SEA-EYE 4 erreicht Trapani voraussichtlich am Sonntagnachmittag

Am Samstagabend teilte die italienische Küstenwache der Schiffsführung der SEA-EYE 4 mit, dass die italienischen Behörden Trapani als Ausschiffungshafen für die über 800 Geretteten bestimmt haben. Das Auswärtige Amt bestätigte die Zuweisung wenige Minuten später.

Die SEA-EYE 4 wird den Hafen von Trapani voraussichtlich am Sonntagnachmittag erreichen. Bis dahin verbringen die Geretteten die dritte Nacht an Bord des Schiffes. Einige von ihnen verbringen bereits die fünfte Nacht an Bord. Das Wetter verschlechterte sich in den vergangenen Stunden zusehends. Die italienische Küstenwache gestatte der SEA-EYE 4 zuvor sich der Küste zu nähern, um Schutz vor Wind und Wetter zu finden.

In der Zeit von Dienstag bis Donnerstag retteten die Schiffe SEA-EYE 4 von Sea-Eye e. V. und RISE ABOVE von Mission Lifeline e. V. in 7 gemeinsamen Einsätzen über 800 Menschenleben innerhalb von 48 Stunden. Sea-Eye wird an Bord von der Bonner Organisation German Doctors e. V. mit einer Bordärztin und finanzieller Unterstützung für den Hospitalbetrieb unterstützt.

SEA-EYE 4
© Hermine Poschmann & Mission Lifeline

Unsere Einsatzärztin Daniela Klein und die gesamte Crew haben in den letzten Tagen Unvorstellbares geleistet – über 800 gerettete Menschen haben nicht nur das Schiff selber, sondern alle an Bord an die Grenze der Belastbarkeit gebracht. Es ist zwingend notwendig, dass die Geretteten an Land medizinisch versorgt werden können. Deswegen sind wir unglaublich erleichtert, dass die SEA-EYE 4 nun einen sicheren Hafen ansteuern kann und die Menschen nach vielen Tagen der Ungewissheit in Sicherheit gebracht werden“, äußert sich Dr. Harald Kischlat, Vorstand German Doctors e. V.

Wir sind erleichtert und überglücklich, dass die schwierigen Stunden für unsere Besatzung und die geretteten Menschen am Sonntag enden werden und die Menschen dann endlich in Italien in Sicherheit sind. Wir sind entsetzt, dass Maltas unterlassene Hilfeleistung zu so einer Ausnahmesituation führte. Die EU-Staaten müssen Malta eindringlich dazu ermahnen, dass die Rettungsleitstelle in Valletta endlich wieder auf Notrufe reagiert und Seenotfälle koordiniert und zwar unabhängig von der Hautfarbe oder der Herkunft der Personen, die sich in Seenot befinden“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Nach Tagen der Ungewissheit ist endlich klar: Der SEA-EYE 4 wurde ein Sicherer Hafen zugewiesen. Ehrensache, dass wir sie nach Trapani begleiten und auch weiterhin alles uns Mögliche tun, sie zu unterstützen, wo wir nur können. Wir sind glücklich, dass die vielen erschöpften Menschen endlich ankommen dürfen!“, so Axel Steier, Vorstand von Mission Lifeline e.V.

Die über 800 Menschen warten seit 2 Tagen auf einen sicheren Hafen

Am Samstagvormittag lieferte die RISE ABOVE von Mission Lifeline e. V. dringend benötigte Hilfsgüter zur SEA-EYE 4 von Sea-Eye e. V. Die Crew an Bord des Rettungsschiffs versorgt seit der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag über 800 gerettete Menschen an Bord. Lebensmitteln und Decken sind knapp, die Lieferung von der RISE ABOVE wurde deshalb dringend benötigt. Die Hilfsgüter enthalten Lebensmittel und warme Decken.

An Bord der SEA-EYE 4 befinden sich noch immer rund 800 Menschen, die gemeinsam von Sea-Eye, Mission Lifeline und German Doctors innerhalb von 48 Stunden gerettet worden sind. Weit mehr als 200 Personen sind minderjährig, darunter viele Kinder unter 10 Jahre. 5 Frauen sind schwanger. Eine genaue Zählung war bisher nicht möglich, weil die 24 köpfige Crew allein mit der Versorgung der Geretteten an Bord beschäftigt war. Über 200 Menschen mussten bisher wegen verschiedener medizinischer Bedarfe im Bordhospital von der German Doctors Ärztin Daniela Klein behandelt werden.

