Das oberste italienische Verwaltungsgericht (“Consiglio dello Stato”) hat am 17.10.2024 die von der Hafenbehörde in Olbia angeordnete Festsetzung aus dem Jahr 2020 gegen Sea-Eye’s damaliges Rettungsschiff ALAN KURDI für rechtswidrig erklärt. Sea-Eye e.V. kündigte an, Schadensersatz einzuklagen. 

Die ALAN KURDI, ein ehemaliges Rettungsschiff von Sea-Eye, war am 9. Oktober 2020 im Hafen von Olbia festgesetzt worden, nachdem die Behörden bei einer achtstündigen Hafenstaatkontrolle angebliche Mängel festgestellt hatten. Zuvor hatten spanische und deutsche Fachbehörden das unter deutscher Flagge fahrende Schiff nach einer mehrwöchigen Werftzeit als einsatzbereit zertifiziert. Die Klage von Sea-Eye gegen die Festsetzung war nun in zweiter Instanz erfolgreich.

Der Richter entschied, dass für das Schiff nur die Anforderungen des Flaggenstaates gelten. Der Hafenstaat, in diesem Fall Italien, kann nur in außerordentlichen Fällen einschreiten, beispielsweise bei Gefahr für Leben und Umwelt. Dies war aber zu keinem Zeitpunkt der Fall. Die bei der Überprüfung festgestellten Mängel stünden nicht im Widerspruch zu den vom Flaggenstaat Deutschland ausgestellten Sicherheits- und Klassifikationszertifikaten. Darüber hinaus kannte er die Notsituation an, die sich aus der Rettung von 133 Menschen in Lebensgefahr ergab.

„Das Urteil von Olbia ist ein wichtiger Erfolg für Sea-Eye – und doch fühlt es sich an, wie eine bittere Niederlage. Die Schikanen italienischer Behörden gegen die ALAN KURDI zwangen uns zur Aufgabe dieses für uns so wichtigen Schiffes. Das Urteil beweist nun, dass die italienischen Behörden seit Jahren staatliche Machtbefugnisse missbrauchen, um gegen die zivile Seenotrettung vorzugehen. Wir werden gegen das zuständige Ministerium auf Schadensersatz klagen und unseren Widerstand gegen die repressive Politik Italiens auf dem Meer und vor Gericht fortsetzen”, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

Die ALAN KURDI startete 2018 in ihren ersten Einsatz und war das erste zivile Rettungsschiff im Mittelmeer unter deutscher Flagge. Mit ihr führte Sea-Eye insgesamt zwölf Missionen im Mittelmeer durch und rettete 927 Menschen das Leben. Mehr als 240 Menschen leisteten auf dem Schiff freiwilligen Seenotrettungsdienst. Mehrere Festsetzungen zwangen Sea-Eye 2021, das Schiff aufzugeben.

Sea-Eye hat schon mehrfach gegen rechtswidrige Festsetzungen geklagt – bereits mit Erfolg: Im Juni erklärte das Gericht in Reggio Calabria eine 60-tägige Festsetzung der SEA-EYE 4 vom März 2024 für unrechtmäßig. Die Urteile verzögern sich jedoch oft um mehrere Jahre: Insgesamt sind derzeit noch vier weitere Gerichtsverfahren anhängig. Die Prozesse sind für den eingetragenen Verein mit hohen Kosten und zusätzlichen Aufwand verbunden. 

Die zivile Seenotrettungsorganisation verurteilt das Verhalten auf hoher See, bei dem die Gefährdung von Menschenleben in Kauf genommen wurde.

Gegen 16:30 Uhr am vergangenen Sonntag wurden die Crewmitglieder der SEA-EYE 4 Augenzeug*innen eines Verbrechens im zentralen Mittelmeer: Maskierte Personen zwangen 22 Menschen, in internationalen Gewässern von Bord eines fahrenden Bootes zu springen und ließen sie dann schutzlos zurück. Die Rettungsteams von Sea-Eye reagierten sofort und konnten innerhalb von nur 14 Minuten alle 22 Menschen aus dem Wasser retten.

