU für ein staatlich koordiniertes, voll finanziertes Rettungsprogramm im Mittelmeer einsetzen. Die Kooperation mit autoritären Regimen wie Tunesien und Libyen im Bereich Grenzschutz muss beendet werden. Tunesien darf angesichts systematischer Gewalt, fehlendem Asylschutz und politischer Repression nicht als sicheres Herkunfts- oder Drittland eingestuft werden.

Das zivile Rettungsschiff SEA-EYE 5 der Regensburger Seenotrettungsorganisation Sea-Eye wurde am Montag, den 16. Juni 2025, von italienischen Behörden im Hafen von Pozzallo festgesetzt.

Die Festsetzung folgte auf einen Einsatz am Samstag (14. Juni), bei dem die Crew der SEA-EYE 5 insgesamt 65 Menschen aus einem überfüllten Schlauchboot in akuter Seenot im zentralen Mittelmeer gerettet hatte – darunter zahlreiche Frauen sowie mehrere teils schwer Verletzte. 

Diese Festsetzung ist ein politisch motivierter Akt und ein schwerwiegender Angriff auf die zivile Seenotrettung. Das Kalkül dahinter: Von kleinen Rettungsschiffen wird mehr verlangt, als sicherheitstechnisch überhaupt vertretbar ist – und wer sich weigert, Menschenleben zu gefährden, wird bestraft,“ erklärt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Sea-Eye wird in drei Punkten beschuldigt:

Missachtung von Anweisungen der Seenotleitung (MRCC Rom):
Der Kapitän habe Informationen nicht vollständig übermittelt und die selektive Übergabe einzelner Personen an die Küstenwache verweigert – mit dem Hinweis, dass alle Menschen an Bord schutzbedürftig sind.

Verzögerter Antrag auf Ausschiffung:
Der SEA-EYE 5 wird vorgeworfen, den Ausschiffungshafen nicht „rechtzeitig und offiziell“ beantragt zu haben. Tatsächlich stand Sea-Eye seit Beginn der Rettung in aktivem Austausch mit mehreren Seenotleitstellen, darunter Bremen und Rom. Jegliche Kommunikation wurde schriftlich dokumentiert und nachgehalten.

Verspätete Weiterfahrt zum Hafen Tarent:
Die SEA-EYE 5 habe ihre Fahrt nach der Zuweisung von Tarent nicht „ohne Verzögerung“ angetreten und über sechs Stunden vor Pozzallo ausgeharrt. Pozzallo wurde der SEA-EYE 5 offiziell als Port of Safety zugewiesen. Dass die SEA-EYE 5 so lange vor dem Hafen warten musste, lag daran, dass die geplante Ausschiffung durch die Seenotleitstelle in Rom gestrichen wurde. Die Anforderungen des Transshipments sowie Anweisung zur Weiterfahrt waren aus Sicht von Sea-Eye nicht mit der Sicherheitslage an Bord sowie den technischen Gegebenheiten des Schiffs vereinbar.

Sea-Eye weist Vorwürfe entschieden zurück

„Die Vorwürfe sind konstruiert, um Rettungseinsätze zu kriminalisieren. Unsere Crew hat jederzeit im Sinne der geretteten Menschen und im Einklang mit dem internationalen Seerecht gehandelt. Die Festsetzung zeigt einmal mehr, dass die italienischen Behörden zivile Rettungsschiffe systematisch verdrängen wollen”, so Isler.

Sea-Eye kündigte an, juristisch gegen die Festsetzung vorzugehen. Die Organisation sieht in der aktuellen Maßnahme eine Fortsetzung der repressiven italienischen Hafenpolitik, die bereits im Fall des zivilen Rettungsschiffs NADIR für internationale Kritik gesorgt hatte.

Die Vorgeschichte: Behördliches Tauziehen um Ausschiffungshafen

Nach der Rettung hatte das italienische MRCC Rom zunächst den 390 Seemeilen entfernten Hafen Tarent als Port of Safety zugewiesen – obwohl diese Distanz nicht mit den technischen Gegebenheiten des Schiffs vereinbar ist und auch die Wasserreserven an Bord nicht für den mehrtägigen Transport derart vieler Personen ausreichen. Erst nach massivem Druck und intensiven Appellen unter Verweis auf internationales Seerecht sowie nachdrücklicher Argumentation lenkte die Seenotleitstelle in Rom in der Nacht ein und wies Sea-Eye den näher gelegenen Hafen Pozzallo auf Sizilien zu.

