Von Melanie M. Klimmer, 16. Februar 2022

Der deutsche Arzt Jakob Willenborg war Mitte Dezember 2021 Teil des «Medical Teams» an Bord des Rettungsschiffes «Sea-Eye 4» und behandelte im Bordhospital auch mehrere schwangere Frauen. In einem Interview mit der Journalistin Melanie Klimmer erzählt er von Frauen auf der Flucht und den emotional und medizinisch herausfordernden Situationen.

Melanie M. Klimmer: In den libyschen Detention Camps bekommen Internierte oft kaum Nahrung, auch die Kinder nicht. Berichte von Folter, Nahrungsentzug, Vergewaltigungen, körperlicher Misshandlung dringen regelmäßig an die Öffentlichkeit. Wenn diese Menschen dann über das Meer fliehen, hungern und dürsten sie wieder, sind auf dem offenen Meer Wind und Wetter ausgesetzt, dehydrieren, kühlen aus. Wie haben Sie den Allgemeinzustand der Geflüchteten nach ihrer Rettung wahrgenommen?

Jakob Willenborg: Die von uns geretteten Menschen sind, mit Ausnahme von drei Älteren und den kleineren Kindern, fast alle jung und zwischen 15 und 35 Jahre alt. Es war für mich erschreckend zu sehen, in welch reduzierten Allgemeinzustand 70-80 Prozent von ihnen waren. Einige mussten wir über Nacht im Hospital behalten und dort überwachen und behandeln – junge Menschen mit stark reduziertem Immunsystem! Das ist in diesem Alter sonst äußerst selten und unter Normalbedingungen wären sie gesund; sie bräuchten keinen Arzt. Viele der Geflüchteten hatten Pneumonien. Auch ein Tbc-Verdachtsfall war dabei. Dann die lange Immobilisation in diesen Booten – ein kleiner Junge konnte tagelang nicht mehr gehen.

Jakob: Arzt an Bord der SEA-EYE 4

Aus Angst, dass das Boot kentern könnte, müssen alle tagelang ausharren und stillhalten.

In den Holzbooten können sich die Menschen tagelang nicht bewegen. Was das am Ende für Schmerzen sein müssen, kann man sich gar nicht vorstellen. Wie muss es da erst einer schwangeren Frau gehen, wenn sie lange regungslos sitzen muss und tagelang nicht liegen kann? – In Urintests bei schwangeren Frauen und auch bei Geflüchteten mit entsprechender Schmerz-Symptomatik beim Wasserlassen konnten wir den Muskelabbau sogar feststellen: In fast allen Fällen konnten wir sowohl eine Proteinurie als auch eine Ketonurie nachweisen, zwar in einem noch reversiblen Maß, es zeigt aber deutlich, was dem Körper mit einer solchen Überfahrt zugemutet wird.

Hatten Sie auch schwangere Frauen an Bord der Sea-Eye 4? 

Wir hatten sechs Schwangere an Bord. Eine Schwangerschaft hatte sich allerdings nicht bestätigt. Sowohl die junge Frau, als auch ich kamen aus einer Extrembelastung heraus. Da hatte es gleich zu Beginn ein Missverständnis – ein Kommunikationsdefizit – gegeben. Nachdem ich dann bei ihr einen Schwangerschaftstest durchgeführt hatte und dieser negativ war, war klar: Sie war nicht schwanger – oder nicht mehr. Das war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar.

Mit der Extrembelastung meinen Sie den Moment der Rettung?

Ja. Die Geflüchteten waren bei uns vier Tage, in anderen Fällen noch deutlich länger, auf so einem hochseeuntauglichen Boot. Das Trinkwasser wird knapp. Sie haben nichts zu essen, leiden Hunger und Durst. Dann werden sie von uns aus diesen Schlauch- oder Holzbooten geholt und zur Sea-Eye 4 hinübergebracht. Dort müssen sie dann aus den Schnellbooten, auf das Mutterschiff hinauf. Da gibt es noch einmal Wellengang. An Bord werden sie registriert. Diejenigen, die medizinische Hilfe benötigen, werden gleich versorgt. Und da gibt es viele Sprachbarrieren und es kann auch manches durcheinanderlaufen. Es gab auch Menschen, die im Kontakt sehr ängstlich waren. Manche weinten, als diese tagelange Anspannung in lebensgefährlicher Situation endlich nachließ und sie sich sicherer fühlten.

Rettungseinsatz

Wie haben Sie die Schwangeren betreut?

Wir haben uns bei der Schwangerenversorgung an den üblichen Standards orientiert, allerdings unter den Einschränkungen an Bord, das heißt wir haben regelmäßige Blutdruck- und Blutzuckermessungen sowie Urintests durchgeführt, um die Schwangerschaft zu bestätigen und auch um zu schauen, ob eine Proteinurie vorliegt, die schlimmstenfalls auf die Entwicklung einer Präeklampsie hindeuten kann. Jede Schwangere haben wir mindestens einmal gesehen. Wenn etwas auffällig war, haben wir die Frau engmaschiger betreut. Eine Schwangere war beispielsweise aufgrund von starker Übelkeit und Bauchkrämpfen sehr dehydriert, der Venenstatus schlecht. Ich kann sagen: Alle Schwangeren, bis auf eine, befanden sich noch bei der ersten Untersuchung in einem sehr schlechten Zustand. Nur eine schwangere Frau war beschwerdefrei.

Immer wieder gibt es Berichte, dass Frauen auf der Flucht in dramatischer Weise Fehlgeburten erleiden. Wie geht man damit als Ärztin oder Arzt in der humanitären Arbeit um – auf einem Rettungsschiff zum Beispiel?

Ja, manche Frauen verlieren auf der Flucht das ungeborene Kind, manchmal schon ihr zweites. Selbstgemachte Aufnahmen geflüchteter Frauen geben darüber manchmal Aufschluss. In der Seenotrettung versuchen wir dem dann nachzugehen und die Fehlgeburt mit einem negativen Schwangerschaftstest und einem Ultraschall zu bestätigen. Leider kommen solche Fälle immer wieder vor. Diese Situationen sind dann oft dramatisch für die Frauen, die davon betroffen sind, weil sie mit starken Schmerzen, psychischer Belastung und im schlimmsten Fall mit einem sehr hohen Blutverlust einhergehen, sie erhalten dann aber oft nicht die notwendige medizinische Hilfe. Und natürlich bedeutet es ihnen auch sehr viel, ihre Kinder gesund zur Welt zu bringen.

Krankenstation der SEA-EYE 4

Für die meisten geflüchteten Frauen könnte es nichts Schlimmeres geben, als das Kind zu verlieren. Ich habe da unglaublich tiefe Verzweiflung bei einigen Frauen gesehen, die gerettet wurden. Manche leben in ständiger Angst um das Ungeborene, dass es sterben könnte.

Haben Ihnen Frauen von Fehlgeburten berichtet?

Die Frauen sprechen selten direkt darüber. Um darüber sprechen zu können, braucht es Vertrauen. Es kann dauern, bis so etwas zur Sprache kommt.

Ich stelle es mir extrem schwierig vor, das Thema überhaupt anzusprechen.

Wir gehen in unseren Gesprächen oft bewusst nicht ins Detail. Das machen wir zum einen nicht wegen der Sprachbarrieren. Zum anderen haben wir keine sichere Umgebung dafür. Wir können den geflüchteten Menschen an Bord nicht wirklich einen geschützten Raum geben, wenn Trauma-Erfahrungen reaktiviert werden sollten. So ein Schiff gibt die dafür notwendigen Rahmenbedingungen nicht her.

Für diese Gespräche braucht es erst eine Vertrauensbasis.

Und selbst wenn die Frauen Vertrauen schöpften. Für mich spielt es immer auch eine Rolle, dass wir die Möglichkeiten für eine angemessene Nachsorge an Bord einfach nicht haben. Man weiß nicht vorher, was in einer psychischen Extrembelastung, in der traumatische Erlebnisse erinnert werden, ausgelöst werden könnte. Das Einzige, was wir haben, ist dieses Krankenhaus an Bord. Wir gehen deshalb nicht zu tief in solche Berichte hinein, weil wir fürchten, die Situation an Bord nicht mehr händeln zu können. Das Hospital steht den Patient*innen immer nur für eine begrenzte Zeit zur Verfügung, weil schon nach Minuten – mit etwas Glück auch ein bisschen länger – schon ein nächster Notfall eintreffen kann.

Arzt an Bord der SEA-EYE 4

Welche Rolle spielt es, dass Sie als männlicher Arzt Hilfe anbieten?

Da ging ich von vornherein behutsam vor. Als männlicher Arzt habe ich bei den Frauen jedes Mal nachgefragt, ob es okay ist, wenn ich sie untersuche. Auch habe ich die schwangeren Frauen nie alleine untersucht, sondern immer im Beisein von mindestens einer weiblichen Person aus der Crew. Wir hatten noch die beiden Paramedics – zwei Frauen – mit an Bord und explizit angeboten, dass sie jeweils die medizinische Versorgung übernehmen. Alle Frauen haben das in diesem Fall aber nicht gewünscht und meiner ärztlichen Hilfe zugestimmt.

Was war für Sie die eindrücklichste Erfahrung während des Einsatzes?

Davon zu erfahren, was einer schwangeren Frau auf ihrer Flucht widerfahren ist, was sie durchgemacht hat – und es deutete alles darauf hin, dass sie Schreckliches erlebt hat – und dann von ihr gefragt zu werden, ob es in Europa gute Menschen gebe. Sie hat an den Menschen generell gezweifelt.

Das trifft einen ins Mark.

Sie war noch sehr jung, sehr mager. Sie hatte lange Zeit nichts mehr gegessen. Durch diese ganze, vorausgegangene Belastungssituation, dazu die Schwangerschaft und den Seegang, litt sie unter extremer Übelkeit. Mit der Zeit hatte sie Vertrauen zu uns aufgebaut und sich wohler gefühlt. Als es in unserem Hospital dann etwas ruhiger war, konnte sie zum Glück eine Nacht zur Überwachung bleiben und da auch schlafen.

In einem Bericht von Bord schilderten Sie, dass viele Geflüchtete unter gastrointestinalen Symptomen gelitten haben. Bei meinen Recherchen stieß ich auf eine Studie, die belegt, dass viele geflüchtete Frauen, die aus IS-Gefangenschaft und IS-Gewalt befreit wurden und eine «psychologische Last» («psychological burden») und eine Posttraumatischen Belastungsstörungen davontrugen, beobachtbar an spezifischen, häufiger auftretenden Symptomen leiden, dazu gehören unter anderem gastrointestinale Beschwerden, Schmerzen am ganzen Körper, Missempfindungen der Haut, schwerwiegende Herzprobleme oder Dissoziation (Rometsch-Ogioun 2018).

Sehen Sie Parallelen zu Symptomen, denen Sie an Bord der Sea-Eye 4 begegnet sind?

