Die Justice Fleet stellt sich gegen die EU-finanzierte Gewalt auf See

Nach Jahren zunehmender Menschenrechtsverletzungen durch die sogenannte libysche Küstenwache im Mittelmeer, zieht Sea-Eye gemeinsam mit 12 weiteren Seenotrettungsorganisationen eine entschlossene Konsequenz: Wir gründen ein neues Bündnis. Geschlossen stellen wir unsere operative Kommunikation mit der sogenannten Seenotrettungsleitstelle in Tripolis, Libyen, ein. Mit diesem Schritt weisen wir den wachsenden Druck der EU und des Mitgliedsstaats Italien zurück, mit der sogenannten libyschen Küstenwache zu kommunizieren – einer Akteurin, die laut einem neuen Bericht in den vergangenen zehn Jahren über 60 brutale Gewalttaten verübt hat.

Am 5. November 2025 gaben 13 Seenotrettungsorganisationen, darunter auch Sea-Eye, in Brüssel die Gründung der Justice Fleet bekannt – gemeinsam mit dem European Center for Constitutional and Human Rights und der Organisation Refugees in Libya. Wir wollen Menschenrechte und das internationale Seerecht konsequent wahren. Deshalb stellen wir uns gegen den Zwang europäischer Staaten, mit gewalttätigen Akteuren auf See zu kommunizieren. Als rechtlich fundierte Reaktion hat das Bündnis beschlossen, die operative Kommunikation mit der Seenotrettungsleitstelle Libyens zu beenden.

Anna di Bari, Vorständin von Sea-Eye, betont: “Die Justice Fleet zeigt, dass mit uns zu rechnen ist. Während eine Legitimierung von Menschenrechtsverletzungen durch die EU und ihre Mitgliedsstaaten stattfindet, setzen wir dem etwas entgegen. Wir sind handlungsfähig – besonders auf dem Wasser. Wir kommunizieren nicht mit denen, die auf Schutzsuchende und NGOs schießen und Sicherheit massiv angreifen.

Die Justice Fleet bündelt rechtliche, politische und öffentliche Strategien. Sie verteidigt Schutzsuchende sowie Seenotrettungsoperationen gegen illegale Push- und Pullbacks sowie staatliche Repression. Abschiebungen nach Libyen verstoßen auf See gegen internationales Recht. Das wurde wiederholt von zahlreichen Europäischen Gerichten – in Italien bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – bestätigt. Auf der neu veröffentlichten Website ist eine umfassende Übersicht zu extremen Gewalttaten der sogenannten libyschen Küstenwache sowie die erste Zusammenstellung gewonnener Gerichtsverfahren von Seenotrettungsorganisationen seit 2023 zu finden.

Alle Bündnispartner aus Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien: CompassCollective, Louise Michel, Mediterranea Saving Humans, Mission Lifeline, Pilotes Volontaires, RESQSHIP, r42 – sail and rescue, Sea-Eye, Sea Punks, Sea-Watch, Salvamenti Maritimo Humanitario, SOS-Humanity and TOM

Gerettete müssen trotz kritischem Gesundheitszustand tagelang auf Ausschiffung warten – Sea-Eye kritisiert unmenschliche Hafenpolitik Italiens

Am Freitagabend erreichte die Crew der SEA-EYE 5 ein Notruf von Alarm Phone,  einer zivilen Notrufnummer um Unterstützung und Rettung zu organisieren. Gegen 3:30 Uhr morgens konnten sie das Holzboot nach langer Suche in der Dunkelheit schließlich lokalisieren. Zu diesem Zeitpunkt drang bereits Wasser in das überfüllte Boot.

Am frühen Samstagmorgen konnte die Besatzung des Rettungsschiffs SEA-EYE 5 alle 57 Menschen aus akuter Seenot retten und sicher an Bord bringen. Die Schutzsuchenden waren bereits seit mehreren Tagen auf offener See, ohne Nahrung und Wasser. Medizinische Versorgung war notwendig und die Lage an Bord wurde durch schlechte Wetterbedingungen zusätzlich erschwert. Trotzdem wiesen die italienischen Behörden der SEA-EYE 5 den weit entfernten sicheren Hafen von Crotone zu.

