Ein leiser Beschluss während der parlamentarischen Sommerpause, der die Überlebenschancen von Menschen auf der Flucht gefährlich mindert.

Kontext & Hintergründe

  • Die Bundesregierung aus Union und SPD plant, die bisher jährliche Förderung von etwa zwei Millionen Euro an Organisationen wie Sea‑Eye, SOS Humanity, Sant’Egidio und andere ab 2026 komplett einzustellen.
  • Jetzt hat der Haushaltsausschuss beschlossen, dass die finanzielle Unterstützung für zivile Seenotrettung bereits in diesem Jahr eingestellt werden soll. Im ersten Quartal 2025 waren es laut Auswärtigem Amt noch rund 900.000 Euro, was bedeutet, dass Organisationen 2025 eine Lücke von rund 1,1 Millionen Euro füllen müssen.
  • Sea‑Eye warnte, dass mit dem Wegfall der staatlichen Unterstützung Missionen ausfallen könnten und Rettungsschiffe womöglich im Hafen bleiben müssen.
  • Auf dem SPD-Bundesparteitag im Juni hatten sich die Sozialdemokraten mit großer Mehrheit für die Fortführung der zivilen Seenotrettung ausgesprochen. Der Haushaltsentwurf für 2026 enthält jedoch keinerlei Mittel – die SPD-Fraktion bleibt untätig.
  • Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte bereits Ende Juni erklärt, die Förderung für zivilgesellschaftliche Seenotretter abzulehnen. Zivile Seenotrettung sei eine “ungeeignete Methode”. 
  • Bundeskanzler Friedrich Merz äußerte sich bei Sandra Maischberger ebenfalls ablehnend. Zivile Seenotrettung sei “keine privatwirtschaftliche Aufgabe

Der Streit um die zivile Seenotrettung ist ein demokratiepolitischer Kernkonflikt. Denn wer entscheidet in einer Demokratie darüber, ob Menschenrechte durchgesetzt oder preisgegeben werden – Parteitage oder Haushälter? Es ist schockierend, wie die Bundesregierung versucht, sich still und heimlich in der parlamentarischen Sommerpause weiter aus der Verantwortung zu ziehen. Die Seenotrettung ist ein zivilisatorischer Grundpfeiler unseres Umgangs mit Menschen auf der Flucht. Wir bestehen weiter auf eine Fortsetzung der Förderung”, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Zwischen Oktober 2023 und Februar 2025 konnten durch staatlich unterstützte Missionen von Sea-Eye zusätzlich 747 Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden. 

Zwei schwer verletzte Personen mussten zuvor notevakuiert werden

Am Donnerstagmittag gegen 12:00 Uhr rettete die Crew der SEA-EYE 5 17 Menschen im Mittelmeer. Bei einer Person stellte sich der gesundheitliche Zustand als so kritisch heraus, dass die Besatzung eine medizinische Evakuierung anforderte. Ein Helikopter brachte die Person daraufhin in ein Krankenhaus nach Malta, damit sie dort schnellstmöglich behandelt werden konnte. 

„Der Gesundheitszustand der meisten geretteten Personen war stabil, einige waren seekrank. Eine Person hatte zu viel Treibstoff eingeatmet, weshalb der Sauerstoffgehalt im Blut zu niedrig war. Wir haben die Person mit Sauerstoff versorgt und sie gegen die Dehydrierung behandelt. Da ihr Zustand zu kritisch war, um sie über einen längeren Zeitraum an Bord zu behalten, haben wir eine Evakuierung beantragt“, berichtet Dr. Nour Hanna-Krahl, Einsatzärztin von German Doctors an Bord der SEA-EYE 5.

Etwa drei Stunden nach dem Helikoptereinsatz verschlechterte sich der Gesundheitszustand einer zweiten geretteten Person. Die Besatzung forderte daraufhin eine weitere medizinische Evakuierung an. Ein Schiff der italienischen Küstenwache nahm die betroffene Person an Bord und brachte sie in Lampedusa an Land, damit sie dort unverzüglich medizinisch versorgt werden konnte.

Die italienischen Behörden wiesen der SEA-EYE 5 nach dem Einsatz den Hafen Vibo Valentia zu, der etwa 400 Seemeilen vom Ort der Rettung entfernt liegt. Nach fast 30-stündiger Fahrt konnten die 15 geretteten Personen am späten Freitagabend sicher an Land gehen.

Für die SEA-EYE 5 war es der zweite Einsatz während dieser Mission. Am Samstagmorgen (19. Juli) konnten bereits 14 Personen an Bord des Rettungskreuzers in Sicherheit gebracht werden und am Sonntagabend im zugewiesenen Hafen Reggio Calabria an Land gehen.

32 Organisationen fordern die sofortige Beendigung der systematischen Behinderung ziviler Seenotrettung durch die italienische Regierung. Allein im letzten Monat wurden nichtstaatliche Schiffe auf Basis des „Piantedosi-Dekrets“ dreimal festgesetzt – das von RESQSHIP betriebene Segelschiff Nadir zweimal hintereinander. Das bewusste Fernhalten von nichtstaatlichen Such- und Rettungsorganisationen aus dem zentralen Mittelmeer führt zu unzähligen weiteren Todesfällen auf einer der tödlichsten Fluchtrouten weltweit.

