Zum zehnjährigen Bestehen ziviler Seenotrettung im zentralen Mittelmeer zogen United4Rescue, Sea-Watch, Sea-Eye und SOS Humanity auf einer Pressekonferenz Bilanz – und forderten ein Ende der politischen Blockaden von Rettungseinsätzen.

Seit 2015 leistet zivile Seenotrettung unmittelbare Hilfe im zentralen Mittelmeer. Bis April 2025 waren zivile Schiffe an der Rettung von 175.595 Menschen beteiligt – trotz wachsender politischer und bürokratischer Schikanen. Europäische Staaten und die EU setzen weiterhin auf Abschottung statt Schutz und missachten dabei internationales Recht. So führte etwa das italienische “Piantedosi-Dekret” seit Januar 2023 zur Festsetzung ziviler Schiffe in 28 Fällen – insgesamt 680 Tage lang.

„Zehn Jahre zivile Seenotrettung bedeuten zehn Jahre Ignoranz und Wegschauen der Politik. Dort, wo staatliche Akteur*innen ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, sind wir als zivile Flotte zur Stelle. Wir sehen hin. Wir fahren hin. Zehn Jahre zivile Seenotrettung sind eine eindringliche Mahnung, die Stille des Ertrinkens zu brechen. Egal, wie rau der politische Gegenwind für den Schutz von Menschen auf der Flucht wird: In den letzten zehn Jahren haben wir gezeigt, was starke zivilgesellschaftliche Bündnisse erreichen können. Man muss mit uns rechnen“, betont Anna di Bari, Vorständin von Sea-Eye.

Die Unterstützung für zivile Seenotrettung bleibt stark: Zehntausende engagieren sich, spenden und ermöglichen so Rettungseinsätze. Das Bündnis United4Rescue mit fast 1.000 Mitgliedsorganisationen steht exemplarisch für diesen Rückhalt in der Zivilgesellschaft. Ebenso wichtig sind Gruppen wie Refugees in Libya, die sich für die Rechte von Flüchtenden einsetzen und Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, oder das Alarm Phone, das seit über zehn Jahren eine Notruf-Hotline für Menschen in Seenot betreibt. Beide nahmen – stellvertretend für viele weitere – an der Pressekonferenz teil und machen deutlich: Wenn Staaten versagen, versucht die Zivilgesellschaft einzuspringen – auch wenn sie eine politische Lösung nicht ersetzen kann.

Als eine menschenrechtskonforme europäische Lösung stellten die Organisationen das Rettungskonzept Mare Solidale vor. Es skizziert den rechtlichen Rahmen, schlägt konkrete Mechanismen für eine koordinierte EU-Seenotrettung vor und legt eine realistische Kostenabschätzung vor. Die Botschaft ist klar: Die EU könnte das Sterben im Mittelmeer beenden – wenn der politische Wille vorhanden wäre.

Die Organisationen fordern von der Bundesregierung ein klares Bekenntnis zur Seenotrettung als humanitäre und rechtliche Pflicht. Deutschland soll sich in der EU für ein staatlich koordiniertes, voll finanziertes Rettungsprogramm im Mittelmeer einsetzen. Die Kooperation mit autoritären Regimen wie Tunesien und Libyen im Bereich Grenzschutz muss beendet werden. Tunesien darf angesichts systematischer Gewalt, fehlendem Asylschutz und politischer Repression nicht als sicheres Herkunfts- oder Drittland eingestuft werden.

Das zivile Rettungsschiff SEA-EYE 5 der Regensburger Seenotrettungsorganisation Sea-Eye wurde am Montag, den 16. Juni 2025, von italienischen Behörden im Hafen von Pozzallo festgesetzt.

Die Festsetzung folgte auf einen Einsatz am Samstag (14. Juni), bei dem die Crew der SEA-EYE 5 insgesamt 65 Menschen aus einem überfüllten Schlauchboot in akuter Seenot im zentralen Mittelmeer gerettet hatte – darunter zahlreiche Frauen sowie mehrere teils schwer Verletzte. 

Diese Festsetzung ist ein politisch motivierter Akt und ein schwerwiegender Angriff auf die zivile Seenotrettung. Das Kalkül dahinter: Von kleinen Rettungsschiffen wird mehr verlangt, als sicherheitstechnisch überhaupt vertretbar ist – und wer sich weigert, Menschenleben zu gefährden, wird bestraft,“ erklärt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Sea-Eye wird in drei Punkten beschuldigt:

Missachtung von Anweisungen der Seenotleitung (MRCC Rom):
Der Kapitän habe Informationen nicht vollständig übermittelt und die selektive Übergabe einzelner Personen an die Küstenwache verweigert – mit dem Hinweis, dass alle Menschen an Bord schutzbedürftig sind.

Verzögerter Antrag auf Ausschiffung:
Der SEA-EYE 5 wird vorgeworfen, den Ausschiffungshafen nicht „rechtzeitig und offiziell“ beantragt zu haben. Tatsächlich stand Sea-Eye seit Beginn der Rettung in aktivem Austausch mit mehreren Seenotleitstellen, darunter Bremen und Rom. Jegliche Kommunikation wurde schriftlich dokumentiert und nachgehalten.

Verspätete Weiterfahrt zum Hafen Tarent:
Die SEA-EYE 5 habe ihre Fahrt nach der Zuweisung von Tarent nicht „ohne Verzögerung“ angetreten und über sechs Stunden vor Pozzallo ausgeharrt. Pozzallo wurde der SEA-EYE 5 offiziell als Port of Safety zugewiesen. Dass die SEA-EYE 5 so lange vor dem Hafen warten musste, lag daran, dass die geplante Ausschiffung durch die Seenotleitstelle in Rom gestrichen wurde. Die Anforderungen des Transshipments sowie Anweisung zur Weiterfahrt waren aus Sicht von Sea-Eye nicht mit der Sicherheitslage an Bord sowie den technischen Gegebenheiten des Schiffs vereinbar.