Ja, definitiv! Eine schwangere Frau, die zunächst unter starker Übelkeit und Bauchschmerzen litt, sehr adynam, erschöpft und psychisch extrem belastet war, entwickelte ein ausgeprägtes Brennen bei jeder einzelnen Berührung. Es war ein Brennen in allen Zehen. Ich konnte dafür aus rein medizinischer Sicht keine Erklärung finden, denn die Symptome gingen nicht mit einem sensorischen Verlust oder mit motorischen Lähmungserscheinungen einher. Die Symptome ließen aber ab dem Moment nach, als sie sich sicher wusste, nicht mehr nach Libyen zurückgeführt zu werden und sie sich psychisch stabiler fühlte. Es ging ihr plötzlich deutlich besser, sie wurde wieder agiler, vertrauter und teilweise fröhlicher. – Solche Missempfindungen würden zu dem passen, was Sie eben als mögliche posttraumatische Belastungsreaktion beschrieben haben.

Medizinische Evakuierung

Während des Einsatzes auf der Sea-Eye 4 berichteten Sie auch von häufig auftretenden, sehr starken gastrointestinalen Symptomen auch bei den schwangeren Frauen. Könnten das auch Hinweise auf eine PTBS sein?

Gastrointestinale Beschwerden traten tatsächlich häufiger auf, für die es aber kein sonographisches Korrelat gab. Manche von diesen Frauen waren in den ersten Tagen sehr apathisch. Eine Schwangere war viel gelegen. Ich musste sie immer wieder ermutigen, aufzustehen und ein paar Schritte zu gehen. In der Vergangenheit hat sie unglaublich viel Leid ertragen müssen und rechnete nun mit neuem Leid. Immer wieder hatte sie Ausbrüche der Verzweiflung. – Von Apathie bis hin zu starken Ängsten und tiefer Verzweiflung habe ich an Bord alle Facetten gesehen. 

Hatten die Frauen auch Angst im Kontakt mit dem Medical Team?

Schon beim ersten Kontakt habe ich festgestellt, dass Angst und Misstrauen bestehen. Es hat gedauert, bis wir Vertrauen aufbauen konnten. Einige Frauen schienen verwundert, dass keine Gegenleistung für die medizinische Versorgung verlangt wurde. Diese strukturellen Missstände begleiten die Menschen auf ihrer gesamten Flucht.

Gesundheitsversorgung ohne Gegenleistung ist in vielen Ländern unbekannt. Auf der Flucht und ohne Zahlungsmittel kommen Frauen oft in Gefahr, für Hilfeleistungen sexuell ausgebeutet zu werden.

Für mich als Arzt war es erschreckend zu erleben, selbst unter diesen einfachsten Bedingungen auf einem Rettungsschiff, mit deutlich weniger Mitteln und Möglichkeiten als in einer Arztpraxis oder einer Klinik in Deutschland und mit noch weniger Zeit zwischendurch, die ich mir hätte nehmen können, auf eine, teils schon für mich unangenehme, übergroße Dankbarkeit zu stoßen. Der Kontakt war noch kürzer, die Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie weitaus geringer, und trotzdem war das, was ich diesen Menschen geben konnte für sie überragend viel. Die Erfahrung, dass sie für Hilfe nichts geben müssen und nichts von ihnen verlangt und erwartet wird, dass jemand ehrlich nachfragt, das schienen viele nicht zu kennen.

Medizinische Evakuierung

Warum war das unangenehm für Sie? 

Weil ich nicht mehr für sie gemacht habe, sondern weniger. Es ist einfach schrecklich zu sehen, viel weniger anbieten zu können, gleichzeitig zu sehen, dass selbst ein so banales Recht auf eine angemessene, gesundheitliche Versorgung als etwas so Außergewöhnliches erlebt wird.

Über Jahre der Flucht haben die meisten Geflüchteten keine einzige gesundheitliche Versorgung erhalten. Da kann diese «einfache» Hilfe viel bewirken. Hat es auch eine Rolle gespielt, dass es auf den Rettungsschiffen keine Privatsphäre gibt und auch nicht geben kann? War das belastend für diese Frauen?

Der Entzug der Privatsphäre spielt auch eine Rolle. Einige Frauen, die apathisch reagierten, wollten lieber liegen bleiben im Sinne von «Was soll ich anderes tun? Überall sind Menschen.» Auf einem Rettungsschiff kann es keine Privatsphäre geben. 20 andere Frauen und deren Kindern sind sie in einem Container an Bord untergebracht. Die Bedingungen könnten besser sein, ganz klar. Aber es geht nicht anders. Wichtig ist, dass diese Menschen erst einmal in Sicherheit sind.

Gab es auch die Momente, in denen Sie sich als junger Internist unsicher fühlten?

Bei einer Schwangeren war ich unsicher, ob sie nicht eine Präeklampsie entwickelte. Sie hatte sehr auffällige Symptome.

Was haben Sie dann gemacht?

Ich habe dann eine Gynäkologin auf dem Festland kontaktiert, die für solche Fälle für uns immer erreichbar war. Sie erklärte mir dann, dass eine Frau zu diesem Zeitpunkt der Schwangerschaft noch keine Präeklampsie entwickeln kann. Das habe ich dort auf dem Schiff gelernt [der Internist schmunzelt].

Wie wichtig ist Ihnen der Einsatz auf der Sea-Eye 4?

Mir sind Menschenrechts-Aktivismus, aber eben explizit auch die Seenotrettung sehr wichtig, weil es hier um die Menschen geht, die durch die globale Ungleichheit dazu gedrängt werden, sich auf eine lebensbedrohliche Reise zu begeben und dann auf dem Mittelmeer von Europa im Stich gelassen und oft dem Tod überlassen werden. Es ist dasselbe Europa, das für viele der Fluchtursachen verantwortlich ist. Mit ist aber auch wichtig, das ganze Farbenspektrum zu sehen.

Was meinen Sie damit?

Nun, es gehört zum Beispiel auch dazu zu zeigen, dass das auch sehr starke Frauen sind, denen wir da begegnen, Frauen, die unglaublich viel geleistet und zum Teil eine enorme Resilienz entwickelt haben, mit ihrer Situation umzugehen. Sie zeigen, dass eben nicht alles zerbrochen ist, sondern es da auch Momente großer Freude gibt.

An welche Situation erinnern Sie sich da?

Als Internist habe ich mit einem einfachen Ultraschallgerät im Bordhospital keine hochspezifischen Untersuchungen gemacht und auch keine Geschlechtsbestimmung am Fetus vorgenommen. Aber allein schon die Kindsbewegungen im Ultraschall zu zeigen, hat bei den schwangeren Frauen maximale Glücksgefühle ausgelöst. Und diese überschwänglichen Glücksmomente hat es auf dem Schiff eben auch gegeben. Oder dann, als sich der Zustand der Schwangeren nach zwei, drei Tagen deutlich gebessert hat und sie wieder essen und trinken konnten, sie wieder zu Kräften kamen – das waren sehr tiefgehende, schöne Erlebnisse.  

Gerettete und Crew

Das kann ich absolut nachempfinden. Das waren sehr befreiende Momente.

Ich möchte es noch einmal in aller Deutlichkeit betonen – es gibt da die andere Seite: die Seite der Kraft der Frauen, die Seite des Lebensglücks, das diese Frauen genauso empfinden, auch wenn eine Schwangerschaft auf der Flucht unglaublich belastend und schwierig sein kann. Was ich aber auch glaube ist – und das konnte ich mit den Frauen nicht eingehender besprechen –, dass es da auch eine Kraft in ihnen gibt, für dieses Leben zu kämpfen, das da in ihrem Bauch heranwächst.

Vielleicht sind sie deshalb so verzweifelt oder apathisch, wenn sie feststellen, es wartet vielleicht eine ungewisse Zukunft oder eine Rückführung nach Libyen? 

Ja. Das könnte sein.

Was wissen Sie über die medizinische Versorgung nach der Disembarkation?

Nach der Ankunft im sizilianischen Hafen von Pozzallo ist das italienische Rote Kreuz mit zwei Ärzt:innen gekommen. Sie haben den Behandlungsbedarf der Menschen gecheckt; Schwangere und alle anderen Personen, die medizinische Hilfe benötigen, sind dann in eine Hilfeeinrichtung gebracht worden. Alle anderen werden nach ihrer Registrierung auf ein Quarantäneschiff gebracht, das wieder aufs Meer hinausfährt und vor der Küste ankert.

Das löst bei den Menschen doch sicher große Angst aus, nach Libyen zurückgebracht zu werden.

Ich hoffe sehr, dass man mit ihnen darüber ausreichend kommuniziert und sie wissen, was da mit ihnen passiert.

Befindet sich auf den Quarantäneschiffen auch medizinisches Personal?

Wenn medizinische Fälle auftreten, werden Ärzt:innen hingebracht. Über die weitere Versorgung darüber hinaus kann ich jedoch keine sicheren Auskünfte geben.

Wenn die Bedingungen der Flucht permanent unsicher und strapaziös sind, kann die Hoffnung auf ein normales Leben sehr erschüttert werden. Auch deshalb kann es wichtig sein, andere Perspektiven auf das Thema zu öffnen, oder?

Klar, bei der Berichterstattung von Menschenrechtsorganisationen wird das Augenmerk oft daraufgelegt, welch unmenschliche Behandlung, welches Leid die Geflüchteten da erfahren. Das ist wichtig, um diese dauerhaften Menschenrechtsbrüche offenzulegen. Aber meiner Meinung nach schafft das auch eine Distanz und entmenschlicht die Geflüchteten oft. Das schafft eher Distanz, was ja nicht der Zweck sein kann. Diese Menschen freuen sich genauso über ein Ultraschallbild vom ungeborenen Kind wie alle anderen auch. So etwas schafft Identifikation, darüber sollte man auch in den Medien berichten!

Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch. 

Zur Person:
Jakob Willenborg ist Internist in Weiterbildung (4. Berufsjahr) aus dem Raum Köln/Bonn. Als German Doctor war er zuvor schon im humanitären Einsatz in einer abgelegenen Region auf den Philippinen. Bei der vierten Mission des Rettungsschiffes Sea-Eye 4 vom 13. bis 24. Dezember 2021 war er Teil des Medical Teams und behandelte im Bordhospital auch mehrere schwangere Frauen.


Langfassung des Interviews von Melanie M. Klimmer mit dem Internisten Jakob Willenborg. Erstveröffentlichung in Obstetrica 6 (119): 52-55, herausgegeben vom Schweizerischen Hebammenverband, Olten, Rubrik „Fokus Ausland“ unter dem Titel „Das Kind verlieren wäre das Schlimmste“ (gekürzte Fassung)

Die Autorin:

Melanie M. Klimmer, Cultural Anthropologist MD and Advocacy Anthropologist, Nurse with further education in humanitarian health care, lecturer in Clinical Sociology and Social Politics at Universities and political foundations, mediator (Johan Galtung), and since 2016 freelance Science Journalist, Human Rights reporter and Author on medical issues.

Fotos

Die Fotos sind Symbolbilder und stammen aus unterschiedlichen Einsätzen der SEA-EYE 4.