Trotz viel öffentlicher Kritik durch nichtstaatliche Such- und Rettungsorganisationen (SAR) werden zivile Schiffe seit der Verabschiedung des „Piantedosi-Dekrets” im Januar 2023 weiterhin willkürlich festgesetzt. Dies wurde durch das „Flussi-Dekret” im Dezember 2024 weiter verschärft. Im letzten Monat wurden Nadir und Sea-Eye 5, zwei kleinere Einsatzschiffe, betrieben von RESQSHIP und Sea-Eye, unter dem Vorwurf festgesetzt, den Anweisungen der Behörden nicht Folge geleistet zu haben. Beiden Crews wurden sehr weit entfernte Häfen zugewiesen. Sie wurden außerdem dazu aufgefordert, die Geretteten nach Vulnerabilitätskriterien zu trennen und anteilig auf ein anderes Schiff zu bringen –obwohl eine ordnungsgemäße Vulnerabilitätsprüfung eine sichere Umgebung voraussetzt und nicht an Bord eines Schiffes durchgeführt werden kann.

Diese rechtlichen und administrativen Hürden dienen einem offensichtlichen Ziel: zivile Rettungsschiffe von ihren Einsatzgebieten fernzuhalten und ihre Such- und Rettungsaktivitäten auf See drastisch einzuschränken. Ohne die Präsenz von nichtstaatlichen Schiffen und Flugzeugen werden mehr Menschen bei der Flucht über das zentrale Mittelmeer ertrinken und Menschenrechtsverletzungen sowie Schiffbrüche unbemerkt bleiben. Kleinere Schiffe spielen dabei eine entscheidende Rolle: Sie beobachten die Region, leisten Erste Hilfe für Menschen in Seenot und nehmen die Überlebenden notfalls an Bord, bis besser ausgerüstete Schiffe eintreffen.

Seit Februar 2023 wurden zivile Rettungsschiffe 29-mal festgesetzt. Das entspricht einer Zeit von insgesamt 700 Tagen, in denen sie sich in Häfen befanden, anstatt Leben auf See zu retten. Außerdem verbrachten die Schiffe zusätzlich 822 Tage auf See, um zu ungerechtfertigt weit entfernten Häfen zu gelangen, was einer Fahrleistung von 330.000 Kilometern entspricht. Die Praxis, Rettungsschiffe zu weit entfernten Häfen zu schicken, wurde nun auch auf kleinere zivile Schiffe ausgeweitet.

Darüber hinaus wenden Organisationen enorme Zeit und finanzielle Mittel auf, um gegen die restriktiven Gesetze Italiens und die willkürlich verhängten administrativen Festsetzungen und Geldstrafen vorzugehen.

In den vergangenen Monaten haben die nationalen Gerichte in Catanzaro, Reggio Calabria, Crotone, Vibo Valentia und Ancona – Entscheidungen getroffen, in denen die Festsetzung von NGO-Rettungsschiffen für rechtswidrig erklärt und die damit verbundenen Geldstrafen aufgehoben wurden. Im Oktober 2024 ersuchte das Gericht von Brindisi das italienische Verfassungsgericht, die Vereinbarkeit des im Februar 2023 in Kraft getretenen „Piantedosi-Dekrets” mit der italienischen Verfassung zu prüfen. Am 8. Juli 2025 hat das Verfassungsgericht erneut festgestellt, dass das Seerecht nicht durch strafende und diskriminierende Vorschriften umgangen werden darf und dass jede entgegenstehende Anordnung als rechtswidrig und unzulässig anzusehen ist.

Unterlassene Hilfeleistung ist ein Verbrechen!

Nach internationalem Seerecht ist jede*r Kapitän*in dazu verpflichtet, Menschen in Seenot zu retten. Ebenso ist jede staatliche Rettungsleitstelle gesetzlich verpflichtet, umgehend Rettungen einzuleiten und zu koordinieren. Was wir erleben, ist jedoch kein Staatsversagen, sondern systematische und vorsätzliche Rechtsverletzung: Rettungsleitstellen geben Informationen zu Seenotfällen nicht weiter, koordinieren Seenotfälle mit der sogenannten libyschen Küstenwache, die – sogar in maltesischen Gewässern – illegale Rückführungen durchführen, und lassen es zu, dass Frontex-Flugzeuge Schiffbrüche und gewaltsame Abfangmanöver beobachten, anstatt adäquate Rettung zu mobilisieren.

Diese Praktiken stellen einen eklatanten Verstoß gegen das SOLAS-Übereinkommen, das SAR-Übereinkommen, das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) und den Grundsatz der Nichtzurückweisung dar. Wenn Staaten Rettungsmaßnahmen behindern, anstatt sie zu ermöglichen, setzen sie Recht nicht durch, sondern verstoßen dagegen.

Hintergrund

Im Dezember 2024 trat das von der italienischen Regierung verabschiedete „Flussi-Dekret” (umgewandelt in das Gesetz 145/2024) zu Migrations- und Asylrechtsfragen in Kraft. Es verschärft die bereits restriktiven Bestimmungen des „Piantedosi-Dekrets” und reicht von Geldstrafen bis hin zur Festsetzung und dauerhaften Beschlagnahmung von Such- und Rettungsschiffen. Die neuen Bestimmungen erleichtern die Beschlagnahmung von Schiffen, indem sie Reeder unabhängig von Kapitänin oder Kapitän für wiederholte Verstöße haftbar machen, und stellen damit eine weitere Eskalation der gezielten Behinderung der Arbeit von Seenotrettungsorganisationen im zentralen Mittelmeerraum dar.

Vor zehn Jahren begannen zivile Seenotrettungsorganisationen, die tödliche Lücke zu füllen, die die EU und ihre Mitgliedstaaten im zentralen Mittelmeerraum hinterlassen hatten. Während die EU sich zunehmend auf Grenzkontrollen und die Auslagerung von Grenzmanagement konzentriert, um die Ankunft von Menschen an den europäischen Küsten zu verhindern, retteten zivile Rettungsschiffe seitdem mehr als 175.500 Menschen aus Seenot. Dennoch werden nichtstaatliche Seenotrettungsorganisationen seit 2017 zunehmend kriminalisiert und systematisch behindert – durch restriktive Gesetze und Richtlinien, die im Widerspruch zum internationalen Seerecht und den Menschenrechten stehen.