Die medizinische Situation nach der nächtlichen Rettung war sehr kritisch. Die 57 Personen waren tagelang unterwegs, ohne Essen und Trinken. Viele waren dehydriert, litten an sogenannten Fuel Burns – chemischen Verbrennungen durch eine Mischung aus Benzin und Salzwasser – und unter extremer Seekrankheit. Trotz sofortiger Behandlung blieb ihr Zustand kritisch. Aus medizinischer Sicht war die Situation lebensbedrohlich,“ hebt  Dr. Christin Linderkamp von German Doctors hervor, die die medizinische Versorgung auf der SEA-EYE 5 leitet.

Aufgrund der kritischen Lage an Bord, hat die Crew zweimal bei den italienischen Behörden die Zuweisung eines näheren sicheren Hafen angefragt –  beide Anträge wurden abgelehnt und die Menschen an Bord mussten weitere 50 Stunden Fahrt ausharren, in denen sie unnötig lange weiteren körperlichen und mentalen Strapazen ausgesetzt waren. 

Gestern Morgen konnten schließlich alle 57 geretteten Personen sicher in Crotone an Land gehen. Von einem Happy End ist jedoch nicht zu sprechen, wie Kai Echelmeyer, Deck Manager der aktuellen Mission auf der SEA-EYE 5 und Vorstandsmitglied von Sea-Eye betont:

Nach einer unnötig langen und riskanten Fahrt zu einem weit entfernten Hafen wurden wir bei unserer Ankunft von Frontex und der Küstenwache mit offener Ablehnung empfangen. Für uns ist es unerträglich zu sehen, dass Menschen, die gerade vor dem Ertrinken gerettet wurden, in Europa auf Misstrauen und Kälte stoßen. Auch wenn wir dankbar sind, sie in Sicherheit gebracht zu haben, bleibt das Gefühl, sie in ein feindseliges Umfeld übergeben zu müssen. Dieser Umgang mit Schutzsuchenden ist zutiefst unmenschlich.”

Sea-Eye kritisiert erneut die Praxis europäischer Behörden, zivilen Rettungsschiffen weit entfernte Häfen zuzuweisen. Diese Verzögerungen gefährden das Leben der Geretteten und stellen eine zusätzliche Belastung für Crews und medizinisches Personal dar.

Irini-Mandat soll  mit gravierender Änderung verlängert werden

Gestern wurde im Bundestag über das Irini-Mandat gesprochen. In regelmäßigen Abständen wird dieses Mandat überprüft. Vorgesehen ist dabei eine verheerende Textänderung, die es der Bundeswehr zukünftig erlauben würde, die sogenannte libysche Küstenwache auszustatten und auszubilden. In den Mandaten zuvor war aufgrund des Fehlens von Ansprechpartnern ausgesetzt.

Im aktuellen Mandat spielt diese Tatsache keine Rolle mehr. „Die politische Lage in Libyen bleibt bestimmt von einem stockenden politischen Übergangsprozess, vom Konflikt konkurrierender politischer Lager und zunehmend geteilter Institutionen in Ost und West.“ Trotz dieser Einschätzung heißt es zudem in dem neuen Mandatstext „Des Weiteren hilft die Operation den einschlägigen libyschen Einrichtungen, die für die Strafverfolgung sowie für Suche und Rettung auf See zuständig sind, beim Aufbau ihrer Kapazitäten und Schulungen im Bereich der Strafverfolgung auf See, (…)“. Was genau diese Änderungen bedeuten, wird in dem neuen Mandat nicht transparent kommuniziert und auch nicht weiter begründet. 