Mission Lifeline und SEA-EYE 4
© Hermine Poschmann & Mission Lifeline

Unsere Bordärztin berichtete der Einsatzleitung, dass die Hospital-Crew derzeit rund 25 Menschen dauerhaft behandelt. Dabei geht es u.a. um Unterkühlungen, schwerer Beschwerden wegen Seekrankheit oder auch Bluthochdruck. Es gibt aber auch Verletzungen, die den Überlebenden auf der Flucht zugefügt wurden und auf Folterungen hindeuten. Wir müssen eindringlich darauf hinweisen, dass diese Menschen so schnell wie möglich einer medizinischen Behandlung an Land zugeführt werden sollten und deshalb darf es hier zu keinem Stand-off kommen“, sagt Dr. Christine Winkelmann, Vorsitzende von German Doctors e. V.

Derzeit erhalten wir von der kleinen, Dresdner Seenotrettungsorganisation Mission Lifeline mehr Unterstützung, als von allen EU-Staaten zusammen! Damit die humanitäre Ausnahmesituation auf der SEA-EYE 4 endet, muss den über 800 geretteten Menschen unverzüglich ein sicherer Hafen zugewiesen werden. Unsere Besatzung arbeitet an den Grenzen dessen, was menschenmöglich ist. Die Verhandlungen über die Verteilung der Geretteten können auch dann geführt werden, während sie an Land versorgt werden. Das Schiff muss sofort anlegen dürfen, um die Sicherheit aller Geretteten und der Crew sicherzustellen“, fordert Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

In Deutschland sind mehr als 200 Städte und Kommunen zur Aufnahme bereit. Immer wieder werden Gespräche über die Verteilung Überlebender und Schutzsuchender erst dann intensiv geführt, wenn sie sich an Bord eines deutschen Rettungsschiffes befinden. Gemeinsam fordern wir die aktuelle und die zukünftige Bundesregierung deshalb dazu auf, großzügig bei der Aufnahme Schutzsuchender und solidarischer mit Mittelmeeranrainern wie Italien und Griechenland zu sein“, sagte Axel Steier, Vorsitzender von Mission Lifeline e. V.

Die SEA-EYE 4 und die RISE ABOVE hatten seit Dienstag, 02.11.2021, innerhalb von 48 Stunden in 7 Rettungseinsätzen über 800 Menschen gerettet. Seit Donnerstag sucht die SEA-EYE 4 für die geretteten Menschen einen sicheren Hafen.

SEA-EYE 4 mit rund 800 geretteten Menschen auf der Suche nach einem sicheren Hafen

Bis Mittwochmorgen hatten die Besatzungen der SEA-EYE 4 von Sea-Eye e. V. und German Doctors e. V. und der RISE ABOVE von Mission Lifeline e. V. insgesamt 397 Menschen in 6 gemeinsamen Einsätzen gerettet. Doch in der Nacht zum Donnerstag kam es zu einer weiteren, dramatischen Rettung von mehr als 400 Menschen aus einem überfüllten Holzboot.

Das AlarmPhone meldete am Mittwochvormittag einen Seenotfall in der maltesischen Such- und Rettungszone, in der Malta für die Koordinierung von Seenotfällen verantwortlich ist. AlarmPhone veröffentlichte den Notruf u.a. auf Twitter. Fortlaufend informierte AlarmPhone die maltesische Rettungsleitstelle über neue Koordinaten und bat um Koordinierung der Rettung. Das RCC Malta reagierte jedoch auf keinen der Hilferufe. Die SEA-EYE 4 und die RISE ABOVE waren rund sechs Stunden vom Unglücksort entfernt.

Rettungseinsatz
© Hermine Poschmann & Mission Lifeline

Trotz der großen Entfernung und der Anzahl der Geretteten, die sich bereits an Bord der SEA-EYE 4 befanden, entschieden die Einsatzleiter*innen von Sea-Eye und Mission Lifeline, die von AlarmPhone an die europäischen Rettungsleitstellen übermittelten Koordinaten anzufahren, denn anderweitige Hilfe für die Menschen in akuter Lebensgefahr war nicht zu erwarten.

