Seenotretter*innen kritisieren Ungleichbehandlung von Flüchtlingen

Das deutsche Rettungsschiff SEA-EYE 4 legte am Mittwochmittag (06.04.2022) in Augusta an und alle 106 geretteten Menschen durften an Land gehen. Die SEA-EYE 4 war am Samstag vor Sizilien angekommen, nachdem Malta die Ausschiffung der Geretteten mehrfach abgelehnt hatte, und wartete seitdem auf die Zuweisung eines sicheren Hafens. Für die SEA-EYE 4 war es die erste Mission des Jahres. Die Mission wurde durch sehr schlechte Wetterbedingungen erschwert.

Dr. Harald Kischlat, Vorstand von German Doctors e. V. sagt dazu: „Die Geflüchteten an Bord der SEA-EYE 4 haben viele Tage auf hochseeuntauglichen Booten ausgeharrt. Sie sind unterkühlt, seekrank, traumatisiert. Es ist unverantwortlich und menschenunwürdig, diesen Menschen den Zugang zu einem sicheren Hafen unnötig lang zu verweigern.

German Doctors e. V. verantwortet die medizinische Versorgung der Geflüchteten auf der SEA-EYE 4 und unterstützt Sea-Eye substanziell beim Betrieb des Bordhospitals. Regelmäßig sind auch ein Einsatzarzt oder eine Einsatzärztin an Bord des Rettungsschiffs.

Disembarkation

Wir müssen jetzt schnell eine Änderung der Politik gegenüber allen schutzsuchenden Menschen sehen“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V. „Denn sonst kommt die Politik in ernsthafte Erklärungsnot und der seit Jahren geäußerte Vorwurf – systemischer Rassismus verhindere die Rettung Flüchtender aus Afrika und Asien – wäre einmal mehr bewiesen.

Sea-Eye kritisiert die Ungleichbehandlung von flüchtenden Menschen: Zivile Rettungsschiffe müssen noch immer tagelang auf Ausschiffungshäfen für Schutzsuchende aus Afrika oder Asien warten und müssen sogar wie im Fall der SEA-EYE 4 vor Malta mit Ablehnungen rechnen. Noch immer sind sich die EU-Mitgliedstaaten bei der Verteilung weniger tausender Menschen uneinig. Noch immer verweigern maltesische und italienische Rettungsleitstellen die Koordinierung für Seenotfälle, die sich in der libyschen Such- und Rettungszone ereignet haben und noch immer kooperieren europäische Behörden mit der sogenannten libyschen Küstenwache, um Menschen von der Flucht aus dem Bürgerkrieg in Libyen abzuhalten.

Disembarkation

Alle Menschen haben das Recht, Schutz und Asyl innerhalb der EU zu suchen. Die Hautfarbe, das Geschlecht, die Herkunft, die Religion oder die politische Überzeugung dürfen für europäische Behörden und die Politik kein Grund sein, einen Unterschied zu machen. Die Menschenrechte sind da unmissverständlich“, unterstreicht Isler.

In 2022 verloren bisher 467 Menschen ihr Leben, bei dem Versuch das Mittelmeer zu überqueren, um Schutz und Freiheit in Europa zu finden. Der von den EU-Mitgliedsstaaten unterstütze Weg die Menschen von der sogenannten libyschen Küstenwache abfangen zu lassen und so die Zahl der Ankünfte in Europa zu verringern, gefährdet Menschenleben, statt sie zu retten.

So versagte die sogenannte libysche Küstenwache in der vergangenen Woche erneut und es ertranken bei einem schweren Schiffsunglück vor Libyen 90 Menschen. Nur vier Menschen überlebten und wurden illegal vom Handelsschiff ALEGRIA 1 zurück nach Libyen gebracht, ohne Chance auf ein faires Asylverfahren, stattdessen drohen ihnen Inhaftierung, Folter und der Tod.

Disembarkation

Ein ukrainischer Kapitän des Handelsschiffes KARINA entschied sich nur wenige Tage vorher mit Verweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention und die Situation in Libyen dazu, die SEA-EYE 4 um Unterstützung zu bitten, statt seinen Kurs nach Benghazi fortzusetzen.