Wir fordern:

  • die sofortige Aufhebung des Piantedosi- und des Flussi-Dekrets. Die unmenschliche Aufforderung gegenüber Rettungsschiffen, Überlebende nur teilweise auszuschiffen, sowie die Zuweisung weit entfernter Häfen müssen beendet werden. Wie vom internationalen Seerecht gefordert, müssen Gerettete unverzüglich am nächstgelegenen sicheren Ort ausgeschifft werden. Sie sollten aufgrund von politischen Kalküls keine zusätzlichen Reisen erdulden müssen.
  • die sofortige Freilassung des Beobachtungsschiffes Nadir und die Beendigung der Behinderung und Kriminalisierung nichtstaatlicher Seenotrettungsaktivitäten.
  • dass die EU-Mitgliedstaaten ihrer Pflicht zur Rettung von Menschen auf See nachkommen und das Völkerrecht einhalten. Die Behörden und Rettungsleitstellen müssen zivile Schiffe bei der Koordinierung von Rettungsaktionen unterstützen, damit sie ihrer Aufgabe Menschen in Not zu helfen nachkommen können.
  • die Einrichtung eines EU-finanzierten und koordinierten Seenotrettungsprogramms.
  • sichere und legale Wege nach Europa, um zu verhindern, dass Menschen gezwungen werden, sich auf seeuntüchtige Boote über das zentrale Mittelmeer zu begeben.

Unterzeichner*innen

  1. Association for Juridical Studies on Immigration (ASGI)
  2. borderline-europe, Human rights without borders e.V.
  3. Captain Support Network
  4. Cilip | Bürgerrechte & Polizei 
  5. CompassCollective
  6. CONVENZIONE DEI DIRITTI NEL MEDITERRANEO 
  7. EMERGENCY
  8. European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)
  9. Gruppo Melitea 
  10. iuventa-crew
  11. LasciateCIEntrare 
  12. Maldusa project
  13. Médecins Sans Frontières
  14. MEDITERRANEA Saving Humans
  15. MEM.MED Memoria Mediterranea 
  16. migration-control.info project
  17. MV Louise Michel project
  18. Open Arms 
  19. RESQSHIP
  20. r42 Sail And Rescue
  21. Refugees in Libya
  22. Salvamento Marítimo Humanitario (SMH)
  23. SARAH-Seenotrettung 
  24. Sea-Eye
  25. Sea Punks e.V
  26. Sea-Watch
  27. SOS Humanity
  28. SOS MEDITERRANEE
  29. Statewatch
  30. Tunisian Forum for Social and Economic Rights FTDES
  31. United4Rescue 
  32. Watch the Med Alarm Phone

Nach 20 Tagen Festsetzung und gestrichener Förderung durch die Bundesregierung kehrt das zivile Rettungsschiff ins Mittelmeer zurück.

Etwa drei Wochen, nachdem die Bundesregierung angekündigt hat, die finanzielle Förderung für zivile Seenotrettung zu streichen, bricht das Rettungsschiff SEA-EYE 5 erneut ins Mittelmeer auf. Zuvor hatten über 80.000 Menschen in einer Petition gefordert, die Unterstützung wieder in den Bundeshaushalt aufzunehmen.

„Viele Menschen haben sich in sehr kurzer Zeit solidarisch gezeigt und ermöglichen, dass die SEA-EYE 5 erneut auslaufen kann. Dafür sind wir dankbar! Doch dieses starke zivilgesellschaftliche Signal steht im scharfen Kontrast zur Haltung der Bundesregierung. Sie reiht sich ein in ein brutales EU-Grenzregime, zieht sich aus der Verantwortung zurück und überlässt die Rettung von Menschenleben wieder allein der zivilen Seenotrettung und den Mittelmeeranrainern. Mit ihrer Politik macht die Bundesregierung Fluchtwege tödlicher und lässt humanitäre Hilfsorganisationen im Stich. Und das ist kein versehentlicher, politischer Blindflug. Das ist ein vorsätzlicher Bruch mit humanitären Grundwerten”, erklärt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye.

„Gerade in diesen Zeiten stehen wir zu unserer Kooperation mit Sea-Eye und damit zur zivilen Seenotrettung. So stellen wir weiterhin durch den Einsatz unserer Ärzt*innen an Bord die dringend notwendige medizinische Versorgung der in Seenot geratenen Menschen sicher“, betont Dr. Christine Winkelmann, Vorständin Projekte German Doctors e.V.

Für die SEA-EYE 5 ist es die erste Mission nach einer 20-tägigen Festsetzung in Pozzallo auf Sizilien. Die italienischen Behörden hatten diese nach der Rettung von 65 Menschen verhängt. Sea-Eye hat bereits Klage gegen die Verwaltungshaft und das damit verbundene Bußgeld erhoben. Allein im Jahr 2024 hat der Verein drei Klagen gegen unrechtmäßige Festsetzungen durch die italienischen Behörden gewonnen.

Der Wegfall von über zwei Millionen Euro hat konkrete Auswirkungen auf Rettungseinsätze und die Überlebenschancen von Menschen in Seenot.

Seit 2022 förderte das Auswärtige Amt die zivile Seenotrettung im Mittelmeer mit jährlich zwei Millionen Euro. Vor dem Kabinettsbeschluss, die Mittel aus dem Bundeshaushalt zu streichen, wurde mit keiner der betroffenen Organisationen Kontakt aufgenommen.

