Irini-Mandat soll  mit gravierender Änderung verlängert werden

Gestern wurde im Bundestag über das Irini-Mandat gesprochen. In regelmäßigen Abständen wird dieses Mandat überprüft. Vorgesehen ist dabei eine verheerende Textänderung, die es der Bundeswehr zukünftig erlauben würde, die sogenannte libysche Küstenwache auszustatten und auszubilden. In den Mandaten zuvor war aufgrund des Fehlens von Ansprechpartnern ausgesetzt.

Im aktuellen Mandat spielt diese Tatsache keine Rolle mehr. „Die politische Lage in Libyen bleibt bestimmt von einem stockenden politischen Übergangsprozess, vom Konflikt konkurrierender politischer Lager und zunehmend geteilter Institutionen in Ost und West.“ Trotz dieser Einschätzung heißt es zudem in dem neuen Mandatstext „Des Weiteren hilft die Operation den einschlägigen libyschen Einrichtungen, die für die Strafverfolgung sowie für Suche und Rettung auf See zuständig sind, beim Aufbau ihrer Kapazitäten und Schulungen im Bereich der Strafverfolgung auf See, (…)“. Was genau diese Änderungen bedeuten, wird in dem neuen Mandat nicht transparent kommuniziert und auch nicht weiter begründet. 

Die sogenannte libysche Küstenwache verstößt regelmäßig gegen Menschenrechte und wendet schwere Gewalt gegen Menschen auf der Flucht sowie die Crews auf Rettungsschiffen an. Erst in den letzten Wochen wurden vier Rettungsschiffe direkt von der sogenannten libyschen Küstenwache beschossen. Diese Schiffe fahren unter europäischen Flaggen und haben zahlreiche Menschen an Bord. Ein weiterer dramatischer Zwischenfall ereignete sich in dieser Woche mit einem Holzboot, auf dem sich 140 Menschen auf der Flucht befanden. In diesem Fall schossen libysche Milizen gezielt auf die Menschen. Eine Person liegt nun mit einer schweren Schussverletzung im Koma, zwei weitere Personen sind schwer verletzt. 

Durch die Textänderung im Irini-Mandat kann die deutsche Bundeswehr zukünftig Waffen für diese Art von Angriffen an die sogenannte libysche Küstenwache liefern und die Milizen für solche Manöver ausbilden. Bereits jetzt unterstützen zahlreiche europäische Staaten hier aktiv, die Bundesregierung hatte jedoch bisher davon abgesehen. Die Textänderung wäre ein neuer Meilenstein in der brutalen Migrationspolitik der aktuellen Bundesregierung und macht die Arbeit von Seenotretter*innen noch gefährlicher. 

Anna di Bari, Vorstand Sea-Eye, mahnt: „Wenn Europa Gelder freigibt, trägt es aktiv zur Finanzierung von Menschenrechtsverletzungen bei — nun sogar mit einem Blankoscheck aus Deutschland. Menschen verlassen ihr Zuhause, weil sie keine andere Wahl haben; sie setzen sich größten Strapazen und tödlichen Gefahren aus, in der Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit. Und nun scheint Deutschland ausgerechnet jene zu unterstützen, die Schutzsuchende zurückschleppen, foltern, vergewaltigen und sogar töten. Die Bundesregierung muss offenlegen, was sie plant: Bereitet sie tatsächlich die Schulung jener Akteure vor, die auf dem Mittelmeer auf Schutzsuchende schießen? Wir werden nicht zulassen, dass immer mehr europäische Steuergelder in eine menschenverachtende Grenzpolitik fließen.“

Die vorherige Regierung war mit der Streichung der Ausbildung einen ersten Schritt gegangen, um dafür zu sorgen, dass auch gesamteuropäisch diese Aufgabe nicht Teil der Mission ist. Sea-Eye fordert eine Offenlegung der Pläne und einen sofortigen Stopp solcher etwaiger Kooperationen mit libyschen Milizen sowie die Verweigerung der Zustimmung zum Mandat, solange es keine Veränderung im Mandatstext gibt .  

Was ist das Irini-Mandat?