Sea-Eye weist Vorwürfe entschieden zurück

„Die Vorwürfe sind konstruiert, um Rettungseinsätze zu kriminalisieren. Unsere Crew hat jederzeit im Sinne der geretteten Menschen und im Einklang mit dem internationalen Seerecht gehandelt. Die Festsetzung zeigt einmal mehr, dass die italienischen Behörden zivile Rettungsschiffe systematisch verdrängen wollen”, so Isler.

Sea-Eye kündigte an, juristisch gegen die Festsetzung vorzugehen. Die Organisation sieht in der aktuellen Maßnahme eine Fortsetzung der repressiven italienischen Hafenpolitik, die bereits im Fall des zivilen Rettungsschiffs NADIR für internationale Kritik gesorgt hatte.

Die Vorgeschichte: Behördliches Tauziehen um Ausschiffungshafen

Nach der Rettung hatte das italienische MRCC Rom zunächst den 390 Seemeilen entfernten Hafen Tarent als Port of Safety zugewiesen – obwohl diese Distanz nicht mit den technischen Gegebenheiten des Schiffs vereinbar ist und auch die Wasserreserven an Bord nicht für den mehrtägigen Transport derart vieler Personen ausreichen. Erst nach massivem Druck und intensiven Appellen unter Verweis auf internationales Seerecht sowie nachdrücklicher Argumentation lenkte die Seenotleitstelle in Rom in der Nacht ein und wies Sea-Eye den näher gelegenen Hafen Pozzallo auf Sizilien zu.

Am Sonntag erreichte die SEA-EYE 5 gegen 14:00 Uhr schließlich Pozzallo. Bei ihrer Ankunft wurde die Crew darüber informiert, dass anstelle der Ausschiffung aller Geretteten nur noch ein sogenanntes Transshipment gestattet wird. Dafür wurde die Besatzung aufgefordert, schutzbedürftige Personen zu identifizieren und an ein italienisches Patrouillenschiff der Küstenwache zu übergeben. Die übrigen Geretteten sollten weiterhin an Bord bleiben und bis nach Tarent in Apulien gebracht werden.

Während der mehrstündigen Verhandlung musste die Crew erneut eine medizinische Evakuierung anfordern, da sich der Zustand einer schwangeren Frau kontinuierlich verschlechterte. Auch am Vortag wurde ein Antrag auf medizinische Evakuierung für drei Personen gestellt, bewilligt und drei Personen mit schweren Verletzungen an die italienische Küstenwache übergeben. Um 20:30 Uhr erhielt die Besatzung die offizielle Erlaubnis, in den Hafen einzufahren und die Geretteten an Land zu bringen. Gleichzeitig wurde der Antrag auf medizinische Evakuierung bewilligt, sodass die schwangere Frau mit einem Familienmitglied noch vor dem Einlaufen im Hafen an Land gebracht und versorgt werden konnte.  

Nachdem die verbliebenen 60 Personen sicher an Land gebracht worden waren, stellten die italienischen Behörden die SEA-EYE 5 zunächst unter Quarantäne. Erst am Montagabend folgte gegen 18:30 Uhr die offizielle Festsetzung – die erste für das seit Dezember 2024 von Sea-Eye betriebene Schiff.

„Kein Land für Niemand“ hinterfragt die aktuellen Narrative über Flucht und Migration.

Der Film „Kein Land für Niemand – Abschottung eines Einwanderungslandes“ begleitet eine Rettungsmission im Mittelmeer, zeigt die katastrophalen Zustände in Lagern für Geflüchtete und gibt Menschen eine Stimme, die den lebensgefährlichen Weg nach Europa überlebt haben. Gleichzeitig blickt die Dokumentation auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland: Ein erstarkender Rechtspopulismus prägt den Diskurs, Flucht und Migration werden zunehmend kriminalisiert, und humanitäre Hilfe gerät unter Druck. Deutschland gibt hier immer wieder den Takt vor und Europa zieht nach. 

Durch exklusive Interviews mit politischen Entscheidungsträger*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen stellt „Kein Land für Niemand“ die aktuellen Narrative über Flucht und Migration kritisch infrage und beleuchtet die Mechanismen, mit denen Angst und Populismus die politische Agenda bestimmen. Welche Alternativen gibt es zu einem Europa, das sich immer weiter abschottet? Ein Film über eine Krise, die weit mehr ist als eine Debatte über Grenzen – sondern eine über Menschlichkeit, Verantwortung und die Zukunft Europas. 

Das Regie-Duo, bestehend aus Max Ahrens und Maik Lüdemann, lernte sich 2014 im Filmstudium kennen. „Kein Land für Niemand“ ist ihr gemeinsames Langfilm-Debüt. Maik Lüdemann ist Regisseur und Kameramann und drehte für Firmen und gemeinnützige Organisationen prämierte Kino-, TV-, und Social-Media-Werbung. Für seine Dokumentation „Minden Replying“ begab sich Lüdemann 2016 auf einen Rettungseinsatz im Mittelmeer und erlebte das Ausmaß der Katastrophe an Europas Grenzen erstmals hautnah. Max Ahrens ist Autor, Regisseur und Kulturwissenschaftler. Im Rahmen seines Studiums beschäftigte er sich mit den ideologischen, gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhängen rund um das Thema Migration und Flucht und spezialisierte sich auf die Erforschung filmischer Darstellung von Trauma.

