Offener Brief an die Bundeskanzlerin
Über 300.000 Menschen unterstützen die Forderung
Aufgrund der verheerenden Lage in Afghanistan fordert Sea-Eye in einem offenen Brief mit über 300.000 Unterstützer*innen von der Bundeskanzlerin Angela Merkel, sichere Fluchtwege für alle Menschen einzurichten, die jetzt gezwungen sind, das Land zu verlassen.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
in größter Sorge und zutiefst bestürzt wenden wir uns angesichts der humanitären Katastrophe in Afghanistan an Sie. Wir tun dies mit über 300.000 Unterstützer*innen, die die Petition „Schafft sichere Fluchtwege aus Afghanistan“ (change.org/SichereFluchtwege) unterzeichnet haben.
Die Lage in Afghanistan ist verheerend! Viele tausend Menschen fürchten um ihr Leben. Die Situation in Kabul ist äußerst gefährlich. Menschen sind bereits am Flughafen zu Tode gekommen und viele harren noch in Todesangst in der Hauptstadt aus und warten auf ihre Evakuierung. Währenddessen durchsuchen die Taliban Häuser und Wohnungen nach ihren Opfern und kontrollieren die Straßen.
Die Gewalt konzentriert sich jedoch nicht nur auf die Hauptstadt. Auch in anderen Teilen des Landes setzen die Taliban Gewalt gegen die Bevölkerung ein. Die UN berichtet von anhaltenden, gravierenden Menschenrechtsverletzungen. Es kam zu Massenhinrichtungen von Zivilist*innen und ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte. In einigen Regionen dürfen Mädchen zudem – anders als von den Taliban behauptet – nicht mehr zur Schule gehen und die Bewegungsfreiheit von Frauen wird eingeschränkt. Shabnam Khan Dawran, eine der wichtigsten Moderator*innen des Staatsfernsehens, wurde von den Taliban abgesetzt. Die Taliban zwingen Minderjährige zum Waffendienst und töten bei friedlichen Protesten, wie in den Städten Asadabad und Dschalalabad, Demonstrant*innen.
Über 3 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes vertrieben worden – mehr als 500.000 Menschen allein in diesem Jahr. Mehr als 18 Millionen Menschen hungern in Afghanistan. Frauen und Mädchen sowie Menschenrechtler*innen, Frauenrechtler*innen und Journalist*innen sind unter der Herrschaft der Taliban besonders gefährdet. Allerdings muss jede*r, der*die gegen die Herrschaft und die Lehren der Taliban ist, mit schweren Repressalien, Folter und Mord rechnen. Deutschland hat die Pflicht, Verantwortung zu übernehmen und darf diese Menschen nicht vergessen.
Wir fordern Sie daher zusammen mit 300.000 Unterstützer*innen auf, humanitäre Korridore aus Afghanistan einzurichten. Derzeit ist es für viele Menschen extrem schwierig, Afghanistan zu verlassen, weil die Straßen und Grenzübergänge von den Taliban kontrolliert werden. Setzen Sie sich dafür ein, dass die Grenzen für alle Menschen, die jetzt das Land verlassen müssen, geöffnet werden. Stimmen Sie sich dazu mit den Nachbarländern ab. Klären Sie, welche Aufnahmekapazitäten die Nachbarländer haben und richten Sie mit Ihren europäischen Partnern sichere Fluchtwege in die Europäische Union ein und lassen Sie die Bundesrepublik mit gutem Beispiel vorangehen. Über 250 Kommunen und Städte haben im Bündnis „Sichere Häfen“ ihre Bereitschaft zur Aufnahme von flüchtenden Menschen erklärt. Ermöglichen Sie es diesen Städten, endlich den Menschen zu helfen und sie aufzunehmen.
Setzen Sie sich auch auf internationaler Ebene dafür ein, dass Staaten Afghan*innen aufnehmen, die trotz des 20-jährigen westlichen Militäreinsatzes jetzt zur Flucht gezwungen sind. Die Weltgemeinschaft kann allen Afghan*innen ein neues Leben ermöglichen. Wir sind überzeugt, dass kein*e Afghan*in grundlos seine*ihre Heimat verlässt. Es ist die Verantwortung Deutschlands und seiner Partner, allen Afghan*innen die Möglichkeit zur Flucht zu geben und ihnen somit zu ermöglichen, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Wenn Afghan*innen um ihre Sicherheit und ihr Leben fürchten, müssen ihnen sichere Fluchtwege offenstehen. Lassen Sie die Menschen in Afghanistan nicht im Stich!
Als Seenotrettungsorganisation sehen wir auf unseren Rettungseinsätzen im Mittelmeer seit Jahren das Leid, das durch das Fehlen sicherer Fluchtwege erzeugt wird. Nicht alle Menschen wollen in der Europäischen Union leben. Aber alle Menschen wollen in Sicherheit leben. Sichere Fluchtwege ermöglichen es ihnen, selbstbestimmt und sicher zu flüchten. Ohne sichere Fluchtwege sind Menschen gezwungen, Wüsten zu durchqueren und sich in seeuntaugliche Boote zu setzen. Viele Menschen – darunter Kinder und Familien – sterben auf ihrer Flucht. Wir appellieren an Sie: lassen Sie nicht zu, dass dies das Schicksal der Afghan*innen wird. Schaffen Sie sichere Fluchtwege aus Afghanistan.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Pasligh, Gorden Isler, Joana Weinmann und Sophie Weidenhiller
– von Sea-Eye e. V.