Die RISE ABOVE erreichte das Holzboot, das über zwei Ebenen verfügte, am Mittwochabend zuerst. Zu dem Zeitpunkt war bereits ein Leck im Boot, durch das Wasser eindrang. Mehrere Personen waren ohne Schwimmwesten im Wasser und mussten direkt aus dem Meer gerettet werden. Die SEA-EYE 4 traf kurze Zeit später ein. Die Besatzungen der Rettungsboote versorgten die Menschen zügig mit Rettungswesten, beruhigten sie und stabilisierten zunächst die gefährliche Situation. Denn ein so großes Holzboot kann leicht kentern, wenn Unruhe oder sogar Panik aufkommt. Medizinische Notfälle wurden zuerst auf die SEA-EYE 4 evakuiert. Eine Person konnte noch auf dem Rettungsboot auf dem Weg zur SEA-EYE 4 erfolgreich reanimiert werden. Die vollständige Evakuierung des Holzbootes konnte erst um Mitternacht abgeschlossen werden.

Es befinden sich nun mehr als 800 Menschen auf der SEA-EYE 4, die inzwischen Kurs auf Lampedusa genommen hat. Die italienische Insel ist nur wenige Stunden vom Unglücksort entfernt und so der am schnellsten erreichbare, sichere Hafen.

Für die 24 köpfige Besatzung der SEA-EYE 4 kommt es nun zu einer noch nie da gewesenen Belastungssituation. 

Rettungseinsatz
© Hermine Poschmann & Mission Lifeline

Das Rettungsschiff ist auf die schnelle Zuweisung eines sicheren Hafens angewiesen. Sea-Eye hat die Rettungsleitstelle in Rom bereits um die Zuweisung eines sicheren Hafens und das Auswärtige Amt um dringende Unterstützung gebeten, da Malta sich jeder Kommunikation verweigert. 

„Auf der SEA-EYE 4 herrscht nun der Ausnahmezustand. Jede Verzögerung durch die Behörden gefährdet die Gesundheit und das Leben der geretteten Menschen und unserer Besatzung. Es ist beschämend, wie Malta sich immer wieder seiner Verantwortung entzieht und Notrufe ignoriert”, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

„Das Verhalten der europäischen Behörden hat beinahe kriminelle Züge. Die Zuständigkeiten sind eindeutig und klar geregelt. Warum sich die Staaten nicht daran halten und wissentlich Menschen in Seenot im Stich lassen, kann nur mit mangelndem Verfolgungsdruck des internationalen Strafgerichtshofs zusammenhängen. Es wäre ein Leichtes, die Verantwortlichen persönlich zur Rechenschaft zu ziehen!“ so Axel Steier, Vorstand und Sprecher von MISSION LIFELINE e. V.

Es ist erschütternd, wie viele Rettungen Sea-Eye und andere Organisationen in den letzten Tagen vornehmen mussten. Die Situation vor Ort ist dramatisch, da die Rettungskräfte an den Rand ihrer Belastung kommen und die Kapazitäten nicht mehr ausreichen. Wir brauchen Hilfe, damit alle Menschen, die gerade in Seenot sind, gerettet werden können. Das ist doch unsere gemeinsame moralische Verantwortung“, so Dr. Christine Winkelmann, Vorständin der German Doctors, die durch die Bordärztin Daniela Klein an der Rettungsaktion beteiligt sind.

Deutsche Rettungsschiffe SEA-EYE 4 und RISE ABOVE in 5 Rettungen involviert

Den Seenotrettungsschiffen SEA-EYE 4 von Sea-Eye e. V. und die RISE ABOVE von Mission Lifeline e. V. wurde in der Nacht zum Dienstag, 02.11.2021, ein Notruf vom AlarmPhone weitergeleitet. Zeitgleich wurden die zuständigen Behörden informiert. Eine Reaktion der Behörden blieb bisher aus.

Die kleinere, schnelle RISE ABOVE erreichte den Seenotfall zuerst, versorgte die Menschen mit Rettungswesten und blieb vor Ort, bis die größere SEA-EYE 4 eintraf. Die Crew evakuierte die Menschen aus dem hochseeuntauglichen Schlauchboot und brachte sie an Bord der SEA-EYE 4. Schon während der ersten Rettung wurden den Rettungsschiffen mehrere, weitere Seenotfälle gemeldet. Bis zum Dienstagmorgen konnten die Crews beider Schiffe 325 Menschenleben von insgesamt 5 Booten retten. Dabei erwies sich die Zusammenarbeit beider Schiffe mit unterschiedlichen Eigenschaften als sehr wirksam. Während die RISE ABOVE doppelt so schnell ist und einen Unglücksort zügig erreichen kann, ist die SEA-EYE 4 in der Lage, viele Menschen an Bord zu nehmen und medizinisch in einem Bordhospital zu versorgen.