Bochum rettet

Auftaktveranstaltung der Kampagne „Bochum Rettet“

Am Dienstag, den 05. April 2022, um 11:30 Uhr eröffnete Carla Scheytt, Sprecherin der Seebrücke Bochum, die Auftaktveranstaltung der Kampagne „Bochum Rettet“ in der Kunstkirche Christkönig am Steinring 28 in Bochum. Die Kampagne geht zurück auf einen Beschluss des Rates der Stadt Bochum aus 2021, mit dem die Stadt eine Patenschaft für das Seenotrettungsschiff SEA-EYE 4 übernimmt. Nun wird die Stadt konkret und lädt die Bochumer*innen ein, sich zu beteiligen.

Um die Einsätze der SEA-EYE 4 finanziell zu unterstützen, startet Bochum mit dem heutigen Tag eine besondere Spendenaktion. Die Stadt ruft alle Bochumer*innen dazu auf, für die Rettungseinsätze zu spenden. Die Stadt wird die so gesammelten Spenden mit bis zu 30.000 € verdoppeln.

Mit dieser Spendenverdopplungsaktion und die Einbeziehung ihrer Bürger*innen hat Bochum die kommunalen Schiffspatenschaften für die SEA-EYE 4 auf eine neue Stufe gehoben. So hilft jeder gespendete Euro der Bochumer*innen doppelt, Menschenleben zu retten“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Die gesammelten Spenden und der Verdopplungsbetrag der Stadt ergeben schließlich den Gesamtbetrag, mit dem die SEA-EYE 4 gefördert wird.

Bochum rettet

Wir danken den Bochumer Kommunalpolitiker*innen, die dafür gestritten haben, dass wir ab heute gemeinsam und vor allem sichtbar für die zivile Seenotrettung arbeiten“, sagt Isler weiter.

Auf der Auftaktveranstaltung präsentierten Carla Scheytt, Sprecherin von Seebrücke Bochum, Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V. und der Bochumer Künstler Sebastian 23 die Kampagne „Bochum Rettet“.

Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen aber auch Betriebe können sich im Kampagnenzeitraum mit einer eigenen Aktion oder Veranstaltung einbringen. Wir freuen uns über kreative und öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen und auf tolle Ideen für ‚Bochum Rettet‘“, erläutert Carla Scheytt.

Bochum rettet

Sog. libysche Küstenwache verhindert Flucht aus Bürgerkriegsland Libyen

Am Mittwochmittag, dem 30.03.2022, wurde der SEA-EYE 4 ein Notruf weitergeleitet, den das Alarm Phone an die zuständigen Behörden meldete. Das Rettungsschiff war bereits auf dem Weg nach Malta, weil der Einsatz am Mittwoch planmäßig enden sollte. Doch die SEA-EYE 4 war als einziges Rettungsschiff östlich von Tripolis und kehrte deshalb zurück. Nach mehreren Stunden Anfahrt fand die SEA-EYE 4 das graue Schlauchboot mit 74 Personen, darunter 22 Kinder. Im Bordhospital des Schiffes mussten 15 Personen medizinisch behandelt werden. Die geflüchteten Menschen stammen aus Ägypten, Nigeria, Sudan, Südsudan und Syrien. Mit den Geretteten, die die SEA-EYE 4 am Dienstag von einem Containerschiff übernehmen musste, sind nun insgesamt 106 Geflüchtete an Bord des Schiffes. 

Ein weiterer von Alarm Phone gemeldeter Notruf führte am Mittwoch zu einer Suche nach 90 Menschen, die die ganze Nacht andauerte. Die Suche blieb erfolglos und musste am Donnerstagmorgen abgebrochen werden, weil die Koordinaten eines weiteren in Seenot geratenen Schlauchboots mit 145 Menschen gemeldet wurden. Bevor die SEA-EYE 4 das Boot erreichte, meldete Alarm Phone eine illegale Rückführung durch die sogenannte libysche Küstenwache.

Mit der Erneuerung des IRINI Mandats erklärte die Bundesregierung, dass man die libysche Küstenwache nicht mehr unterstützen und ausbilden könne, doch hier in der libyschen Rettungszone werden wir weiter Augenzeugin völkerrechtswidriger Rückführungen“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Rettungseinsatz

Über den Verbleib von 90 Menschen fehlt jede Information, auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer Rückführung auch in diesem Fall sehr hoch ist.

Ein Schiffsunglück, über das niemals wieder jemand spricht, weil es für uns in Europa offenbar Alltag ist, dass Schwarze, flüchtende Menschen so ein Schicksal erleiden, ist leider ebenfalls möglich“, sagt Isler weiter.