„Als wir 2022 mit der Arbeit an dem Film angefangen haben, hatten wir keine Ahnung, was uns in den nächsten drei Jahren bevorstehen würde. Wir wollten andere, hoffnungsvollere und konstruktivere Perspektiven auf das Thema Migration finden, die über wiederkehrende Silvester- und Freibad-Debatten hinausgehen. Dann wurden der Film und wir mitgerissen von einem historischen Rechtsruck. „Kein Land für Niemand“ ist jetzt die Bilanz unserer ziemlich intensiven Reise durch das Zeitgeschehen und dokumentiert die migrationspolitische Wende, die wir gerade erleben. Wir möchten damit zu anderen, komplexeren und menschenfreundlicheren Migrationsdebatten beitragen und solche anregen, die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft für alle machen”, erklären die Regisseure Max Ahrens und Maik Lüdemann.

Die Umsetzung des Films wurde durch ein Förderbündnis ermöglicht, an dem folgende Organisationen beteiligt waren: Sea-Watch, United4Rescue, Pro Asyl, German Doctors, Mennonitisches Hilfswerk und Sea-Eye.


Die Aufführungstermine sowie weitere Informationen finden Sie auf der Website des Films.

Der zugewiesene Hafen in Vibo Valentia liegt über 295 Seemeilen entfernt.

Am Nachmittag des 06. Juni 2025 informierte die Organisation Alarm Phone die zuständigen Behörden und das Rettungsschiff SEA-EYE 5 über einen Seenotfall in der libyschen Sh- und Rettungszone. Gegen 20:00 Uhr erreichte die Besatzung der SEA-EYE 5 das in Seenot befindliche Schlauchboot und evakuierte die 50 Insassen. Trotz der begrenzten Bordkapazitäten des Rettungskreuzers wiesen die italienischen Behörden in der Folge Vibo Valentia als Hafen zu, der sich 295 Seemeilen vom Ort der Rettung entfernt befindet. Diese unverhältnismäßig lange Transitzeit stellt eine akute Belastung für die Gesundheit und Sicherheit aller Menschen an Bord dar. Die Geretteten sitzen unter freiem Himmel auf engstem Raum. An Bord gibt es keine Schlafmöglichkeiten, nur eingeschränkte sanitäre Infrastruktur und lediglich eine Grundversorgung mit Wasser und Lebensmitteln.

„Bereits bei ihrer Rettung waren die meisten Personen durchnässt, dehydriert, seekrank und stark erschöpft. Hinzu kamen mittlere bis schwere Sonnenbrände, Skabies sowie ältere Wunden und Rückenverletzungen. Der Allgemeinzustand verschlechtert sich mit zunehmender Fahrtdauer und wurde insbesondere in der zweiten Nacht wie von uns erwartet zunehmend schwieriger. Wellen schlagen über Bord, die Geretteten kauern sich unter ihren Decken zusammen. Frierend und durchnässt warten sie auf den Sonnenaufgang, der Wärme bringt.“, erklärt Merle Brinkhus, Bordärztin auf der SEA-EYE 5 für German Doctors e.V.  

Aufgrund der sich stetig verschlechternden Lage an Bord bat die SEA-EYE 5 insgesamt vier Mal offiziell bei den zuständigen italienischen Behörden um Erlaubnis, die Geretteten in einem näher gelegenen Hafen an Land zu bringen. Dies wurde abgelehnt. Warum die aufgeführten gesundheitlichen und sicherheitsbedingten Gründe für eine geänderte Hafenzuweisung nicht anerkannt wurden, blieb unbeantwortet. Bei den letzten drei Missionen der SEA-EYE 5 haben die italienischen Behörden stets die humanitäre Situation anerkannt und den jeweiligen Anträgen auf Zuweisung eines näheren Hafens entsprechend stattgegeben.

Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V. betont: „Warum sie sich dieses Mal aktiv dagegen entschieden haben, ist uns unerklärlich. Die SEA-EYE 5 ist als Rettungskreuzer für derartig lange Transitzeiten weder ausgestattet noch geeignet. Mit ihrer Entscheidung, uns keinen näheren Hafen zuzuweisen, nehmen die italienischen Behörden schwerwiegende Gefahren sowohl für die geretteten Personen als auch für unsere Crew billigend in Kauf. Es gibt in Süditalien genug sichere Häfen, die in der Lage sind, Menschen auf der Flucht aufzunehmen.“

Die SEA-EYE 5 wird von Sea-Eye e.V. betrieben, einem Verein, der seit 2015 Rettungsschiffe im Mittelmeer betreibt und über 18.000 Menschen aus Seenot gerettet hat. 

SEA-EYE 4

Nach über 4,5 Jahren unermüdlichen Einsatzes für Menschen in Seenot nehmen wir schweren Herzens Abschied von unserer roten Lady, der SEA-EYE 4. Für viele war sie mehr als ein Rettungsschiff – sie wurde zu einem sicheren Hafen mitten im zentralen Mittelmeer und zu einem Symbol der Solidarität im tödlichsten Grenzraum Europas. Gemeinsam mit rund 250 Crewmitgliedern und zahllosen Unterstützer*innen an Land hat sie trotz anhaltender politischer Repressionen rund 3.700 Menschen auf einem Stück ihrer gefährlichen Flucht begleitet. Mit großer Dankbarkeit blicken wir auf 20 Missionen und ihren vielen hunderten Geschichten von Widerstandskraft und Überleben zurück. Wir sind überzeugt, dass das Schiff künftig auch bei unseren italienischen Freund*innen von Mediterranea Saving Humans (MSH) ein leuchtendes Zeichen der Menschlichkeit bleibt. Danke, rote Lady – und DANKE an all die unzähligen Menschen und Partnerorganisationen, die ihrer wichtigen Mission über viele Jahre Leben geschenkt haben.

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Ein Rückblick: die großen Momente eines großen Rettungsschiffs

Oktober 2020: Kauf und Umbau der SEA-EYE 4 

Sea-Eye erwirbt mit maßgeblicher Unterstützung des Bündnisses United4Rescue ein Offshore-Versorgungsschiff (Baujahr 1972) – und funktioniert es mit rund 250 Ehrenamtlichen innerhalb von sechs Monaten zum Rettungsschiff um. Die SEA-EYE 4 wird das zweite Bündnisschiff von United4Rescue.