Rettungseinsatz

Ermöglicht wird dies durch die medizinische Expertise der Bonner Organisation German Doctors e.V., die erneut mit Bordärztin Daniela Klein auf der SEA-EYE 4 vertreten ist.

An Bord der SEA-EYE 4 befinden sich nun 325 Menschen. Unter ihnen sind 152 Kinder, 31 Frauen und 142 Männer. Zwei der Frauen sind schwanger. Auf der SEA-EYE 4 werden die Menschen nun einem ersten medizinischen Check-up unterzogen, auf Covid-19 getestet und mit Nahrung und Trinkwasser versorgt.

„Es gibt 5 Menschen mit schweren Verletzungen. Bis zu 10 Personen mussten heute länger im Hospital behandelt werden. Wir werden noch bis in die Nacht arbeiten und müssen noch rund 50 Menschen medizinisch versorgen. Viele der Geretteten sind sehr seekrank, was sich auch dadurch verschlimmert hat, dass viele Menschen Treibstoff eingeatmet haben, was zu schrecklicher Übelkeit und Erbrechen führte. Und es gibt viele Hautverbrennungen, die durch den mit Meerwasser vermischten Treibstoff verursacht wurden. Nicht zu vergessen sind ältere Wunden, die ebenfalls behandelt werden müssen, und psychisch traumatisierte Patienten”, sagt Bordärztin Daniela Klein von German Doctors e. V.

Rettungseinsatz

„Unter den Geretteten haben wir rund 150 Minderjährige und mehrere Familien mit Kleinkindern. 11 Kinder sind annähernd um die drei Jahre alt. Wären unsere Schiffe nicht rechtzeitig vor Ort gewesen, dann wären die Leben dieser Menschen dem Meer ausgeliefert geblieben. Wir sind dankbar, dass die Familien nun in den fürsorglichen Händen unserer Rettungskräfte sind”, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

„Wir sind glücklich, dass wir im ersten Einsatz mit unserem neuen Schiff zusammen mit der Crew der SEA-EYE 4 so viele Menschen retten konnten. Die spezifischen Stärken und Vorteile jedes der beiden Schiffe zu kombinieren, war für die Rettungen von unschätzbarem Vorteil”, sagt Axel Steier, Vorsitzender von Mission Lifeline e. V.

SEA-EYE 4

Sechs Organisationen fordern von der künftigen Bundesregierung eine Kehrtwende in der Migrationspolitik

Das Rettungsschiff SEA-EYE 4 brach am Samstagnachmittag, 23.10.2021, zu seiner dritten Rettungsmission auf. Während in Berlin über die Bildung einer neuen Bundesregierung verhandelt wird, kämpfen die zivilen Seenotrettungsorganisationen im Mittelmeer weiterhin um jedes Menschenleben.

Die vergangenen Bundesregierungen haben das Mittelmeer als Waffe in ihrer Abschottungspolitik benutzt und Menschen ertrinken lassen, damit sie die EU nicht erreichen. Zusätzlich wurden viele tausend Menschen von der libyschen Küstenwache zwangsweise in das Bürgerkriegsland Libyen und seine Folterlager zurückgeführt. Gemeinsam mit AlarmPhone, Borderline Europe, Resqship, Sea-Watch und Seebrücke fordert Sea-Eye von der künftigen Bundesregierung diese grausame Politik endlich aufzugeben.

Das Bündnis fordert sichere und legale Einreisewege nach Deutschland sowie ein flächendeckendes, nicht-militärisches EU-Seenotrettungsprogramm mit Ausschiffung in einem sicheren Hafen. Da Frontex für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen wie Push-Backs und Aussetzen von flüchtenden Menschen auf See verantwortlich ist, muss sich Deutschland dafür einsetzen, dass die Grenzschutzagentur abgeschafft wird. Außerdem muss Deutschland bei der Aufnahme von Geflüchteten eine Führungsrolle einnehmen und sich für die Abschaffung des Dublin-Ersteinreiseprinzips aussprechen.