Dazu sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye: „Wir füllen seit zehn Jahren die Lücke auf dem Mittelmeer, die eigentlich von europäischen Staaten – und somit auch von Deutschland – geschlossen werden müsste. Die finanzielle Unterstützung hat für Sea-Eye zusätzliche Missionen ermöglicht und ganz konkret Menschenleben gerettet. Jetzt kann es passieren, dass wir trotz Seenotfällen im Hafen bleiben müssen. Die Förderung der Seenotrettung durch die Bundesregierung darf nicht still und unkommentiert gestrichen werden. Weniger Menschen werden dann aus Seenot gerettet. Deshalb muss der Bundestag die Unterstützung im Bundeshaushalt fortsetzen. Der Schutz von Menschenleben und Menschenrechten darf in Deutschland nicht weniger wichtig sein als massive Investitionen in Rüstung. Das politische Signal wäre fatal. Ich appelliere an alle Abgeordneten der demokratischen Parteien im Bundestag: Sorgen Sie dafür, dass die Förderung ziviler Seenotrettung fortgeführt wird und wir weiterhin Leben retten können.

Allein im letzten Jahr sind im Mittelmeer über 2.500 Menschen auf der Flucht gestorben (Quelle: IOM Missing Migrants Project). Sea Eye finanziert sich seit der Gründung 2015 fast ausschließlich aus Spendengeldern. Mit der Förderung durch die damalige Ampel-Regierung im Jahr 2022 nahm der Verein erstmals staatliche Unterstützung in Anspruch. Damit konnten die gestiegenen Kosten für Treibstoff, Liegegebühren sowie Personal an Bord und an Land ausgeglichen und die Präsenz der Rettungsschiffe im Einsatzgebiet gewährleistet werden.

Zum zehnjährigen Bestehen ziviler Seenotrettung im zentralen Mittelmeer zogen United4Rescue, Sea-Watch, Sea-Eye und SOS Humanity auf einer Pressekonferenz Bilanz – und forderten ein Ende der politischen Blockaden von Rettungseinsätzen.

Seit 2015 leistet zivile Seenotrettung unmittelbare Hilfe im zentralen Mittelmeer. Bis April 2025 waren zivile Schiffe an der Rettung von 175.595 Menschen beteiligt – trotz wachsender politischer und bürokratischer Schikanen. Europäische Staaten und die EU setzen weiterhin auf Abschottung statt Schutz und missachten dabei internationales Recht. So führte etwa das italienische “Piantedosi-Dekret” seit Januar 2023 zur Festsetzung ziviler Schiffe in 28 Fällen – insgesamt 680 Tage lang.

„Zehn Jahre zivile Seenotrettung bedeuten zehn Jahre Ignoranz und Wegschauen der Politik. Dort, wo staatliche Akteur*innen ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, sind wir als zivile Flotte zur Stelle. Wir sehen hin. Wir fahren hin. Zehn Jahre zivile Seenotrettung sind eine eindringliche Mahnung, die Stille des Ertrinkens zu brechen. Egal, wie rau der politische Gegenwind für den Schutz von Menschen auf der Flucht wird: In den letzten zehn Jahren haben wir gezeigt, was starke zivilgesellschaftliche Bündnisse erreichen können. Man muss mit uns rechnen“, betont Anna di Bari, Vorständin von Sea-Eye.

Die Unterstützung für zivile Seenotrettung bleibt stark: Zehntausende engagieren sich, spenden und ermöglichen so Rettungseinsätze. Das Bündnis United4Rescue mit fast 1.000 Mitgliedsorganisationen steht exemplarisch für diesen Rückhalt in der Zivilgesellschaft. Ebenso wichtig sind Gruppen wie Refugees in Libya, die sich für die Rechte von Flüchtenden einsetzen und Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, oder das Alarm Phone, das seit über zehn Jahren eine Notruf-Hotline für Menschen in Seenot betreibt. Beide nahmen – stellvertretend für viele weitere – an der Pressekonferenz teil und machen deutlich: Wenn Staaten versagen, versucht die Zivilgesellschaft einzuspringen – auch wenn sie eine politische Lösung nicht ersetzen kann.

Als eine menschenrechtskonforme europäische Lösung stellten die Organisationen das Rettungskonzept Mare Solidale vor. Es skizziert den rechtlichen Rahmen, schlägt konkrete Mechanismen für eine koordinierte EU-Seenotrettung vor und legt eine realistische Kostenabschätzung vor. Die Botschaft ist klar: Die EU könnte das Sterben im Mittelmeer beenden – wenn der politische Wille vorhanden wäre.

Die Organisationen fordern von der Bundesregierung ein klares Bekenntnis zur Seenotrettung als humanitäre und rechtliche Pflicht. Deutschland soll sich in der EU für ein staatlich koordiniertes, voll finanziertes Rettungsprogramm im Mittelmeer einsetzen. Die Kooperation mit autoritären Regimen wie Tunesien und Libyen im Bereich Grenzschutz muss beendet werden. Tunesien darf angesichts systematischer Gewalt, fehlendem Asylschutz und politischer Repression nicht als sicheres Herkunfts- oder Drittland eingestuft werden.

Das zivile Rettungsschiff SEA-EYE 5 der Regensburger Seenotrettungsorganisation Sea-Eye wurde am Montag, den 16. Juni 2025, von italienischen Behörden im Hafen von Pozzallo festgesetzt.

Die Festsetzung folgte auf einen Einsatz am Samstag (14. Juni), bei dem die Crew der SEA-EYE 5 insgesamt 65 Menschen aus einem überfüllten Schlauchboot in akuter Seenot im zentralen Mittelmeer gerettet hatte – darunter zahlreiche Frauen sowie mehrere teils schwer Verletzte. 

