„… aber das Wasser war stärker.“

An Bord der SEA-EYE 4 erzählte ein junger Mann aus Bangladesch unserem Crewmitglied Fiona, weshalb er sein Land verlassen hat und welche Gefahren ihm in Libyen begegnet sind. Die folgenden Schilderungen beruhen auf zwei Gesprächen, die mit Audioaufnahmen und Notizen dokumentiert wurden.

Ich wurde in Dhaka, Bangladesch, in einer 5-köpfigen Familie geboren. Ich bin allein hierhergekommen.

Ich habe viele Probleme zu Hause und ich denke ständig daran… Das Leben in Bangladesch ist schwierig. Wenn du arm geboren wirst, bleibst du arm, auch wenn du hart arbeitest. Ich bin für meine Familie verantwortlich, da ich der einzige Sohn bin, ich muss sie versorgen und mich um sie kümmern.

Meine Eltern können beide nicht mehr arbeiten. Meine Mutter hatte einen Job in einer Bekleidungsfabrik, aber sie wurde sehr krank, und mein Vater ist zu alt, um zu arbeiten. Er ist ein guter Mann und ein guter Landwirt, aber die Arbeit wird zu schwer für ihn.

Meine beiden Schwestern würden gerne studieren, denn in Bangladesch kann man mit einem Schulabschluss eine gute Arbeit finden. Ich will nicht, dass sie auf den Feldern arbeiten… aber wir haben kein Geld, wir können nicht einmal richtig essen. Zwei Säcke Reis kosten die Hälfte von dem, was ich in einem Monat verdiene.

Zeichnung

Seit Corona hat sich die Lage in Bangladesch verschlechtert, auch der Klimawandel macht uns zu schaffen. Meine Mutter riet mir, nach Libyen zu gehen, weil sie glaubte, dass ich dort gutes Geld verdienen und einen guten Job mit einem guten Gehalt bekommen könnte. Sie verkaufte den Goldschmuck der Familie, um mein Flugticket nach Libyen zu bezahlen.

Ich weiß nicht, wie viel meine Mutter bezahlt hat, aber ich habe gehört, dass einige Leute 300.000 Taka (3.000 Dollar) an Schmuggler*innen gezahlt haben. Wir reisten über Dubai. Als wir am Flughafen in Libyen ankamen, riefen wir eine Telefonnummer an, die uns in Bangladesch gegeben worden war, dann kamen einige Männer und brachten uns in ein Lagerhaus. Man sagte uns, wir würden dort für 200 Dinar pro Monat schlafen.

Meine Mutter hat sich geirrt, Libyen ist ein gefährlicher Ort… etwa 95 % schlechte Menschen und 5 % gute. Ich habe dort ein Jahr verbracht, bevor ich mit dem Boot übersetzte. Ich arbeitete in der Hauswirtschaft mit acht Bangladescher*innen, drei Sudanes*innen und vier Ägypter*innen. Unser Chef war ein böser Mann. Er wollte die Löhne nicht zahlen. Wenn man sich weigerte zu arbeiten, schlug er einen oder drohte, einen mit einer Pistole zu töten. Ich arbeitete fünf Monate lang, ohne bezahlt zu werden. Ursprünglich waren mir 1.200 Dinar pro Monat versprochen worden.

Papierboot

Nach einiger Zeit sprachen ein paar meiner Freunde davon ein kleines Boot mit ein paar Leuten, etwa zwanzig, zu besorgen und nach Italien zu fahren. Über einen Taxifahrer, einen guten Mann, hatten wir eine Verbindung zur „libyschen Mafia“, um ein Boot zu kaufen. Das Boot würde zusammen mit Satellitentelefon, GPS und Schwimmwesten 12.000 Dinar kosten. Es dauerte zwei Monate, bis wir das Geld zusammen hatten.

Wir fuhren am 5. Mai um 22 Uhr los, um die Küstenwache zu umgehen.

Ein paar Stunden später, gegen 2 Uhr morgens, drang plötzlich Wasser ein. Das Boot war defekt, es hatte ein Loch, wir versuchten, es so gut wie möglich zu schließen, aber das Wasser war stärker.

Dann sahen wir die Lichter eines großen Frachtschiffs in etwa 2 km Entfernung. Wir riefen sie um Hilfe. Der Kapitän des Frachters kontaktierte die italienische Küstenwache, aber die war 445 km entfernt. Wir riefen mehrere Schiffe zu Hilfe, aber niemand antwortete. Ich habe um unser Leben gebetet. Schließlich schaltete sich die BSG Bahamas ein und teilte uns mit, dass das Schiff Sea-Eye 4 kommen würde, um uns zu retten.

BSG BAHAMAS

Durch Allahs Gnade bin ich am Leben, aber ich bin traurig, weil ich meine Familie vermisse. Ich habe sie seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Mein Telefon ist ins Wasser gefallen und seit ich Libyen verlassen habe, habe ich keinen Kontakt mehr zu ihnen.

Das ist mein Leben. Meine Familie ist mein Traum. Ich möchte ein großes Haus für sie kaufen, eine große Hochzeit für meine Schwestern. Ich wünsche mir eine Frau und viele Kinder.