Literatur

Rometsch-Ogioun El-Sount C et al. (2018): Psychological Burden in Female, Irak Refugees Who Suffered Extreme Violence by the “Islamic State”: The Perspective of Care Providers. Front. Psychiatry 9:562. doi: 10.3389/fpsyt.2018.00562 (letzter Zugriff: 01.02.2022)

Mitte Mai 2022 waren nach Angaben des «Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge» (UNHCR) weltweit mehr als 100 Mio. Menschen auf der Flucht. Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich deren Zahl dramatisch erhöht. Ein Bericht über die erschütternde Situation an den Außengrenzen Europas zeigt, welch großen Risiken Frauen und insbesondere Schwangere auf der Flucht ausgesetzt sind.

Ein Gastbeitrag von Melanie M. Klimmer

Auf den europäischen Mittelmeerrouten sind Stand 31. Dezember 2021 seit Beginn der Aufzeichnungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) (siehe auch https://switzerland.iom.int/de), mindestens 23’334 Menschen bei ihrem Fluchtversuch über das Mittelmeer ums Leben gekommen oder werden vermisst (jede achte Person); 755 Menschen verloren innerhalb Europas auf dem Landweg über die Alpen oder beim Passieren des Ärmelkanals ihr Leben. Die Zahlen sind minimale Schätzungen.

Hinter jedem individuellen Schicksal stehen auf dem Mittelmeer kenternde hochseeuntaugliche Holz- und Schlauchboote, die zunehmende und auf keine Konsequenzen stoßende Brutalität gegen Flüchtende bei illegalen «Push Backs» an Land und zur See und auch die fehlende medizinische Hilfe – Schicksale, von denen verzweifelte Menschen wiederholt berichten und die dokumentiert sind. Immer wieder gibt es Bilder von toten Schwangeren und Säuglingen, die bspw. am libyschen Mittelmeerstrand zurückbleiben.

Geflüchtete Frau

Zahlen über Flucht und Rettung

Unter den im Zeitraum von 2014 bis Ende 2021 registrierten Toten auf den europäischen Mittelmeerrouten sind insgesamt 1’415 Frauen aufgeführt (IOM, 2021). Das Europäische Advocacy-Netzwerk gegen Nationalismus, Rassismus und Faschismus («UNITED for Intercultural Action») hat von 2014 bis März 2020 insgesamt 46 tote Schwangere dokumentiert (UNITED, 2020). Weitere Todesfälle von Schwangeren und deren Feten, besonders in den frühen Schwangerschaftsmonaten, bleiben ungezählt. Die humanitäre Organisation «Ärzte ohne Grenzen» schätzt, dass rund 30% der Frauen, die über das Mittelmeer fliehen, schwanger sind. «Die meisten schwangeren Frauen waren von ihren Fluchterlebnissen gezeichnet und zeigten tiefe Spuren der Traumatisierung», sagt die slowakische Journalistin Sára Činčurová im Interview mit der Autorin.

Sie war im Mai 2021 bei der ersten Mission des Rettungsschiffes «Sea-Eye 4» an der Bergung von 408 Menschen aus Seenot beteiligt und hat von deren Schicksalen erfahren. Im Sea-Eye-Podcast «Ehrlich gesagt» erinnert sie sich an die Rettung einer Schwangeren (Episode 13): «Es war schwer erträglich, eine im sechsten Monat schwangere Frau so durchnässt zu sehen». Auch bei der vierten Mission des Rettungsschiffes «Sea-Eye 4» rund um die Weihnachtstage 2021, wurden wieder vier Schwangere und einige Mütter mit ihren, zum Teil sehr kleinen Kindern, aus Booten gerettet. 48 Kinder wurden geborgen, einige davon unbegleitet. Nach der Bergung und der medizinischen Erstversorgung durch ein Medical-Team kümmert sich das Post-Rescue-Assistance-Team um die weitere Versorgung.

Geflüchtete Frau

Schwangerschaftsrisiken für Frauen auf der Flucht

Viele Schwangere sind bei ihrer Bergung dehydriert, unterernährt, physisch und psychisch völlig erschöpft. Verschiedene private Seenotrettungsorganisationen berichten wiederkehrend davon. Immer wieder kommt es vor, dass schwangere Frauen aufgrund der schwierigen und komplizierten Umstände kurz vor der Überfahrt, auf See, nach ihrer Bergung oder nach der Anlandung eine Fehlgeburt erleiden.

Hohe Blutverluste sind keine Seltenheit. Und sofern die Plazenta nicht geboren wird, kann es zu Infektionen kommen. Nicht selten kommt die Frau dadurch in einen lebensbedrohlichen Gesundheitszustand und muss umgehend von der jeweils zuständigen Küstenwache ins nächste Hospital evakuiert werden. Erheblicher Dysstress in einer permanent existenziell bedrohlichen Lebenssituation, Todesängste vor einer und bei der Überfahrt, Zukunftsungewissheit in den Lagern, aber auch die menschenunwürdigen Lagerbedingungen können vorzeitige Geburten und Fehlgeburten befördern. Immer wieder kommen Kinder auf Flüchtlingsbooten zur Welt.

Geflüchtete

Häufigste Komplikationen

Diverse wissenschaftliche Studien belegen inzwischen, dass im Kontext von Flucht Schwangerschaftskomplikationen wie Gestose, die Mangelversorgung des Fetus, Fehlgeburten, Fehlbildungen des Neugeborenen, Frühgeburten und die stationäre Intensivbehandlung des Neugeborenen, deutlich häufiger vorkommen und die Sterblichkeit von Mutter und Kind höher sind. Unter Normalbedingungen wären viele der jungen Menschen, die von Seenotrettungsorganisationen aus dem Mittelmeer gerettet werden, wohl kerngesund. Doch die Strapazen der Flucht, noch mehr die unmenschlichen Lagerbedingungen, körperlichen und psychischen Misshandlungen in den libyschen «Detention Camps» (Internierungslager) und nicht zuletzt die Zumutungen der Überfahrt haben tiefe Spuren an Körper und Seele hinterlassen.

Zwischen Hoffnung, Zukunftsangst und Retraumatisierung

«Im Hospital ist es im Moment extrem stressig. Wir mussten drei medizinische Evakuierungen veranlassen. Eine Schwangere befand sich in einem sehr kritischen Zustand», so der Rapport einer Medien-Koordinatorin an Bord wenig später. Die deutsche Hebamme Inge Lang, die selbst zehn Mal für «Ärzte ohne Grenzen» im Einsatz war, bestätigt im Interview mit der Autorin, dass die Situation unmittelbar nach der Rettung aus Seenot eine sehr aufgewühlte, emotionale sei, in der viele Menschen nach erlebter Todesangst oft erst einmal schreien und laut weinen. «Wenn dann etwas Beruhigung eingetreten ist, haben die Frauen manchmal gesungen», sagt sie. «Ich hatte aber immer ein mieses Gefühl dabei, weil ich mir vorstellte, mit welch großen Erwartungen sie nach Europa kommen und sich für viele die Erwartungen nicht erfüllen werden.»

Medizinische Evakuierung

Wissenschaftlerinnen weisen mit Blick auf die Fluchtgeschichte vieler Frauen daraufhin, welche gravierenden Auswirkungen Zugangsbeschränkungen für die Inanspruchnahme von Basisgesundheitsleistungen haben. Jesuthasan et al. (2018) können belegen, dass Zugangsbarrieren die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) befördern oder Retraumatisierungen auslösen können, da ein solcher Versorgungsmangel ihnen bereits von der Flucht her bekannt sei. – Werden Hilfeerwartungen in den Aufnahmeländern enttäuscht, hat dies weitreichende Folgen für die Fluchtverarbeitung.

Immer wieder müssen schwangere Frauen und Mütter mit kleinen Kindern in Lagern an den EU-Außengrenzen unter prekären, menschenunwürdigen Bedingungen, ohne ausreichende Hygiene, genügend Nahrung oder Schutz vor Witterung, perspektivlos ihr Dasein fristen.

Sára Činčurová hat direkte Einblicke in die Lagersituation in Griechenland und an der polnisch-belarussischen Grenze. Sie sagt, es sei unstrittig, dass die Gesundheit der Neugeborenen und der Kinder in einer solchen Umgebung leide; Infektionen träten schneller auf (Podcast «Ehrlich gesagt» Episode 10). Deshalb könne es keine Alternative geben, als diese Frauen mit ihren Kindern aus diesen Lagern herauszuholen und sie in sicheren Unterkünften unterzubringen, erklärt sie weiter. «Vor allem aber brauchen sie eine angemessene medizinische Versorgung. Deshalb wird es unsere Aufgabe sein, darüber nachzudenken, wie wir Fluchtwege sicherer machen können.»

Geflüchtete Frau mit Baby

Warum Frauen flüchten

Häufig zeigen sich Staaten, aus denen Frauen fliehen, nicht willens genug, deren Rechte zu schützen oder sind selbst an Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Frauen flüchten – neben Krieg, Terror und existenzieller Not – insbesondere vor frauenspezifischer Verfolgung, dazu gehören weibliche Genitalbeschneidung, Zwangsverheiratung, häusliche Gewalt, Vergewaltigung als Kriegswaffe, Versklavung, Zwangsprostitution und Menschenhandel. Die Zahl der fliehenden Frauen ist nicht geringer als die der Männer; mangels finanzieller Mittel und oft in Begleitung ihrer Kinder, verbleiben sie aber zumeist in den Grenzregionen ihres Herkunftslandes. Nur wenige gelangen bis nach Europa.

Welche traumatischen Erfahrungen machen Frauen?

Das Berliner Forschungsteam um Jesuthasan hat strukturierte, muttersprachliche Interviews mit Frauen aus Afghanistan, Syrien, Iran, Irak, Somalia und Eritrea (n=663), die seit ihrer Flucht in Deutschland leben, durchgeführt und sie nach widerfahrenen, traumatischen Erfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht gefragt. Von den Befragten berichteten

  • 46,3% von Hunger und Durst,
  • 51,5% von Obdachlosigkeit,
  • 35,9% vom mangelnden Zugang zu medizinischer Versorgung,
  • 54,8% vom Leben im offenen Kriegsgebiet,
  • 13,1% von Inhaftierung,
  • 15,3% von erzwungener Isolation,
  • 14,1% von Folter,
  • 13,4% von sexualisierter Gewalt durch Familienangehörige und/oder Fremde und/oder
  • 31,4% von der erzwungenen Trennung von ihrer Familie (Jesuthasan et al. 2018).

Sexualisierte Gewalt in den libyschen Lagern

Viele Schwangerschaften entstehen unter Bedingungen sexualisierter Gewalt im Kontext von Sklaverei, Menschenhandel oder Inhaftierung in den libyschen Lagern durch Wärter.

«Mindestens vier Frauen erzählten uns, dass sie täglich vergewaltigt und geschlagen worden seien», sagt die Journalistin Sára Činčurová im Interview. Dabei seien manche auch gefilmt worden. Libysche Männer hätten mit ihnen «gespielt». Ähnliche Berichte hat auch die Journalistin Lauren Wolfe festgehalten. Vergewaltigung und genderbasierte Gewalt als Mittel der Kriegsführung und bei Völkermord werden von ihr dokumentiert. «Alle Frauen, die sich auch nur für kurze Zeit in Libyen aufhielten oder dort festgenommen wurden (auch Männer), sprachen über erlebte oder beobachtete Vergewaltigungen, Schläge, Folterungen und von Schüssen. Jede einzelne Frau», so Wolfe 2015.