Diese Festsetzung ist ein politisch motivierter Akt und ein schwerwiegender Angriff auf die zivile Seenotrettung. Das Kalkül dahinter: Von kleinen Rettungsschiffen wird mehr verlangt, als sicherheitstechnisch überhaupt vertretbar ist – und wer sich weigert, Menschenleben zu gefährden, wird bestraft,“ erklärt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Sea-Eye wird in drei Punkten beschuldigt:

Missachtung von Anweisungen der Seenotleitung (MRCC Rom):
Der Kapitän habe Informationen nicht vollständig übermittelt und die selektive Übergabe einzelner Personen an die Küstenwache verweigert – mit dem Hinweis, dass alle Menschen an Bord schutzbedürftig sind.

Verzögerter Antrag auf Ausschiffung:
Der SEA-EYE 5 wird vorgeworfen, den Ausschiffungshafen nicht „rechtzeitig und offiziell“ beantragt zu haben. Tatsächlich stand Sea-Eye seit Beginn der Rettung in aktivem Austausch mit mehreren Seenotleitstellen, darunter Bremen und Rom. Jegliche Kommunikation wurde schriftlich dokumentiert und nachgehalten.

Verspätete Weiterfahrt zum Hafen Tarent:
Die SEA-EYE 5 habe ihre Fahrt nach der Zuweisung von Tarent nicht „ohne Verzögerung“ angetreten und über sechs Stunden vor Pozzallo ausgeharrt. Pozzallo wurde der SEA-EYE 5 offiziell als Port of Safety zugewiesen. Dass die SEA-EYE 5 so lange vor dem Hafen warten musste, lag daran, dass die geplante Ausschiffung durch die Seenotleitstelle in Rom gestrichen wurde. Die Anforderungen des Transshipments sowie Anweisung zur Weiterfahrt waren aus Sicht von Sea-Eye nicht mit der Sicherheitslage an Bord sowie den technischen Gegebenheiten des Schiffs vereinbar.

Sea-Eye weist Vorwürfe entschieden zurück

„Die Vorwürfe sind konstruiert, um Rettungseinsätze zu kriminalisieren. Unsere Crew hat jederzeit im Sinne der geretteten Menschen und im Einklang mit dem internationalen Seerecht gehandelt. Die Festsetzung zeigt einmal mehr, dass die italienischen Behörden zivile Rettungsschiffe systematisch verdrängen wollen”, so Isler.

Sea-Eye kündigte an, juristisch gegen die Festsetzung vorzugehen. Die Organisation sieht in der aktuellen Maßnahme eine Fortsetzung der repressiven italienischen Hafenpolitik, die bereits im Fall des zivilen Rettungsschiffs NADIR für internationale Kritik gesorgt hatte.

Die Vorgeschichte: Behördliches Tauziehen um Ausschiffungshafen

Nach der Rettung hatte das italienische MRCC Rom zunächst den 390 Seemeilen entfernten Hafen Tarent als Port of Safety zugewiesen – obwohl diese Distanz nicht mit den technischen Gegebenheiten des Schiffs vereinbar ist und auch die Wasserreserven an Bord nicht für den mehrtägigen Transport derart vieler Personen ausreichen. Erst nach massivem Druck und intensiven Appellen unter Verweis auf internationales Seerecht sowie nachdrücklicher Argumentation lenkte die Seenotleitstelle in Rom in der Nacht ein und wies Sea-Eye den näher gelegenen Hafen Pozzallo auf Sizilien zu.

Am Sonntag erreichte die SEA-EYE 5 gegen 14:00 Uhr schließlich Pozzallo. Bei ihrer Ankunft wurde die Crew darüber informiert, dass anstelle der Ausschiffung aller Geretteten nur noch ein sogenanntes Transshipment gestattet wird. Dafür wurde die Besatzung aufgefordert, schutzbedürftige Personen zu identifizieren und an ein italienisches Patrouillenschiff der Küstenwache zu übergeben. Die übrigen Geretteten sollten weiterhin an Bord bleiben und bis nach Tarent in Apulien gebracht werden.

Während der mehrstündigen Verhandlung musste die Crew erneut eine medizinische Evakuierung anfordern, da sich der Zustand einer schwangeren Frau kontinuierlich verschlechterte. Auch am Vortag wurde ein Antrag auf medizinische Evakuierung für drei Personen gestellt, bewilligt und drei Personen mit schweren Verletzungen an die italienische Küstenwache übergeben. Um 20:30 Uhr erhielt die Besatzung die offizielle Erlaubnis, in den Hafen einzufahren und die Geretteten an Land zu bringen. Gleichzeitig wurde der Antrag auf medizinische Evakuierung bewilligt, sodass die schwangere Frau mit einem Familienmitglied noch vor dem Einlaufen im Hafen an Land gebracht und versorgt werden konnte.  

Nachdem die verbliebenen 60 Personen sicher an Land gebracht worden waren, stellten die italienischen Behörden die SEA-EYE 5 zunächst unter Quarantäne. Erst am Montagabend folgte gegen 18:30 Uhr die offizielle Festsetzung – die erste für das seit Dezember 2024 von Sea-Eye betriebene Schiff.

„Kein Land für Niemand“ hinterfragt die aktuellen Narrative über Flucht und Migration.

Der Film „Kein Land für Niemand – Abschottung eines Einwanderungslandes“ begleitet eine Rettungsmission im Mittelmeer, zeigt die katastrophalen Zustände in Lagern für Geflüchtete und gibt Menschen eine Stimme, die den lebensgefährlichen Weg nach Europa überlebt haben. Gleichzeitig blickt die Dokumentation auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland: Ein erstarkender Rechtspopulismus prägt den Diskurs, Flucht und Migration werden zunehmend kriminalisiert, und humanitäre Hilfe gerät unter Druck. Deutschland gibt hier immer wieder den Takt vor und Europa zieht nach. 

