Italienische Küstenwache führte neunstündige Hafenstaatkontrolle durch

Am Freitag erreichte die SEA-EYE 4 den von der italienischen Küstenwache zugewiesenen Hafen in Brindisi. 51 Menschen konnten das Schiff verlassen, die zuvor in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch in der libyschen Such- und Rettungszone gerettet worden sind. Die Polizei, 118 Rettungskräfte, Freiwillige des Roten Kreuzes und des Zivilschutzes waren laut Brindisi Report vor Ort.

Wir sind den örtlichen Einsatzkräften von Brindisi sehr dankbar. Die Ausschiffung der Geretteten verlief reibungslos, sehr engagiert und menschlich“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Noch am Freitagabend kündigte der Hafenmeister von Brindisi eine Hafenstaatkontrolle durch die italienische Küstenwache für Samstag an. In den vergangenen Jahren führten solche Hafenstaatkontrollen immer wieder zu Festsetzungen von Seenotrettungsschiffen und zu Streit zwischen der italienischen Küstenwache und den deutschen Flaggenstaatsbehörden.

Die Hafenstaatkontrolle begann am Samstagmorgen gegen 9 Uhr. Zwei Inspekteure der italienischen Küstenwache betraten das Schiff und führten eine intensive technische und nautische Inspektion durch. Die Besatzung musste mehrere Übungen vorführen. Dazu gehörten u.a. das Verlassen des Schiffs im akuten Notfall und Feuerbekämpfungstrainings. Die technische und nautische Ausrüstung, die Schiffszertifikate, die Arbeitsverträge der Crew, die Mannschaftsquartiere, die Unterkünfte Überlebender, das Bordhospital und der Maschinenraum wurden intensiv überprüft. Insgesamt dauerte die Hafenstaatkontrolle neun Stunden und endete gegen 18 Uhr.

Die Inspekteure fanden in einer unvergleichbar intensiven Kontrolle keine Gründe für eine Festsetzung des Schiffes. Die italienische Küstenwache bestätigt uns damit, dass Schiff und Crew im Einklang mit internationalen Vorschriften agieren. Wir sind stolz auf unsere Crew und auf unsere nautisch-technische Abteilung. Jetzt kann das Schiff den laufenden Einsatz fortsetzen, den Hafen verlassen und sofort ins Einsatzgebiet zurückkehren, um dort Menschenleben zu retten“, sagt Isler weiter.

Sea-Eye kritisiert Scheindebatte zur Seenotrettung im Bundestag

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch rettete die Crew des Rettungsschiffs SEA-EYE 4 im zentralen Mittelmeer 51 Menschen aus einem Schlauchboot. Der Seenotfall war der Crew durch Frontex gemeldet worden. An Bord der SEA-EYE 4 befinden sich nun 51 geflüchtete Menschen, darunter 38 Männer, 12 Frauen und ein Baby. Bei 12 jungen Personen handelt es sich um unbegleitete Minderjährige.

Italien hat der SEA-EYE 4 Brindisi als Ausschiffungshafen zugewiesen. Dieser befand sich zum Zeitpunkt der Zuweisung 509 Seemeilen entfernt. Ein Hafen auf Sizilien wäre für die erschöpften Menschen deutlich schneller erreichbar gewesen.

Barbara Held, Einsatzärztin unseres Partners German Doctors an Bord, berichtet zum Gesundheitszustand der geretteten Menschen: „Wir versorgten einige Verbrennungen, die durch das ätzende Gemisch aus Salzwasser und Benzin verursacht wurden, und viele Kopf- und Körperschmerzen. Die Menschen hatten zwei Tage auf dem kleinen Boot verbracht, ohne sich bewegen zu können und waren sehr erschöpft. Traurig machten mich die Berichte über die Folter in den libyschen Gefängnissen, die Waisenkinder, die ganz alleine auf der Flucht waren und die Familien, die auseinander gerissen worden waren. Wenigstens können wir ihnen hier neben medizinischer Versorgung Respekt, Hoffnung und Sicherheit geben.