Geflüchtetes Kind

Rettung auf dem offenen Meer

Mit jeder Ankunft eines Rettungsschiffes in einem sizilianischen Hafen gingen laut einer internationalen Studie, in der zweiten Hälfte 2014, zwischen 152 und 414 Menschen von Bord (Trovato et al. 2016). Bis dahin hatten die Geflüchteten und Asylsuchenden bereits Tage auf eine Hafenzuweisung und die Disembarkation in einem «Port of Safety» (ein sogenannt sicherer Hafen) gewartet. Die Studie wertete die Gesundheitsdaten der innerhalb von fünf Monaten aus Seenot geretteten Menschen anhand der ärztlichen Konsultationen in einem Hospital im sizilianischen Hafen von Augusta aus. Dorthin wird etwa ein Viertel der aus Seenot geretteten und nach Sizilien gebrachten Menschen bei medizinischem Weiterbehandlungsbedarf gebracht.

Geflüchtete Frau mit Kind

Schaut man sich die Daten der Studie genauer an, waren mindestens 24% (n=612) der 2’593 medizinischen Konsultationen nach Ankunft im Hafen von Augusta (17% aller dort eingetroffenen Asylsuchenden), Menschen mit einem besonderen Schutzbedarf. 152 (5%) wurden stationär aufgenommen, ein Prozent befand sich in einem sehr kritischen Zustand. Unter den vulnerablen Personen waren 51 Frauen mit einer gynäkologischen oder geburtshilflichen Diagnose: abdominale Schmerzen, fehlende Kindsbewegungen, nicht bestätigte Schwangerschaft [zum Beispiel auch nach einer Fehlgeburt] oder Vaginalblutung bei bestehender Schwangerschaft (Trovato et al. 2016).

Die Hebamme Inge Lang hat bei ihren Einsätzen immer wieder auch mit minderjährigen Schwangeren gearbeitet. «In ihren Herkunftsländern ist es eher der Fall, dass Frauen ihre Kinder sehr jung bekommen, entsprechend anders fühlt es sich an, wenn eine 17-Jährigen bei uns schwanger ist», erklärt sie. «Der familiäre Zusammenhalt in den Herkunftsländern ist oft stärker ausgeprägt. Diese Unterstützung fehlt den Schwangeren im Kontext von Flucht.» – Insgesamt erlebte sie die geflüchteten Frauen aber oft sehr stark – trotz der widrigen Umstände, die ihnen widerfahren. «Ich habe mich oft gefragt, wie sie mit diesen erlebten Gewalterfahrungen überhaupt weiterleben konnten.»

Geflüchtete Frau

Auswirkungen von Flucht auf spätere Schwangerschaften

Eine interdisziplinäre, deskriptive Studie ergab, dass schwangere Frauen und junge Mütter nach Fluchterfahrung ein sehr hohes Risiko für die Entwicklung mentaler Gesundheitsprobleme und peripartaler Komplikationen haben; auch die Risiken für das Kind seien deutlich erhöht (Kaufmann et al. 2020).

Die Forscherinnen analysierten die besonderen Bedürfnisse von 120 schwangeren Frauen und jungen Müttern, die im Zeitraum von November 2017 bis Mai 2018 eine psychosoziale Tagesklinik auf dem Gelände einer deutschen Registrierungs- und Aufnahmeeinrichtung aufsuchten. 69,6% der Frauen erfüllten die Kriterien einer PTBS und schilderten mindestens ein traumatisches Ereignis. Die meisten Frauen stammen aus Sub-Sahara-Afrika (75%); viele sind Christinnen (67,5%) und die Hälfte Primiparae (50,8%). 39,2% von ihnen sind zum Zeitpunkt der Befragung alleinstehend, getrennt lebend, geschieden oder verwitwet, in 9,2% der Fälle war der Vater unbekannt – ob es sich bei Letzterem um Vergewaltigungen handelte, wurde nicht weiter bewertet.

Geflüchtetes Kind

Zahlen zu Problemen in der Folgeschwangerschaft

Die Frauen zeigten während ihrer Schwangerschaft posttraumatische Stress-, Anpassungs- oder depressive Störungen, 87% hatten Geburtskomplikationen. Die Wissenschaftlerinnen diagnostizierten komplexe, gesundheitliche und auch soziale (Be-)Handlungsbedarfe:

  • 24,1% erlebten die Schwangerschaft als sehr schwierig, 45,5% nannten «Probleme».
  • 51,7% gaben schwangerschaftsbezogene Ängste aufgrund ihrer aktuell schwierigen Lebenssituation an und fürchteten, den Fetus zu gefährden oder zu verletzen.
  • 28,1% hatten Angst vor der Geburt.
  • 52,3% hatten in ihrer Vorgeschichte bereits Fehlgeburten, Todgeburten, Mehrlingsgeburten oder eine unzureichende postpartale Versorgung des Kindes erlebt; 16,7% fürchteten deshalb erneut medizinische Komplikationen.
  • 35,1% hatten aktuell medizinische Komplikationen, aufgrund von HIV, Hepatitis, Diabetes, Hypertonie oder weiblicher Genitalbeschneidung.

Angesichts des komplexen, gesundheitlichen und sozialen Handlungsbedarfs sei es besonders wichtig, dass das Gesundheitspersonal sich der hohen Vulnerabilität der Frauen im Hinblick auf die mögliche Entwicklung einer mentalen Störung und der transgenerationalen Weitergabe im Falle des Scheiterns einer Behandlung bewusst seien (Kaufmann et al.2020). Die Bedingungen in den Aufnahmeeinrichtungen geben das aber oft nicht her.

Besonderer Schutzbedarf

In den kollektiv organisierten Unterkünften der italienischen Erstaufnahmeeinrichtungen kommt bspw. vulnerablen Personen, wie Schwangeren, alleinstehenden, jungen Frauen oder unbegleiteten Minderjährigen, keine besondere Betreuung zu. So könnten diese «leichte Beute für Menschenhändlerringe [werden], in denen sie weiterem (sexuellem) Missbrauch und anderen Arten der Ausbeutung, in den Empfangszentren und außerhalb, ausgesetzt sind», kritisiert die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Situation in Italien (Romer et al. 2020). Für die Dauer der Registrierung und des Asylverfahrens sei die Sicherheit in den bereitgestellten Unterkünften zudem oft nicht gewährleistet: Türen seien nicht abschließbar und Bäder würden gemeinschaftlich und geschlechtsunabhängig genutzt (Zoeteweij et al. 2019).

Fazit zur Situation von flüchtenden Frauen

Werden Geflüchtete und Asylsuchende an den europäischen Außengrenzen ohne Prüfung ihres Asylgesuchs abgewiesen, handelt es sich um Verstöße gegen internationales Recht (Genfer Flüchtlingskonvention Art. 33, Europäische Menschenrechtskonvention Art. 3 und andere internationale Vereinbarungen).

Insbesondere Menschen anderer Hautfarbe und Religion erfahren an den EU-Außengrenzen Diskriminierung und Gewalt, wie dies auch aktuelle Medienberichte über Vorfälle an der ukrainischen Grenze zur EU zeigen. Auf dem Mittelmeer wurden 2018 knapp die Hälfte der Fluchtversuche mit völkerrechtswidrigen Rückführungen nach Libyen oder Tunesien beantwortet, wo die Menschen erneut unendlichem Leid und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wurden. Für Schwangere, Gebärende, Wöchnerinnen, Neugeborene und kleine Kinder sind die Risiken auf der Flucht besonders hoch. Es bedeutet für viele Frauen ein Leben in ständiger Angst um sich und ihre Kinder.

Baby

Das Fehlen einer geeigneten psychischen und physischen Gesundheitsversorgung verschärft deren Situation weiter – auch auf längere Sicht. Daher sollte die humanitäre Situation – als Ganzes im Blick – nicht mehr einzelnen Staaten, privaten NGOs und Grenzbewohner*innen überlassen bleiben. Angesichts der Zuspitzung an den EU-Außengrenzen wäre es wichtiger, der Schutzbedürftigkeit dieser Menschen mit politischer Entschlossenheit zu begegnen und deren Versorgungssituation gemeinsam umgehend zu verbessern. Andernfalls werden sich weiter rechtsfreie Räume zum Leidwesen der Verwundbarsten etablieren.


Dieser Artikel ist erstmals in gekürzter Fassung in der Obstetrica erschienen:
Melanie M. Klimmer 2022: „Fokus Ausland. Frauen auf der Flucht“, erschienen in Obstetrica 4 (119): 34-37, herausgegeben vom Schweizerischen Hebammenverband, Olten.

Die Autorin:

Melanie M. Klimmer, Cultural Anthropologist MD and Advocacy Anthropologist, Nurse with further education in humanitarian health care, lecturer in Clinical Sociology and Social Politics at Universities and political foundations, mediator (Johan Galtung), and since 2016 freelance Science Journalist, Human Rights reporter and Author on medical issues.

Fotos

Die Fotos sind Symbolbilder und stammen aus unterschiedlichen Einsätzen der SEA-EYE 4.

Literatur

Internationale Organisation für Migration (IOM) https://missingmigrants.iom.int/region/mediterranean.

Jesuthasan, J. et al. (2018) Near-death experiences, attacks by family members, and absence of health care in their home countries affect the quality of life of refugee women in Germany: a multi-region, cross-sectional, gender-sensitive study. BMC Med; 16, 15.

Kaufmann, C. et al. (2021) Maternal healthcare needs of refugee women in a State Registration and Reception Centre in Germany: A descriptive study. Health & Social Care in the Community ; 00.1-10. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/hsc.13508

Romer, A. et al. 2020: Aufnahmebedingungen in Italien. SFH (Hrsg.), Bern, Januar 2020

Trovato, A. et al. (2016) Dangerous crossing: demographic and clinical features of rescued sea migrants seen in 2014 at an outpatient clinic at Augusta Harbor, Italy. In: Conflict and Health; 10:14. DOI 10.1186/s13031-016-0080-y.

UNHCR (2020) Mid-year-Trends. https://www.unhcr.org/mid-year-trends.html

UNITED for Intercultural Action (2020) List of 36 570 documented deaths of refugees and migrants due to the restrictive policies of «Fortress Europe»; Documentation.

Wolfe, L. (2015) The missing women of the mediterranean refugee crisis. July 24. https://womensmediacenter.com/women-under-siege/missing-women-of-the-mediterranean-refugee-crisis

Zoeteweij, M. et al. (2019) Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien. Bern: Schweizerische Flüchtlingshilfe.

Migration gab es schon immer. So brachen Mitte des 19. Jahrhunderts Deutsche zu einem besseren Leben in die USA auf. Heribert Prantl zeigt Parallelen zur heutigen Migration.