Menschen frieren, hungern, sterben an Europas Grenzen. Polizist*innen und Frontex-Beamt*innen prügeln auf wehrlose Menschen ein und setzen sie auf See aus. Dieses Leid, die Qualen der Opfer sind unvorstellbar und sie sind von den Politiker*innen der EU-Staaten mit voller Absicht so erzeugt worden. Deshalb fordern wir von der künftigen Bundesregierung eine Kehrtwende in der Migrationspolitik und die Menschenrechte aller Menschen endlich zu achten“, sagt Sophie Weidenhiller, Pressesprecherin von Sea-Eye e. V.

Sophie Weidenhiller, Pressesprecherin von Sea-Eye

Dr. Harald Kischlat, Vorstand des German Doctors e. V. ergänzt: „Die Achtung der Menschenrechte ist die Basis all unseres Handelns. Solange von Seiten der EU-Staaten keine menschenwürdigen Lösungen in Sicht sind, ist uns der Einsatz unserer Ärzt*innen an Bord der Sea-Eye eine Herzensangelegenheit und Verpflichtung. Dem Sterben auf dem Mittelmeer können und dürfen wir nicht tatenlos zusehen.

German Doctors entsendet auch auf die dritte Rettungsmission der SEA-EYE 4 eine Ärztin, die an Bord die medizinische Leitung übernimmt. Wie schon auf der letzten Mission kümmert sich Dr. Daniela Klein um den Gesundheitszustand der Geflüchteten. Unter den Risiken der Flucht leiden insbesondere Schwangere, Menschen mit Vorerkrankungen und Kleinkinder.

Jugendliche berichten über Diskriminierung und schwere Gewalt in Libyen

Unter den 29 geretteten Personen an Bord der SEA-EYE 4 befanden sich auch Ahmed*, Ali*, Samul* und Khalil*. Zwei von ihnen sind 16 Jahre, die anderen beiden 17 Jahre alt. Das Heimatland der vier Jugendlichen ist Guinea. (*Namen geändert)

Eines Nachmittags stimmte Ahmed ein Lied an, dass von einer Welt ohne Grenzen handelte. Danach dichtet er spontan ein paar Zeilen über die SEA-EYE 4.

Im anschließenden Gespräch mit unserem Crewmitglied Johanna fallen sich die vier Minderjährigen immer wieder gegenseitig ins Wort, während sie von ihren Erlebnissen in Libyen berichten. Sie erzählen, dass sie sehr viel Diskriminierung erfahren hätten. Als Schwarze Person sei man „nichts wert gewesen“.

Geflüchtete an Bord der SEA-EYE 4

So hätten die Menschen vor Ort die Jugendlichen beispielsweise nicht berühren wollen oder sich das T-Shirt über die Nase gezogen und lediglich „Corona“ gesagt. Häufig suchten sie am Morgen eine Arbeit, doch nicht selten wurden sie am Abend dann nicht bezahlt. Khalil berichtet, dass sie sich nachts zum Schlafen verstecken mussten. Ahmed zeigt Narben an seinen Armen, die ihm während seines Aufenthalts zugefügt wurden. Ali betont jedoch, dass nicht alle Menschen in Libyen schlecht seien, woraufhin auch Ahmed von einer Begegnung mit einem Imam berichtet, der ihm geholfen hat.

Doch viele Menschen hätten Waffen, sagt Samul. Er habe selbst gesehen, wie jemandem wegen eines Handys in den Arm geschossen wurde. Alle vier wurden Zeugen davon, wie jemand erschossen wurde.

Nach all den schrecklichen Geschehnissen, die die vier während ihrer bisherigen Flucht ertragen mussten, stehen sie nun Seite an Seite an der Reling und singen gemeinsam auf das Meer hinaus. In der Hoffnung, dass sie schon bald an einen sicheren Ort gelangen. 

Geflüchtete Frauen berichten an Bord über ihr Leben in Libyen

Die Crew der SEA-EYE 4 hat vor wenigen Tagen 29 Menschen aus einem kleinen Holzboot gerettet. Unter ihnen sind acht Frauen, davon zwei im neunten Monat schwanger. Bei ihnen sind auch vier Babys.

Unsere Crewmitglieder Johanna und Kai haben mit den geflüchteten Frauen gesprochen. Dabei fällt auch immer wieder ein Wort: Hölle. Dieses Wort wurde für Libyen in den letzten Jahren sehr häufig benutzt, man hat sich fast daran gewöhnt. Aber wenn Johanna und Kai den geflüchteten Frauen zuhören, füllt sich dieser abstrakte Begriff wieder mit neuem Grauen.