Die SEA-EYE 4 muss nun einen sicheren Ort für die Ausschiffung von 106 Menschen aus sechs unterschiedlichen Herkunftsländern finden.

Rettungseinsatz

Wären die Menschen nicht gerettet worden, wäre es sehr unwahrscheinlich gewesen, dass sie überlebt hätten, denn das Wetter schlug in den letzten Tagen immer wieder plötzlich um“, so Isler.

So wurden am Dienstag 32 Menschen bei 4 m Wellengang aus einem kleinen Fischerboot vom Containerschiff KARINA gerettet. Hagen Kopp von Alarm Phone nannte den Fluchtversuch vom Dienstag „hochgradig verzweifelt“, da für die Menschen auf dieser Route ohne Rettung durch ein Containerschiff „kaum eine Überlebenschance“ bestanden habe.Die SEA-EYE 4 wird am Freitag die maltesischen Gewässer erreichen, einen Tag vor dem Besuch des Papstes. Geplant sei auch ein Treffen mit Migrant*innen in einem katholischen Aufnahmezentrum.

Vielleicht kann ein unmissverständlicher Appell des Papstes an die maltesische Regierung bewirken, dass Malta sich als nächstgelegener EU-Staat für 106 schutzsuchende Menschen verantwortlich fühlt“, sagt Isler.

Rettungseinsatz

Norddeutscher Reeder der KARINA ruft SEA-EYE 4 vor Libyen zur Hilfe

Am Montagnachmittag, dem 28.03.2022, rettete die Crew des Handelsschiffes KARINA unter der Schiffsführung des ukrainischen Kapitäns Vasyl Maksymenko 32 flüchtende Menschen in den internationalen Gewässern vor Libyen vor dem Ertrinken. Das Handelsschiff der norddeutschen KLINGENBERG Bereederungs- & Befrachtungs GmbH & Co. KG aus Ellerbek war auf dem Weg von Malta nach Benghazi, als es von der Hilfsorganisation Alarm Phone auf den Seenotfall aufmerksam gemacht worden war.

Das Boot drohte zu kentern. Die Menschen hätten das nicht überlebt. Der Wellengang erreichte inzwischen vier Meter. Aus eigener Kraft hätten sie nirgends mehr ankommen können“, sagt Vasyl Maksymenko, Kapitän der KARINA.

Die SEA-EYE 4 war zu diesem Zeitpunkt rund 50 Stunden von dem Notfall entfernt und konnte keine Soforthilfe leisten. Das Rettungsschiff und die Einsatzleitung der Seenotretter*innen waren jedoch zusammen mit zahlreichen staatlichen und anderen nichtstaatlichen Akteuren in die Korrespondenz zu dem Seenotfall eingebunden.

Handelsschiff KARINA

Aufgrund des dramatischen Schriftwechsels kontaktierte die SEA-EYE 4 das Handelsschiff KARINA und bot Unterstützung an. Gleichzeitig kontaktierte die Einsatzleitung der SEA-EYE 4 die Reederei der KARINA, um Hilfsbereitschaft zu signalisieren.

Reeder Thies Klingenberg war sich der schwierigen Situation sofort bewusst.

Es ist nicht das erste Mal, dass wir Menschen aus dem Mittelmeer retten. Unsere Schiffe sind jedoch nicht für die Verpflegung und die medizinische Behandlung von Schiffbrüchigen geeignet“, sagt Klingenberg.

Am Montagnachmittag baten die Reederei und Kapitän Maksymenko die SEA-EYE 4 um Hilfe.

Handelsschiff KARINA

Der Flaggenstaat von KARINA, Antigua und Barbuda, hat die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet“, schrieb Kapitän Maksymenko an die SEA-EYE 4. Man müsse die Menschen an einen sicheren Ort bringen. „Ein sicherer Ort ist ein Ort, an dem das Leben der Überlebenden nicht bedroht ist und an dem ihre grundlegenden menschlichen Bedarfe abgedeckt werden können. Dabei ist der Schutz ihrer Grundrechte zu berücksichtigen: Für Flüchtende bedeutet das, dass sie nicht in ein Kriegsgebiet zurückgewiesen werden dürfen. Dies verbietet, flüchtende Menschen nach Libyen zurückzubringen!“, fährt Maksymenko fort.