Wir reden viel über Geflüchtete, statt mit ihnen zu sprechen.

Ein Kommentar von Sophie Weidenhiller, Pressesprecherin von Sea-Eye e. V.

Wenn ich Texte wie diesen schreibe, dann deshalb, weil ich eine starke emotionale Reaktion auf etwas habe, das ich erlebe. Dieses Mal kommt meine öffentliche Bitte, wie schon oft zuvor, aus einem Gespräch mit einem jungen syrischen Geflüchteten, den ich an Bord eines Sea-Eye Schiffes kennengelernt habe. Nennen wir ihn Adil*. Wenn wir uns unterhalten, sehe ich eine andere Welt, eine andere Seite der gleichen Welt. Ich habe einen EU-Pass, er hat keinen und das wird er wahrscheinlich auch nie. Adil hat Traumata erlebt, die ich noch nie durchmachen musste und wahrscheinlich auch nie werde. Wir verstehen uns aber gut. Wir sprechen nicht einmal die gleiche Sprache und Google-Translate ist unser bester Kumpel, der mich oft über die Ironie des situativen Humors aufgrund der Verwendung solcher Apps zum Lachen bringt.

Sophie Weidenhiller, Pressesprecherin von Sea-Eye

Adil ist auch ein lustiger Kerl, er hat mir etwas von der Musik gezeigt, die er gerne hört, er kocht gerne Milchreis für alle und er würde auch gerne für mich kochen. Er ist schlau, er wollte in Syrien an einer Universität studieren, aber dann machte der Krieg das unmöglich. Als ich ihm sagte, es tut mir leid, dass er nicht wie ich studieren kann, sagte er: „Muss es dir nicht – es ist in Ordnung, weil dort niemand mehr studieren kann.“ Für ihn sollte ich nicht nur Mitleid mit ihm haben, da schließlich sein ganzes Land leidet.

Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft ich sprachlos und voller Ehrfurcht vor den unterschiedlichen Perspektiven und Ideen von geflüchteten Menschen stand und wie viel ich aus den Gesprächen mit diesen vielen verschiedenen Menschen, die ich im Laufe der Jahre kennengelernt habe, gelernt habe. Es ist erstaunlich, wie wenig und gleichzeitig auch wie viel wir gemeinsam haben. Wie wir zusammen lachen können, ohne die gleiche Sprache zu sprechen, wie wir uns auch ohne Worte verstehen können und wie sich Umarmungen auch zwischen völlig Fremden so tröstend anfühlen können. Und ja, ich verurteile immer noch manche Personen vorzeitig oder habe meine Vorurteile gegenüber so manchen Individuen, wie eben bei allen Menschen. Aber ich habe gemerkt, dass es normalerweise sehr aufschlussreich ist, wenn ich mich mit jemandem zusammensetze und einfach nur seinen unglaublich ehrlichen Geschichten und Ansichten zuhöre. Und es zeigt mir auch meine eigenen Schwächen sowie die der europäischen Entscheidungsträger.

Aus eurozentrischer und privilegierter Sicht mögen einige unserer Strategien sinnvoll erscheinen, obwohl sie in Wirklichkeit nicht nur unglaublich unethisch, sondern auch völlig ineffektiv sind.

Konkret spreche ich von der Abschreckungs- und Abwehrpolitik der EU, dem Versuch unsere Grenzen zu schließen und Menschen von der Flucht abzuhalten, indem sie Flucht gefährlich und potenziell tödlich erscheinen lassen. Wir denken, dass wir durch die Schaffung von Stacheldrahtzäunen, hohen Mauern, Push-Back-Agenturen, Überwachung und übermäßiger Gewaltanwendung Menschen daran hindern könnten, zu europäischen Küsten und Gebieten aufzubrechen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Diese völlig unethische Praxis funktioniert nicht. Dies ist der Grund:

Geflüchtete mit Baby

Europa versucht, die Menschen warnen und sie daran zu hindern, nach Europa zu gehen, indem es ihnen zeigt, dass Sie, wenn Sie versuchen, hierher zu kommen, auf dem Grund des Meeres, im Sand erschossen oder in einem Wald erfroren enden können.

Aber haben wir uns jemals gefragt, wie Menschen, die auf der Flucht sind oder fliehen wollen, solche Bedrohungen wahrnehmen? Wissen Sie, was ihre Antwort auf diese grausame Warnung ist? Ich kann Ihnen sagen, was ich immer wieder als Antwort darauf gehört habe:

„Ich weiß, dass ich sterben könnte, aber ich würde lieber auf dem Weg in die Freiheit sterben, als weiter zu leiden, wo ich bin.

Eine andere Version der gleichen Sicht, die mir erzählt wurde, war:

„Hier gibt es kein Leben – selbst der Tod ist besser als diese Hölle.“

Als Person mit psychotherapeutischem Hintergrund muss ich sagen, dass diese Einstellungen und Fluchthandlungen fast schon den Anschein von „para- oder quasi-suizidalen“ Handlungen haben. Das bedeutet, dass die Menschen, die versuchen zu fliehen, im vollen Bewusstsein um die große Gefahr für Leib und Leben, so verzweifelt sind, dass sie sich gezielt, wenn auch in akuter und schwerer Not, für dieses Risiko entscheiden. Für einige von ihnen erscheint der Tod auf dem Weg tragischerweise fast wie eine Art Erlösung, denn es würde ein Ende ihres ewigen Leidens bedeuten, das die meisten von ihnen seit Jahren ertragen haben, und dass sie vielleicht ihre Liebsten, die sie verloren haben, im Jenseits treffen könnten.

Geflüchteter

Natürlich wollen diese Menschen nicht tatsächlich sterben, aber wenn die einzige Wahl, die ihnen bleibt, Tod oder Leiden ist, dann treffen sie die einzige Entscheidung, die sie noch zur Verfügung haben.

Ein anderer Aspekt, den ich gehört habe, ist, dass manche Menschen sagen, sie hätten das Gefühl „meine Seele ist schon lange gestorben, ich habe keine Angst mehr vor dem Tod, weil ich mich innerlich schon tot fühle“. Oder wie Adil es ausdrückte: „Das Letzte, wovor ich Angst habe, ist der Tod. (…) Ich wünschte, ich könnte sterben, wenn ich bete.“ Er fügte auch hinzu: „Wenn Sie meine Worte verstehen wollen, schauen Sie sich die Videos von muslimischen Müttern und Vätern in Syrien an, deren gesamte Familie vor ihren Augen ermordet wurde und sie [die Mutter] Gott dankt und weint und sagt, dass sie zurückkehren wird zu ihnen.“

Dies ist einer der ausschlaggebenden psychologischen Gründe warum Menschen nicht durch Abschreckungspolitik aufgehalten werden. Die Verzweiflung, mit der flüchtende Menschen heute konfrontiert sind, ist so groß, so allumfassend, so unbegreiflich für uns alle, die wir hier in Europa leben und EU-Pässe besitzen. Wir können uns die Schrecken, denen diese Menschen ausgesetzt waren, nicht vorstellen und deshalb würdigen wir ihre Erfahrungen herab und missachten sie, indem wir ihnen ihre Hoffnung und Entscheidungsmöglichkeiten nehmen und ihnen als einzige Optionen Ablehnung und Tod übrig lassen.

Baby

Wenn wir mit Migration gut umgehen wollen, müssen wir zunächst verstehen, was die Menschen tatsächlich durchmachen, wie sie denken und fühlen, was von uns erfordert, mit ihnen zu sprechen und zuzuhören und – so traurig es auch ist, dies erwähnen zu müssen – sie wie Menschen zu behandeln und nicht nur eine ständig wachsende Zahl von Kollateralschäden, gemessen in menschlichen Überresten.

Das ist der Stand der Dinge für Flüchtende heute, wie ich aus vielen Gesprächen mit Menschen, die fliehen mussten, resümiert habe – und das ist zutiefst beunruhigend. Ich fordere daher die europäischen Politiker*innen auf, ihre unethische Politik zu beenden, denn noch einmal – sie sind nicht nur unmenschlich, sie funktionieren auch nicht. Was sie anrichten sind Massengräber, Wellen der Verzweiflung, die zum Selbstmord führen, und Generationen traumatisierter Überlebender. Wenn wir dieses Problem lösen wollen, müssen wir den Menschen echte Hoffnung und konkrete Hilfe geben, statt zusätzlicher Traumata und Hürden.

Wie viele Tote werden europäische Politiker*innen noch brauchen, um diesen Wahnsinn endlich zu stoppen? Dieses System funktioniert nicht und es tötet Tausende von Menschen. Wir müssen aufhören, die Lebensrealitäten von fliehenden Menschen zu vernachlässigen und wir müssen das sinnlose Sterben sofort stoppen!

* Name geändert, um seine Privatsphäre zu schützen.

Wenn das Wasser sicherer ist als das Land

Ein Gastbeitrag von Melanie M. Klimmer

Bei der ersten Mission des Rettungsschiffes Sea-Eye 4 ins zentrale Mittelmeer werden auch Schwangere und kleine Kinder von Schlauch- und Holzbooten aus dem Meer geborgen. Wie ist ihr Zustand, wie erleben sie die kurzfristige Hilfe, wo können sie Geborgenheit und wie zurück ins Leben finden?

Aus Seenot gerettete Frauen vor Libyens Küste erzählen immer wieder von den gleichen schrecklichen Erfahrungen: »Folter an Leib und Seele, brutale Vergewaltigungen, Sklaverei, exzessive Gewalt – man kann es sich nicht vorstellen, was diesen Frauen immer und immer wieder angetan wird«, sagt Sophie Weidenhiller am 15. Juli 2021 im Interview. Sie ist internationale Pressesprecherin der zivilen Seenotrettungsorganisation Sea-Eye e.V. und als »RHIB-Communicator« Crew-Mitglied bei der ersten Mission des Rettungsschiffes Sea-Eye 4 vom 8. bis 23. Mai 2021. RHIB steht für Rigid-Hulled Inflatable Boat, zu Deutsch »Festrumpfschlauchboot«, mit dem Menschen in Seenot zunächst aufgesucht und dann zum Mutterschiff gebracht werden.

Einsatzcrew der SEA-EYE 4

Sophie Weidenhiller übernimmt in Einsätzen mit den RHIBs den Erstkontakt mit den oft tief verängstigten Menschen und erklärt ihnen, dass sie in Sicherheit sind. An Bord leistet die Psychotherapeutin in Ausbildung psychologische erste Hilfe.