Am Sonntag erreichte die SEA-EYE 5 gegen 14:00 Uhr schließlich Pozzallo. Bei ihrer Ankunft wurde die Crew darüber informiert, dass anstelle der Ausschiffung aller Geretteten nur noch ein sogenanntes Transshipment gestattet wird. Dafür wurde die Besatzung aufgefordert, schutzbedürftige Personen zu identifizieren und an ein italienisches Patrouillenschiff der Küstenwache zu übergeben. Die übrigen Geretteten sollten weiterhin an Bord bleiben und bis nach Tarent in Apulien gebracht werden.

Während der mehrstündigen Verhandlung musste die Crew erneut eine medizinische Evakuierung anfordern, da sich der Zustand einer schwangeren Frau kontinuierlich verschlechterte. Auch am Vortag wurde ein Antrag auf medizinische Evakuierung für drei Personen gestellt, bewilligt und drei Personen mit schweren Verletzungen an die italienische Küstenwache übergeben. Um 20:30 Uhr erhielt die Besatzung die offizielle Erlaubnis, in den Hafen einzufahren und die Geretteten an Land zu bringen. Gleichzeitig wurde der Antrag auf medizinische Evakuierung bewilligt, sodass die schwangere Frau mit einem Familienmitglied noch vor dem Einlaufen im Hafen an Land gebracht und versorgt werden konnte.  

Nachdem die verbliebenen 60 Personen sicher an Land gebracht worden waren, stellten die italienischen Behörden die SEA-EYE 5 zunächst unter Quarantäne. Erst am Montagabend folgte gegen 18:30 Uhr die offizielle Festsetzung – die erste für das seit Dezember 2024 von Sea-Eye betriebene Schiff.

„Kein Land für Niemand“ hinterfragt die aktuellen Narrative über Flucht und Migration.

Der Film „Kein Land für Niemand – Abschottung eines Einwanderungslandes“ begleitet eine Rettungsmission im Mittelmeer, zeigt die katastrophalen Zustände in Lagern für Geflüchtete und gibt Menschen eine Stimme, die den lebensgefährlichen Weg nach Europa überlebt haben. Gleichzeitig blickt die Dokumentation auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland: Ein erstarkender Rechtspopulismus prägt den Diskurs, Flucht und Migration werden zunehmend kriminalisiert, und humanitäre Hilfe gerät unter Druck. Deutschland gibt hier immer wieder den Takt vor und Europa zieht nach. 

Durch exklusive Interviews mit politischen Entscheidungsträger*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen stellt „Kein Land für Niemand“ die aktuellen Narrative über Flucht und Migration kritisch infrage und beleuchtet die Mechanismen, mit denen Angst und Populismus die politische Agenda bestimmen. Welche Alternativen gibt es zu einem Europa, das sich immer weiter abschottet? Ein Film über eine Krise, die weit mehr ist als eine Debatte über Grenzen – sondern eine über Menschlichkeit, Verantwortung und die Zukunft Europas. 

Das Regie-Duo, bestehend aus Max Ahrens und Maik Lüdemann, lernte sich 2014 im Filmstudium kennen. „Kein Land für Niemand“ ist ihr gemeinsames Langfilm-Debüt. Maik Lüdemann ist Regisseur und Kameramann und drehte für Firmen und gemeinnützige Organisationen prämierte Kino-, TV-, und Social-Media-Werbung. Für seine Dokumentation „Minden Replying“ begab sich Lüdemann 2016 auf einen Rettungseinsatz im Mittelmeer und erlebte das Ausmaß der Katastrophe an Europas Grenzen erstmals hautnah. Max Ahrens ist Autor, Regisseur und Kulturwissenschaftler. Im Rahmen seines Studiums beschäftigte er sich mit den ideologischen, gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhängen rund um das Thema Migration und Flucht und spezialisierte sich auf die Erforschung filmischer Darstellung von Trauma.