Die sogenannte libysche Küstenwache verstößt regelmäßig gegen Menschenrechte und wendet schwere Gewalt gegen Menschen auf der Flucht sowie die Crews auf Rettungsschiffen an. Erst in den letzten Wochen wurden vier Rettungsschiffe direkt von der sogenannten libyschen Küstenwache beschossen. Diese Schiffe fahren unter europäischen Flaggen und haben zahlreiche Menschen an Bord. Ein weiterer dramatischer Zwischenfall ereignete sich in dieser Woche mit einem Holzboot, auf dem sich 140 Menschen auf der Flucht befanden. In diesem Fall schossen libysche Milizen gezielt auf die Menschen. Eine Person liegt nun mit einer schweren Schussverletzung im Koma, zwei weitere Personen sind schwer verletzt. 

Durch die Textänderung im Irini-Mandat kann die deutsche Bundeswehr zukünftig Waffen für diese Art von Angriffen an die sogenannte libysche Küstenwache liefern und die Milizen für solche Manöver ausbilden. Bereits jetzt unterstützen zahlreiche europäische Staaten hier aktiv, die Bundesregierung hatte jedoch bisher davon abgesehen. Die Textänderung wäre ein neuer Meilenstein in der brutalen Migrationspolitik der aktuellen Bundesregierung und macht die Arbeit von Seenotretter*innen noch gefährlicher. 

Anna di Bari, Vorstand Sea-Eye, mahnt: „Wenn Europa Gelder freigibt, trägt es aktiv zur Finanzierung von Menschenrechtsverletzungen bei — nun sogar mit einem Blankoscheck aus Deutschland. Menschen verlassen ihr Zuhause, weil sie keine andere Wahl haben; sie setzen sich größten Strapazen und tödlichen Gefahren aus, in der Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit. Und nun scheint Deutschland ausgerechnet jene zu unterstützen, die Schutzsuchende zurückschleppen, foltern, vergewaltigen und sogar töten. Die Bundesregierung muss offenlegen, was sie plant: Bereitet sie tatsächlich die Schulung jener Akteure vor, die auf dem Mittelmeer auf Schutzsuchende schießen? Wir werden nicht zulassen, dass immer mehr europäische Steuergelder in eine menschenverachtende Grenzpolitik fließen.“

Die vorherige Regierung war mit der Streichung der Ausbildung einen ersten Schritt gegangen, um dafür zu sorgen, dass auch gesamteuropäisch diese Aufgabe nicht Teil der Mission ist. Sea-Eye fordert eine Offenlegung der Pläne und einen sofortigen Stopp solcher etwaiger Kooperationen mit libyschen Milizen sowie die Verweigerung der Zustimmung zum Mandat, solange es keine Veränderung im Mandatstext gibt .  

Was ist das Irini-Mandat?

Die Operation EUNAVFOR MED Irini soll die Umsetzung des Waffenembargos gegen Libyen sicherstellen. Das Mandat umfasst jedoch zahlreiche Nebenaufgaben, wie Maßnahmen gegen die illegale Ausfuhr von Erdöl aus Libyen durchzusetzen, die maritime Lage zu illegalen Aktivitäten im Menschenhandel zu erfassen bzw. gegebenenfalls zu zerschlagen und eben nun auch die Unterstützung einschlägiger Institutionen in Libyen.

Wenn Menschenleben zur Verhandlungssache werden: Europas Umgang mit Seenotrettung

Diese Woche hat ein Gericht in Trapani es bestätigt: Die Festsetzung des Rettungsschiffes MEDITERRANEA, betrieben von der italienischen Organisation Mediterranea Saving Humans, ist rechtswidrig. Im August hatte das Rettungsschiff mit zehn geretteten Personen an Bord den sicheren Hafen von Trapani angefahren – und das, obwohl die italienischen Behörden ihnen zuvor Genua zugewiesen hatten. Denn: Die Menschen an Bord mussten dringend medizinisch versorgt werden.

Als Konsequenz hatten die italienischen Behörden das Schiff daraufhin auf Grundlage des sogenannten Piantedosi-Dekrets festgesetzt – ein Instrument, das inzwischen in mindestens zehn Fällen vor Gerichten kassiert wurde. In mehr als doppelt so vielen Verfahren stehen Urteile noch aus.