Die Frauen an Bord berichten, dass Schwarze Menschen in Libyen häufig gekidnappt werden. Sie selbst lebten in ständiger Angst und haben sich kaum aus dem Haus getraut. Die jungen Frauen fürchteten sich aber nicht nur davor, entführt, sondern auch vergewaltigt zu werden. „Es passiert wirklich!“, betonten sie, als sie von ihrer Zeit in Libyen berichteten.

Was sie erzählen, deckt sich mit Berichten beispielsweise von der UN, Amnesty International oder Oxfam aus den vergangenen Jahren. Seit 2011 herrscht in Libyen Bürgerkrieg, in dem flüchtende Menschen entrechtet sind und unter schweren Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Inhaftierungen, Entführungen, Vergewaltigungen, Folter, Sklaverei und Tötungen leiden.

Trotz des Schreckens haben die Augen von Adissa, eine der hochschwangeren Frauen, und Maya (Namen zu ihrem Schutz geändert) ihr Strahlen nicht verloren. So berichteten sie neben all der Angst, die sie ausgestanden haben, begeistert, auf welche Art und Weise sie am liebsten Reis und Couscous zubereiten.

Aufziehender Starkwind verhindert weitere Rettungseinsätze

Die Crew der SEA-EYE 4 rettete am 1. September 29 Menschen aus akuter Lebensgefahr. Die Wache der SEA-EYE 4 entdeckte die Menschen am Mittwochmorgen mit dem Fernglas. Die aus Libyen flüchtenden Menschen saßen dicht gedrängt in einem kleinen, überfüllten Holzboot. Unter ihnen sind 18 Minderjährige, davon sind vier Babys, und acht Frauen. Zwei Frauen sind im neunten Monat schwanger.

Kurz nach der Rettung verschlechterte sich das Wetter, ein Tiefdruckgebiet zog auf und Starkwind kündigte sich an.

Die geretteten Personen hatten kein Satellitentelefon bei sich. Sie hatten unwahrscheinliches Glück, dass wir sie gefunden haben. Hätten wir sie nicht entdeckt, wären sie der unruhigen See schutzlos ausgeliefert geblieben“, berichtet Sophie Weidenhiller, Sprecherin von Sea-Eye e. V.

Die Einsatzleitung entschied am Donnerstagabend, die geretteten Menschen zügig in Sicherheit zu bringen. Besonders die beiden hochschwangeren Frauen und die Babys müssen nun schnellstmöglich an Land gebracht und medizinisch versorgt werden.

Es wäre aus unserer Sicht unverantwortlich, den Frauen eine Geburt bei schwerer See in einem Schiffshospital zuzumuten“, so Weidenhiller.

Sea-Eye informiert ständig die örtlichen Behörden über die akute Situation. Die italienische Küstenwache lehnte die Koordinierung am Donnerstagabend ab und verwies auf die Zuständigkeit der deutschen Behörden für die SEA-EYE 4.

Wir sind dankbar, dass die Crew der SEA-EYE 4 diese 29 Menschen retten konnte.  Zwar sind alle Geflüchteten in einer stabilen gesundheitlichen Verfassung, insbesondere für die zwei hochschwangeren Frauen und die vier Babys ist die Situation aber extrem belastend – zugespitzt nun auch noch durch die raue See und den starken Wind. Die Entscheidung, die Menschen direkt in einen sicheren Hafen zu bringen, ist die einzig richtige“, so Dr. Harald Kischlat, Vorstand German Doctors e. V.

Die SEA-EYE 4 hält nun Kurs auf die italienische Insel Sizilien und wird die italienischen und deutschen Behörden weiter um Hilfe bitten.

Mission ist verstorbenem Sea-Eye Vorstand Prof. Dr. med. Tilman Mischkowsky gewidmet

Am Freitagabend, 27.08.2021, ist das Bündnisschiff SEA-EYE 4 zu seiner zweiten Rettungsmission ins zentrale Mittelmeer aufgebrochen. Das Rettungsschiff wird dringend benötigt, denn in den letzten Tagen gab es zahlreiche Meldungen über Seenotfälle. Die italienischen Behörden hatten das Schiff zuvor 10 Wochen mit fadenscheinigen Gründen im Hafen von Palermo festgehalten und forderten technische Anpassungen. Durch die Unterstützung der zuständigen deutschen Behörde, der Dienststelle Schiffssicherheit/BG Verkehr, gelang es den Seenotretter*innen die SEA-EYE 4 so anzupassen, dass die italienische Küstenwache die Festsetzung aufhob.