Während die Besatzung der SEA-EYE 4 erstmals mit substanzieller Unterstützung der Bundesregierung Menschen rettete und in diesen Stunden in Sicherheit bringt, wird im Deutschen Bundestag über die Seenotrettung im Mittelmeer debattiert.

Im Bundestag gibt es Abgeordnete, die es nicht ertragen, dass mit staatlicher, konkreter Hilfe aus Deutschland Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet werden. Die demokratischen Parteien dieses Landes dürfen sich dieser Scheindebatte nicht ergeben und niemals zulassen, dass humanitäre Arbeit in Deutschland kriminalisiert wird“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.  

Der Bundestag debattierte am Donnerstag, 19. Oktober 2023, erstmals einen AfD-Antrag, bei dem es auch um die finanzielle Unterstützung der Seenotrettung im Bundestag ging.

Ohne die Unterstützung der Bundesregierung werden im kommenden Jahr viele Rettungsmissionen nicht stattfinden. Das würde die Flucht über das Mittelmeer noch gefährlicher machen. Im Bundestag sollte deshalb ernsthaft darüber beraten werden, wie andere EU-Mitgliedsstaaten ermutigt werden können, die Seenotrettung ebenfalls zu unterstützen, statt der AfD nachzugeben und Menschen ertrinken zu lassen. Die Würde des Menschen darf migrationspolitisch nicht relativiert werden“, sagt Isler weiter.

Tödliche Abschottung made in Europe: Die Geschichte der EU-Grenzagentur Frontex

Die EU-Grenzagentur Frontex ist untrennbar mit dem Schengener Abkommen verbunden. In der ersten Frontex-Verordnung waren die Aufgaben noch überschaubar und der operative Grenzschutz lag weiterhin nur in nationalstaatlicher Hand.

1995 haben sieben europäische Regierungen im Rahmen des Schengener Abkommens die Personenkontrollen an ihren Binnengrenzen abgeschafft. Quasi als Ausgleich schreibt der Vertrag jedoch gemeinsame Regeln zur Überwachung und Kontrolle der EU-Außengrenzen vor. Das haben die Schengen-Staaten zunächst in multilateralen Maßnahmen versucht. Dieser Ansatz erwies sich jedoch spätestens mit der EU-Erweiterung um neue östliche Nachbarländer als unpraktisch.

Zehn Jahre später, im Januar 2005, nahm deshalb Frontex in Warschau ihre Arbeit auf. Den Sitz der Agentur hatten die damaligen EU-Staaten nach einem Antrag der polnischen Regierung beschlossen. Im Fokus stand die neue Land-Außengrenze der EU, die sich mit dem Beitritt von sieben osteuropäischen Staaten ab 2004 deutlich nach Osten verschoben hatte.

Frontex ist also untrennbar mit dem Schengener Abkommen verbunden. So zementiert es der Vertrag von Amsterdam, mit dem ein „Raum für Freiheit, Sicherheit und des Rechts“ in die EU-Verträge aufgenommen wurde. Seitdem gehört auch der sogenannte Schengen-Besitzstand zum Rechtsrahmen der EU.

Das bedeutet, dass die EU-Mitglieder alle Entscheidungen zu Frontex treffen dürfen, die anschließend auch von den Nicht-EU-Mitgliedern (aber Schengen-Staaten) Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz umgesetzt werden müssen. Die vier Länder müssen also ohne eigenes Stimmrecht jährliche Budget-Erhöhungen von Frontex mittragen und Personal und Ausrüstung für Operationen bereitstellen.

Das Akronym für Frontex leitet sich von dem französischen Wort für Außengrenzen ab (frontières extérieures). Der offizielle Name lautete damals „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der EU“. Darin steckte eine wichtige Botschaft an die einzelnen Regierungen, die nämlich ihre hoheitlichen Aufgaben – der polizeiliche Grenzschutz gehört dazu – nicht komplett an Brüssel abgeben wollten.

Die Schaffung der EU-Grenzagentur war deshalb ein Kompromiss. Als zwischenstaatliche Einrichtung sollte sie den Schutz der Außengrenzen teilweise europäisieren. Frontex durfte demnach keinesfalls selbst grenzpolizeiliche Operationen durchführen, sondern die Mitgliedstaaten nur darin begleiten und unterstützen.