Anna di Bari, Vorstandsmitglied von Sea-Eye, erklärt: „Systematische Versuche, die zivile Seenotrettung unter Druck zu setzen, sind nichts Neues. Doch die Entscheidungen der Gerichte zeigen klar: Italien missbraucht Recht, um abzuschrecken. Wer Menschen rettet, wird kriminalisiert – wer sie sterben lässt, wird hofiert.“

Daten von Matteo Villa belegen zudem, dass die ehemalige SEA-EYE 4 – inzwischen als MEDITERRANEA im Einsatz – besonders häufig von Kriminalisierung betroffen ist. Ihre hervorragende Eignung zur Rettung von Menschenleben wird ihr dabei zum Nachteil: Durch die Zuweisung weit entfernter Häfen werden ihre Einsätze künstlich eingeschränkt und Rettungskapazitäten reduziert.

Auch wenn die MEDITERRANEA besonders häufig festgesetzt wurde, sind zahlreiche andere zivile Rettungsschiffe ebenfalls betroffen. So wurde etwa die Geo Barents von Ärzte ohne Grenzen bereits viermal festgesetzt – in zwei Fällen laufen noch Verfahren zur Klärung der Rechtmäßigkeit. Auch Organisationen wie Sea-Watch und Sea-Eye sind wiederholt betroffen. Das zeigt, wie systematisch diese Festsetzungen erfolgen – und wie gezielt die Rettung von Menschen im Mittelmeer behindert oder verhindert wird. Mit dem aktuellen Urteil wird erneut deutlich, wie oft diese Maßnahmen rechtswidrig erfolgen.

Über das Piantedosi-Dekret

Das Jahr 2022: Beginn des restriktiven Kurswechsels durch das Piantedosi-Dekret:
Bei einem Einsatz im Juni 2022 rettet die Crew der SEA-EYE 4 rund 500 Menschen. Während dieses Einsatzes  wurden die ersten Anzeichen eines politischen Kurswechsels in Italien spürbar: Im Dezember desselben Jahres erfolgte erstmals eine direkte Hafenzuweisung durch die italienischen Behörden noch während eines laufenden Rettungseinsatzes – eine Vorahnung auf das, was das Piantedosi-Dekret mit sich bringen würde. Es verpflichtet Seenotrettungsschiffe dazu, nach einer einzelnen Rettung sofort einen – oft weit entfernten – zugewiesenen Hafen anzulaufen, anstatt weitere Rettungen durchzuführen. Bei Zuwiderhandlung drohen hohe Geldstrafen und Schiffsbeschlagnahmungen. Eine Zäsur, die die zivile Seenotrettung stark behindert.

Seenotrettung wird erneut zum Spielball der Symbolpolitik

Am gestrigen Donnerstag ist der Regensburger Stadtrat zusammengekommen, um über den Nachtragshaushalt 2025 zu entscheiden. In einer zweistündigen Debatte darüber, hatte die CSU die Oberbürgermeisterin offen unter Druck gesetzt: Ohne Streichung der Mittel für Sea-Eye, einer zivilen Regensburger Seenotrettungsorganisation, würde sie dem Nachtragshaushalt nicht zustimmen. Gertrud Maltz-Schwarzfischer willigte schließlich ein. 

Noch im Juli hatte der Regensburger Stadtrat ein klares Zeichen der Solidarität gesetzt und eine Patenschaft für das Rettungsschiff SEA-EYE 5 übernommen. Die Stadt wollte im Rahmen der dazugehörigen Spendenaktion ‘Regensburg Rettet’ Spenden von Bürger*innen bis zu einer Höhe von 30.000 Euro verdoppeln. Das entspricht 0,002% des Regensburger Haushalts. Die aufgeladene Auseinandersetzung im Stadtrat zeigt, wie politisch umkämpft die Solidarität für geflüchtete Menschen aktuell ist. 