»In Libyen sind geflüchtete Frauen sozusagen ›Freiwild‹. Man macht dort mit ihnen, was man gerade will, ohne dass die Täter dafür zur Rechenschaft gezogen werden«, sagt die 31-Jährige. »Man kann es sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, als schwangere Frau in einem Gefängnis zu sitzen und ein Kind vom eigenen Peiniger austragen zu müssen, der sich auf der anderen Seite der Gitterstäbe aufhält.« Folter werde meist ganz bewusst eingesetzt, um die Person zu vernichten, ohne sie physisch zu töten, weiß Dr. Barbara Preitler (Preitler 2010). Sie ist Gründerin des Hemayat-Betreuungszentrums für Folter- und Kriegsüberlebende in Wien. »Der Schmerz soll so intensiv sein, dass der Tod als Erlösung – die aber nicht gewährt wird – empfunden wird«, sagt die erfahrene Psychologin. »Fast alle Menschen, die Folter überleben, leiden an den Folgen dieser schweren Verletzungen: körperlich und psychisch.«

Schwanger durch sexualisierte Gewalt

»Geflüchtete Frauen gehen oft in die Hölle und wieder zurück«, berichtet auch die freie Journalistin Sára Činčurová im Audio-Podcast der Regensburger Seenotrettungsorganisation »Ehrlich gesagt« im Gespräch mit Sophie Weidenhiller anlässlich des Internationalen Frauentages (Sea-Eye, Episode 10, 8.3.2021). Entlang der Fluchtrouten erführen Frauen häufig sexualisierte Gewalt oder beobachteten diese im Kontext von Menschenhandel, Sklaverei, Gefangenschaft und Zwangsprostitution. Viele Frauen, auch minderjährige Mädchen, würden auf der Flucht schwanger, weil sie sich nicht schützen könnten.

Hochschwangere Frau

»Oft sind es Schmuggler, von denen Frauen auf der Flucht vergewaltigt werden«, so Weidenhiller im Gespräch mit der Journalistin. »Oft wissen sie nicht, wie sie sonst überleben sollen, begeben sich in Abhängigkeit und können sich dann nicht wehren: Da ist niemand, dem sie davon berichten könnten, auch nicht der Polizei.« »Manchmal stellen sie zu spät fest, dass sie in die Hände von Menschenhändler:innen geraten sind«, sagt Sára Činčurová.

Zwei Monate später, am 8. Mai, brechen die beiden Frauen gemeinsam mit 21 weiteren Crew-Mitgliedern vom spanischen Hafen Burriana aus mit der Sea-Eye 4 ins zentrale Mittelmeer auf.

Rettung aus Seenot

In mehreren Rettungseinsätzen vom 16. bis 18. Mai rettete die Crew 406 Menschen aus 18 Nationen aus Seenot, viele davon aus Mali, Bangladesch, Eritrea, Ägypten, dem Sudan und Syrien. Schon am 14. Mai sind zwei libysche Bürgerkriegsflüchtlinge geborgen worden.

Nun befinden sich auf der Sea-Eye 4 auch 36 Frauen, darunter vier Schwangere. 150 Kinder, 19 davon unter zwölf Jahre alt, ein Drittel unbegleitet, befinden sich ebenfalls unter den Geretteten. Die beiden 8 und 15 Monate alten Babys sind bei ihrer Rettung triefend nass, dehydriert, mangel- und unterernährt und starr vor Angst. Unter Tränen berichten gerettete Frauen, wie sie erst nach Monaten täglicher und systematischer Vergewaltigung aus den libyschen Detention Camps (Internierungslager) fliehen konnten. Dort haben sie unter Hunger gelitten, weder Nahrung noch Trinkwasser für ihre Kinder auftreiben können. Eine der Frauen hatte zehn Monate mit ihrem Baby in einem dieser Lager zugebracht.

Der Internist und Bordarzt Dr. med. Stefan Mees von German Doctors stellte bei späteren Gesundheitschecks deutliche Spuren von Gewaltanwendung und schwerster Traumatisierung bei den meisten Geflüchteten fest.

In der »Search- and Rescue-Zone«

Die Situation der Frauen und Kinder in den überfüllten Holz- und Plastikbooten schildern Seenotretter:innen immer wieder als katastrophal. Sonne, Wind, Witterung und Wasser ausgesetzt, ohne Nahrung und ausreichend Trinkwasser, treiben die Boote ohne Navigation oft tagelang auf hoher See – die Mütter sind erfüllt von der quälenden Sorge um ihre Kinder. Die Journalistin Sára Činčurová erinnert sich an die Bergung einer Schwangeren durch das Rescue-Team der Sea-Eye 4: »Es war für mich schwer erträglich, eine schwangere Frau im sechsten Monat so durchnässt zu sehen« (Sea-Eye, Episode 13).

Frauen und Kinder harren zumeist im Innern der Boot aus, wo sich ein gefährliches Gemisch aus Benzin, Salzwasser und Exkrementen ansammeln kann. Die Berührung damit führt zu schweren Verätzungen und Verbrennungen der Haut, sogenannten »Fuel Burns«. Das berichtet die Gesundheits- und Krankenpflegerin Marlene Fießinger an einem frühen Sonntagmorgen Mitte Mai nach ihrer vierstündigen Brückenwache aus dem Bordhospital der Sea-Eye 4. Zu dem Zeitpunkt befindet sie sich etwa 40 Seemeilen vor Tripolis und ahnt noch nicht, dass sie wenig später zusammen mit Dr. Stefan Mees und dem Paramedic Tobias Schlegl in ihren ersten großen Einsatz gerufen wird.

Boot und SEA-EYE 4

Triage und Notfallversorgung

Von diesen Verletzungen berichtet auch der Münchner Arzt Dr. Thomas Kunkel, der an Ostern 2017 mit einem anderen Rettungsschiff von Sea-Eye e.V. mehrere Frauen mit Fuel Burns behandelt hatte. Er schildert »sehr großflächige, zweitgradige Verbrennungen an den Oberschenkeln, Genitalien, am Gesäß und Bauch« (Andrae 2018). »Auf solche Fälle sind wir dieses Mal noch besser vorbereitet«, so Marlene Fießinger. Sie hat federführend an der Ausstattung des Medical Rooms an Bord des neuen Rettungsschiffes Sea-Eye 4 mitgewirkt. »Wir haben eine Dusche im Hospital, wo solche Wunden zuerst ausgeduscht werden können.«

Auf dem Rettungsschiff gibt es nach jeder Bergung einen hohen Bedarf an medizinischen Erstbehandlungen. Das Medical Team führt bei den Geretteten zuerst eine Triage durch. 25 Menschen sind bei insgesamt sechs Einsätzen der Sea-Eye 4 Mitte Mai 2021 in kritischem Zustand oder müssen umgehend behandelt werden. Sie sind bradykard, hypotherm, massiv dehydriert. Ein Junge braucht Sauerstoff. »Vor allem Jugendliche kollabierten reihenweise nach der Rettung«, berichtet Marlene Fießinger aus ihrer Quarantäne vor Palermo. Ein zehnjähriges Mädchen aus Syrien sei bei der Bergung triefend nass, kalt, fast ohnmächtig und traumatisiert gewesen.

SEA-EYE 4: Krankenstation

Nicht nur haben Geflüchtete oft monatelang keine medizinische Versorgung erhalten. Viele befinden sich mit ihrer Vorgeschichte in libyschen Detention Camps und aufgrund der Umstände auf See in kritischem Zustand. »Ich versuchte, mich besonders auf die vulnerablen Personen wie Schwangere oder Minderjährige zu fokussieren«, sagt die 31-Jährige, die als Intensivpflegekraft am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe arbeitet, einer anthroposophischen Akutklinik in Berlin. »Sie können ihre Beschwerden nicht immer eigenständig äußern.«

Für den Fall, dass fachliche Rücksprache notwendig werden sollte, hat das medizinische Team vorgesorgt. Rund um die Uhr stehen im Hintergrund spezialisierte Fachkräfte auf dem Festland bereit, so zum Beispiel auch eine Hebamme in Deutschland. Durch die Umstände der Flucht kann es schnell zu Unregelmäßigkeiten bei Schwangerschaft und Geburt kommen. Der Start ins Leben ist auf der Flucht mit deutlich mehr Risiken verbunden. Früh-, Fehl- oder Totgeburten sind häufiger, Intensivbehandlungen für Neugeborene wahrscheinlicher und die Sterblichkeit für Mutter und Kind höher (Klimmer, DHZ 12/2020, Seite 86–90).

Gerettetes Kind

Schwangere tragen höhere Risiken bei Seekrankheit

Vor vier Jahren starb eine unterkühlte Schwangere an Bord eines Rettungsschiffes der deutschen Nichtregierungsorganisation. Sie war plötzlich nicht mehr ansprechbar. Reanimationsversuche blieben erfolglos. Bei schwangeren Frauen, die aus Seenot geborgen werden, ist die Seekrankheit mit einem höheren Risiko verbunden. Meist dehydriert und mangelernährt, können Schwangere in Seenot schneller das Bewusstsein verlieren. Ihre Situation kann dann schnell lebensbedrohlich werden, wie auch der Mediziner Thomas Kunkel im Interview mit Agnes Andrae berichtet: Manche »sind von langanhaltender, quälender Übelkeit geplagt, müssen ständig erbrechen und verlieren darüber viel Flüssigkeit und Energie.« (Andrae 2018) Durch die Notwendigkeit einer engmaschigen Überwachung im Falle von Seekrankheit bei Schwangeren und der erhöhten Gefahr von Komplikationen sei die Betreuung deshalb zeitintensiver.

Zu lange ohne gesundheitliche Versorgung

In den libyschen Detention Camps haben Geflüchtete oft über längere Zeit keinen Zugang zu medizinischer Versorgung oder auch zu Verhütungsmitteln – selbst in europäischen Flüchtlingslagern ist das keine seltene Randerscheinung. »Eine geflüchtete Frau kann ich nicht vergessen«, erinnert sich Sára Činčurová (Sea-Eye, Episode 10). »Sie war zum sechsten Mal schwanger und passierte das Mittelmeer von der Türkei aus nach Lesbos. Das Kind kam dann dort im Januar zur Welt. Die Frau lebte lediglich in einem Zelt inmitten von Nässe und Dreck. Sie verlangte bei lokalen NGOs nach einer sicheren Unterkunft, denn es mangelte an allem: an Sanitäranlagen, Nahrung, vor allem aber an der Wahrnehmung dessen, was eine schwangere Frau benötigt. Es ist einfach Fakt, dass die Gesundheit unter diesen Umständen leidet: Neugeborene und kleine Kinder bekommen in einer solchen Umgebung schnell Infektionen.«


Brief einer Geretteten: »Niemand glaubte, dass wir das schaffen würden …«

»Ich verlor meine Mutter und meinen Vater als Kind. Ich komme aus einer Familie mit acht Kindern. Ich wurde zwangsverheiratet. Mein erstes Kind ist eine acht Jahre alte Tochter. Ihr Vater zwang sie, sich einer Genitalverstümmelung zu unterziehen und begleitete sie zu einem reichen Arzt gegen Geld. Später hatte ich eine zweite Tochter, die jetzt zwei Jahre alt ist, und sie sollte ebenso zu dieser Misshandlung gezwungen werden. Das ist der Grund, warum ich mit meiner jüngeren Tochter geflohen bin, weil sie ihr dasselbe antun wollten.