Die Zurückhaltung der Frontex-Gründerstaaten zeigte sich auch in der Gesetzgebung. In der ersten Verordnung von 2004 waren die darin verankerten Aufgaben noch überschaubar. Insgesamt gab es sechs Aufgabengebiete: Neben der Koordination von gemeinsamen Aktivitäten nationaler Grenzbehörden sollte Frontex den Mitgliedstaaten bei der Ausbildung helfen, Forschungen zur besseren Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen durchführen und regelmäßige Lagebilder mit Prognosen zu Migrationsbewegungen erstellen. Meldete ein Mitgliedstaat Bedarf an, konnte Frontex für „verstärkte technische und operative Unterstützung“ sorgen.

Frontex war damals also noch vergleichsweise klein. Doch schon bald war den EU-Staaten das Korsett einer lediglich koordinierenden Agentur zu eng. So begann der Aufstieg von Frontex zu einer immer mächtigeren und weitgehend unkontrollierbaren Einrichtung, den wir in unserer Serie nachzeichnen wollen.

Erstmaliger Einsatz von Bundesmitteln für zivilen Seenotrettungseinsatz

Am Freitagnachmittag (13.10.2023) verließ das deutsche Rettungsschiff SEA-EYE 4 den Hafen der spanischen Stadt Burriana und brach in den vierten Einsatz des Jahres auf. Es ist der erste Einsatz, der zum Teil aus Bundesmitteln finanziert wird. Der Bundestag beschloss im November 2022 die Förderung der zivilen Seenotrettung mit Haushaltsmitteln. Das Auswärtige Amt setzte den Beschluss nun um und bewilligte einen Antrag auf Förderung von Rettungseinsätzen mit der SEA-EYE 4.

An der gesamten Finanzierung der Mission ist jedoch ein breites Bündnis beteiligt. Neben hunderten Privatspender*innen wird der aktuelle Einsatz auch durch Förderungen der UNO-Flüchtlingshilfe, der Deutschen Postcode Lotterie und mit kommunalen Mitteln der Städte Wolfsburg und Greifswald sichergestellt.

Die zivile Seenotrettung wird von einem immer breiteren Bündnis unterstützt. Dass die Bundesregierung nun nach so vielen Jahren des humanitären Notstands an den EU-Außengrenzen endlich ins Handeln kommt und sich tatsächlich an der Finanzierung einer zivilen Seenotrettungsmission beteiligt, ist ein sehr wichtiges politisches Signal“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Der Streit um die Förderung ziviler Seenotrettungsorganisationen löste zuletzt kontroverse Diskussionen im politischen Berlin aus. Insbesondere die Distanzierung des Bundeskanzlers sorgte für Irritationen bei den Seenotretter*innen von Sea-Eye.

Es muss über alle Parteigrenzen hinweg unzweifelhaftes Einvernehmen dahingehend bestehen, dass wir Menschen vor dem Ertrinken retten und dass es keinen einzigen Grund geben kann, schutzsuchende Menschen dem Meer auszuliefern. Die Würde des Menschen darf migrationspolitisch niemals relativiert werden“, sagt Isler weiter.

Seit Mitte 2021 kooperiert die weltweit tätige, ärztliche Organisation German Doctors mit der zivilen Seenotrettungsorganisation Sea-Eye.

Wir wollen weiterhin nicht die Augen davor verschließen, dass immer noch unzählige Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ihr Leben riskieren und verlieren. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Rettung von Menschen aus akut lebensbedrohlichen Situationen – in unseren Projekten genauso wie auf dem Mittelmeer“, erläutert Vorständin Dr. Christine Winkelmann, verantwortlich für die Projektbetreuung.

Als Einsatzärztin auf der vierten Mission der SEA-EYE 4 in diesem Jahr wird Barbara Held im Auftrag von German Doctors die in Seenot geratenen und von der SEA-EYE 4 aus dem Mittelmeer geretteten Menschen basismedizinisch versorgen.