„Unsere Besatzung wurde Augenzeugin eines uns bisher unbekannten Ausmaßes an Brutalität. Die EU-Mitgliedstaaten dürfen nicht zulassen, dass internationale Gewässer zu einem rechtsfreien Raum werden. Die Verantwortlichen müssen ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden“, erklärt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

„Es macht fassungslos und extrem wütend zu sehen, wie Menschen im offenen Wasser zurückgelassen und damit dem unmittelbaren Tod durch Ertrinken ausgesetzt werden! Wir sind glücklich, dass es unserer Crew in dieser äußerst gefährlichen Situation gelungen ist, in kurzer Zeit alle 22 Menschen lebend aus dem Wasser zu ziehen. Bei einem ersten medizinischen Check zeigte sich, dass alle Geretteten zwar traumatisiert und erschöpft, aber bis auf einige Fälle von Atemwegs- und Hautinfektionen zumindest körperlich stabil und in relativ guter Verfassung sind. Nur dank des raschen Eingreifens unserer gesamten Crew konnte eine Tragödie größeren Ausmaßes verhindert werden“, sagt Dr. Daniela Klein, Einsatzärztin von German Doctors auf der SEA-EYE 4.

Die italienischen Behörden haben der SEA-EYE 4 Bari als sicheren Hafen zugewiesen. Das Schiff wird voraussichtlich am Donnerstag dort eintreffen, um die geretteten Menschen sicher an Land zu bringen.

Die Regensburger Seenotrettungsorganisation Sea-Eye e.V. appelliert zum Start der Mission an die Bundesregierung, auch in politisch polarisierten Zeiten Menschenrechte und humanitäre Verpflichtungen ins Zentrum aller politischen Überlegungen zu stellen.

Das Rettungsschiff SEA-EYE 4 hat am Montag, den 7. Oktober 2024, den Hafen von Burriana verlassen und ist zu einer neuen Mission im zentralen Mittelmeer aufgebrochen. In der spanischen Hafenstadt wurden in den vergangenen Wochen planmäßige Wartungsarbeiten am Schiff durchgeführt.

„In einer Zeit, in der die politischen Diskussionen zunehmend von einer immer schärferen Rhetorik und einem Wettstreit um Asylrechtsverschärfungen geprägt sind, wird unser humanitäres Engagement umso dringlicher. Die Regierung und die Parteien der Opposition verlieren sich in einem polarisierenden Überbietungswettbewerb, der die Grundrechte von schutzsuchenden Menschen gefährdet. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass es um das Leben und die Würde von Menschen geht. Wir fordern die europäischen Regierungen und insbesondere die Bundesregierung eindringlich auf, die Menschenrechte und die sich daraus ergebenden humanitären Verpflichtungen ins Zentrum aller politischen Überlegungen zu stellen, anstatt Abschottung und Ausgrenzung voranzutreiben“, betont Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e.V.

German Doctors e.V. unterstützt die Besatzung der SEA-EYE 4 mit medizinischem Personal. Dr. Harald Kischlat, Vorsitzender des Vereins, ergänzt:

„Die Situation an den europäischen Außen- und Innengrenzen spitzt sich zu. Europa und nun auch seine Mitgliedsstaaten untereinander schotten sich weiter ab. Dabei kommt die Situation auf der gefährlichsten Fluchtroute über das Mittelmeer immer weiter aus dem Blick, obwohl auch 2024 wieder viel zu viele Tote beklagt werden mussten. Wir werden daher in unserem Engagement nicht nachlassen, alle Geretteten – darunter zahlreiche Familien, Ältere, Schwangere und Kinder – von unseren German Doctors gemeinsam mit dem medizinischen Staff der SEA-EYE 4 zu versorgen und so deren Überleben sicherzustellen. Wir danken allen Ärztinnen und Ärzten und allen Crewmitgliedern, die auf bisher drei Rettungsmissionen in 2024 oftmals über Belastungsgrenzen gehen mussten. Für den letzten Einsatz der SEA-EYE 4 in diesem Jahr wünschen wir unserer Bordärztin Dr. Daniela Klein und der Crew alles Gute und eine erfolgreiche Mission.“

Die SEA-EYE 4 wird voraussichtlich Ende der Woche das Einsatzgebiet erreichen.