Die Streichung der Mittel für Sea-Eye sorgte im Stadtrat parteiübergreifend für Kritik. Theresa Eberlein (Grüne) brachte Ihre Enttäuschung und Fassungslosigkeit zum Ausdruck, Kerstin Radler (Freie Wähler) sagte, der Schritt tue ihr weh. Joachim Wolbergs (Brücke) nannte die Entscheidung ein „Scheiß-Signal“. Lob erhielt die CSU dafür allein von der AfD. 

Dass CSU Stadtrat Josef Zimmermann es uns abspricht, verantwortlich dafür zu sein, europäische Probleme zu lösen, nachdem wir seit zehn Jahren eine Lücke füllen, die europäische Regierungen bewusst geschaffen haben, ist eine absolute Demütigung und eine Verkennung der Realität. Dank dem großen zivilgesellschaftlichen Rückhalt aus Kommunen, Kirchen und der breiten Zivilgesellschaft konnten wir seit 2015 mehr als 18.000 Menschenleben retten. Gerade aus unserer Heimatstadt Regensburg erhalten wir dafür ganz viel Wertschätzung und Unterstützung. Das perfide Machtspiel der CSU ist ein Schlag ins Gesicht. Wir verurteilen diese Symbolpolitik auf dem Rücken der Menschen, die unsere Hilfe am aller dringendsten brauchen. Wer dieses Engagement kleinredet, schwächt die Zivilgesellschaft und ignoriert die Realität, dass Menschen in Seenot ohne Hilfe sterben.“, mahnt Gorden Isler, Vorstand von Sea-Eye e. V.

Die Entscheidung bedeutet jedoch nicht das endgültige Aus der Förderung. Die Oberbürgermeisterin stellte klar, dass die Mittel im Haushalt 2026 eingeplant werden sollen, da die städtische Spendenverdoppelung ohnehin erst nach Abschluss der Aktion zum 31. Dezember 2025 relevant wird. Damit bleibt der Mehrheitsbeschluss des Stadtrates zur Unterstützung von Sea-Eye bestehen.

Isler betont ausdrücklich sein Vertrauen in die Oberbürgermeisterin: „Gertrud Maltz-Schwarzfischer hat sich von Beginn an für die Patenschaft der Stadt eingesetzt und die Schirmherrschaft für unser Schiff übernommen. Sie hat auch gestern im Stadtrat betont, dass die Förderung nicht gestrichen, sondern lediglich verschoben wird. Wir vertrauen deshalb darauf, dass die Zusage der Stadt Regensburg eingehalten wird. Wir kämpfen weiter um unsere lokale Verankerung in der Gesellschaft unserer Gründungsstadt.


Sea-Eye kündigt deshalb an, die Spendenaktion fortzuführen.

40-stündige Transitfahrt bei 33 Grad belastet Gesundheit der Geretteten schwer

In der Nacht von Samstag auf Sonntag reagierte die Besatzung der SEA-EYE 5 gegen 3:00 Uhr auf einen Notruf der Organisation Alarm Phone und konnte 43 Menschen aus akuter Lebensgefahr retten. Wenige Stunden später, gegen 6:00 Uhr, sichtete die Crew ein weiteres seeuntüchtiges Boot mit neun Personen, die ebenfalls sicher an Bord des Rettungskreuzers genommen werden konnten.

Unter den insgesamt 52 geretteten Personen befinden sich drei Babys sowie zwei schwangere Frauen. Der Rettungskreuzer ist aktuell auf dem Weg in den von den italienischen Behörden zugewiesenen sicheren Hafen Brindisi.