Zu ihrer Motivation sagt die erfahrene Allgemeinmedizinerin und Schiffsärztin: „Dies wird meine achte Rettungsmission sein. Ich wünschte, sie könnte meine letzte sein, weil Menschen nicht mehr fliehen müssten. Aber das ist derzeit nur ein Traum.“ Für ihre erste Mission mit der SEA-EYE 4 hofft Barbara Held, „dass die Crew zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein werde“.

Insgesamt hat sich die Zahl der Ankünfte schutzsuchender Menschen in Italien im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt. Seenotrettungsorganisationen kommen aber nur im Notfall zum Einsatz. So waren Seenotrettungsorganisationen aus Deutschland in 2 % der Fälle an der Ausschiffung schutzsuchender Menschen in Italien beteiligt (Quelle: ISPI). Insgesamt sind über 2.400 Menschen in 2023 bei dem Versuch ums Leben gekommen, das Mittelmeer zu überqueren, um Schutz in Europa zu finden. In diesem Monat jähren sich die großen Unglücke vor Lampedusa zum zehnten Mal, bei denen am 3. und 11. Oktober 2013 Hunderte Menschen vor Lampedusa starben. Seitdem verloren mehr als 28.000 Menschen ihr Leben an den EU-Außengrenzen. Sie sind damit die tödlichsten Außengrenzen der Welt.

Erneute Klage wegen unrechtmäßiger Festsetzung der SEA-EYE 4

Die Seenotrettungsorganisation Sea-Eye e.V. hat erneut Klage gegen die Festsetzung des Rettungsschiffes SEA-EYE 4 eingelegt. Die italienische Küstenwache hatte das Schiff am 22. August für 20 Tage im Hafen von Salerno festgesetzt. Es wurde außerdem ein Bußgeld von 3.333 € verhängt. Sea-Eye klagt vor dem Tribunale Civile di Salerno.

Die Festsetzung wurde damit begründet, dass die SEA-EYE 4 zwischen dem 17.08. und dem 19.08.2023 drei Rettungseinsätze durchführte, statt nach der ersten Rettung direkt Italien anzusteuern. Für Italien hat Sea-Eye damit gegen ein Gesetz verstoßen, das seit dem 24.02.2023 besteht. Hätte die SEA-EYE 4 nach der ersten Rettung den Einsatz beendet, wären zwei Boote zurückgelassen worden.

“Auf dem dritten Boot waren bereits mehrere Personen bewusstlos, weil sie dem Meer viele Tage schutzlos ausgeliefert waren. Nicht zu retten, hätte sie dem sicheren Tod überlassen. Das hätte eine schwerwiegende Verletzung des Völkerrechts bedeutet”, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Das italienische Gesetz zielt darauf ab, die Zahl der Ankünfte von schutzsuchenden Menschen nach Italien zu reduzieren. Bis Ende August erreichten mehr als 130.000 Menschen die Küsten Italiens. Nahezu doppelt so viele Menschen, wie im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Rund 2.500 Menschen kamen bereits in diesem Jahr bei dem Versuch ums Leben.

“Das Gesetz hat nur Schäden angerichtet und den Einsatz von Seenotrettungsschiffen reduziert. Es dient allein der rechten Propaganda der italienischen Regierung, dass die zivilen Seenotrettungsorganisationen für die Situation verantwortlich sind”, sagt Isler weiter.

Denn es ist längst bekannt, dass Seenotrettungsorganisationen in 2023 bisher nur für rund 8 % der Ankünfte in Italien verantwortlich waren. An 2 % der Ausschiffungen Schutzsuchender waren deutsche Seenotrettungsorganisationen beteiligt. Sea-Eye wird weiter gegen jede Maßnahme klagen, die das Leben schutzsuchender Menschen gefährdet und internationales Recht konterkariert.

Konstanz in Burriana

Stadt trifft Schiff – und verpartnert sich im Einsatz für die Menschlichkeit: Mit diesem Bild lässt sich beschreiben, wie sich Kommunen mit der Übernahme von Schiffspatenschaften kontinuierlich gegen das Sterben im Mittelmeer einsetzen. Durch eine langfristige Förderung finanzieren Kommunen so nicht nur die wichtigen Rettungseinsätze der SEA-EYE 4 mit, sondern ermöglichen auch kostspielige Werftarbeiten. Davon machte sich nun eine langjährige Patenstadt ein Bild. Für Konstanz hieß es dieses Jahr nicht nur metaphorisch: Stadt trifft Schiff – Konstanz war direkt vor Ort auf Besuch im spanischen Burriana.