Die Operation EUNAVFOR MED Irini soll die Umsetzung des Waffenembargos gegen Libyen sicherstellen. Das Mandat umfasst jedoch zahlreiche Nebenaufgaben, wie Maßnahmen gegen die illegale Ausfuhr von Erdöl aus Libyen durchzusetzen, die maritime Lage zu illegalen Aktivitäten im Menschenhandel zu erfassen bzw. gegebenenfalls zu zerschlagen und eben nun auch die Unterstützung einschlägiger Institutionen in Libyen.

Wenn Menschenleben zur Verhandlungssache werden: Europas Umgang mit Seenotrettung

Diese Woche hat ein Gericht in Trapani es bestätigt: Die Festsetzung des Rettungsschiffes MEDITERRANEA, betrieben von der italienischen Organisation Mediterranea Saving Humans, ist rechtswidrig. Im August hatte das Rettungsschiff mit zehn geretteten Personen an Bord den sicheren Hafen von Trapani angefahren – und das, obwohl die italienischen Behörden ihnen zuvor Genua zugewiesen hatten. Denn: Die Menschen an Bord mussten dringend medizinisch versorgt werden.

Als Konsequenz hatten die italienischen Behörden das Schiff daraufhin auf Grundlage des sogenannten Piantedosi-Dekrets festgesetzt – ein Instrument, das inzwischen in mindestens zehn Fällen vor Gerichten kassiert wurde. In mehr als doppelt so vielen Verfahren stehen Urteile noch aus.

Anna di Bari, Vorstandsmitglied von Sea-Eye, erklärt: „Systematische Versuche, die zivile Seenotrettung unter Druck zu setzen, sind nichts Neues. Doch die Entscheidungen der Gerichte zeigen klar: Italien missbraucht Recht, um abzuschrecken. Wer Menschen rettet, wird kriminalisiert – wer sie sterben lässt, wird hofiert.“

Daten von Matteo Villa belegen zudem, dass die ehemalige SEA-EYE 4 – inzwischen als MEDITERRANEA im Einsatz – besonders häufig von Kriminalisierung betroffen ist. Ihre hervorragende Eignung zur Rettung von Menschenleben wird ihr dabei zum Nachteil: Durch die Zuweisung weit entfernter Häfen werden ihre Einsätze künstlich eingeschränkt und Rettungskapazitäten reduziert.

Auch wenn die MEDITERRANEA besonders häufig festgesetzt wurde, sind zahlreiche andere zivile Rettungsschiffe ebenfalls betroffen. So wurde etwa die Geo Barents von Ärzte ohne Grenzen bereits viermal festgesetzt – in zwei Fällen laufen noch Verfahren zur Klärung der Rechtmäßigkeit. Auch Organisationen wie Sea-Watch und Sea-Eye sind wiederholt betroffen. Das zeigt, wie systematisch diese Festsetzungen erfolgen – und wie gezielt die Rettung von Menschen im Mittelmeer behindert oder verhindert wird. Mit dem aktuellen Urteil wird erneut deutlich, wie oft diese Maßnahmen rechtswidrig erfolgen.

Über das Piantedosi-Dekret

Das Jahr 2022: Beginn des restriktiven Kurswechsels durch das Piantedosi-Dekret:
Bei einem Einsatz im Juni 2022 rettet die Crew der SEA-EYE 4 rund 500 Menschen. Während dieses Einsatzes  wurden die ersten Anzeichen eines politischen Kurswechsels in Italien spürbar: Im Dezember desselben Jahres erfolgte erstmals eine direkte Hafenzuweisung durch die italienischen Behörden noch während eines laufenden Rettungseinsatzes – eine Vorahnung auf das, was das Piantedosi-Dekret mit sich bringen würde. Es verpflichtet Seenotrettungsschiffe dazu, nach einer einzelnen Rettung sofort einen – oft weit entfernten – zugewiesenen Hafen anzulaufen, anstatt weitere Rettungen durchzuführen. Bei Zuwiderhandlung drohen hohe Geldstrafen und Schiffsbeschlagnahmungen. Eine Zäsur, die die zivile Seenotrettung stark behindert.