Die KARINA und die SEA-EYE 4 vereinbarten einen Treffpunkt und begegneten sich am Dienstagmittag, rund 55 nautische Meilen von der libyschen Küste entfernt. Ein Ärzteteam und der Einsatzleiter der SEA-EYE 4 betraten die KARINA, um die Situation einzuschätzen. Die flüchtenden Menschen harrten nach eigenen Angaben mindestens drei Tage auf ihrem Holzboot aus. Deshalb werden derzeit einige der geretteten Menschen wegen Unterkühlung und Dehydrierung im Bordhospital behandelt. Die Kapitäne beider Schiffe bewerteten die Situation so, dass die SEA-EYE 4 das geeignetere und sicherere Schiff für die 32 Überlebenden ist. Daraufhin willigte die Sea-Eye-Einsatzleitung ein, die geretteten Menschen zu übernehmen.

Handelsschiff KARINA & SEA-EYE 4

Wir haben genügend Proviant, Unterkünfte und ein Bordhospital, sodass wir eine solche Anzahl von Menschen für eine kurze Zeit sicher an Bord nehmen können“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

So verfügt die SEA-EYE 4 über eine sogenannte Rescue Notation von ihrer Klassifizierungsgesellschaft und die italienische Küstenwache bestätigte der SEA-EYE 4 nach technischen Anpassungen im Sommer 2021 die Eignung, kurzzeitig bis zu 200 Menschen versorgen zu können, wenn anschließend ein sicherer Hafen zur Ausschiffung Überlebender angesteuert wird.

Handelsschiff KARINA

Die SEA-EYE 4 wird in den nächsten Stunden Malta ansteuern.

Malta ist der nächstgelegene EU-Mitgliedsstaat. Wir werden dort um einen Ausschiffungshafen bitten“, so Isler.

Allerdings hat Malta seine Häfen für die Ausschiffung von aus Seenot geretteten Menschen seit einigen Jahren geschlossen. Zuletzt durften Sea-Eye-Schiffe im Sommer 2019 gerettete Menschen auf Malta in Sicherheit bringen. Seither wurde die maltesische Politik gegenüber flüchtenden Menschen immer abwehrender.

Geflüchtete auf der SEA-EYE 4

Wir werden nun sehen, ob Malta die Genfer Flüchtlingskonvention genauso wichtig ist wie dem ukrainischen Kapitän Maksymenko, der eine völkerrechtswidrige Zurückweisung in ein Kriegsgebiet verhinderte“, sagt Isler weiter.

An Bord der SEA-EYE 4 erzählte Monique unserem Crewmitglied Fiona kurz vor Weihnachten ihre erschütternde Geschichte. Sie gibt uns einen Einblick in das Schicksal der jungen Frau, die Gefahren auf der Flucht sowie die Hölle in Libyen.

„Meine Mutter ist aus Sierra Leone und mein Vater aus Mali. Ich wurde als uneheliches Kind geboren. Als ich etwa fünf Jahre alt war, entführte mich mein Vater und wir gingen nach Mali. Dann kam der Krieg und er ging allein in die USA. Ich blieb bei meiner Großmutter. Sie hat mich schlecht behandelt. Meine Mutter suchte nach mir, meine Mutter wusste nicht, wo ich war, und ich hatte keine Nachricht von meinem Vater.

In Mali musste ich mit 15 Jahren heiraten. Ich habe eine arrangierte Ehe bekommen. Der Mann, der mich heiratete, schlug mich den ganzen Tag. Wir bekamen drei Kinder, das dritte wurde als Frühgeburt geboren. Das erste Kind bekam ich mit 15 Jahren und mein letztes Kind mit 20 Jahren.

Gerettete

Ich wusste nicht, was ich tun sollte… Wenn ich bei meinem Mann bleibe, schlägt er mich, wenn ich zu meiner Familie zurückkehre, schickt sie mich weg… Ich kam aus einem winzigen Dorf in Mali, ich hatte kein Geld mehr. Ich floh vor meiner arrangierten Ehe mit einer meiner Töchter. Eine alte Dame, die mit uns eine Wohnung teilte, kümmerte sich um mich. Dann erzählte mir jemand, dass meine Mutter gestorben war. Ich hörte, sie sei obdachlos gestorben.

Ich lernte auf Facebook einen nigerianischen Mann kennen, der in Belgien lebte, und wir verliebten uns ineinander. Ich versuchte über das Mittelmeer zu kommen. Aber dann wurde ich erwischt und kam ins Gefängnis.