Bei Konstanz handelt es sich um die erste Stadt, die eine Patenschaft für ein ziviles Rettungsschiff übernommen hat. Im Jahr 2020 beschloss der Gemeinderat die kommunale Schiffspatenschaft, seitdem unterstützt Konstanz den Betrieb und die Rettungseinsätze der SEA-EYE 4 jährlich mit 10.000 Euro. Nun nutzten vier Konstanzer*innen während eines längeren Werftaufenthalt der SEA-EYE 4 im März die Chance, sich vor Ort detailliert über die Arbeit von Sea-Eye zu informieren.

Dabei erhielten Marifet Kaya, Elke-Messner Küttner, Normen Küttner und Jürgen Weber bei einem mehrstündigen Aufenthalt unter anderem einen Einblick in die Werftarbeiten, die Abläufe der Rettungsmissionen sowie die bestehenden Hürden und Herausforderungen für Seenotrettungsorganisationen.  An Bord empfangen geheißen wurden die Besucher*innen von Liz Adami (Logistik), Jan Leckband (Fleetmanagement) und Joana Weinmann (Fundraising & Partnerships).

Mit im Gepäck hatte Normen Küttner als Mitglied des Gemeinderats ein offizielles Grußwort im Namen von Konstanz und Oberbürgermeister Uli Burchardt. Dabei ging er nicht nur auf die dringend benötigte Unterstützung für die zivile Seenotrettung ein, sondern brachte auch die Bedeutung des kommunalen wie gesamtgesellschaftlichen Engagements auf den Punkt:

„Die Rettung von Menschenleben auf See ist eine moralische Verpflichtung, die uns alle betrifft. Wir müssen als Gesellschaft unsere Solidarität mit denjenigen zeigen, die ihr Leben riskieren, um in Europa Schutz zu suchen, und uns dafür einsetzen, dass sie menschenwürdig behandelt und ihre Rechte respektiert werden. Es ist unsere Pflicht, unsere Stimme für die Seenotrettung zu erheben, für unsere Werte einzutreten und damit nicht nur für eine bessere Welt zu kämpfen, sondern auch die Schicksale sichtbar zu machen. Denn klar ist: Die Menschen, die vor Gewalt und Verfolgung fliehen, haben keine Wahl. Sie riskieren ihr Leben, um zu überleben.“

Konstanz in Burriana

Während der Führung über die SEA-EYE 4 erfuhren die Besucher*innen zudem mehr über die aufwändigen Arbeiten, welche in dieser Werftperiode umgesetzt wurden, um die Verlängerung des Klassenzertifikats zu erhalten.

„Das kann man sich wie eine TÜV-Abnahme vorstellen. Ohne ‚Plakette‘ darf die SEA-EYE 4 nicht zum nächsten Rettungseinsatz auslaufen“, erklärte Jan Leckband den Konstanzer*innen.

So wurde durch die ausführlichen Erläuterungen eindrücklich klar: Der Betrieb und die Instandhaltung eines Schiffes sind mit enormen Kosten verbunden. Ohne den Zusammenhalt freiwilliger Arbeiter*innen und unserer Spender*innen wäre das Ausführen der Rettungseinsätze der SEA-EYE 4 schlichtweg unmöglich. Dabei stärken vor allem auch kommunale Patenschaften – wie die von Konstanz – der Arbeit von Sea-Eye langfristig den Rücken. Daher freut sich unser Rettungsschiff künftig noch mehr Städte zu treffen und sich mit ihnen in Schiffspartnerschaften zu verbünden.

Haben auch Sie Interesse an einer Patenschaft Ihrer Kommune für unser Rettungsschiff?

Wir freuen uns über Ihre Nachricht.