Gemeinsam mit 14 weiteren Organisationen – darunter Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen und die Landesflüchtlingsräte – fordert Sea-Eye die deutsche Bundesregierung auf, der Kriminalisierung von Flucht endlich ein Ende zu setzen. Kurz vor den Verhandlungen über die EU-Richtlinie zur sogenannten Beihilfe illegaler Einreise ab Oktober 2024, fordert der Appell den effektiven Schutz von Flüchtenden anstatt Menschenhandel zu befeuern.

In einer Zeit zunehmender Erosion rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Prinzipien fordern die 15 zivilgesellschaftlichen Organisationen die deutsche Bundesregierung auf, sich im Gesetzgebungsverfahren zur Überarbeitung der EU-Richtlinie für ein Ende der Kriminalisierung von Flucht und Menschenrechtsverteidigerinnen einzusetzen.

Der Appell beinhaltet konkrete Forderungen, darunter:

  • Die Schaffung von Rechtssicherheit durch eine klare Definition der sogenannten Beihilfe zur illegalen Einreise,
  • Die Entkriminalisierung von Schutzsuchenden und ihren Familien,
  • Die Implementierung einer umfassenden Ausnahmeformulierung für humanitäre Hilfe.

Anstatt Menschenhandel zu verhindern, wird die EU-Richtlinie in Mitgliedstaaten bisher als Instrument genutzt, um sowohl flüchtende Personen als auch ihre Unterstützerinnen zu kriminalisieren. Laut einer Studie der Organisation borderline-europe, werden Menschen, die ihre Fluchtboote angeblich selbst gesteuert haben, in Griechenland durchschnittlich zu 46 Jahren Haft verurteilt. Die Verfahren dauern im Mittel nur 37 Minuten an, in Verfahren mit staatlichen Pflichtanwälten nur 17 Minuten. Der aktuelle Entwurf der EU Kommission wiederholt diese fehlgeleitete Politik, die nachweislich ein ums andere Mal scheitert: Nur sichere Fluchtrouten können das Sterben an den Außengrenzen beenden.

Den offenen Brief mit den unterzeichnenden Organisationen finden Sie hier.

Weitere Informationen über die EU-Richtlinie und den kommenden Verhandlungsprozess finden Sie hier.

Ein gemeinsamer Appell von 15 zivilgesellschaftlichen Organisationen

Sehr geehrte Bundesministerin Nancy Faeser,

die EU steht in diesen Jahren an einem Scheideweg. Grundlegende rechtsstaatliche und menschenrechtliche Prinzipien werden zunehmend infrage gestellt und offen angegriffen, oft von Regierungen selbst. Menschen, die Schutz und Sicherheit suchen, sind dabei im Fadenkreuz staatlicher Verfolgung. Das hat ganz konkrete Folgen: Prozesse etwa in Griechenland oder Italien gegen Personen, die Flüchtlingsboote steuern, zeichnen sich durch Verfahrensverletzungen und mangelnde Beweisführung aus. Doch nicht nur Schutzsuchende selbst, auch ihre Unterstützer*innen werden in vielen Mitgliedstaaten kriminalisiert. Selbst wenn es letztlich zu Freisprüchen kommt, wird der Ruf von Organisationen durch die staatlichen Attacken geschädigt. Die oft jahrelangen Verfahren bedeuten außerdem eine enorme finanzielle und psychische Belastung für die Beschuldigten. Die EU-Richtlinie zur Beihilfe illegaler Einreise ist ein häufig verwendetes Instrument, um Flüchtende oder Unterstützende strafrechtlich zu verfolgen.