Ein Mann aus meinem Dorf half mir, nach Algerien zu kommen. Wir verbrachten dort einen Monat zusammen im Gefängnis. Von dort wurden wir nach Niger geschickt. Meine Tochter und ich verbrachten einen Monat in der Sahara-Wüste. Später wurde ich als Sklavin nach Libyen verkauft. Ich brauchte fünf Monate, um zu entkommen.
Ich blieb bis zur Überquerung an der Küste. Niemand glaubte daran, dass wir das lebend schaffen würden. Alle hatten Todesängste, denn das Meer war gewaltig und endlos und alles, was ich sah, waren Wellen. Wir brachten zwei Tage damit zu, an Körpergewicht zu verlieren. Wir tranken nur Wasser. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ihr uns gerettet habt. Die Überquerung war wie ein Albtraum.

Dadurch, dass ihr uns gerettet habt, ist es, als hättet ihr die ganze Welt gerettet. Ihr habt eine beachtliche Aufgabe vollbracht, für die euch nur der allmächtige Gott belohnen kann.«

Brief an Sára Činčurová, Übersetzung aus dem Englischen: Melanie M. Klimmer


Das Bordhospital als Rückzugsort

»Im Frauen-Container ist es eng. Es ist stickig, heiß, die Kinder sind laut«, berichtet Sophie Weidenhiller in einer Sprachnachricht am 20. Mai von Bord des Rettungsschiffes. »Kinder haben sich übergeben. Das Ganze ist natürlich kein Dauerzustand«.

Das Medical Team hält nach Notfallversorgung, Corona-Antigentests und Gesundheitschecks den Zugang zum Bordhospital möglichst offen. Besonders für Frauen, die sich zurückziehen wollen, erweist sich der Ort als Schutzraum für etwas Privatsphäre und auch das Unaussprechliche. Auf den Ruheliegen können sie sich für Momente ausruhen. Viele Frauen – auch vier im dritten bis achten Monat Schwangere – weisen psychosomatische Schmerz-Syndrome auf, somatoforme Reaktionen auf sexualisierte Gewalt und schwerste Traumatisierung. Hier wissen sie, dass sie darüber sprechen können und sich mit den Informationen nicht in Gefahr begeben. Oft aber finden sie nur stark vereinfachte, fast schon bagatellisierende, Ausdrucksformen für das Unsägliche (siehe »Brief einer Geretteten«).

Geflüchtete mit Kind an Bord der SEA-EYE 4

Nicht jedes Trauma traumatisiert, insbesondere wenn es den Betroffenen gelingt, das Widerfahrene in neue, konstruktive Energie zu verwandeln und in die individuelle Lebensausrichtung zu integrieren. Die Expert:innengruppe der S3-Leitlinie »Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1« um den Privatdozenten Dr. med. Guido Flatten, unter anderem Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Leiter der Aachener Trauma-Ambulanz, nennen mehrere Arten von Traumata, für die eine besonders hohe Prävalenz von 50 % für eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) besteht (Flatten 2011, S. 203).

Auf den Fluchtkontext übertragen sind das die Erfahrungen von Vertreibung, Geiselnahme und Entführung, Menschenhandel, sexualisierte Gewalterfahrungen wie Vergewaltigung oder Zwangsprostitution, sowie politische Haft, Folter und andere Erfahrungen in Todesnähe. Dabei kann die PTBS unmittelbar oder auch verzögert auftreten und Folge eines einzelnen Ereignisses oder auch einer Aufeinanderfolge mehrerer Ereignisse sein (»Sequenzielle Traumatisierung« nach H. Keilson). Es muss nicht die eigene Person betroffen sein. Oft reicht es aus, die Ereignisse beobachtet zu haben.

Gerettetes Kind auf der SEA-EYE 4

Retraumatisierung im Aufnahmeland

In Deutschland erhalten geflüchtete Frauen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur eine Akutversorgung, Gesundheitsversorgung im Rahmen von Schwangerschaft und Geburt und bei akuten Schmerzen (§ 4 Abs. 1 AsylbLG). Aber auch Personen, »die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wird die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe gewährt«, sofern sie eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes besitzen (§ 6 Abs. 2 AsylbLG). In der Realität ist das frühestens ab dem 16. Monat ihres Aufenthaltes in Deutschland der Fall.

Geflüchtete an Bord der SEA-EYE 4

Für von Gewalt betroffene Frauen nach Fluchterfahrung – noch dazu bei Schwangerschaft nach Vergewaltigung – kann dies eine außerordentlich lange Zeit bedeuten, gerade wenn ein komplexer Versorgungsbedarf besteht. Erschwert wird die Versorgungssituation durch eine unzureichende Datenlage.

Die Psychologin Jenny Jesuthasan ist Projektkoordinatorin für die Studie »Study on Female Refugees« der Berliner Charité Universitätsmedizin. Mit Blick auf die Fluchtgeschichte vieler Frauen gibt sie zu bedenken, dass Beschränkungen beim Zugang zu Gesundheitsleistungen im Aufnahmeland, die von den Frauen als dringend notwendig empfunden werden, dazu führen können, dass diese ein höheres Risiko für eine PTBS entwickeln und retraumatisiert werden. Grund dafür ist, dass ihnen dieser Versorgungsmangel bereits von ihrer Flucht her bekannt ist und medizinische und psychologische Hilfe auch an dem Ort nicht gewährt wird, der ihnen Schutz und Hilfe geben sollte.

Wenn die Kinder staatenlos werden

Ein weiterer wichtiger Faktor beeinflusst die gesundheitliche Situation der schwangeren Frauen nach der Flucht aus Libyen und der Rettung aus Seenot: Werden Frauen, die ein Kind aus einer Vergewaltigung im Rahmen von Internierung, Menschenhandel und Zwangsprostitution geboren haben, aus Europa abgeschoben, müssen sie damit rechnen, in der Herkunftsfamilie nicht mehr aufgenommen zu werden und in Armut und Ausgrenzung zu leben. Ihre Zukunft ist völlig ungewiss, denn ein Zurück gibt es oft nicht. Im Extremfall sind die Kinder staatenlos, weil ihre Mütter – in einer patrilinearen Gesellschaft – den erforderlichen Namen des Kindsvaters und Peinigers für die Ausweisdokumente nicht nennen können. In Europa könnten sie dagegen eher rechtliche Anerkennung erfahren.

Erfahrungen dazu gibt es in vielen Staaten mit sogenannten »Kindern des Krieges«, wie sie in der Wissenschaft genannt werden, das heißt mit Kindern, die von »Feinden« – Rebellen oder Militärs – gezeugt wurden. In vielen Gesellschaften wird die kulturelle Praxis der sozialen Ausgrenzung solcher Mütter mit ihren Kindern viel zu selten hinterfragt. Dass es gelingen kann, in die Familie zurückzukehren, zeigen Beispiele wie Grace Acan, die 1996 als Mädchen von Rebellen der Lord’s Resistance Army (LRA) in Uganda entführt worden war. Sie hat zwei »Kinder des Krieges« geboren. Sie sieht in ihnen ihre Zukunft, gleich unter welchen Umständen sie geboren wurden. Während ihrer Gefangenschaft hätte sie alles für ihre Kinder getan (Acan 2018). Die soziale Integration durch die Familie hat es möglich gemacht und wirkt sich nun positiv auf die Beziehung zu ihren Kindern aus.

Geflüchtete mit Kind an Bord der SEA-EYE 4

Die Bedeutung der Familie für die Gesundheit geflüchteter Frauen stellen auch die Forscher:innen an der Charité in den Mittelpunkt. »Familie repräsentiert einen elementaren Schutzfaktor und erfüllt die Grundbedürfnisse von Sicherheit und sozialer Zugehörigkeit. Daher führt eine Ausstoßung aus diesem elementaren Schutzraum zu langanhaltenden Folgen« (Jesuthasan et al. 2018).


Daten aus Interviews: Situation von Frauen auf der Flucht

Rund 87 % der Frauen mussten sich auf der Flucht Schmuggler:innen anvertrauen. Fast jede zweite Frau auf der Flucht berichtet von erlittenem Hunger und Durst (46,3 %) und hatte keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung (47,6 %). Mehr als jede dritte Frau wurden unfreiwillig von der Familie getrennt (34,5 %), fast jede vierte inhaftiert (23 %). Mehr als jede fünfte Frau wurde gefoltert (22,1 %) und knapp jede fünfte gibt an, sexualisierte Gewalt erlebt zu haben (19,1 %). Die Dunkelziffer dürfte jedoch weit höher sein.

Quelle: Daten aus strukturierten, muttersprachlichen Interviews mit geflüchteten Frauen (n=663) aus Afghanistan, Syrien, Iran, Irak, Somalia und Eritrea in Deutschland (Jesuthasan J et al. 2018)


Unglaubliche Stärke der Frauen

»Wenn man Säuglinge auf dem Mittelmeer treiben lässt, anstatt sie zu retten, zeigt das doch überdeutlich, dass wir an dieser Stelle massiv versagt haben«, so Sophie Weidenhiller. »Angesichts all diesen Horrors bin ich zutiefst beeindruckt von der unglaublichen Stärke dieser Frauen und davon, dass sie trotz allem nicht verlernt haben, menschlich zu bleiben. Indem sie über das Erlebte berichten, möchten sie sich auch dafür einsetzen, dass anderen Frauen solche Gräueltaten erspart bleiben. Ich ziehe den Hut vor dieser Stärke.«

Nach der Anlandung in Pozzallo auf Sizilien werden die Frauen zusammen mit ihren Familien in eine Einrichtung gebracht, wo sie auch medizinisch versorgt werden können.

SEA-EYE 4: Gerettete

Die Männer werden trotz zweitem Negativtest gleich nach der Ausschiffung für eine zehntägige Quarantäne auf einem anderen Schiff untergebracht. Eine der geretteten Schwangeren erleidet wenige Tage nach der Ausschiffung in einem Lager auf Sizilien eine Fehlgeburt.

»Es gibt einfach keine Alternative, als diese Frauen aus den Lagern herauszuholen und in sicheren Unterkünften unterzubringen«, sagt Sára Činčurová (Sea-Eye, Episode 10). »Vor allem aber brauchen sie eine angemessene medizinische Versorgung. Es wird also unsere Aufgabe sein, darüber nachzudenken, wie wir Fluchtwege sicherer machen können.«

»Besonders schön ist es dann auch wieder, wenn wir sehen, wie Kinder groß werden«, sagt Sophie Weidenhiller, »oder wenn wir davon erfahren, wie zuletzt im Juli, dass eine der Schwangeren, die wir gerettet haben, in Italien ein gesundes Baby zur Welt gebracht hat.«


Auf der Suche nach einem Port of Safety
Illustration: © Melanie M. Klimmer

Nachdem Malta nicht auf die Anfrage des ersten Offiziers der Sea-Eye 4 nach einem sicheren Hafen reagiert und der palermitanische Bürgermeister Leoluca Orlando den Geflüchteten einen »Port of Safety« angeboten hat, weist ihnen das italienische Maritime Rescue Coordination Center (MRCC) den Hafen Pozzallo auf der anderen Seite Siziliens in zwei Tagen Entfernung zu.


