Frontex: Eiskalte Abschottung made in Europe (3/7)

Frontex arbeitet auch mit der sogenannten libyschen Küstenwache zusammen.

Teil 3 WhatsApp nach Libyen

Autor: Matthias Monroy

Seit 2017 überwacht Frontex das zentrale Mittelmeer mit Chartermaschinen und Drohnen. Für die immer mächtigere Agentur ist dieser neue „Mehrzweck-Flugdienst“ von zentraler Bedeutung.

Denn zeitgleich mit dem Aufbau dieser Luftaufklärung zog Frontex ihre Schiffe aus der Region ab und beendete die mehrjährige Operation „Triton“, in deren Rahmen auch die EU-Mitgliedstaaten Zehntausende Menschen im zentralen Mittelmeer aus Seenot gerettet und nach Italien gebracht haben.

Durch eine Hintertür sorgt Frontex nunmehr dafür, dass die Schutzsuchenden wieder in Nordafrika enden. Dazu informiert sie in zunehmenden Umfang libysche Behörden mit dem Auftrag, die Menschen auf Hoher See aufzugreifen und nach Libyen zurückzubringen. Frontex beruft sich darauf, dass dieses Verfahren international vorgeschrieben ist. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.

Wenn Pilot*innen oder Kapitän*innen einen Seenotfall feststellen, müssen sie tatsächlich eine festgelegte Routine befolgen. Zuerst müssen jene Leitstellen für die Seenotrettung (Maritime Rescue Coordination Centre, MRCC) benachrichtigt werden, die für das betroffene Gebiet zuständig sind. So steht es im Internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS), das seit dem Untergang der Titanic in Kraft ist.

Viele Jahre lang hatte Libyen allerdings keine maritime Rettungsleitstelle eingerichtet. Diese Aufgabe übernahm damals das italienische MRCC in Rom. Menschen, die Frontex oder EU-Mitgliedstaaten im zentralen Mittelmeer gerettet haben, wurden demnach nach Italien oder Malta gebracht.

Damit der neue Frontex-Flugdienst also seine gewünschte Wirkung zur Migrationsabwehr entfalten konnte, griffen die EU-Mitgliedstaaten und die EU-Kommission zu einer List. Parallel zum Start der ersten Frontex-Überwachungsflüge wurde Italiens Innenministerium beauftragt, in Libyen ein MRCC zur Entgegennahme von Frontex-Meldungen einzurichten. Die libysche Küstenwache sollte zudem darin unterstützt werden, bei der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) eine Seenotrettungszone anzumelden. Dafür wollte die Kommission insgesamt 56 Millionen Euro ausgeben.

Allerdings erfüllt das libysche MRCC die Anforderungen der IMO in keiner Weise: Weder ist es Tag und Nacht erreichbar, das dort abgestellte Personal spricht oft kein Englisch, auch verfügen die Behörden nicht über die nötigen Ambulanzfahrzeuge oder Krankenhausplätze für einen Seenotfall. Inzwischen gilt zudem als gesichert, dass das libysche MRCC allenfalls auf dem Papier existent ist. Das bestätigten die EU-Kommissionder Rat und erst kürzlich Josep Borrell, der Hohe Vertreter der Europäischen Union.

Offenbar ist das angebliche MRCC in Libyen auch für Frontex schwer erreichbar. Die Grenzagentur hat sich deshalb einen kurzen Draht zur dortigen Küstenwache geschaffen. In mehreren Fällen wurde diese statt wie vorgeschrieben über das Navtex-System per WhatsApp informiert, wenn Frontex Geflüchtete auf Hoher See auf dem Weg in die EU entdeckt. Dabei werden auch Fotos der Boote, die mutmaßlich von den Flugzeugen oder Drohnen von Frontex stammen, ausgetauscht.

Die EU-Grenzagentur übernimmt also de facto die Luftaufklärung für die libysche Küstenwache, die darüber selbst nicht verfügt. Diese enge Kooperation sorgt dafür, dass Tausende von Menschen in Lager zurückgebracht werden, in denen sie Misshandlung, Folter und Tod erwarten. Ein eklatanter Bruch des Völkerrechts. Denn Geflüchtete dürfen nicht in Länder gebracht werden, aus denen sie geflohen sind und in denen ihnen Verfolgung droht. So hat es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unter anderem im sogenannten „Fall Hirsi“ von 2012 gegen Italien geurteilt.

Nun will Frontex seine Überwachungsfähigkeiten auch noch verbessern. Neben bemannten und unbemannten Luftfahrzeugen sowie Satelliten sollen zukünftig Videokameras in der Stratosphäre kreisen, ihre Aufnahmen werden mit Künstlicher Intelligenz ausgewertet. Von dieser Technisierung der Migrationsabwehr handelt die nächste Folge.


Der Autor: Matthias Monroy

Matthias Monroy hat viele Jahre im Deutschen Bundestag für einen Abgeordneten zum Thema gearbeitet. Inzwischen ist er Redakteur für Netzpolitik.org und das Neue Deutschland. Monroy arbeitet weiter u.a. zu den Themen Polizeiarbeit in der Europäischen Union, Migrationskontrolle, Internetüberwachung, Satellitenaufklärung und Drohnen.