In den letzten Jahren gab es deswegen immer wieder Forderungen aus der Wissenschaft, von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Expert*innen, nach einer Überarbeitung der Richtlinie, um diesem Kriminalisierungstrend ein Ende zu setzen. Diesem Ruf ist die Europäische Kommission durch den von ihr 2023 vorgelegten Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie nun gefolgt. Um Schutzsuchenden und Menschenrechtsverteidiger*innen endlich Rechtssicherheit zu garantieren, muss jedoch dringend nachgebessert werden.

Für uns ist klar: Eine überarbeitete Richtlinie muss vollumfänglich in Einklang mit dem UN-Schmuggelprotokoll, sowie internationalem Menschenrechten und dem Flüchtlingsrecht stehen. Humanitäre Hilfe und Unterstützung sind Ausdruck von Menschlichkeit und einer lebendigen Zivilgesellschaft und dürften nicht kriminalisiert werden. Wir appellieren deshalb an die Bundesregierung, sich bei den kommenden Verhandlungen für folgende Punkte einzusetzen:

  1. Klare Definition des Straftatbestands der Beihilfe zur illegalen Einreise unter Voraussetzung einer ungerechtfertigten finanziellen oder materiellen Bereicherung: Nach dem UN-Schmuggelprotokoll wird eine Handlung nur dann als Schmuggel angesehen und strafbar, wenn damit beabsichtigt wird, einen finanziellen oder materiellen Vorteil zu erzielen. Der Straftatbestand in der Richtlinie muss dieser Definition gerecht werden. Darüber hinaus sollte klargestellt sein, dass eine Dienstleistung gegen angemessene Bezahlung (wie eine Taxifahrt über die Grenze oder eine Beherbergung im Hotel in Grenznähe) vom Straftatbestand nicht erfasst ist.
  2. Eine ausdrückliche, umfassende und verbindliche Ausnahmeformulierung für humanitäre Hilfe und Maßnahmen, die dem Schutz von Menschenrechten dienen: Personen und Organisationen, die an Land oder auf See humanitäre Hilfe leisten oder Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, müssen in allen EU Mitgliedstaaten effektiv vor Kriminalisierung geschützt sein.
  3. Entkriminalisierung von Schutzsuchenden und ihren Familienangehörigen: Menschen auf der Flucht sind diejenigen, welche durch ihre Zwangslage Opfer von Schleuserei werden. Der Vorwurf des Schmuggels darf nicht dazu dienen, fliehende Menschen oder deren Familienangehörige durch die Hintertür zu kriminalisieren.
  4. Entfernung des neuen Straftatbestands der öffentlichen Anstiftung: Ein solcher gefährlich vage definierter Straftatbestand könnte dazu genutzt werden, Schutzsuchende oder humanitäre Hilfe zu kriminalisieren und stellt darüber hinaus einen gefährlichen Einschnitt in Presse- und Meinungsfreiheit dar.
  5. Vorangestellte Menschenrechtsfolgenabschätzung: Die Europäische Kommission hat es versäumt, eine menschenrechtliche Folgenabschätzung für die vorgeschlagene Gesetzesänderung durchzuführen. Dies sollte dringend nachgeholt werden, um die nötige Faktengrundlage zur Unterstützung der neuen Rechtsvorschriften zu gewährleisten.

Kriminalisierung von Flucht führt zu mehr Leid und Toten. Irreguläre Grenzübertritte bleiben für viele Menschen alternativlos und sollten nicht kriminalisiert werden. Letztlich sind sichere und legale Fluchtmöglichkeiten der einzige Weg, um die Ausbeutung fliehender Menschen effektiv zu verhindern. Der Umgang mit den in Folge des Angriffskriegs aus der Ukraine fliehenden Menschen hat gezeigt, dass das auch praktisch möglich ist. Wir appellieren an Sie, sicherzustellen, dass die neu überarbeitete Richtlinie kein weiterer Schritt in Richtung der Abschaffung von menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Prinzipien wird.