„Die Menschen an Bord haben bereits große Strapazen hinter sich“, berichtet Einsatzarzt Dr. Giovanni Cappa von German Doctors, der die medizinische Versorgung auf der SEA-EYE 5 leitet. „Die extreme Hitze und der Wellengang sind eine große Zumutung, insbesondere für die Babys und die schwangeren Frauen. Es wäre so einfach, ihr Leid zu verringern, indem wir so schnell wie möglich einen näher gelegenen sicheren Hafen ansteuern dürften.“

Die SEA-EYE 5 ist für akute Rettungen, jedoch nicht für lange Transitwege ausgelegt.Zudem werden die Trinkwasservorräte zunehmend knapper. Die Crew der SEA-EYE 5 hat bereits zweimal bei den italienischen Behörden um die Zuweisung eines näher gelegenen Hafens gebeten – beide Anfragen blieben jedoch ohne Erfolg.

Gorden Isler, Vorstandsvorsitzender von Sea-Eye e. V., erklärt: „Diese Menschen haben bereits das Unvorstellbare erlebt. Nun zwingt man sie, unter extrem belastenden Bedingungen unnötig lange auf die Ausschiffung zu warten – das sind ekelhafte politische Machtspielchen und ein inhumanes und absolut inakzeptables Verhalten, das auf dem Rücken von Menschen ausgetragen wird, die bereits alles zurücklassen mussten in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft – wohl wissend, dass der Versuch sie das Leben kosten könnte.“

Trotz massiver Kritik aus Zivilgesellschaft und Politik hat der Haushaltsausschuss des Bundestages in seiner gestrigen Bereinigungssitzung entschieden, die Fördermittel für die zivile Seenotrettung vollständig zu streichen. Damit entfällt die bisherige Unterstützung in Höhe von zwei Millionen Euro pro Jahr, mit der seit 2022 humanitäre Rettungseinsätze im Mittelmeer gefördert wurden. Zwischen Oktober 2023 und Februar 2025 konnten durch staatlich unterstützte Missionen von Sea-Eye zusätzlich 747 Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden. Die ersatzlose Streichung dieser Mittel wird konkrete Auswirkungen auf Rettungseinsätze und die Überlebenschancen von Menschen in Seenot haben.

„Diese Entscheidung ist ein politischer Offenbarungseid – und ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, die sich seit nunmehr 10 Jahren in der zivilen Seenotrettung engagieren. Diesen Beschluss werden schutzsuchende Menschen mit dem Leben bezahlen, wenn weniger Rettungseinsätze von Organisationen wie Sea-Eye geplant und finanziert werden können. So wird die Flucht über das Mittelmeer nur noch gefährlicher“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V. „Wir werden nicht aufgeben. Während es dieser Bundesregierung genügt, die Toten zu zählen, werden wir weiter Menschenleben retten.“

Sea-Eye und Campact hatten am Morgen vor der Entscheidung gegen die geplanten Kürzungen protestiert und eine Petition mit 93.724 Unterschriften an Britta Haßelmann und Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen) übergeben. Doch der Protest blieb ungehört.

„Dass die Bundesregierung genau in dem Moment die Mittel streicht, in dem Seenotrettungsorganisationen massiv kriminalisiert und blockiert werden, ist kein Zufall – es ist eine politische Entscheidung mit tödlichen Konsequenzen“, kritisiert Gorden Isler. 

Trotz der finanziellen Streichung kündigt Sea-Eye an, die Rettungseinsätze fortzusetzen – unterstützt von der Zivilgesellschaft:

„Wir danken den zehntausenden Menschen, die sich mit uns gegen diese Politik der Abschottung stellen. Es ist ihr Rückhalt, der uns trägt. Und so lange wir die Möglichkeit haben, werden wir weiter retten – denn jedes gerettete Leben zählt”,  macht Gorden Isler deutlich.