Durch exklusive Interviews mit politischen Entscheidungsträger*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen stellt „Kein Land für Niemand“ die aktuellen Narrative über Flucht und Migration kritisch infrage und beleuchtet die Mechanismen, mit denen Angst und Populismus die politische Agenda bestimmen. Welche Alternativen gibt es zu einem Europa, das sich immer weiter abschottet? Ein Film über eine Krise, die weit mehr ist als eine Debatte über Grenzen – sondern eine über Menschlichkeit, Verantwortung und die Zukunft Europas. 

Das Regie-Duo, bestehend aus Max Ahrens und Maik Lüdemann, lernte sich 2014 im Filmstudium kennen. „Kein Land für Niemand“ ist ihr gemeinsames Langfilm-Debüt. Maik Lüdemann ist Regisseur und Kameramann und drehte für Firmen und gemeinnützige Organisationen prämierte Kino-, TV-, und Social-Media-Werbung. Für seine Dokumentation „Minden Replying“ begab sich Lüdemann 2016 auf einen Rettungseinsatz im Mittelmeer und erlebte das Ausmaß der Katastrophe an Europas Grenzen erstmals hautnah. Max Ahrens ist Autor, Regisseur und Kulturwissenschaftler. Im Rahmen seines Studiums beschäftigte er sich mit den ideologischen, gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhängen rund um das Thema Migration und Flucht und spezialisierte sich auf die Erforschung filmischer Darstellung von Trauma.

„Als wir 2022 mit der Arbeit an dem Film angefangen haben, hatten wir keine Ahnung, was uns in den nächsten drei Jahren bevorstehen würde. Wir wollten andere, hoffnungsvollere und konstruktivere Perspektiven auf das Thema Migration finden, die über wiederkehrende Silvester- und Freibad-Debatten hinausgehen. Dann wurden der Film und wir mitgerissen von einem historischen Rechtsruck. „Kein Land für Niemand“ ist jetzt die Bilanz unserer ziemlich intensiven Reise durch das Zeitgeschehen und dokumentiert die migrationspolitische Wende, die wir gerade erleben. Wir möchten damit zu anderen, komplexeren und menschenfreundlicheren Migrationsdebatten beitragen und solche anregen, die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft für alle machen”, erklären die Regisseure Max Ahrens und Maik Lüdemann.

Die Umsetzung des Films wurde durch ein Förderbündnis ermöglicht, an dem folgende Organisationen beteiligt waren: Sea-Watch, United4Rescue, Pro Asyl, German Doctors, Mennonitisches Hilfswerk und Sea-Eye.


Die Aufführungstermine sowie weitere Informationen finden Sie auf der Website des Films.

Der zugewiesene Hafen in Vibo Valentia liegt über 295 Seemeilen entfernt.

Am Nachmittag des 06. Juni 2025 informierte die Organisation Alarm Phone die zuständigen Behörden und das Rettungsschiff SEA-EYE 5 über einen Seenotfall in der libyschen Sh- und Rettungszone. Gegen 20:00 Uhr erreichte die Besatzung der SEA-EYE 5 das in Seenot befindliche Schlauchboot und evakuierte die 50 Insassen. Trotz der begrenzten Bordkapazitäten des Rettungskreuzers wiesen die italienischen Behörden in der Folge Vibo Valentia als Hafen zu, der sich 295 Seemeilen vom Ort der Rettung entfernt befindet. Diese unverhältnismäßig lange Transitzeit stellt eine akute Belastung für die Gesundheit und Sicherheit aller Menschen an Bord dar. Die Geretteten sitzen unter freiem Himmel auf engstem Raum. An Bord gibt es keine Schlafmöglichkeiten, nur eingeschränkte sanitäre Infrastruktur und lediglich eine Grundversorgung mit Wasser und Lebensmitteln.

„Bereits bei ihrer Rettung waren die meisten Personen durchnässt, dehydriert, seekrank und stark erschöpft. Hinzu kamen mittlere bis schwere Sonnenbrände, Skabies sowie ältere Wunden und Rückenverletzungen. Der Allgemeinzustand verschlechtert sich mit zunehmender Fahrtdauer und wurde insbesondere in der zweiten Nacht wie von uns erwartet zunehmend schwieriger. Wellen schlagen über Bord, die Geretteten kauern sich unter ihren Decken zusammen. Frierend und durchnässt warten sie auf den Sonnenaufgang, der Wärme bringt.“, erklärt Merle Brinkhus, Bordärztin auf der SEA-EYE 5 für German Doctors e.V.  

Aufgrund der sich stetig verschlechternden Lage an Bord bat die SEA-EYE 5 insgesamt vier Mal offiziell bei den zuständigen italienischen Behörden um Erlaubnis, die Geretteten in einem näher gelegenen Hafen an Land zu bringen. Dies wurde abgelehnt. Warum die aufgeführten gesundheitlichen und sicherheitsbedingten Gründe für eine geänderte Hafenzuweisung nicht anerkannt wurden, blieb unbeantwortet. Bei den letzten drei Missionen der SEA-EYE 5 haben die italienischen Behörden stets die humanitäre Situation anerkannt und den jeweiligen Anträgen auf Zuweisung eines näheren Hafens entsprechend stattgegeben.

Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V. betont: „Warum sie sich dieses Mal aktiv dagegen entschieden haben, ist uns unerklärlich. Die SEA-EYE 5 ist als Rettungskreuzer für derartig lange Transitzeiten weder ausgestattet noch geeignet. Mit ihrer Entscheidung, uns keinen näheren Hafen zuzuweisen, nehmen die italienischen Behörden schwerwiegende Gefahren sowohl für die geretteten Personen als auch für unsere Crew billigend in Kauf. Es gibt in Süditalien genug sichere Häfen, die in der Lage sind, Menschen auf der Flucht aufzunehmen.“

Die SEA-EYE 5 wird von Sea-Eye e.V. betrieben, einem Verein, der seit 2015 Rettungsschiffe im Mittelmeer betreibt und über 18.000 Menschen aus Seenot gerettet hat. 