Wir sind schockiert angesichts der erschreckend hohen Umfragewerte in Bezug auf die AfD – und wollen daher heute klar Stellung beziehen: Die AfD ist eine rechtsextreme, demokratiegefährdende Partei, die niemals an die Macht kommen darf. Daher stellen wir uns hinter die Forderungen einer aktuellen Petition: Das Bundesverfassungsgericht soll ein AfD-Verbot prüfen!

Der Grund für die Petition ist aus unserer Sicht überzeugend: Es gibt genug Belege für verfassungsfeindliche Äußerungen der AfD, die den begründeten Schluss zulassen, dass die Partei eine Gefahr für unsere Demokratie ist. Es ist nicht zu leugnen, dass sie seit Jahren Grundrechte attackiert, die in unserer Verfassung verankert sind und wir als Seenotrettungsorganisation zu verteidigen suchen: Unvergessen bleibt etwa der unsagbare „Schießbefehl” auf Geflüchtete an den Grenzen, den Beatrix von Storch bereits 2016 forderte. Im Jahr 2018 beschreibt Björn Höcke in seinem Buch ein „groß angelegtes Remigrationsprojekt” von „kulturfremden“ Menschen – mit einer Politik der „wohltemperierten Grausamkeit“. Das bedeutet nichts anderes als brutale, rechtsextreme Massendeportationen. Diese Woche erst wiederholte AfD-Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich in einer Rede diese menschenfeindliche Ideologie. In der Zwischenzeit plakatierte ein AfD-Politiker in Bayern den verbotenen SA-Spruch „Alles für Deutschland” auf den Straßen, den auch Höcke bereits lautstark von der Bühne skandierte.

Es gilt nun wachsam und aktiv zu sein, die Mittel dafür wurden mit dem Parteiverbot als Lehre aus der NS-Zeit im Grundgesetz mitgegeben. Die Prüfung des Parteiverbots muss stattfinden, bevor die AfD die Demokratie ausgehöhlt hat: Bevor deutsche Faschist*innen nicht nur wieder fordern, auf flüchtende Menschen zu schießen und Menschen in Massen zu deportieren – sondern es aktiv tun können. Das AfD-Verbot muss jetzt geprüft werden.

Erneute Geldbuße und Verwaltungshaft für die SEA-EYE 4 in Salerno

Nach der Rettung von 114 Menschenleben wurde die SEA-EYE 4 am gestrigen Dienstagabend erneut in Italien festgesetzt. Das Schiff darf den Hafen von Salerno nun für 20 Tage nicht verlassen. Die italienischen Behörden haben außerdem eine Geldbuße in Höhe von 3.333 Euro verhängt. Den Seenotretter*innen von Sea-Eye wird ein wiederholter Verstoß gegen ein neues italienisches Gesetz vorgeworfen, das im Feburar 2023 in Kraft getreten ist.

“Uns wird erneut vorgeworfen, dass wir mehr als eine Rettungsoperationen durchgeführt haben. Hätten wir das nicht getan, wären Menschen ums Leben gekommen”, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Die 114 Menschen, die gestern endlich an Land gehen konnten, waren vom 17. bis 19. August in drei aufeinanderfolgenden Einsätzen in der libyschen und der maltesischen Such- und Rettungszone geborgen worden. Einige von ihnen hatten bereits fünf Tage auf dem Meer verbracht.

Am schwersten betroffen waren die Personen im dritten Boot. Vier Patienten waren tief bewusstlos und mussten sofort medizinisch versorgt werden. Zwei von ihnen hatten nach 5-6 Tagen auf hoher See einen schweren Flüssigkeitsmangel erlitten, ein Patient eine ausgeprägte Unterzuckerung – und ein Patient einen Hitzschlag“, berichtet Hannes Petzold, German Doctor und Schiffsarzt an Bord der SEA-EYE 3.