Dort habe ich eine Menge gesehen. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber der Schmerz ist zu groß. Sie misshandelten mich, sperrten mich ohne Essen ein. Wenn du krank wirst, wirst du dort sterben. Und wenn du dann nach Hause willst, kannst du nicht mehr zurück.

Sie vergewaltigten Mädchen vor aller Augen.

Boot

Einmal suchten sie sich ein Mädchen aus und baten einen Mann, vor allen Leuten mit ihr zu schlafen. Sie hatte keine andere Wahl, denn sie hatten eine Kalaschnikow in der Hand. Er schlief mit dem Mädchen vor allen Leuten, nur weil sie schwarz war. Es gab einen Mann, der seine schwangere Frau mit seinen beiden Kindern beerdigte. Dann wurde er krank… sein ganzer Körper war abgemagert, aber sie ließen ihn nicht raus, weil er kein Geld hatte. Er starb im Gefängnis, er hatte keine Hoffnung mehr. Auf Leute, die versuchen zu fliehen, wird geschossen. In meiner Zelle sind einige Leute gestorben. Einmal hat einer versucht zu fliehen und sie haben ihn vor unseren Augen so schwer geschlagen, dass sein ganzer Körper mit Blut bedeckt war.

Es sind dieselben, die dir bei der Überfahrt helfen und dann dieselben, die dich ins Gefängnis bringen. Sie fangen dich auf dem Meer, sie misshandeln dich. Sie fangen dich zu Hause, sie misshandeln dich auf der Straße, sie misshandeln dich. Sie sagen dir, du sollst zu Hause anrufen und nach Geld fragen. Sie verlangen 1000, 1500 Euro. Und selbst wenn du diese Summe gibst, können sie immer noch zurückkommen. Im Gefängnis kann man Schwarze kaufen. Ein Typ wollte mich, er wollte eine sexuelle Beziehung haben. Er hat 1000 Euro bezahlt, damit ich aus dem Gefängnis komme. Aber ich wollte ihn nicht, also bin ich geflohen.“

Boot

Monique*, 25 Jahre aus Sierra Leone wurde zusammen mit 223 Menschen auf der Weihnachtsmission der SEA-EYE 4 gerettet und an Heilig Abend sicher in Pozzallo an Land gebracht.
*Name und persönliche Daten wurden zum Schutz ihrer Person geändert.

Ausschiffung für Heilig Abend erwartet

Der SEA-EYE 4 wurde nachmittags am 23.12. ein sicherer Hafen in Pozzallo zugewiesen. Das Rettungsschiff wird den Hafen am 24.12. gegen 07:30 Uhr erreichen. „Wir hoffen, dass die Menschen nun zeitnah an Land gehen dürfen und nicht auch noch die Weihnachtstage an Bord verbringen müssen“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V. Viele der geretteten Menschen mussten an Bord medizinisch versorgt werden und brauchen auch an Land weiterhin medizinische Behandlung.

Die Crew der SEA-EYE 4 hatte am 16. und 17. Dezember in vier Rettungseinsätzen 223 Menschen in der maltesischen Such-, Rettungs- und Koordinierungszone gerettet, Malta hatte sich jedoch geweigert die Koordinierung zu übernehmen. Während die SEA-EYE 4 eine Woche lang auf einen sicheren Hafen wartete, mussten 9 Personen aus medizinischen Gründen von der italienischen Küstenwache in vier Einsätzen evakuiert werden.

SEA-EYE 4

Wir sind unendlich erleichtert, dass die Menschen nun endlich an Land dürfen. Es ist schon bezeichnend, dass auch an Heiligabend Menschen von Seenotretter*innen in Sicherheit gebracht werden. Die humanitäre Krise macht keine Weihnachtsferien. Besonders dankbar sind wir dem zivilgesellschaftlichen Seenotrettungsbündnis United4Rescue, die diesen zusätzlichen Einsatz möglich gemacht haben. Die Mission rettete weiteren 223 Menschen das Leben“, sagt Isler.

Insgesamt hat die SEA-EYE 4 in 2021 auf 4 Rettungsmissionen über 1400 Menschen gerettet.