„Als wir 2022 mit der Arbeit an dem Film angefangen haben, hatten wir keine Ahnung, was uns in den nächsten drei Jahren bevorstehen würde. Wir wollten andere, hoffnungsvollere und konstruktivere Perspektiven auf das Thema Migration finden, die über wiederkehrende Silvester- und Freibad-Debatten hinausgehen. Dann wurden der Film und wir mitgerissen von einem historischen Rechtsruck. „Kein Land für Niemand“ ist jetzt die Bilanz unserer ziemlich intensiven Reise durch das Zeitgeschehen und dokumentiert die migrationspolitische Wende, die wir gerade erleben. Wir möchten damit zu anderen, komplexeren und menschenfreundlicheren Migrationsdebatten beitragen und solche anregen, die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft für alle machen”, erklären die Regisseure Max Ahrens und Maik Lüdemann.

Die Umsetzung des Films wurde durch ein Förderbündnis ermöglicht, an dem folgende Organisationen beteiligt waren: Sea-Watch, United4Rescue, Pro Asyl, German Doctors, Mennonitisches Hilfswerk und Sea-Eye.


Die Aufführungstermine sowie weitere Informationen finden Sie auf der Website des Films.

Der zugewiesene Hafen in Vibo Valentia liegt über 295 Seemeilen entfernt.

Am Nachmittag des 06. Juni 2025 informierte die Organisation Alarm Phone die zuständigen Behörden und das Rettungsschiff SEA-EYE 5 über einen Seenotfall in der libyschen Sh- und Rettungszone. Gegen 20:00 Uhr erreichte die Besatzung der SEA-EYE 5 das in Seenot befindliche Schlauchboot und evakuierte die 50 Insassen. Trotz der begrenzten Bordkapazitäten des Rettungskreuzers wiesen die italienischen Behörden in der Folge Vibo Valentia als Hafen zu, der sich 295 Seemeilen vom Ort der Rettung entfernt befindet. Diese unverhältnismäßig lange Transitzeit stellt eine akute Belastung für die Gesundheit und Sicherheit aller Menschen an Bord dar. Die Geretteten sitzen unter freiem Himmel auf engstem Raum. An Bord gibt es keine Schlafmöglichkeiten, nur eingeschränkte sanitäre Infrastruktur und lediglich eine Grundversorgung mit Wasser und Lebensmitteln.

„Bereits bei ihrer Rettung waren die meisten Personen durchnässt, dehydriert, seekrank und stark erschöpft. Hinzu kamen mittlere bis schwere Sonnenbrände, Skabies sowie ältere Wunden und Rückenverletzungen. Der Allgemeinzustand verschlechtert sich mit zunehmender Fahrtdauer und wurde insbesondere in der zweiten Nacht wie von uns erwartet zunehmend schwieriger. Wellen schlagen über Bord, die Geretteten kauern sich unter ihren Decken zusammen. Frierend und durchnässt warten sie auf den Sonnenaufgang, der Wärme bringt.“, erklärt Merle Brinkhus, Bordärztin auf der SEA-EYE 5 für German Doctors e.V.  

Aufgrund der sich stetig verschlechternden Lage an Bord bat die SEA-EYE 5 insgesamt vier Mal offiziell bei den zuständigen italienischen Behörden um Erlaubnis, die Geretteten in einem näher gelegenen Hafen an Land zu bringen. Dies wurde abgelehnt. Warum die aufgeführten gesundheitlichen und sicherheitsbedingten Gründe für eine geänderte Hafenzuweisung nicht anerkannt wurden, blieb unbeantwortet. Bei den letzten drei Missionen der SEA-EYE 5 haben die italienischen Behörden stets die humanitäre Situation anerkannt und den jeweiligen Anträgen auf Zuweisung eines näheren Hafens entsprechend stattgegeben.

Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V. betont: „Warum sie sich dieses Mal aktiv dagegen entschieden haben, ist uns unerklärlich. Die SEA-EYE 5 ist als Rettungskreuzer für derartig lange Transitzeiten weder ausgestattet noch geeignet. Mit ihrer Entscheidung, uns keinen näheren Hafen zuzuweisen, nehmen die italienischen Behörden schwerwiegende Gefahren sowohl für die geretteten Personen als auch für unsere Crew billigend in Kauf. Es gibt in Süditalien genug sichere Häfen, die in der Lage sind, Menschen auf der Flucht aufzunehmen.“

Die SEA-EYE 5 wird von Sea-Eye e.V. betrieben, einem Verein, der seit 2015 Rettungsschiffe im Mittelmeer betreibt und über 18.000 Menschen aus Seenot gerettet hat.