Sea-Eye und WeAct übergeben Petition mit 93.724 Unterschriften – die Bundesregierung schweigt, Grüne sichern Unterstützung zu

Anlässlich der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses protestiert die zivile Seenotrettungsorganisation Sea-Eye gemeinsam mit Campact gegen das drohende Aus der staatlichen Förderung der zivilen Seenotrettung. Die Streichung von 2 Millionen Euro jährlich trifft auf breiten Protest aus Zivilgesellschaft und Politik: Sea-Eye übergab am Morgen eine WeAct-Petition mit rund 94.000 Unterschriften an Britta Haßelmann und Ricarda Lang (Bündnis 90/die Grünen) vor dem Reichstagsgebäude. Bundeskanzler Merz (CDU), Außenminister Wadephul (CDU) und Finanzminister Klingbeil (SPD), die Adressaten der Petition, blieben eine Reaktion bislang schuldig.

„Mit unserer Protestaktion heute wollen wir ganz klar zeigen, dass die Bundesregierung ihren moralischen Kompass verloren hat“, sagt Kai Echelmeyer, Vorstandsmitglied von Sea-Eye e.V. „Statt Menschenrechte zu schützen und Verantwortung zu übernehmen, streicht sie Lebensrettung aus dem Haushalt. Das ist nicht nur ein fatales politisches Signal, sondern eine humanitäre Bankrotterklärung.“

Seit Bekanntwerden der Kürzungspläne Ende Juni regt sich massiver Widerstand gegen die Streichung der Mittel. Sea-Eye und Unterstützer*innen mobilisierten innerhalb kürzester Zeit zehntausende Menschen – unter anderem wurden über 7.000 persönliche E-Mails an Bundestagsabgeordnete verschickt. Adressatin war hierbei vor allem die SPD, die sich auf ihrem letzten Parteitag zur Unterstützung der zivilen Seenotrettung bekannt hatte. Zwölf SPD-Abgeordnete appellierten daraufhin in einem offenen Brief an Außenminister Wadephul, die Kürzung im Einzelplan 05 des Auswärtigen Amts zu überdenken. Ohne die Bundesmittel könnten Einsätze ausfallen – die Folge: mehr Tote im Mittelmeer.

“Dabei ist der Betrag, der bisher [für die zivile Seenotrettung] vorgesehen war, so klein, dass es hier nicht um Haushaltskonsolidierung und Sparmaßnahmen geht, was ja schon schlimm genug wäre, sondern darum, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern und einen grundsätzlich migrationsfeindlichen Kurs durchzusetzen […]. Diesen Kurs gehen wir nicht mit,” stellt Ricarda Lang (Bündnis 90/die Grünen) klar.

Britta Haßelmann (Bündnis 90/die Grünen) unterstreicht: „Zivile Seenotrettung muss finanziert werden. Es ist ein wirklich kleiner Beitrag in diesem großen Bundeshaushalt. […] Deshalb gehen wir mit einer Antragsinitiative von Bündnis 90/Die Grünen, die zivile Seenotrettung weiter zu finanzieren, in die Haushaltsplanung rein. Eigentlich wäre es staatliche Verantwortung und Aufgabe, Menschen aus dem Meer zu retten.” 

Erstmals unterstützte die Bundesregierung ab 2022 die humanitäre Arbeit ziviler Seenotrettungsorganisationen mit jährlich 2 Millionen Euro. Diese finanzielle Unterstützung hat für Organisationen wie Sea-Eye zusätzliche Missionen ermöglicht und ganz konkret Menschenleben gerettet. Die Streichung dieser Mittel wirkt sich direkt auf Rettungseinsätze und die Überlebenschancen von Menschen in Seenot aus. Die Entscheidung des Haushaltsausschusses wird im Laufe der Bereinigungssitzung erwartet.

Zehn Jahre nach dem Tod von Alan Kurdi zwingt der Mangel an sicheren Fluchtwegen Menschen bis heute zur Flucht über das Mittelmeer

Am Sonntagmorgen gegen 9 Uhr erreichte die Besatzung der SEA-EYE 5 einen Seenotfall, den die Organisation Alarm Phone gemeldet hatte. Innerhalb weniger Stunden konnte die Crew 144 Personen retten, die tagelang auf einem seeuntüchtigen Holzboot im Meer getrieben waren.