Es ist bereits die zweite Festsetzung für die SEA-EYE 4 in diesem Jahr und auch andere Organisationen sind von der repressiven Politik Italiens betroffen: Das spanische Rettungsschiff OPEN ARMS der gleichnamigen Hilfsorganisation wurde am Dienstagmorgen festgesetzt. Die AURORA von Sea-Watch wurde am Montag in Verwaltungshaft genommen. Die Vorwürfe lauten immer wieder gleich: Verstoß gegen das Piantedosi-Gesetz vom 24. Februar 2023. Inzwischen sind im laufenden Jahr bereits mehr als 2.100 Menschen bei dem Versuch ums Leben gekommen, das Mittelmeer zu überqueren, um in Europa Schutz zu suchen.

“Man muss sich vor Augen führen, dass dieses Gesetz allein für die Seenotrettungsorganisationen geschrieben wurde. Es steht im Widerspruch zum Völkerrecht, das einen Kapitän dazu verpflichtet, Menschen in Seenot zur Hilfe zu kommen. Italiens Gesetzgeber hat eine Situation konstruiert, in der rechtskonformes und menschliches Handeln bestraft wird”, sagt Gorden Isler.

Seenotrettungsorganisationen wie Sea-Eye werden somit immer wieder in die Situation kommen, entscheiden zu müssen, ob sie ihre Schiffe behalten und nach dem ersten Rettungseinsatz umkehren, oder ob sie niemanden zum Sterben zurück lassen und damit die Festsetzungen ihrer Schiffe in Kauf nehmen wollen.

“Die Verantwortlichen von Sea-Eye, Sea-Watch und Open Arms haben sich in dieser Woche dazu entschieden, den Schutz des Lebens über ihre Schiffe zu stellen. Italien bestraft dieses Verhalten nun und gefährdet das Leben vieler Menschen, die dem Meer schutzlos ausgeliefert bleiben”, so Isler weiter.

Sea-Eye wird auch gegen die erneute Festsetzung Klage einreichen. Über die zuvor eingereichte Klage gegen die Festsetzung der SEA-EYE 4 in Ortona ist noch keine Entscheidung getroffen worden.

Sea-Eye fordert europäische Marine Operation zur Rettung von Menschenleben

Innerhalb der vergangenen 72 Stunden konnte die Besatzung der SEA-EYE 4 insgesamt 114 Menschen aus drei hochseeuntauglichen Kunststoffbooten retten. Alle Rettungen fanden in internationalen Gewässern zwischen Malta und Kreta statt. Alle Überlebenden gaben an, dass sie bis zu fünf Tage unterwegs waren und aus der libyschen Region um Bengasi flohen.

Bemerkt wurde der erste Seenotfall, weil es der Crew des Rettungsschiffes GEO BARENTS von Ärzte ohne Grenzen gelang, den Funkverkehr zwischen Fischerbooten und Handelsschiffen abzuhören. Durch das Aussenden des Notrufs MAYDAY RELAY informierte die weiter entfernte GEO BARENTS die europäischen Rettungsleitstellen und die SEA-EYE 4, die sich zu diesem Zeitpunkt in dem Seegebiet zwischen Malta und Kreta aufhielt. Der zweite Seenotfall wurde durch das Alarmphone an die staatlichen Rettungsleitstellen und die SEA-EYE 4 gemeldet. Von dem dritten Seenotfall erlangte die SEA-EYE 4 durch das Mithören von Funkverkehr Kenntnis.

Die Überlebenden des dritten Seenotfalls waren in besonders schlechter medizinischer Verfassung. Vier Personen waren bewusstlos. Eine Person war laut Berichten der Überlebenden bereits länger als einen Tag nicht ansprechbar. Das gemeinsame medizinische Team von Sea-Eye und German Doctors hat inzwischen alle vier Personen im Bordhospital akutmedizinisch versorgt und stabilisiert.

Die Menschen waren Meer und Sonne mehrere Tage schutzlos ausgeliefert. Dehydrierung, Hitze und tagelang unbehandelte Vorerkrankungen wie Diabetes können dann schnell zu einer lebensgefährlichen Situation führen. Die Menschen hatten großes Glück, dass sie von unserer Crew gefunden worden sind und nun in unserem Bordhospital versorgt werden“, sagte Jan Ribbeck, der Einsatzleiter von Sea-Eye e.V.