Anmesty International, borderline-europe, Seebrücke, r42-sail and rescue, Pro Asyl, AWO Bundesverband, Free Homayoun, MSF – Ärzte ohne Grenzen, medico international, Sea-Watch, Die Landesflüchtlingsräte, Sea-Eye, SARAH Seenotrettung, Deutscher Anwaltverein, SOS Humanity

Am 8. September 2020 brannte Europas größtes Aufnahmelager fast vollständig nieder. Schon zuvor war Moria für seine überfüllten und katastrophalen Zustände bekannt. Vier Jahre nach der Katastrophe fordert Sea-Eye endlich echte Lösungen und eine solidarische Asylpolitik.

Als vor vier Jahren das Geflüchtetenlager Moria auf Lesbos in Flammen aufging, wurden rund 13.000 Menschen auf einen Schlag obdachlos. Der Katastrophe folgte großes Entsetzen über die Zustände in dem überfüllten Massenlager: „Keine Morias mehr“ – hieß es damals aus der EU.

Aber: „Viele andere Morias” wurden nun beschlossen. Denn wofür das Elendslager stand, hat die EU in diesem Jahr mit der Asylrechtsverschärfung GEAS in Gesetzesform gegossen: Die Entrechtung und Entmenschlichung von Schutzsuchenden mit dem Ziel der Abschreckung. Das Lager Moria ist zwar abgebrannt, aber das dahinterstehende Prinzip der Ausgrenzung und Abschottung brennt weiter. Die EU bekämpft die Flammen mit Feuer – angefacht von Rechtsaußen.

Wir fordern: Aus der Asche von Moria müssen endlich echte Lösungen entstehen – eine wirklich solidarische Asylpolitik auf Basis der Menschenrechte! Ein Europa, das Kinder nicht in abgeschottete Haftlager an den Außengrenzen pfercht. Ein Europa, das nicht autoritäre Regime dafür bezahlt, Menschen aus libyschen Elendslagern an der Flucht zu hindern. Ein Europa, das Menschen nicht aufs offene Meer, in die Türkei, nach Tunesien oder Libyen zurückschickt – und in libyschen Folterlagern ihrem Schicksal überlässt. Dafür stehen wir als Teil der europäischen Zivilgesellschaft!

Am 22. Juli taufte die Oscar-nominierte Schauspielerin unseren neuen Rettungskreuzer, die SEA-EYE 5. Nach der offiziellen Zeremonie haben wir mit ihr gesprochen – darüber, warum sie sich für die zivile Seenotrettung engagiert und was sie sich diesbezüglich von der Politik wünscht.

Für uns steht fest: Mit dir haben wir eine großartige Taufpatin für die SEA-EYE 5 gewonnen. Was hat dich persönlich dazu bewegt, diese Aufgabe  zu übernehmen?

Ich kenne ein Mitglied von Sea-Eye seit vielen Jahren. Wir hatten uns aus den Augen verloren und er hat über meine Agentur angefragt, ob es nicht eine Aufgabe für mich wäre, mehr Aufmerksamkeit für die Organisation und das Schiff selbst zu generieren. Für mich war das überhaupt keine Frage – mir war klar, dass ich da mitmachen wollte. Das einzige, was wir noch finden mussten, war einen Termin und einen Ort für die Taufe, der für alle passt.

Wie siehst du die Rolle von Künstler*innen und Prominenten bei der Sensibilisierung für Themen wie die zivile Seenotrettung?

Natürlich kann ich nicht für andere sprechen. Ich denke, jede Person muss für sich selbst entscheiden, inwieweit sie ihre Öffentlichkeit oder ihre Position nutzt, um für die Themen zu sprechen, die ihr am Herzen liegen. Für mich wäre es ein komisches Gefühl, in der Öffentlichkeit zu stehen und dann zu Dingen zu schweigen, die einfach nicht richtig sind. Deshalb ist mir dieses Projekt auch so wichtig.