Evangelische Kirche fordert neue Bundesregierung zur Mitwirkung auf

Auf dem Sea-Eye-Rettungsschiff SEA-EYE 4 warten nach 7 Nächten noch immer 216 Menschen auf die Zuweisung eines sicheren Hafens durch die italienischen Behörden. Sieben Menschen wurden bereits aus medizinischen Gründen von der italienischen Küstenwache evakuiert. Die 223 Menschen wurden bereits am 16. und 17. Dezember in der maltesischen Such-, Rettungs- und Koordinierungszone gerettet. Die italienischen Behörden koordinieren seit Sonntag (19. Dezember) die Anfrage, für die Malta trotz unstrittiger Zuständigkeit die Verantwortung ablehnt.

Die Schiffsführung der SEA-EYE 4 hat seit Sonntag viermal in Italien um die Zuweisung eines sicheren Hafens gebeten. Die Bundestagsabgeordneten Julian Pahlke (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) und Helge Lindh (SPD) sind aktiv im Austausch zwischen Sea-Eye, dem Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium und bemühen sich um eine Lösung für hunderte gerettete Menschen. Denn auch die Rettungsschiffe OCEAN VIKING von SOS Méditerranée und GEO BARENTS von Ärzte ohne Grenzen haben über 500 Menschen gerettet und werden an Weihnachten einen Ausschiffungshafen benötigen.

SEA-EYE 4

Mit jeder Stunde, die vergeht, befürchtet Sea-Eye, dass eine Ausschiffung vor Weihnachten unwahrscheinlicher wird. „Die Menschen sind seit vielen Tagen auf dem Meer. Sie sind erschöpft, sie frieren und verstehen nicht, warum sie nicht willkommen sind. Die Not der Menschen macht keine Weihnachtsferien. Der Bundeskanzler hat die historische Chance klarzustellen, dass die neue Bundesregierung einen menschenrechtsbasierten Politikansatz verfolgt und sich im Wesentlichen von dem Kurs der Vorgängerregierung unterscheidet. Deutschland muss sich jetzt zur Aufnahme der Schutzsuchenden bereit erklären. Bisher vermissen wir ein solches Signal von Olaf Scholz. Es ist jetzt keine CDU mehr Teil der Regierung, der man die Schuld an der Blockierung humanitärer Maßnahmen geben könnte“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, erinnert in diesem Zusammenhang an die Bedeutung von Weihnachten und fordert die neue Bundesregierung zur Mitwirkung auf:

Die Weihnachtsgeschichte erzählt davon, was es bedeutet, vor Verfolgung zu fliehen und schutzlos zu sein. Diese dunkle Seite der Geschichte gehört zu Weihnachten, wie die Engel und der helle Stern über dem Stall. Und sie macht Weihnachten aktueller denn je. Auch heute noch müssen sich hochschwangere Frauen auf den Weg machen oder Familien sich mit ihren Kindern in Gefahr begeben, weil Flucht ihre letzte Hoffnung ist. Auch nach 2000 Jahren ist immer noch ‚kein Raum in der Herberge‘: die EU-Staaten weisen Schutzsuchende unbarmherzig ab und verweigern jede Hilfe. 216 Menschen warten aktuell auf der SEA-EYE 4 auf einen Sicheren Hafen. Ich hoffe sehr, dass die politisch Verantwortlichen, auch die neue Bundesregierung, alles dafür tun, dass alle Geretteten spätestens Heiligabend an Land sind!

SEA-EYE 4

Das zivile Bündnis United4Rescue forderte von der Bundesregierung eine Kehrtwende in der Flüchtlings- und Migrationspolitik. Liza Pflaum, Vorsitzende von United4Rescue e. V. sagt: „An den Grenzen unseres Kontinents ertrinken und erfrieren Menschen. Auch an Weihnachten! Liebe Bundesregierung, habt keine Angst vor Solidarität und Menschlichkeit! Unsere mehr als 800 Bündnispartner und eine große Mehrheit der Menschen in unserem Land wollen eine Politik, die die Menschenrechte schützt und Leben rettet. Und über 260 Städte und Kommunen in Deutschland würden mehr Schutzsuchende aufnehmen, wenn die Bundesregierung nur zustimmen würde. Wir haben lange genug gewartet. Jetzt ist es an der Zeit den schönen Worten endlich Taten folgen zu lassen.

Malta verletzt seine Pflicht, Boote in Seenot zu retten

Seitdem die SEA-EYE 4 am Donnerstag, 16.12.2021, in der maltesischen Such- und Rettungszone eintraf, erreichten zahlreiche Meldungen über Boote in Seenot das Rettungsschiff. Insgesamt rettete die Crew der SEA-EYE 4 in vier Rettungseinsätzen 223 Menschen. Unter ihnen sind 29 Frauen, von denen 7 schwanger sind, und 8 Kinder. Die Crew sucht derzeit nach einem weiteren Boot in Seenot.