SEA-EYE 4

Nach über 4,5 Jahren unermüdlichen Einsatzes für Menschen in Seenot nehmen wir schweren Herzens Abschied von unserer roten Lady, der SEA-EYE 4. Für viele war sie mehr als ein Rettungsschiff – sie wurde zu einem sicheren Hafen mitten im zentralen Mittelmeer und zu einem Symbol der Solidarität im tödlichsten Grenzraum Europas. Gemeinsam mit rund 250 Crewmitgliedern und zahllosen Unterstützer*innen an Land hat sie trotz anhaltender politischer Repressionen rund 3.700 Menschen auf einem Stück ihrer gefährlichen Flucht begleitet. Mit großer Dankbarkeit blicken wir auf 20 Missionen und ihren vielen hunderten Geschichten von Widerstandskraft und Überleben zurück. Wir sind überzeugt, dass das Schiff künftig auch bei unseren italienischen Freund*innen von Mediterranea Saving Humans (MSH) ein leuchtendes Zeichen der Menschlichkeit bleibt. Danke, rote Lady – und DANKE an all die unzähligen Menschen und Partnerorganisationen, die ihrer wichtigen Mission über viele Jahre Leben geschenkt haben.

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Mehr Informationen


Ein Rückblick: die großen Momente eines großen Rettungsschiffs

Oktober 2020: Kauf und Umbau der SEA-EYE 4 

Sea-Eye erwirbt mit maßgeblicher Unterstützung des Bündnisses United4Rescue ein Offshore-Versorgungsschiff (Baujahr 1972) – und funktioniert es mit rund 250 Ehrenamtlichen innerhalb von sechs Monaten zum Rettungsschiff um. Die SEA-EYE 4 wird das zweite Bündnisschiff von United4Rescue.

28. Februar 2021: Schiffstaufe 

Die SEA-EYE 4 wird in Rostock getauft. Die Taufe findet unter strengen Corona-Regeln in kleinem Kreis statt. Taufpate ist der damals 18-jährige Alpha Jor Barry, der 2018 vom Vorgängerschiff ALAN KURDI gerettet wurde. Anschließend wird sie vom Rostocker Werfthafen an ihren Liegeplatz in Burriana überführt.

Mai 2021: Erster Einsatz mit über 400 Geretteten 

Am 8. Mai sticht die SEA-EYE 4 zu ihrer ersten Mission in See – erstmals gemeinsam mit der Partnerorganisation German Doctors. Der Einsatz findet mitten in der Corona-Pandemie statt: Alle Crewmitglieder müssen zuvor in Quarantäne und negativ getestet werden. Mit an Bord ist auch Notfallsanitäter und Moderator Tobi Schlegl, der später ein Buch über die Mission veröffentlicht. Insgesamt können bei sechs Einsätzen über 400 Menschen gerettet werden, darunter befinden sich zahlreiche Kinder. Nach dem Einsatz wird das Schiff für drei Monate festgesetzt – wegen formaler „Mängel” bei Zertifikaten und Abwasserentsorgung. Die SEA-EYE 4 kann angepasst und die politisch motivierte Blockade aufgehoben werden.

Oktober / November 2021: Größte Rettung von über 800 Menschen  

Bei ihrem dritten Einsatz überhaupt rettet die SEA-EYE 4 gemeinsam mit der RISE ABOVE der Organisation Mission Lifeline in sieben Einsätzen rund 850 Menschen aus Seenot – darunter etwa 170 Minderjährige. Besonders dramatisch: ein überfülltes Holzboot mit über 400 Personen, das bereits Wasser aufnahm. Gemessen an der Zahl der Überlebenden geht die Mission als die bis dato größte Rettungsmission des Schiffes in die Geschichte ein.

Das Jahr 2022: Beginn des restriktiven Kurswechsels durch das Piantedosi-Dekret

Bei einem Einsatz im Juni 2022 rettet die Crew der SEA-EYE 4 erneut rund 500 Menschen. Leider werden nun die ersten Anzeichen eines politischen Kurswechsels in Italien spürbar: Im Dezember erfolgt erstmals eine direkte Hafenzuweisung durch die italienischen Behörden noch während eines laufenden Rettungseinsatzes – eine Vorahnung auf das, was das Piantedosi-Dekret mit sich bringen wird. Es wird zivile Seenotrettungsschiffe dazu verpflichten, nach einer einzelnen Rettung sofort einen – oft weit entfernten – zugewiesenen Hafen anzulaufen, anstatt weitere Rettungen durchzuführen. Bei Zuwiderhandlung drohen hohe Geldstrafen und Schiffsbeschlagnahmungen. Eine Zäsur, die die zivile Seenotrettung in den Folgejahren stark behindern wird.

Februar 2023: Erste Todesfälle im Einsatz

Bei einem Rettungseinsatz im zentralen Mittelmeer kann die Crew der SEA-EYE 4 zwei Menschen nur noch tot bergen – darunter die Mutter eines überlebenden Babys. Es ist das erste Mal, dass Verstorbene an Bord des Schiffes genommen werden. Eine weitere Person stirbt nach einer Notfallevakuierung im Krankenhaus an Land. Es sind dunkle Stunden auf der SEA-EYE 4: Unser Mitgefühl gilt bis heute allen Hinterblieben.