28. Februar 2021: Schiffstaufe 

Die SEA-EYE 4 wird in Rostock getauft. Die Taufe findet unter strengen Corona-Regeln in kleinem Kreis statt. Taufpate ist der damals 18-jährige Alpha Jor Barry, der 2018 vom Vorgängerschiff ALAN KURDI gerettet wurde. Anschließend wird sie vom Rostocker Werfthafen an ihren Liegeplatz in Burriana überführt.

Mai 2021: Erster Einsatz mit über 400 Geretteten 

Am 8. Mai sticht die SEA-EYE 4 zu ihrer ersten Mission in See – erstmals gemeinsam mit der Partnerorganisation German Doctors. Der Einsatz findet mitten in der Corona-Pandemie statt: Alle Crewmitglieder müssen zuvor in Quarantäne und negativ getestet werden. Mit an Bord ist auch Notfallsanitäter und Moderator Tobi Schlegl, der später ein Buch über die Mission veröffentlicht. Insgesamt können bei sechs Einsätzen über 400 Menschen gerettet werden, darunter befinden sich zahlreiche Kinder. Nach dem Einsatz wird das Schiff für drei Monate festgesetzt – wegen formaler „Mängel” bei Zertifikaten und Abwasserentsorgung. Die SEA-EYE 4 kann angepasst und die politisch motivierte Blockade aufgehoben werden.

Oktober / November 2021: Größte Rettung von über 800 Menschen  

Bei ihrem dritten Einsatz überhaupt rettet die SEA-EYE 4 gemeinsam mit der RISE ABOVE der Organisation Mission Lifeline in sieben Einsätzen rund 850 Menschen aus Seenot – darunter etwa 170 Minderjährige. Besonders dramatisch: ein überfülltes Holzboot mit über 400 Personen, das bereits Wasser aufnahm. Gemessen an der Zahl der Überlebenden geht die Mission als die bis dato größte Rettungsmission des Schiffes in die Geschichte ein.

Das Jahr 2022: Beginn des restriktiven Kurswechsels durch das Piantedosi-Dekret

Bei einem Einsatz im Juni 2022 rettet die Crew der SEA-EYE 4 erneut rund 500 Menschen. Leider werden nun die ersten Anzeichen eines politischen Kurswechsels in Italien spürbar: Im Dezember erfolgt erstmals eine direkte Hafenzuweisung durch die italienischen Behörden noch während eines laufenden Rettungseinsatzes – eine Vorahnung auf das, was das Piantedosi-Dekret mit sich bringen wird. Es wird zivile Seenotrettungsschiffe dazu verpflichten, nach einer einzelnen Rettung sofort einen – oft weit entfernten – zugewiesenen Hafen anzulaufen, anstatt weitere Rettungen durchzuführen. Bei Zuwiderhandlung drohen hohe Geldstrafen und Schiffsbeschlagnahmungen. Eine Zäsur, die die zivile Seenotrettung in den Folgejahren stark behindern wird.

Februar 2023: Erste Todesfälle im Einsatz

Bei einem Rettungseinsatz im zentralen Mittelmeer kann die Crew der SEA-EYE 4 zwei Menschen nur noch tot bergen – darunter die Mutter eines überlebenden Babys. Es ist das erste Mal, dass Verstorbene an Bord des Schiffes genommen werden. Eine weitere Person stirbt nach einer Notfallevakuierung im Krankenhaus an Land. Es sind dunkle Stunden auf der SEA-EYE 4: Unser Mitgefühl gilt bis heute allen Hinterblieben.

Juni & August 2023: Erste Festsetzungen unter dem Piantedosi-Dekret

Erstmals wird die SEA-EYE 4 im Juni nach der Rettung von insgesamt 49 Menschen im Hafen von Ortona festgesetzt. Grund ist das Piantedosi-Dekret vom Februar 2023: Die Crew hat die Fahrt zum zugewiesenen Hafen unterbrochen, um weiteren Menschen in Seenot zu helfen. Italien verhängt 20 Tage Verwaltungshaft und eine Geldstrafe von 3.333 Euro. Im August folgt die zweite unrechtmäßige Festsetzung für 20 Tage, nachdem in drei Einsätzen 114 Menschen gerettet wurden. Sea-Eye klagt gegen beide Festsetzungen.

Oktober 2023: Dramatische Rettung mit 4 Toten 

Mit aggressiven Manövern bedrängt die sogenannte libysche Küstenwache ein überfülltes Schlauchboot in Anwesenheit der SEA-EYE 4. In Panik stürzen mehrere Menschen ins Wasser, vier Personen – darunter ein zwölfjähriges Mädchen – können nur noch tot geborgen werden. 48 Menschen überleben die dramatische Rettung. Nach der Mission wird die SEA-EYE 4 für 20 Tage im Hafen von Vibo Valentia festgesetzt. Die Begründung: Die Besatzung sei den Anweisungen der aggressiv agierenden sogenannten libyschen Küstenwache nicht gefolgt. Sea-Eye klagt auch gegen diese Festsetzung. Ein italienisches Gericht bestätigt später, dass die Verwaltungshaft rechtswidrig war – und die Crew ihrer Pflicht zur Seenotrettung in vollem Umfang nachgekommen ist. Ein Befolgen der Anweisungen der sogenannten libyschen Küstenwache wäre nicht mit dem internationalen Recht vereinbar gewesen.