Obwohl seit gestern noch weitere Boote mit zahlreichen Menschen in akuter Lebensgefahr an Bord auf See gemeldet wurden, hat Malta seine Verpflichtung zur Koordinierung und Rettung von Seenotfällen erneut nicht wahrgenommen. Zivile Seenotrettungsorganisationen sind derzeit die einzigen europäischen Einsatzkräfte, die aktiv nach den Menschen suchen und sie in Sicherheit bringen möchten. Da sich das Wetter voraussichtlich bald deutlich verschlechtern wird, sinken die Überlebenschancen für die sich immer noch auf See befindlichen Menschen deutlich.

Einerseits bin ich dankbar, dass die SEA-EYE 4 erneut viele Menschen retten konnte. Gleichzeitig ist es schwer zu ertragen, dass wir annehmen müssen, dass für einige Boote in Not keine Hilfe kam. Die Kapazitäten der zivilen Seenotrettung sind wichtig, aber auch begrenzt. Die kaltblütige Ignoranz der EU kostet uns Menschenleben – das Seegrab wächst, auch wenn wir konstant dagegen ankämpfen. Die Menschen, die qualvoll ertrinken mussten, wollten bloß ein Leben in Sicherheit, auf das sie ein Recht haben – und wir verneinen es ihnen. Aber mit welchem Recht, stellen wir uns über diese Menschen und ihr Schicksal?“, sagt Sophie Weidenhiller, Pressesprecherin von Sea-Eye e. V.

Die Überlebenden an Bord der SEA-EYE 4 werden von der Besatzung versorgt und medizinisch behandelt. Ein Kind hat einen gebrochenen Arm, ein anderes einen gebrochenen Finger. Zwei schwangere Frauen leiden an Magenschmerzen und mehrere Personen mussten wegen chemischen Verbrennungen und Hypothermie behandelt werden.

Es ist erschütternd, wie viele Menschen ungeachtet der Gefahren in überfüllten, völlig hochseeuntauglichen Booten über das Mittelmeer fliehen. Und es ist zutiefst menschenverachtend, dass die EU nach wie vor die Rettung dieser verzweifelten Menschen NGOs wie uns überlässt. Kurz vor dem Jahreswechsel hoffen wir darauf, dass sich die Politik in 2022 endlich ändert und das Sterben an der tödlichsten Seegrenze ein Ende nimmt“, so Dr. Christine Winkelmann, Vorständin German Doctors e. V. Die Bonner Hilfsorganisation unterstützt die Sea-Eye Rettungseinsätze finanziell und mit medizinischem Personal und Expertise.

Rettungseinsatz

Dass unser Bündnisschiff SEA-EYE 4 bereits 223 Menschen während dieser Mission retten konnte, ist eine wunderbare Nachricht. Und eine Botschaft, die zu Weihnachten passt! Als United4Rescue freut uns besonders, dass das Flugzeug SKYBIRD die ersten beiden Seenotfälle entdeckt hat – denn United4Rescue hat erst vor kurzem finanzielle Starthilfe gegeben, dieses neue Aufklärungsflugzeug in den Einsatz zu bringen. Wir hoffen sehr, dass die Besatzung der SEA-EYE 4 auf dieser Weihnachtsmission noch viele weitere Leben retten wird“, sagt Liza Pflaum, Vorstandsmitglied von United4Rescue.

SEA-EYE 4

Seenotrettungsbündnis übernimmt Kosten für den vierten Rettungseinsatz

Am Samstagnachmittag, 11.12.2021, brach das Rettungsschiff SEA-EYE 4 in seinen vierten Rettungseinsatz auf. Wesentlich ermöglicht hat das Auslaufen das zivilgesellschaftliche Seenotrettungsbündnis United4Rescue, das unter dem Stichwort #Weihnachtsmission Spenden sammelt, um den Einsatz des Sea-Eye Rettungsschiffs finanzieren zu können. Die SEA-EYE 4 ist das zweite Bündnisschiff von United4Rescue. Das Bündnis hatte sich bereits maßgeblich an den Anschaffungskosten des Rettungsschiffs SEA-EYE 4 beteiligt.