Bereits am Freitagabend bat die SEA-EYE 4 die primär zuständige Rettungsleitstelle auf Malta um Koordinierung und Zuweisung eines Hafens zur Ausschiffung. Am Samstagnachmittag wiederholte das Schiff diese Bitte, weil die SEA-EYE 4 weiterhin in der maltesischen Such- und Rettungszone operierte und Seenotfälle in diesem Seegebiet von Malta koordiniert werden müssen. Eine Antwort aus der maltesischen Rettungsleitstelle steht derzeit noch aus.

Das Seegebiet zwischen Malta und Kreta ist besonders gefährlich für schutzsuchende Menschen. Sie sind oft viele Tage auf See unterwegs. Was dann passieren kann, zeigte uns das große Unglück vor Pylos vom 14. Juni 2023, bei dem viele hundert Menschen ertrunken sind“, sagte Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Die Einsatzleitung von Sea-Eye e.V. entschied deshalb bewusst, dass die SEA-EYE 4 auf ihrer dritten Mission des Jahres in genau diesem Seegebiet eingesetzt werden soll.

Man muss sich immer wieder klarmachen, dass wir hier eine Lücke füllen, die von staatlichen Akteuren bewusst offengelassen wird, um die Zahl der Ankünfte von Flüchtenden in Europa zu reduzieren. Es braucht hier sofort ein Umdenken, denn die Zahl der Todesopfer steigt und steigt. Es braucht eine groß angelegte Marine Operation der EU, die das eindeutige Mandat hat, so viele Menschenleben zu retten wie nur möglich“, sagt Isler weiter. Die SEA-EYE 4 hält derzeit Kurs auf Malta.

Mehr als 2.000 Menschen sind in 2023 im Mittelmeer ums Leben gekommen

Am Samstagmorgen (12.08.2023) hat die SEA-EYE 4 den spanischen Hafen von Burriana verlassen, um in den dritten Einsatz des Jahres aufzubrechen. Die italienischen Behörden verhinderten einen früheren Einsatz durch eine Festsetzung des Rettungsschiffs im Juni. Die Crew der SEA-EYE 4 hatte im Mai in zwei Seenotfällen zuletzt 49 Menschenleben gerettet. Aufgrund der zweiten Rettung setzte Italien das Rettungsschiff mit der Begründung vorübergehend fest, dass Sea-Eye gegen ein neues Gesetz verstoßen habe, das seit Februar 2023 in Italien gilt. Sea-Eye hatte gegen die Entscheidung im Juni Klage eingereicht und das Schiff nach Ende der Festsetzung ins spanische Burriana überführt.

Die Mission wird durch eine wiederholte Förderung der Deutschen Postcode Lotterie ermöglicht. Insgesamt erhält Sea-Eye für die Durchführung der Mission 250.000 €.

Wir sind dem gesamten Team der Deutschen Postcode Lotterie überaus dankbar für die anhaltende und substanzielle Unterstützung. Denn auch, wenn die Spendenbereitschaft wieder grundsätzlich zunimmt, reichen die Spenden insgesamt noch nicht aus. Deshalb sind weiterhin alle Einsätze der SEA-EYE 4 gefährdet“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Die Flucht über das Mittelmeer ist gefährlicher und tödlicher geworden. Insgesamt haben im laufenden Jahr bereits mehr als 2.000 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer ihr Leben verloren. Damit sind in 2023 bereits mehr Menschen ertrunken als im ganzen Jahr 2021.

Die EU-Mitgliedsstaaten haben zugelassen, dass die gemeinsamen Außengrenzen immer gefährlicher und tödlicher geworden sind. Das hat vor allem mit der Abschottungspolitik und der Abwesenheit von staatlichen Rettungsschiffen zu tun. Diese Lücke können zivile Akteure allein nicht schließen. Es braucht sofort mehr Schiffe, um die Zahl der Todesopfer zu reduzieren. So schnell können aber nur staatliche Akteure Schiffe bereitstellen“, sagt Isler weiter.

Die Crew der SEA-EYE 4 wird auf dem Weg in das Einsatzgebiet mehrere Trainings durchführen und voraussichtlich am Ende der Woche die libysche Such- und Rettungszone erreichen.