Feb/März 2024: 2 Todesfälle und 60 Tage Festsetzung 

Rund 200 Menschen rettet die SEA-EYE 4 auf ihrer Mission im Februar und März 2024 – darunter auch mehrere Schwerverletzte; zwei Menschen überleben ihre Flucht nicht. Mehrfach bedroht die sogenannte libysche Küstenwache das Schiff. Bei einer Rettung zielt sie mit vorgehaltener Waffe auf das Einsatzboot. Im März wird die SEA-EYE 4 in Italien 60 Tage festgesetzt – die zu diesem Zeitpunkt längste Verwaltungshaft eines Rettungsschiffs unter dem Piantedosi-Dekret. Die Behörden begründen dies erneut mit angeblichen Nichtbefolgen von Anweisungen der sogenannten libyschen Küstenwache – dabei hätte eine Übergabe an Libyen einen völkerrechtswidrigen Pushback dargestellt. Auch andere deutsche Rettungsschiffe werden festgesetzt. Die Crew der SEA-EYE 4 startet eine Petition, die Landcrew trägt den Protest auf die Straße. Zu Recht: Im Juni 2024 erklärt das Gericht in Reggio Calabria auch diese Festsetzung für unrechtmäßig.

November 2024 – Februar 2025: SEA-EYE 4 wird Nothilfezentrum nach Flut in Valencia

Einen Tag vor der schweren Flutkatastrophe in Valencia kehrt die SEA-EYE 4 aus dem Einsatz nach Spanien zurück: Kurzfristig wird sie zum Nothilfezentrum umfunktioniert. In enger Zusammenarbeit mit der lokalen Organisation L’Aurora – einer unersetzbaren Unterstützer-Organisation von Sea-Eye in Burriana seit vielen Jahren – koordinierte die Crew der SEA-EYE 4 die Verteilung von über 14.000 Mahlzeiten, 1.000 Kilogramm frischem Obst und Gemüse, 7.000 Broten und Trinkwasser.  Mobile medizinische Teams versorgen abgeschnittene Gebiete, LKW-Ladungen von Spenden werden sortiert und gespendete Fahrräder repariert. Die Crew und rund 400 Ehrenamtliche machen das Schiff in dieser Zeit zu einem zentralen Ort der Hilfe.

Februar / März 2025: Solidarität in der zivilen Flotte gemeinsame Mission mit Sea-Watch

Im März 2025 führen die Organisationen Sea-Eye und Sea-Watch eine gemeinsame Rettungsmission im zentralen Mittelmeer durch. Die Besatzung der SEA-EYE 4, bestehend aus Mitgliedern beider Organisationen, rettet insgesamt 163 Menschen aus Seenot. Die Mission ist ein gemeinsames Zeichen der Solidarität in der zivilen Flotte – vereint gegen die Abschottungspolitik Europas.

Mai / Juni 2025: Wir nehmen Abschied und übergeben die Rote Lady an MSH

Die SEA-EYE 4 wird in neue Hände gegeben und von Mediterranea Saving Humans weiterbetrieben: Voller Dankbarkeit für das, was unsere rote Lady in den letzten Jahren geleistet hat, im vollen Vertrauen, dass sie diese Arbeit nun unter neuem Namen weiterführen wird – und mit großer Zuversicht, dass wir als gemeinsam agierende zivile Flotte mit abgestimmten Strategien noch mehr Menschen aus Seenot retten können. Wir danken allen, die in den letzten Jahren daran mitgewirkt haben, die SEA-EYE 4 mit uns auf ihre wichtigen Missionen zu schicken – und viele, viele hunderte Menschen aus Seenot zu retten.

Wir verabschieden uns von der SEA-EYE 4 mit den Worten eines Überlebenden, der in einem Brief aus seiner Sicht genau das beschrieb, was dieses Schiff immer sein sollte – ein sicherer Hafen für Menschen auf der Flucht:

„Ist man auf diesem Schiff, hatte man großes Glück – es bedeutet, man ist in Sicherheit.”

 

SEA-EYE 4

Das Schiff wird weiterhin als Teil der zivilen Flotte Menschenleben im Mittelmeer retten.

Nach über viereinhalb Jahren im Einsatz für Sea-Eye wechselt die SEA-EYE 4 den Besitzer: Im Rahmen einer strategischen Neuausrichtung hat der Verein beschlossen, das Schiff an die italienische Organisation Mediterranea Saving Humans zu übergeben. Unter ihrem neuen Namen MEDITERRANEA wird sie weiterhin Menschenleben retten und als fester Bestandteil der zivilen Rettungsflotte agieren.

Die Übertragung der SEA-EYE 4 verdeutlicht die gelebte Solidarität der zivilen Akteur*innen im Mittelmeer. Angesichts der stetig wachsenden Hindernisse, die die EU und ihre Mitgliedstaaten der zivilen Seenotrettung in den Weg legen, müssen die Organisationen ihre Strategien kontinuierlich anpassen. Insbesondere Schiffe unter italienischer Flagge sind Kriminalisierungsversuchen ausgesetzt. So müssen sich ab Oktober 2025 sechs Aktivist*innen von Mediterranea Saving Humans wegen angeblicher Beihilfe zur illegalen Einwanderung vor Gericht verantworten. Die Anklage bezieht sich auf eine Rettung aus dem Jahr 2020, bei der die Organisation 27 Menschen gerettet hatte, die seit über einem Monat auf dem Meer trieben. Da die SEA-EYE 4 alle Voraussetzungen erfüllt, um unter deutscher Flagge zu operieren, eröffnen sich Mediterranea Saving Humans künftig neue Rechtsgrundlagen und damit verbundene Handlungsspielräume. Auch Sea-Eye hat die Strategie angepasst: Um flexibler agieren zu können, setzt der Verein fortan auf eine Flotte kleinerer Schiffe; seit Oktober 2024 ist dazu bereits der Rettungskreuzer SEA‑EYE 5 im Einsatz.

