Für eine menschenfreundliche Mentalität
Ein Beitrag von Michael Wüstenberg
Michael Wüstenberg, emeritierter Bischof, ist Teil der Crew, die die SEA-EYE 4 ins Mittelmeer überführt. An Bord denkt er viel über die Probleme und Ursachen, die zur humanitären Krise im Mittelmeer führen, nach.
Veränderung ist ein Schlüsselwort. Es ist eines meiner Lieblingsworte. Metanoia steht in unseren Schriften. Oft wird es mit Umkehr übersetzt: kehret um! Es meint aber: Ändert Euer Denken! Viele tun das. Die positiven Reaktionen auf meine Reise mit der SEA-EYE 4 und ihre späteren Einsätze zur Rettung von Flüchtenden aus Seenot bezeugen das.
Christen sind Mentalitätsarbeiter, Klimaarbeiter. Es geht um ein gutes „Betriebsklima“ unter allen Menschen. Wie das aussehen kann, das können wir aus unseren Schriften erheben, ohne der Versuchung zu erliegen, den eigenen Vorlieben und Vorurteilen nachzugeben.
Der „rote Faden“ der „heiligen Schriften“ will aufgegriffen werden. Es gilt, umfassend die am Rande: die Armen, die Fremden, die Witwen und Waisen … in die Mitte zu stellen.
Vieles ist möglich, besonders wenn wir in einer Koalition der Menschlichkeit einander den Rücken stärken. Wenn dann eine Gruppe oder ein Pfarrer als Sprachrohr auftritt, wird es denen guttun, dass ihre Leute sie aktiv unterstützen, wenn ihnen Gehässigkeiten entgegenschlagen. Es geht um Menschlichkeit, über alle Parteigrenzen hinweg.
Ob Christen da, wo herablassend oder abfällig über Flüchtende gesprochen wird, einen entschieden anderen Ton einbringen können? Das ist ja nicht verhandelbar. Man kann das sogar trainieren. Auch andere gesellschaftliche Gruppen tun das.
Ich wünsche mir, dass Glaubensgespräche und religiöse Bildung, wenn sie Themen der Menschlichkeit behandeln, in die Tiefe gehen. Das kann helfen, widerstandskräftig gegen schwarz-weiß-Malerei, gegen billige Polemik zu werden. Die analytischen Fragen „Warum? Warum? Warum?“ können alle stellen, um Dingen auf den Grund zu gehen: Warum verlassen Menschen, was einige so hochhalten: ihre Heimat? Warum haben Menschen Angst vor Fremden? Warum können sie deren Not nicht sehen? Warum kommt bei manchen Angst auf, weil sie sich an eigene Flucht oder Vertreibung erinnert fühlen? Warum fühlen sich einige in ihrer eigenen Not und Bedürftigkeit übersehen und brauchen Aufmerksamkeit – manches Sozialeinkommen ist ja wirklich beschämend gering?
Ich kann hier keinen Kurs in sozialer Analyse anbieten, aber jede Antwort kann noch tiefer hinterfragt werden. Vielleicht entdecken wir dabei sogar, dass einiges von dem auch mit uns und unserem Lebensstil zu tun hat. Da eröffnen sich neue Denkweisen und weite Aktionsfelder.
Das kann menschenfreundliches Engagement sein. Das kann auch weitergehen: durch öffentliche Aktionen, durch Überzeugungsarbeit. Manche sind als Influencer unterwegs. Etliches wird auch von denen getan, die Zugang zu weiteren Informationen und Einflussmöglichkeiten haben, wie den kirchlichen Hilfswerken, Brot für die Welt oder Misereor, Diakonie oder Caritas.
Nicht alle mögen, was die sagen, nicht Politiker, nicht Kirchenmitglieder. Auch deren Haltungen gehören dann auf den Prüfstand der uralten und sich weiter entwickelnden Charta der Menschenfreundlichkeit, die wir in der Bibel haben: Ändert Eure Denkweise.
Der Autor: Michael Wüstenberg
Michael Wüstenberg lebt als emeritierter Bischof in Hildesheim. Von 2008 bis 2017 war er Bischof der Diözese Aliwal in Südafrika. Sein Arbeitsschwerpunkt war das Netzwerken kleiner christlicher Gemeinschaften und die Ausbildung von verantwortlichen „Ehrenamtlichen“ in Gemeinden unter dem Leitbild einer Kirche, die der Menschlichkeit dient. Armut und HIV/AIDS waren da die wesentlichen Herausforderungen. Er beschäftigt sich weiter mit den Themen Rassismus und Immigration. Ihn interessiert kirchliches Leben, in dem das Herzblut der Menschlichkeit klar erkennbar ist.