Dein Terminkalender ist voll. Woher nimmst du die Energie, dich zusätzlich gegen Rechtsextremismus oder gegen das Sterben im Mittelmeer zu engagieren?

Mein voller Terminkalender ist nicht annähernd vergleichbar mit den Problemen der Menschen, die von rechter Gewalt betroffen sind oder auf dem Mittelmeer ums Überleben kämpfen. Deshalb ist es für mich selbstverständlich, dass ich mich für sie einsetze.

Welche Veränderungen wünschst du dir für Schutzsuchende im Mittelmeer?

Ich wünsche mir, dass die europäischen Regierungen erkennen, dass die Fluchtbewegungen auch von Europa ausgelöst werden. Dass entsprechend gehandelt wird, dass Verantwortung übernommen wird – und dass diese Fluchtbewegungen als das gesehen werden, was sie sind, und nicht als Luxusprobleme von Menschen, die angeblich immer mehr wollen. Diese Zuschreibungen, die es in manchen Teilen der Presse gibt, müssen aufhören. Ich würde mir wünschen, dass hier genauer hingeschaut wird – beispielsweise: Was sind Fluchtursachen? Die Politik kennt die Antworten darauf und warum sie nicht entsprechend handelt, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel. Aber das wünsche ich mir: Dass endlich Fluchtursachen bekämpft werden.

Damit die SEA-EYE 5 zeitnah im Mittelmeer Menschenleben retten kann, brauchen wir neben einer Taufpatin noch viel mehr Menschen, die sich engagieren. Wie kann man helfen, die SEA-EYE 5 in den Einsatz zu schicken?

Es gibt ein Spendenprojekt für die SEA-EYE 5: Jede*r kann eine*r von 3.000 Schiffspat*innen werden und einen monatlichen Betrag leisten, damit dieses Schiff einsatzbereit wird. Übrigens: Ich habe das Formular auf der Website bereits ausgefüllt – ich bin auch schon Schiffspatin!

Am 25. August 2014 reagierte die Migrant Offshore Aid Station (MOAS) als erste zivile Seenotrettungsorganisation mit einem Rettungseinsatz auf die hohe Zahl an Schiffsunglücken und Todesfällen im Mittelmeer.

Anlässlich des zehnjährigen Bestehens der zivilen Seenotrettung im zentralen Mittelmeer fordert die Hilfsorganisation Sea-Eye die Europäische Union auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und ein umfassendes staatliches Seenotrettungssystem aufzubauen. Denn im selben Jahr, in dem MOAS in den Einsatz startete, stellte auch die italienische Marineoperation Mare Nostrum ihre Arbeit ein. Seitdem gibt es im Mittelmeer keine staatlich organisierte Seenotrettung mehr. Stattdessen begann die Operation Triton unter der Leitung der EU-Grenzagentur Frontex, deren Fokus jedoch nicht auf der Rettung von Schutzsuchenden, sondern auf der Grenzsicherung lag. In den vergangenen zehn Jahren haben mehrere private Organisationen zahlreiche Menschenleben gerettet – die humanitäre Krise ist allerdings nach wie vor ungelöst.

„In den letzten zehn Jahren haben zivile Seenotrettungsorganisationen die Verantwortung übernommen, die grundsätzlich bei den EU-Mitgliedsstaaten liegt. Politisch hat sich in dieser Zeit viel verändert, doch die humanitäre Situation im Mittelmeer ist nach wie vor katastrophal. Statt auf staatlich organisierte Seenotrettung zu setzen, wird die Abschottung Europas weiter vorangetrieben. Gesetze gegen zivile Seenotrettungsorganisationen wurden in Italien kreiert und das Schlimmste: Noch immer sterben jedes Jahr tausende Menschen auf der Suche nach Asyl und Schutz“, erklärt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V. „Die EU-Mitgliedstaaten müssen aufhören, unsere Arbeit zu kriminalisieren und endlich eine europäische staatliche Seenotrettung aufbauen, die den klaren Auftrag hat, möglichst vielen Menschen im Mittelmeer das Leben zu retten!“