 Dr. Giovanni Cappa, Einsatzarzt von German Doctors an Bord der SEA-EYE 5, berichtet:

„Einige der Menschen an Bord waren dehydriert und unterernährt. Unter den Geretteten befand sich auch eine schwangere Frau. Der Zustand mehrerer Menschen war kritisch und erforderte sofortige medizinische Hilfe. Dies war eine Herausforderung für die gesamte Besatzung, die sich um die Versorgung kümmern und gleichzeitig eine so große Anzahl von Menschen in Not betreuen musste.“

Der kritische Zustand zweier Personen erforderte eine medizinische Evakuierung. Die beiden medizinischen Notfälle wurden gemeinsam mit 51 weiteren Personen südlich von Lampedusa von einem Schiff der italienischen Küstenwache übernommen.

Die SEA-EYE 5 wurde nach dem Einsatz von den italienischen Behörden angewiesen, die verbleibenden rund 100 Personen zum etwa 40 Stunden entfernten Hafen von Tarent zu bringen. Da der Rettungskreuzer nicht für einen Transfer einer derart großen Menge an Menschen über eine so weite Distanz ausgelegt ist, hat die Crew wiederholt bei den italienischen Behörden darum gebeten, einen nähergelegenen Hafen ansteuern zu dürfen – vergeblich. 

„Obwohl wir sie fortwährend unterstützen, sind die Menschen an Bord gezwungen, aufgrund des weit entfernten Ausschiffungshafens über einen längeren Zeitraum hinweg extreme Temperaturen auf dem Deck und sehr beengte Platzverhältnisse zu ertragen. Unter diesen Bedingungen kann sich ihr Gesundheitszustand nur verschlechtern,“ mahnt Dr. Giovanni Cappa.

Die italienische Seenotrettungsleitstelle schickte am späten Montagnachmittag ein Marineschiff, das die SEA-EYE 5 nach Tarent eskortieren soll.

„Morgen ist der zehnte Todestag von Alan Kurdi, seinem Bruder Ghalib und seiner Mutter Rehanna. Es ist beschämend, dass wir zehn Jahre später immer noch keine legalen Fluchtwege geschaffen haben, sondern Menschen auch im Jahr 2025 immer noch gezwungen sind, lebensgefährliche Fluchten über das zentrale Mittelmeer auf sich zu nehmen. Europäische Regierungen haben nicht nur versäumt, eine staatliche Seenotrettung aufzubauen, sondern behindern zudem aktiv die Arbeit der zivilen Helfer*innen. Dass sie sich dabei besonders kreative Schikanen überlegen, die dazu führen, dass die geretteten Menschen, nach allem, was sie durchgemacht haben, weiterem Stress und gesundheitsgefährdenden Strapazen ausgesetzt werden, ist einfach perfide,“ sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Der Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 und das durch die Reaktion Israels eskalierende, unermessliche menschliche Leid, sind ein fundamentaler Angriff auf das humanitäre Völkerrecht. Es ist das Rückgrat des Schutzes der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten – es gilt immer, überall und für alle. Es ist nicht verhandelbar, nicht relativierbar, nicht teilbar. Deshalb appelliert Sea-Eye e.V. an alle Seiten, das humanitäre Völkerrecht ausnahmslos zu achten.

Die Hamas muss alle noch in ihrer Gewalt befindlichen Geiseln menschenwürdig behandeln und bedingungslos freilassen. Die Kollektivbestrafung der Bevölkerung von Gaza durch Zwangsvertreibung, Hunger oder Blockade durch die israelische Regierung muss sofort enden. Die gezielte Verletzung humanitärer Schutzregeln ist ein Angriff auf die Grundprinzipien der Menschlichkeit – und unter keinen Umständen zu rechtfertigen.

Sea-Eye schließt sich daher uneingeschränkt der Erklärung der 111 humanitären Organisationen an und unterstützt die Resolution von Ärzte ohne Grenzen, die einen sofortigen Waffenstillstand sowie den freien Zugang von Hilfsgütern auf dem Landweg unter UN-Koordination fordert.