„Dass Mediterranea Saving Humans nun unter deutscher Flagge operiert, schützt die Organisation vor zusätzlichen Kriminalisierungsversuchen durch die italienische Regierung und stärkt dadurch ihre Präsenz auf einer der tödlichsten Fluchtrouten der Welt. Während die EU und ihre Mitgliedstaaten gezielt daran arbeiten, Fluchtwege gefährlicher zu machen, um die Zahl der Ankünfte zu reduzieren, stehen wir gemeinsam für einen zivilgesellschaftlichen Gegenentwurf zu einem zunehmend brutalen Grenzregime. Wir werden unsere Kräfte weiterhin dort bündeln, wo sie möglichst viele Leben retten, und uns gemeinsam entschlossen gegen die Politik der Abschottung und Abschreckung an Europas Außengrenzen stellen“, erklärt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye. „Die SEA-EYE 4 war unser bisher größtes Projekt. Allen Engagierten, Spender*innen und Partnerorganisationen, die ihre Einsätze bisher ermöglicht haben, sind wir unendlich dankbar.“

„Die italienischen Behörden beschuldigen uns, sie verfolgen uns, sie nutzen die Geheimdienste, um juristische Machenschaften zu konstruieren und uns als ‚Bedrohung der nationalen Sicherheit‘ einzustufen. Sie möchten uns einschüchtern, uns in die Ecke drängen und zu verzweifelten Opfern voller Ressentiments machen. Aber das wird nie geschehen. Die Kraft, die wir daraus schöpfen, um alles zu tun, was in unserer Macht steht, um Leben zu retten, ist um ein Vielfaches größer als alle politischen Versuche, uns Steine in den Weg zu legen. Heute ist die zivile Flotte stärker als zuvor, heute verdoppelt sich mit Unterstützung von Sea-Eye die Größe von Mediterranea. Die SEA-EYE 4 wird zur MEDITERRANEA und setzt ihre Mission als Schiff der Fürsorge und Würde fort“, betont Luca Casarini, Mitbegründer und Einsatzleiter von Mediterranea Saving Humans.

Die SEA-EYE 4 ist ein ehemaliges Offshore-Versorgungsschiff, das 2020 von Sea-Eye mit Unterstützung des Bündnisses United4Rescue erworben und von rund 250 Ehrenamtlichen in ein Rettungsschiff umgebaut wurde. Im Mai 2021 startete sie in ihren ersten Einsatz – und konnte seither in 20 Missionen über 3.700 Menschen aus Seenot retten.

Waves


293 Organisationen fordern eine verantwortungsvolle Migrations- und Asylpolitik

Mit ihrem Koalitionsvertrag stellen Union und SPD die Verantwortung für Deutschland ins Zentrum ihres Handelns. Zum Amtsantritt der Regierung machen 293 Organisationen und Verbände deutlich: Diese Verantwortung muss für alle Menschen in Deutschland gelten.

Der Wahlkampf war geprägt von einer aufgeheizten Stimmung, die sich vor allem gegen Geflüchtete und Zugewanderte richtete. Das hat sich auch im Koalitionsvertrag niedergeschlagen. Doch die Ausgrenzung einzelner Gruppen schafft ein Klima der Angst für alle und untergräbt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Am Ende nützt das nur den Feinden einer freiheitlichen Demokratie. Damit muss endlich Schluss sein.

Zugewanderte und hierher geflüchtete Menschen sind integraler Teil unserer Gesellschaft – sie gehören zu Deutschland. Sie bereichern uns in allen Bereichen, ob in Familie und Freundeskreis, der Nachbarschaft, den Schulen, den Sportvereinen oder den Betrieben. Viele von ihnen leisten jeden Tag unverzichtbare Arbeit – im Einzelhandel, im Krankenhaus, in der Industrie, in der Gastronomie, an Flughäfen, im öffentlichen Nahverkehr oder ehrenamtlich in Vereinen und gemeinnützigen Organisationen. Für uns ist klar: Unsere Gesellschaft gewinnt ihre Stärke aus Offenheit, Vielfalt und der Überzeugung, dass allen Menschen gleiche Rechte zukommen.

Nicht Geflüchtete und Zugewanderte spalten unsere Gesellschaft, sondern eine Politik, die sich den strukturellen und sozialen Problemen unseres Landes zu lange nicht konsequent angenommen hat. Die mittlerweile in der Gesellschaft verbreiteten Gefühle von Verunsicherung und Überforderung beim Thema Flucht und Migration werden somit noch verstärkt, anstatt ihnen mit guten Konzepten für eine funktionierende Asyl-, Aufnahme-, und Integrationspolitik zu begegnen. Für die hohe Belastung von Kommunen und einzelnen Berufsgruppen im Zusammenhang mit Migration werden allein Geflüchtete verantwortlich gemacht, anstatt die tatsächlichen sozialen, politischen und finanziellen Ursachen dieser Belastung anzugehen. So darf es nicht weitergehen. Was es jetzt braucht, ist eine Migrationspolitik, die verantwortlich handelt, statt unsere offene und vielfältige Gesellschaft zu gefährden.

Eine solche verantwortungsvolle Migrationspolitik…

…schützt die Rechte der Einzelnen und somit aller – das gilt insbesondere auch für das Recht auf Asyl. Das Bekenntnis zum Recht auf Asyl im Koalitionsvertrag ist essentiell, reicht aber allein nicht aus. Es muss auch gelebt werden. Zurückweisungen an den Grenzen, Abschiebungen in Krisenländer und eine Beweislastumkehr im Asylverfahren zulasten Geflüchteter sind damit nicht vereinbar.

…nimmt Sorgen und Ängste ernst, ohne sie zu befeuern. Eine demokratische Gesellschaft lebt von der streitbaren Diskussion und verschließt nicht die Augen vor Herausforderungen. Doch dabei darf die kommende Bundesregierung nicht den humanitären und menschenrechtlichen Kompass verlieren, der Grundlage unseres Zusammenlebens ist.

