Wenn Menschenleben zur Verhandlungssache werden: Europas Umgang mit Seenotrettung

Diese Woche hat ein Gericht in Trapani es bestätigt: Die Festsetzung des Rettungsschiffes MEDITERRANEA, betrieben von der italienischen Organisation Mediterranea Saving Humans, ist rechtswidrig. Im August hatte das Rettungsschiff mit zehn geretteten Personen an Bord den sicheren Hafen von Trapani angefahren – und das, obwohl die italienischen Behörden ihnen zuvor Genua zugewiesen hatten. Denn: Die Menschen an Bord mussten dringend medizinisch versorgt werden.

Als Konsequenz hatten die italienischen Behörden das Schiff daraufhin auf Grundlage des sogenannten Piantedosi-Dekrets festgesetzt – ein Instrument, das inzwischen in mindestens zehn Fällen vor Gerichten kassiert wurde. In mehr als doppelt so vielen Verfahren stehen Urteile noch aus.

Anna di Bari, Vorstandsmitglied von Sea-Eye, erklärt: „Systematische Versuche, die zivile Seenotrettung unter Druck zu setzen, sind nichts Neues. Doch die Entscheidungen der Gerichte zeigen klar: Italien missbraucht Recht, um abzuschrecken. Wer Menschen rettet, wird kriminalisiert – wer sie sterben lässt, wird hofiert.“

Daten von Matteo Villa belegen zudem, dass die ehemalige SEA-EYE 4 – inzwischen als MEDITERRANEA im Einsatz – besonders häufig von Kriminalisierung betroffen ist. Ihre hervorragende Eignung zur Rettung von Menschenleben wird ihr dabei zum Nachteil: Durch die Zuweisung weit entfernter Häfen werden ihre Einsätze künstlich eingeschränkt und Rettungskapazitäten reduziert.

Auch wenn die MEDITERRANEA besonders häufig festgesetzt wurde, sind zahlreiche andere zivile Rettungsschiffe ebenfalls betroffen. So wurde etwa die Geo Barents von Ärzte ohne Grenzen bereits viermal festgesetzt – in zwei Fällen laufen noch Verfahren zur Klärung der Rechtmäßigkeit. Auch Organisationen wie Sea-Watch und Sea-Eye sind wiederholt betroffen. Das zeigt, wie systematisch diese Festsetzungen erfolgen – und wie gezielt die Rettung von Menschen im Mittelmeer behindert oder verhindert wird. Mit dem aktuellen Urteil wird erneut deutlich, wie oft diese Maßnahmen rechtswidrig erfolgen.

Über das Piantedosi-Dekret

Das Jahr 2022: Beginn des restriktiven Kurswechsels durch das Piantedosi-Dekret:
Bei einem Einsatz im Juni 2022 rettet die Crew der SEA-EYE 4 rund 500 Menschen. Während dieses Einsatzes  wurden die ersten Anzeichen eines politischen Kurswechsels in Italien spürbar: Im Dezember desselben Jahres erfolgte erstmals eine direkte Hafenzuweisung durch die italienischen Behörden noch während eines laufenden Rettungseinsatzes – eine Vorahnung auf das, was das Piantedosi-Dekret mit sich bringen würde. Es verpflichtet Seenotrettungsschiffe dazu, nach einer einzelnen Rettung sofort einen – oft weit entfernten – zugewiesenen Hafen anzulaufen, anstatt weitere Rettungen durchzuführen. Bei Zuwiderhandlung drohen hohe Geldstrafen und Schiffsbeschlagnahmungen. Eine Zäsur, die die zivile Seenotrettung stark behindert.