Die zweite Rettungsmission der SEA-EYE 4 wird erneut durch eine Ärztin von German Doctors unterstützt

Verzweifelte Menschen, die aufgrund von Armut, Krieg und Verfolgung die lebensgefährliche Flucht über das Mittelmeer auf sich nehmen, dürfen nicht ihrem Schicksal überlassen werden und vor den europäischen Außengrenzen ertrinken! Als German Doctors-Einsatzärztin und Teil des medizinischen Teams an Bord der SEA-EYE 4 möchte ich einen kleinen Teil zur Rettung der Menschen auf der Flucht beitragen und hoffe auf eine erfolgreiche Mission“, so Dr. Daniela Klein, German Doctors-Einsatzärztin und Schiffsärztin an Bord der SEA-EYE 4.

Daniela von German Doctors

Seit 2014 sind mehr als 20.000 Menschen auf ihrer Flucht im Mittelmeer ums Leben gekommen. 1241 Menschen starben allein aufgrund fehlender sicherer Fluchtwege in 2021 im Mittelmeer (Stand: 26.08.2021).

Nachruf zum Tod von Prof. Dr. med. Tilman Mischkowsky von Jan Ribbeck, stellv. Vorsitzender von Sea-Eye e. V. und langjähriger Wegbegleiter

Prof. Dr. Tilman Mischkowsky verstarb am 17. April 2021. Er war ein Mann der ersten Stunden bei Sea-Eye e. V. Er hat auf dem ersten Rettungsschiff von Sea-Eye e. V. Sperrholzplatten zurechtgesägt und eine kleine Krankenstation gebaut. Wenn ihm Werkzeuge zur medizinischen Hilfe fehlten, hat er selbst, zum Beispiel in Nepal, Krankenbetten und Operationseinrichtungen aus Altmetall hergestellt. Er hat mit einem Hammer Rost vom Schiffsrumpf der SEA-EYE geklopft, sodass der alte Fischkutter später Menschen vor dem Ertrinken retten konnte.

Tilman Mischkowsky konnte aber nicht nur an der Basis zupacken, sondern auch in großen Dimensionen denken und lenken. Er leitete jahrzehntelang eine unfallchirurgische Abteilung und prägte mit seiner Expertise und Präsenz die unfallchirurgische Fachwelt. Als Vorsitzender bei Sea-Eye e. V. hat er sein Organisationstalent, seine Netzwerkfähigkeit und seine Autorität eingesetzt, um den Weg zu unserem bisher größten Rettungsschiff und die professionelle Arbeit bei Sea-Eye e. V. mitzugestalten.

Große Freude und Genugtuung hätte er daran gehabt, heute das erneute Auslaufen der SEA-EYE 4 zu begleiten. Mit diesem zweiten Rettungseinsatz würde er zusammen mit der Crew und allen Sea-Eye Aktivist*innen gegen die selbstgefällige, europäische Politik der Ausgrenzung von Flüchtenden kämpfen und das Menschenrecht auf Leben verteidigen. Sea-Eye widmet Tilman Mischkowsky die zweite Rettungsmission der SEA-EYE 4, die am 27.08.2021 von Sizilien startete.

Über 300.000 Menschen unterstützen die Forderung

Aufgrund der verheerenden Lage in Afghanistan fordert Sea-Eye in einem offenen Brief mit über 300.000 Unterstützer*innen von der Bundeskanzlerin Angela Merkel, sichere Fluchtwege für alle Menschen einzurichten, die jetzt gezwungen sind, das Land zu verlassen.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

in größter Sorge und zutiefst bestürzt wenden wir uns angesichts der humanitären Katastrophe in Afghanistan an Sie. Wir tun dies mit über 300.000 Unterstützer*innen, die die Petition „Schafft sichere Fluchtwege aus Afghanistan“ (change.org/SichereFluchtwege) unterzeichnet haben.

Die Lage in Afghanistan ist verheerend! Viele tausend Menschen fürchten um ihr Leben. Die Situation in Kabul ist äußerst gefährlich. Menschen sind bereits am Flughafen zu Tode gekommen und viele harren noch in Todesangst in der Hauptstadt aus und warten auf ihre Evakuierung. Währenddessen durchsuchen die Taliban Häuser und Wohnungen nach ihren Opfern und kontrollieren die Straßen.