…fördert die Integration aller Menschen. Die nächste Bundesregierung sollte Familien Sicherheit bieten, statt mit der Aussetzung des Familiennachzugs Integration zu verhindern. Auch braucht es weiterhin Chancen für diejenigen, die schon lange bei uns sind, weshalb das Erfolgsmodell des Chancen-Aufenthaltsrechts entfristet werden sollte. Für ein freiheitliches Zusammenleben müssen zudem Wege zu sicheren und gleichen Bürgerrechten durch Einbürgerung eröffnet werden, die keine Gruppen ausschließen. Integration darf dabei nicht allein von der Arbeitsmarktintegration abhängig gemacht werden, sondern es muss allen möglich sein, gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft zu werden.

…investiert in Strukturen für erfolgreiche Integration und Aufnahme. Die im Koalitionsvertrag benannten Investitionen in die Integrationsstrukturen sind von entscheidender Bedeutung und dürfen nicht unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden. Dies gilt insbesondere für die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Beratungs- und Betreuungsstrukturen sowie Integrations- und weitere Sprachkurse. Integration gelingt vor Ort in den Kommunen – diese müssen daher für ihre Aufgaben effektiv, umfassend und nachhaltig finanziell ausgestattet werden.

…nutzt alle vorhandenen Potentiale. Angesichts des Fachkräftemangels sollte die Bundesregierung konsequent alle vorhandenen Potentiale von hier ankommenden und lebenden Menschen nutzen und Hürden für Qualifikation und Arbeitsaufnahme abbauen. Hier sind bereits wichtige Schritte im Koalitionsvertrag vereinbart, doch braucht es darüber hinaus einen echten Spurwechsel und den konsequenten Abbau der Arbeitsverbote für alle Geflüchteten. Auch Gruppen wie Alleinerziehende oder Geflüchtete mit Behinderungen müssen beim Zugang zum Arbeitsmarkt unterstützt werden.

…schaut über den nationalen Tellerrand. Den weltweit zu beobachtenden autoritären Entwicklungen sollte die neue Bundesregierung mit der Verteidigung einer offenen, liberalen Gesellschaft begegnen, statt die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz durch die Streichung des sogenannten „Verbindungselements“ auf Drittstaaten abzuwälzen oder sich durch fragwürdige Abkommen mit Drittstaaten in politische Abhängigkeiten zu begeben. Sie sollte sich für eine solidarische Verantwortungsteilung im internationalen Flüchtlingsschutz einsetzen und sichere Zugangswege in Form von Resettlement und Aufnahmeprogrammen eröffnen, statt sie zu beenden.

Die unterzeichnenden Verbände leisten täglich ihren Beitrag für eine Gesellschaft, die ihre Stärke aus Offenheit, Vielfalt und der Zusammenarbeit von Menschen verschiedenster Herkunft, Hintergründe und Fähigkeiten gewinnt. Wer die Demokratie verteidigen will, muss auch die Zivilgesellschaft und insbesondere migrantische Selbstorganisationen achten und stärken.

Daher appellieren wir an die Bundesregierung: Übernehmen Sie Verantwortung für eine offene Gesellschaft! Eine Gesellschaft, in der Einwanderung unterschiedlichster Art als Chance begriffen wird; in der Zugewanderte und Geflüchtete als gleichwertig anerkannt werden; in der Offenheit und Vielfalt als unsere Stärken begriffen werden.

Den vollständigen Appell sowie die Liste der unterzeichnenden Organisationen finden Sie hier: Appell an die Bundesregierung von 293 Organisationen

Der zivile Rettungskreuzer brachte die geretteten Personen am Montagnachmittag sicher in Lampedusa an Land.

Am Ostersonntag gegen 21 Uhr erreichte die Besatzung der SEA-EYE 5 einen Seenotfall, den die Organisation Alarm Phone gemeldet hatte. Wegen des hohen Wellengangs dauerte es mehr als drei Stunden, bis die Besatzung die 76 Menschen von dem doppelstöckigen Holzboot retten konnte. Einige Gerettete gaben an, dass sie vor Durst Meerwasser getrunken hätten. Drei Personen mussten während der weiteren Überfahrt medizinisch überwacht werden.

Dr. Gustav Buescher, Einsatzarzt von German Doctors an Bord der SEA-EYE 5, berichtet: „In der Nacht haben wir 76 Menschen im Mittelmeer auf der SEA-EYE 5 aufgenommen. In der ersten medizinischen Einschätzung zeigten sich bei vielen insbesondere klinische Zeichen von Dehydrierung, Hypothermie, Seekrankheit und Erschöpfung. Einige wenige Fälle benötigten intensivierte medizinische Versorgung in der Krankenstation auf der SEA-EYE 5. Im Vordergrund standen das Monitoring der Vitalwerte, intravenöse Flüssigkeitssubstitution und die Erwärmung. Unter diesen Maßnahmen konnten wir erfreulicherweise in allen Fällen eine adäquate Stabilisierung erreichen. Ich bin froh darüber, dass die schnelle medizinische Versorgung der Patient*innen auf der SEA-EYE 5 die Entwicklung von kritischen Gesundheitszuständen verhindern konnte.“

Die italienischen Behörden wiesen der SEA-EYE 5 zunächst Reggio Calabria als Hafen zu. Nachdem die Einsatzleitung auf die große Belastung für die Geretteten an Bord durch die sich verschlechternden Wetterbedingungen aufmerksam machte, durfte die Besatzung schließlich Lampedusa ansteuern. Am Montag gegen 14:30 Uhr erreichte das Schiff die italienische Insel und brachte die Schutzsuchenden sicher an Land. Eine Person wurde direkt in ein Krankenhaus überstellt, zwei weitere wurden in einem medizinischen Zentrum versorgt.

Eine juristische Stellungnahme bestätigt, dass die CDU-Fraktion in ihrem Antrag finanzielle Unterstützung an die Begehung von Straftaten knüpft. Die Sea-Eye Lokalgruppe Konstanz ruft zur Kundgebung vor dem Landratsamt am 7. April um 13:30 Uhr auf.