Sea-Eye wurde im Herbst 2015 gegründet und startete im darauffolgenden Frühjahr mit den ersten Rettungseinsätzen. Trotz des Engagements ziviler Seenotrettungsorganisationen gilt die Fluchtroute über das Mittelmeer als die gefährlichste der Welt. Laut dem Missing Migrant Project der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind seit 2014 mehr als 30.000 Menschen im Mittelmeer verschwunden oder gestorben. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) werden seit 2014 mehr als 30.000 Menschen im Mittelmeer vermisst. Sea-Eye fordert die EU auf, endlich Verantwortung zu übernehmen.

Die Zahl der Vermissten im Mittelmeer hat laut dem Missing Migrant Project der IOM mittlerweile die 30.000-Marke überschritten. Fast 80 Prozent der Verschollenen werden laut Statistik im zentralen Mittelmeer vermisst. Ertrinken ist die häufigste Todesursache. Unter den Verunglückten sind auch viele Kinder. Allein im Jahr 2024 sind bereits mehr als 1.000 Menschen auf der tödlichsten Fluchtroute verschwunden.

Statt gegen die Hilfsorganisationen vorzugehen, müssen die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten endlich ihrer Verantwortung im Mittelmeer gerecht werden. Derzeit bekämpfen sie weder die Fluchtursachen noch sorgen sie für sichere Fluchtrouten, sondern sie erschweren unsere humanitäre Arbeit nur noch mehr: Durch Festsetzungen, die Zuweisung weit entfernter Häfen oder strengere Auflagen für zivile Rettungsschiffe. Dabei zeigen Gerichtsurteile wie das in Reggio Calabria ganz deutlich, dass es sich bei den Maßnahmen gegen unsere Einsätze um den Missbrauch staatlicher Machtbefugnisse handelt. Die EU ist inzwischen für über 30.000 verlorene Menschenleben im Mittelmeer verantwortlich. Wir brauchen endlich eine Abkehr von diesem brutalen, europäischen Grenzregime hin zu einer menschenrechtsbasierten Migrationspolitik!”, fordert Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V. 

Allein zwischen Juni 2023 und Juni 2024 wurde die SEA-EYE 4 insgesamt 120 Tage in Italien festgesetzt. Der in Regensburg ansässige Verein hat bereits mehrfach gegen rechtswidrige Festsetzungen geklagt. Das Gericht in Reggio Calabria hatte am 5. Juni einer Klage von Sea-Eye stattgegeben und die 60-tägige Verwaltungshaft der SEA-EYE 4 im März 2024 für unrechtmäßig erklärt.


Als Antwort auf die anhaltende Krise im Mittelmeer sendet Sea-Eye e.V. noch in diesem Jahr einen ehemaligen Seenotkreuzer ins Mittelmeer. Die Oscar-nominierte Schauspielerin Sandra Hüller taufte das Rettungsschiff am Montag auf seinen neuen Namen SEA-EYE 5.

Das Schiff wird noch in diesem Jahr zu seinem ersten lebensrettenden Einsatz im Mittelmeer auslaufen

Am 22. Juli 2024 taufte die Oscar-nominierte Schauspielerin Sandra Hüller gemeinsam mit Omorogbe Peter Obamwonyi, Crew-Manager bei Sea-Eye, den Rettungskreuzer SEA-EYE 5. Die Zeremonie fand im Hafen der italienischen Stadt Ancona statt. Das Schiff war bis 2020 unter dem Namen NIS RANDERS für die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) im Einsatz. Als ziviles Rettungsschiff SEA-EYE 5 wird es künftig auf der tödlichsten Fluchtroute der Welt Menschen in Seenot zu Hilfe kommen. Seit 2014 starben fast 30.000 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer.