Die Gewalt konzentriert sich jedoch nicht nur auf die Hauptstadt. Auch in anderen Teilen des Landes setzen die Taliban Gewalt gegen die Bevölkerung ein. Die UN berichtet von anhaltenden, gravierenden Menschenrechtsverletzungen. Es kam zu Massenhinrichtungen von Zivilist*innen und ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte. In einigen Regionen dürfen Mädchen zudem – anders als von den Taliban behauptet – nicht mehr zur Schule gehen und die Bewegungsfreiheit von Frauen wird eingeschränkt. Shabnam Khan Dawran, eine der wichtigsten Moderator*innen des Staatsfernsehens, wurde von den Taliban abgesetzt. Die Taliban zwingen Minderjährige zum Waffendienst und töten bei friedlichen Protesten, wie in den Städten Asadabad und Dschalalabad, Demonstrant*innen.

Über 3 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes vertrieben worden – mehr als 500.000 Menschen allein in diesem Jahr. Mehr als 18 Millionen Menschen hungern in Afghanistan. Frauen und Mädchen sowie Menschenrechtler*innen, Frauenrechtler*innen und Journalist*innen sind unter der Herrschaft der Taliban besonders gefährdet. Allerdings muss jede*r, der*die gegen die Herrschaft und die Lehren der Taliban ist, mit schweren Repressalien, Folter und Mord rechnen. Deutschland hat die Pflicht, Verantwortung zu übernehmen und darf diese Menschen nicht vergessen.

Wir fordern Sie daher zusammen mit 300.000 Unterstützer*innen auf, humanitäre Korridore aus Afghanistan einzurichten. Derzeit ist es für viele Menschen extrem schwierig, Afghanistan zu verlassen, weil die Straßen und Grenzübergänge von den Taliban kontrolliert werden. Setzen Sie sich dafür ein, dass die Grenzen für alle Menschen, die jetzt das Land verlassen müssen, geöffnet werden. Stimmen Sie sich dazu mit den Nachbarländern ab. Klären Sie, welche Aufnahmekapazitäten die Nachbarländer haben und richten Sie mit Ihren europäischen Partnern sichere Fluchtwege in die Europäische Union ein und lassen Sie die Bundesrepublik mit gutem Beispiel vorangehen. Über 250 Kommunen und Städte haben im Bündnis „Sichere Häfen“ ihre Bereitschaft zur Aufnahme von flüchtenden Menschen erklärt. Ermöglichen Sie es diesen Städten, endlich den Menschen zu helfen und sie aufzunehmen.

Setzen Sie sich auch auf internationaler Ebene dafür ein, dass Staaten Afghan*innen aufnehmen, die trotz des 20-jährigen westlichen Militäreinsatzes jetzt zur Flucht gezwungen sind. Die Weltgemeinschaft kann allen Afghan*innen ein neues Leben ermöglichen. Wir sind überzeugt, dass kein*e Afghan*in grundlos seine*ihre Heimat verlässt. Es ist die Verantwortung Deutschlands und seiner Partner, allen Afghan*innen die Möglichkeit zur Flucht zu geben und ihnen somit zu ermöglichen, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Wenn Afghan*innen um ihre Sicherheit und ihr Leben fürchten, müssen ihnen sichere Fluchtwege offenstehen. Lassen Sie die Menschen in Afghanistan nicht im Stich!

Als Seenotrettungsorganisation sehen wir auf unseren Rettungseinsätzen im Mittelmeer seit Jahren das Leid, das durch das Fehlen sicherer Fluchtwege erzeugt wird. Nicht alle Menschen wollen in der Europäischen Union leben. Aber alle Menschen wollen in Sicherheit leben. Sichere Fluchtwege ermöglichen es ihnen, selbstbestimmt und sicher zu flüchten. Ohne sichere Fluchtwege sind Menschen gezwungen, Wüsten zu durchqueren und sich in seeuntaugliche Boote zu setzen. Viele Menschen – darunter Kinder und Familien – sterben auf ihrer Flucht. Wir appellieren an Sie: lassen Sie nicht zu, dass dies das Schicksal der Afghan*innen wird. Schaffen Sie sichere Fluchtwege aus Afghanistan.

Mit freundlichen Grüßen
Axel Pasligh, Gorden Isler, Joana Weinmann und Sophie Weidenhiller
– von Sea-Eye e. V.