Die CDU-Kreistagsfraktion Konstanz sorgt erneut für Aufsehen: Ein Antrag auf der Tagesordnung des Sozialausschusses am 7. April 2025 stellt eine finanzielle Unterstützung der zivilen Seenotrettungsorganisation Sea-Eye nur in Aussicht, wenn diese gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und deutsches Strafrecht verstößt. In dem Dokument fordert die CDU-Fraktion den Verein auf, aus Seenot gerettete Menschen „zurück zu ihrem Ursprung/-Abfahrtsort, die afrikanische Küste bzw. gegebenenfalls die türkische Küste“ zu bringen. Andernfalls solle die finanzielle Unterstützung durch den Landkreis eingestellt werden. 

Sollte Sea-Eye den vorgeschlagenen völkerrechtswidrigen Rückführungen zustimmen, wäre die CDU-Fraktion sogar bereit, über eine Erhöhung der Förderung zu diskutieren. Bereits im Dezember 2024 hatte die CDU-Fraktion einen ähnlichen Antrag gestellt, der jedoch nach heftiger Debatte  im Voraus vertagt wurde.

Prof. Dr. Valentin Schatz, Juniorprofessor für Öffentliches Recht und Europarecht mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit an der Leuphana Universität Lüneburg, hat im Auftrag von Sea-Eye eine rechtliche Stellungnahme erstellt. Darin kommt er zu folgendem Ergebnis: „Die finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand für eine humanitäre Hilfsorganisation wird an die Bedingung geknüpft, dass die Mitglieder dieser Hilfsorganisation menschenrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland unter vorsätzlicher Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten missachten sollen. Dass derartige Kreistagsbeschlüsse in einem Rechtsstaat keinen Platz haben dürfen und ihrerseits rechtswidrig sind, versteht sich von selbst. Die CDU-Fraktion sollte daher von diesem Antrag Abstand nehmen.” 

Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V., kommentiert: „Wir haben dem Landrat und den Mitgliedern des Kreistags bereits mitgeteilt, dass wir die weitere Förderung unter diesen Bedingungen ablehnen. Überdies sind wir davon überzeugt, dass die Menschen im Landkreis Konstanz solche rechtswidrige und unmenschliche Förderbedingungen nicht unterstützen.“

Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention verbieten grundsätzlich die Rückführung von Menschen in Staaten, in denen Menschenrechtsverletzungen drohen. Zudem begeht nach § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB eine Straftat, wer vorsätzlich einen Menschen in eine hilflose Lage versetzt und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt. Bei pauschalen Rückführungen von Menschen ist regelmäßig mit solchen Gefahren zu rechnen. Erst im Februar diesen Jahres hat das oberste italienische Berufungsgericht die Übergabe von Menschen an die sogenannte libysche Küstenwache als Straftat eingestuft, da Libyen aufgrund schwerer Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Vergewaltigung und Mord kein sicherer Ort sei. Daneben schreibt das Internationale Übereinkommen von 1979 zur Seenotrettung vor, dass Menschen in Seenot nicht nur gerettet und medizinisch erstversorgt, sondern auch an einen sicheren Ort („place of safety“) gebracht werden müssen. Die Auswahl dieses sicheren Ortes obliegt normalerweise nicht dem rettenden Schiff, sondern wird von einer staatlichen Seenotleitstelle getroffen, an deren Weisungen sich das Schiff zu halten hat. Andernfalls begeht es nach deutschem Recht eine Ordnungswidrigkeit.

Im gemeinsamen Einsatz mit Sea-Watch brachte die SEA-EYE 4 bei 4 Rettungen 122 Menschen in Sicherheit. Die SEA-EYE 5 rettete unter extremen Wetterbedingungen 56 Menschen.

Zwischen Freitagabend, 7. März, und Sonntagmorgen, 9. März, reagierte die Crew der SEA-EYE 4 auf insgesamt vier Notrufe. Bei den Rettungsaktionen nahm die Besatzung, bestehend aus Mitgliedern von Sea-Watch und Sea-Eye, 122 Menschen in Seenot an Bord. Das Schiff ist nun auf dem Weg nach Vibo Valencia, nachdem die italienischen Behörden den rund 460 Kilometer entfernten Hafen zugewiesen haben. Die Rettung erfolgte in einem gemeinsamen Einsatz der beiden Organisationen – bereits am 22. Februar hatte die gleiche Crew 41 Menschen gerettet und in Neapel an Land gebracht.

In der Nacht von Sonntag auf Montag rettete die Besatzung der SEA-EYE 5 zudem 56 Personen aus einem Schlauchboot. Unter den Menschen befand sich auch ein drei Tage altes Baby. Die Schutzsuchenden waren bei starkem Wind und hohem Wellengang in Seenot geraten. Aufgrund der schwierigen Wetterbedingungen dauerte der Einsatz über 2 Stunden; gegen 03:00 Uhr konnte die Crew dann alle Personen sicher an Bord der SEA-EYE 5 bringen. Für das Baby und seine Familie wurde eine medizinische Evakuierung vor bzw. auf Lampedusa an die italienische Küstenwache organisiert.

„Heute Morgen um 3 Uhr haben wir 56 Menschen an Bord der SEA-EYE 5 genommen. Sie waren mindestens 12 Stunden auf einem Schlauchboot unterwegs. Sie waren durchnässt, seekrank und dehydriert. Viele waren schwach und erschöpft. Unter ihnen war auch ein drei Tage altes Baby, das wegen einer Infektion behandelt und evakuiert werden musste“, erklärt Patricia Darlington, Einsatzärztin von German Doctors e. V. an Bord der SEA-EYE 5.

Finanziert wurde der Einsatz der SEA-EYE 5 unter anderem von der UNO-Flüchtlingshilfe.