Juni & August 2023: Erste Festsetzungen unter dem Piantedosi-Dekret

Erstmals wird die SEA-EYE 4 im Juni nach der Rettung von insgesamt 49 Menschen im Hafen von Ortona festgesetzt. Grund ist das Piantedosi-Dekret vom Februar 2023: Die Crew hat die Fahrt zum zugewiesenen Hafen unterbrochen, um weiteren Menschen in Seenot zu helfen. Italien verhängt 20 Tage Verwaltungshaft und eine Geldstrafe von 3.333 Euro. Im August folgt die zweite unrechtmäßige Festsetzung für 20 Tage, nachdem in drei Einsätzen 114 Menschen gerettet wurden. Sea-Eye klagt gegen beide Festsetzungen.

Oktober 2023: Dramatische Rettung mit 4 Toten 

Mit aggressiven Manövern bedrängt die sogenannte libysche Küstenwache ein überfülltes Schlauchboot in Anwesenheit der SEA-EYE 4. In Panik stürzen mehrere Menschen ins Wasser, vier Personen – darunter ein zwölfjähriges Mädchen – können nur noch tot geborgen werden. 48 Menschen überleben die dramatische Rettung. Nach der Mission wird die SEA-EYE 4 für 20 Tage im Hafen von Vibo Valentia festgesetzt. Die Begründung: Die Besatzung sei den Anweisungen der aggressiv agierenden sogenannten libyschen Küstenwache nicht gefolgt. Sea-Eye klagt auch gegen diese Festsetzung. Ein italienisches Gericht bestätigt später, dass die Verwaltungshaft rechtswidrig war – und die Crew ihrer Pflicht zur Seenotrettung in vollem Umfang nachgekommen ist. Ein Befolgen der Anweisungen der sogenannten libyschen Küstenwache wäre nicht mit dem internationalen Recht vereinbar gewesen.

Feb/März 2024: 2 Todesfälle und 60 Tage Festsetzung 

Rund 200 Menschen rettet die SEA-EYE 4 auf ihrer Mission im Februar und März 2024 – darunter auch mehrere Schwerverletzte; zwei Menschen überleben ihre Flucht nicht. Mehrfach bedroht die sogenannte libysche Küstenwache das Schiff. Bei einer Rettung zielt sie mit vorgehaltener Waffe auf das Einsatzboot. Im März wird die SEA-EYE 4 in Italien 60 Tage festgesetzt – die zu diesem Zeitpunkt längste Verwaltungshaft eines Rettungsschiffs unter dem Piantedosi-Dekret. Die Behörden begründen dies erneut mit angeblichen Nichtbefolgen von Anweisungen der sogenannten libyschen Küstenwache – dabei hätte eine Übergabe an Libyen einen völkerrechtswidrigen Pushback dargestellt. Auch andere deutsche Rettungsschiffe werden festgesetzt. Die Crew der SEA-EYE 4 startet eine Petition, die Landcrew trägt den Protest auf die Straße. Zu Recht: Im Juni 2024 erklärt das Gericht in Reggio Calabria auch diese Festsetzung für unrechtmäßig.

November 2024 – Februar 2025: SEA-EYE 4 wird Nothilfezentrum nach Flut in Valencia

Einen Tag vor der schweren Flutkatastrophe in Valencia kehrt die SEA-EYE 4 aus dem Einsatz nach Spanien zurück: Kurzfristig wird sie zum Nothilfezentrum umfunktioniert. In enger Zusammenarbeit mit der lokalen Organisation L’Aurora – einer unersetzbaren Unterstützer-Organisation von Sea-Eye in Burriana seit vielen Jahren – koordinierte die Crew der SEA-EYE 4 die Verteilung von über 14.000 Mahlzeiten, 1.000 Kilogramm frischem Obst und Gemüse, 7.000 Broten und Trinkwasser.  Mobile medizinische Teams versorgen abgeschnittene Gebiete, LKW-Ladungen von Spenden werden sortiert und gespendete Fahrräder repariert. Die Crew und rund 400 Ehrenamtliche machen das Schiff in dieser Zeit zu einem zentralen Ort der Hilfe.

Februar / März 2025: Solidarität in der zivilen Flotte gemeinsame Mission mit Sea-Watch

Im März 2025 führen die Organisationen Sea-Eye und Sea-Watch eine gemeinsame Rettungsmission im zentralen Mittelmeer durch. Die Besatzung der SEA-EYE 4, bestehend aus Mitgliedern beider Organisationen, rettet insgesamt 163 Menschen aus Seenot. Die Mission ist ein gemeinsames Zeichen der Solidarität in der zivilen Flotte – vereint gegen die Abschottungspolitik Europas.

Mai / Juni 2025: Wir nehmen Abschied und übergeben die Rote Lady an MSH

Die SEA-EYE 4 wird in neue Hände gegeben und von Mediterranea Saving Humans weiterbetrieben: Voller Dankbarkeit für das, was unsere rote Lady in den letzten Jahren geleistet hat, im vollen Vertrauen, dass sie diese Arbeit nun unter neuem Namen weiterführen wird – und mit großer Zuversicht, dass wir als gemeinsam agierende zivile Flotte mit abgestimmten Strategien noch mehr Menschen aus Seenot retten können. Wir danken allen, die in den letzten Jahren daran mitgewirkt haben, die SEA-EYE 4 mit uns auf ihre wichtigen Missionen zu schicken – und viele, viele hunderte Menschen aus Seenot zu retten.

Wir verabschieden uns von der SEA-EYE 4 mit den Worten eines Überlebenden, der in einem Brief aus seiner Sicht genau das beschrieb, was dieses Schiff immer sein sollte – ein sicherer Hafen für Menschen auf der Flucht:

„Ist man auf diesem Schiff, hatte man großes Glück – es bedeutet, man ist in Sicherheit.”