Wir sind dem Bündnis United4Rescue wirklich sehr dankbar. Es bündelt die Kräfte von über 800 Organisationen und stellt heute nun sicher, dass wir jetzt schon in den vierten Einsatz aufbrechen können“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Dass unser Bündnisschiff SEA-EYE 4 jetzt zu ihrer Weihnachtsmission ausläuft und Leben retten wird, ist eine gute Nachricht! Dass wir als United4Rescue dank unzähliger Spenden diese Mission möglich machen können, zeigt auch: Es gibt sehr, sehr viele Menschen, die nicht einverstanden sind mit der europäischen Abschottungspolitik und nicht mitverantwortlich sein wollen, für das Leid und Sterben an den EU-Außengrenzen“, sagt Liza Pflaum, Vorstandsmitglied von United4Rescue e. V.

Die gemeinsamen Crews der Regensburger Seenotretter*innen von Sea-Eye e. V. und der Bonner Hilfsorganisation German Doctors e. V. retteten in ihren bisherigen drei Missionen mit der SEA-EYE 4 bereits 1.194 Menschenleben. Dabei beteiligte sich German Doctors e. V. substantiell am Aufbau und dem Betrieb des Bordhospitals der SEA-EYE 4. Auf der dritten Rettungsmission im November 2021 kam die Crew 757 Menschen zur Hilfe, nachdem sich Malta geweigert hatte, mehrere Seenotfälle zu koordinieren und Menschen von einem mit 400 Personen überladenen Holzboot zu retten.

Noch immer unternimmt die EU zu wenig, um das Sterben auf dem Mittelmeer zu verhindern. Gemeinsam mit unseren Partnern werden wir daher auch im nächsten Jahr die notwendigen, lebensrettenden Einsätze der SEA-EYE 4 unterstützen“, so Dr. Harald Kischlat, Vorstandsmitglied des German Doctors e. V.

Die SEA-EYE 4 wird ihr Einsatzgebiet noch vor dem 4. Advent erreichen. Die Besatzung wird auf dem Weg dorthin für den Ernstfall weiter trainieren. Die 25-köpfige Crew wird am Heiligabend und an Weihnachten voraussichtlich im Einsatzgebiet Wache halten.

Wir vermissen dich, Wolli!

Noch wenige Tage vor dem 8. Oktober haben wir uns wegen des Gottesdienstes zum „Tag des Flüchtlings“ gemailt. Du wolltest kommen, hast du geschrieben, wenn du es nach der Arbeit schaffst. So warst du. Immer da, niemals ein Nein. Du hast dich aus tiefstem Herzen für die geflüchteten Menschen eingesetzt. Unbesehen ihrer Gründe, unbesehen ihrer Hautfarbe, unbesehen ihrer Herkunft, Meinung, Religion oder was sonst so gerne zu ihrer Ablehnung angeführt wird.

Für dich zählte das menschliche Leben per se. Ohne deine zielstrebige und in sich ruhende Beharrlichkeit wäre München heute wahrscheinlich noch immer kein sicherer Hafen. Ich selbst habe damals, vor Jahren, nicht geglaubt, dass das möglich wird. Du hast dich nicht beirren lassen. Statt Worte zu machen, hast du gehandelt. Du warst aktiv bei Alarm Phone. Du warst die treibende Kraft bei der Seebrücke München und hast über Vereinsgrenzen hinaus kooperiert, weil es dir um die Sache ging. Niemals habe ich dich über jemanden schlecht reden hören. Bei dir war alles, was wir vorbereiteten in zuverlässigen Händen.

Als wir in unserer Sea-Eye Lokalgruppe München von deinem völlig unerwarteten Tod erfahren haben, war es für uns, für mich, als ob das nicht wahr sein könnte.  Mir persönlich fällt es bis heute schwer, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dich in diesem Leben niemals wieder zu sehen, dich bei unserem gemeinsamen Eintreten für Menschenrechte nicht mehr an der Seite zu haben. Du bist nicht zu ersetzen, Wolli. Du hinterlässt eine große Lücke in der Gemeinschaft der SeenotretterInnen.

Wir vermissen dich als den integren Menschen, als den Aktivisten, als den motivierenden, hilfsbereiten Unterstützer. Wir vermissen dich sehr, sehr, sehr! Hab‘ es gut, dort wo du jetzt bist.

Iris und die Sea-Eye e. V. Lokalgruppe München