„Ich wünschte, dieses Schiff müsste nicht existieren. Ich wünschte, die Regierungen Europas und der Welt würden endlich begreifen, dass Migration nicht aufhört, wenn sie das Sterben auf den Migrationsrouten zulassen. Sie wird aufhören, wenn sie die Verantwortung für das Leid der Menschen übernehmen, die ihre Heimat verlassen, verursacht durch die Arroganz und Ignoranz des Rests der Welt und der Politik. Ich wünsche diesem Schiff eine friedliche See und danke der Besatzung für ihre leider notwendige Arbeit. Mögen dieses Schiff und die Menschen darauf gesegnet sein“, erklärte Sandra Hüller.

Sandra Hüller

Omorogbe Peter Obamwonyi ergänzte: „Trotz aller Erfolge der letzten Jahre und der vielen geretteten Menschenleben wachsen die Hürden in der zivilen Seenotrettung mit illegalen Festsetzungen, die uns wiederholt in Häfen festhalten. Jetzt, mit dem zusätzlichen Rettungsschiff SEA-EYE 5, sind wir zuversichtlich, dass wir mehr Kraft haben, um das zu tun, was wir am besten können und worauf wir stolz sind – weiterhin Leben zu retten.“

Sandra Hüller und Omorogbe Peter Obamwonyi

Der Kaufpreis von rund 465.000 Euro wurde durch eine Spendenaktion von United4Rescue finanziert, einem von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) initiierten zivilgesellschaftlichen Bündnis mit über 900 Partnern. Sandra Bils, Vorstandsmitglied von United4Rescue, sagte in ihrer Rede:

„Wir sind überwältigt, wie viele Menschen in so kurzer Zeit für den Rettungskreuzer gespendet haben. Die große Spendenbereitschaft zeigt: Wir schauen nicht weg, wenn die europäischen Staaten Schutzsuchende auf dem Mittelmeer ertrinken lassen. Gemeinsam setzen wir der tödlichen Abschottungspolitik etwas entgegen und schicken die SEA-EYE 5 als viertes Bündnisschiff aufs Mittelmeer!“

Sandra Bils

Zur Behandlung von medizinischen Notfällen wird an Bord eine Krankenstation eingerichtet. Deren Ausstattung und Betrieb wird durch die langjährige Sea-Eye-Partnerorganisation German Doctors e.V. ermöglicht. Vorständin Dr. Christine Winkel­mann betonte bei den Feierlichkeiten:

Für uns ist es eine menschenrechtliche Verpflichtung, Menschen in Not zu helfen und sie medizinisch zu versorgen – egal, ob an Land oder auf See. Unsere Ärzte und Ärztinnen berichten immer wieder von unermesslichem Leid: traumatisierte Menschen, unterkühlt und dehydriert mit unterschiedlichen Verletzungen. Oft haben sie Schlimmstes durchgemacht, bevor sie an Bord des Rettungsschiffs kommen. Diese Zustände sind unerträglich. Durch den ehrenamtlichen Einsatz von erfahrenen Bordärzt*innen und dem gesamten medizinischen Team versuchen wir auch unter diesen widrigen Umständen das Recht auf medizinische Versorgung umzusetzen.“

Dr. Christine Winkelmann

Die SEA-EYE 5 wurde 1990 gebaut und gehört zur 23,3-Meter-Klasse, einer Serie von sieben Seenotkreuzern der DGzRS. Bis 2018 war sie vor Maasholm an der schleswig-holsteinischen Küste im Einsatz und wurde weitere zwei Jahre von der DGzRS ohne feste Station betrieben. Vor seinem ersten Einsatz im zentralen Mittelmeer wird der Rettungskreuzer überholt und technisch modernisiert.

Um das Jahresbudget der SEA-EYE 5 zu decken, sucht Sea-Eye aktuell 3.000 Schiffspat*innen, die mit einer monatlichen Spende den Betrieb des Rettungskreuzers sicherstellen. Der Umbau des Schiffes, die ersten Einsätze und ein Teil der dauerhaften Finanzierung werden durch zwei langfristige Darlehen der GLS Bank sowie eine Crowd-Kampagne des Kooperationspartners GLS Crowd abgedeckt.