Maritime Koordinierung? Weil die staatliche Seenotrettung fehlt …

Seenotrettungsorganisationen dokumentieren immer aggressivere Push-Backs der libyschen Küstenwache (LYCG). Anstatt zivile Seenotrettungsschiffe in der Nähe gezielt mit Rettungen zu beauftragen, koordiniert die europäische Grenzschutzagentur Frontex die Push-Backs aus der Luft, damit die LYCG die Geflüchteten illegal in einen unsicheren Hafen nach Libyen zurückbringt. Statt aus Seenot gerettet zu werden, werden die Geflüchteten dann in ein Land zurückgeschleppt, in dem sie schwerste Menschenrechtsverletzungen erleiden. Bis 16. September 2021 sind in diesem Jahr bereits 1.357 Menschen auf ihrer Flucht über das Mittelmeer ertrunken, allein im zentralen Mittelmeer 1.081 Personen.
> https://missingmigrants.iom.int/region/mediterranean.


Nachgefragt

»Schwangere Frauen haben viele Härten erlitten«

Die freie slowakische Journalistin Sára Činčurová war an Bord der Sea-Eye 4 und hat mit geretteten Frauen gesprochen.

Melanie M. Klimmer: Von welchen Fluchterfahrungen berichteten schwangere Frauen, die an Bord der Sea-Eye 4 gerettet wurden?

Sára Činčurová: Schwangere Frauen erleiden auf ihrer Flucht viele Härten. Von den 408 geretteten Menschen waren 36 Frauen, darunter vier Schwangere – die meisten waren von ihren Erlebnissen gezeichnet und zeigten tiefe Spuren der Traumatisierung. Einige der Frauen gaben Unterleibsschmerzen an, die das medizinische Team mit sexualisierten Gewalterfahrungen in Verbindung bringen konnte. Mindestens vier Frauen schilderten unter Tränen, wie sie in libyschen Detention Centers (Inter­nierungslagern) wiederholt verge­waltigt und geschlagen worden seien.

Melanie M. Klimmer: Immer wieder hört man von Menschenrechtsverletzungen in den libyschen Detention Centers. Was haben dir die Frauen darüber berichtet?

Sára Činčurová

Sára Činčurová: Neben den systematischen Vergewaltigungen und Schlägen in den Detention Centers erzählten uns mindestens vier Frauen von Filmaufnahmen während den Vergewaltigungen und wie libysche Männer mit ihnen »gespielt« hätten. Sie erzählten außerdem, dass es dort weder Nahrung noch Wasser gegeben habe, nicht einmal für die Kleinsten. Von Tränen überströmt schilderte mir eine Frau, wie ihr acht Monate altes Baby aufgrund dieser Umstände in ihren Armen fast verhungert und verdurstet sei. Diese Erfahrung habe sie schließlich bewogen, mit ihrem Baby dieses Risiko einzugehen und sich auf das Meer in die Wellen zu begeben, um dem Kind ein besseres Leben zu schenken. Viele Frauen berichteten uns, dass sie bei der Überquerung des Mittelmeers in hochseeuntauglichen Booten voller Angst um das Leben und das Wohlergehen ihrer – oft noch kleinen – Kinder gewesen seien. Eine Alternative aber sehen sie nicht.

Übersetzung aus dem Englischen: Melanie M. Klimmer


Dieser Artikel ist erstmals in der Deutschen Hebammen Zeitschrift erschienen:
Melanie M. Klimmer: „Schwangere und Mütter auf der Flucht. Wenn das Wasser sicherer ist als das Land“, erschienen in der Deutschen Hebammen Zeitschrift 2021, 73 (10): 76-81, Hannover, Link: https://www.dhz-online.de/de/news/detail/artikel/wenn-das-wasser-sicherer-ist-als-das-land/

Die Autorin: Melanie M. Klimmer

Melanie M. Klimmer ist freie Wissenschaftsjournalistin (DFJV), Reporterin und Autorin, Klinische Soziologin (Intervention) und Beraterin für Konflikttransformation nach J. Galtung sowie Dozentin für Gesundheit nach Fluchterfahrung und sozialpolitische Nischenthemen. Als Ethnologin M.A. und Sozialwissenschaftlerin arbeitete sie bis 2001 als Koordinatorin in der Menschenrechts- und Umweltarbeit, bis 2011 als Examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin mit Fortbildung für humanitäre Auslandseinsätze und intersektorale Arbeit in HIV/Aids in der Pflege. Sie lehrte viele Jahre an Universitäten, politischen Bildungsstätten und Akademien.

Fotos

Die Fotos sind Symbolbilder und stammen aus unterschiedlichen Einsätzen der Sea-Eye 4.

Literatur

Acan G: Not yet sunset. A Story of Survival and Perseverance in LRA Captivity. Kampala. Uganda 2018

Andrae A: »Was im Mittelmeer durch die sogenannte libysche Küstenwache passiert, ist nicht legal«. Hinterland-Magazin #39/2018:16–21. Hrsg. v. Bayrischen Flüchtlingsrat. www.hinterland-magazin.de/wp-content/uploads/2018/10/hinterland-magazin39-16.pdf (letzter Zugriff: 11.8.2021)

Flatten G et al.: S3-Leitlinie. Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1. Trauma & Gewalt. H 3 (5): 202–209. Stuttgart 2011

Jesuthasan J, Sönmez E, Abels I et al.: Near-death experiences, attacks by family members, and absence of health care in their home countries affect the quality of life of refugee women in Germany: a multi-region, cross-sectional, gender-sensitive study. BMC Med 2018. 16, 15

Klimmer MM: Schwanger auf der Flucht in Corona-Zeiten: Die Krise hat sich noch verschärft. Deutsche Hebammen Zeitschrift 2020. 72 (12): 86–90. www.dhz-online.de/de/archiv/archiv-inhalt-heft/archiv-detail-abo/artikel/die-krise-hat-sich-noch-verschaerft/

Preitler B: Der unzumutbare Schmerz – Folgen von Folter und Verfolgung. In: Mirzaei S, Schenk M (Hrsg.): Abbilder der Folter. Hemayat: 15 Jahre Arbeit mit traumatisierten Flüchtlingen. Wien. Mandelbaum 2010. 52–72

Weidenhiller S: Sea-Eye-Podcast »Ehrlich gesagt«. Episode 10 with journalist & activist Sára Činčurová, 8.3.2021 (engl.). https://open.spotify.com/episode/67WHUZmb50xC7uaYbROAKK?go=1&utm_source=embed_v3&t=0&nd=1 (letzter Zugriff: 21.6.2021)

Dies.: Sea-Eye-Podcast »Ehrlich gesagt« Episode 13 with Sára Činčurová (engl.). https://open.spotify.com/embed-podcast/episode/3aplFMfqRo2RQfT8f3YJ7p?si=PbZNwqYzRYq0wixiD7_a_g&dl_branch=1 (letzter Zugriff: 21.7.2021)

Wolfe L: The missing women of the mediterranean refugee crisis. July 24 2015. https://womensmediacenter.com/women-under-siege/missing-women-of-the-mediterranean-refugee-crisis (letzter Zugriff: 21.6.2021)

Wolff H, Epiney M, Lourenco AP, Costanza MC, Delieutraz-Marchand J, Andreoli N et al.: Undocumented migrants lack access to pregnancy care and prevention. BMC public health 2008. H 8 (93), S. 1–10. https://pdfs.semanticscholar.org/ecc/e805d9ff40b248adaf4b0644400fae629f21.pdf

Über die brutalen Angriffe von EU-Staaten auf flüchtende Menschen

Ein Kommentar von Axel Pasligh, Politikwissenschaftler und Head of Communications bei Sea-Eye e. V.

Die SEA-EYE 4 lief am 8. Mai vom spanischen Burriana zu ihrer ersten Rettungsmission aus. Am 22. Mai ging sie in Pozzallo auf Sizilien zu Ende. Es gelang der Sea-Eye Crew, über 400 Menschen, darunter 150 Kinder, in Sicherheit zu bringen.

Dass diese zivile Rettungsmission überhaupt notwendig war, liegt daran, dass die EU-Staaten seit Jahren keine staatlichen Rettungsmissionen mehr betreiben. Sie benutzen Ertrinkenlassen als Waffe, um Menschen auf der Flucht sterben zu lassen. Zusätzlich beschäftigen sie die sogenannte libysche Küstenwache, um Menschen, die aus einem Bürgerkrieg fliehen, abzufangen und in die Internierungslager zurückzubringen.

SEA-EYE 4: Gerettete

2017 bezeichnete das Auswärtige Amt die Verhältnisse in libyschen Lagern als KZ-ähnlich. Trotz vieler ähnlicher Berichte unterstützen die EU-Staaten seit langem die Zwangsrückführungen der sogenannten libyschen Küstenwache, indem sie Koordinaten von Booten mit Schutzsuchenden an Libyen übermitteln. Damit beteiligt sich auch Deutschland an den Zwangsrückführungen in KZ-ähnliche Lager, von denen uns Folter, Sklaverei, Vergewaltigung und willkürliche Hinrichtungen bekannt sind.

Gleichzeitig sehen wir, wie spanische Soldat*innen am Strand von Ceuta hemmungslos auf wehrlose Menschen einprügeln. Um die schutzsuchenden Menschen, unter ihnen unbegleitete Minderjährige, direkt danach abzuschieben, ohne ihnen eine Chance auf einen Asylantrag zu geben. Videoaufnahmen zeigen, wie Menschen unter den Schlägen der Einsatzkräfte von Felsen ins Meer stürzen.

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In dem meterhohen, mit Stacheldraht und modernster Überwachungstechnik ausgestatteten Grenzzaun, der die spanische Exklave von Marokko trennt, sehen wir die architektonische Umsetzung der EU-Politik gegen flüchtende Menschen. Wo die EU-Staaten sich nicht durch das Mittelmeer abgrenzen können, verbarrikadieren sie sich, als würden auf der anderen Seite marodierende Horden und nicht hilfesuchende Familien mit Kindern stehen.

Wenn die Nachbarländer der EU-Staaten, wie kürzlich Marokko oder letztes Jahr die Türkei, nicht mehr die Drecksarbeit für die EU erledigen und schutzsuchende Menschen an die Grenze kommen lassen, sehen wir immer wieder das gleiche Bild. Europäische Polizist*innen und Soldat*innen prügeln auf die wehrlosen Menschen ein.

Die EU-Staaten wollen keine flüchtenden Menschen auf europäischem Boden. Deshalb bauen sie Grenzzäune, prügeln auf Flüchtende ein, lassen sie ertrinken, in Internierungslager zurückführen oder bauen selbst Elendslager, in denen Kinder von Ratten angefressen werden. Die EU-Staaten erkennen Flucht und die Suche nach Sicherheit nicht mehr als Menschenrechte an. Ihr Ziel ist stattdessen: Die Vernichtung von Flucht nach Europa.


Neuste Beiträge

SEA-EYE 4: Gerettete

Alle geretteten Menschen der SEA-EYE 4 sind an Land gegangen

Am 22. Mai konnte sich die Crew von den letzten der über 400 geretteten Menschen im Hafen von Pozzallo verabschieden und die Rettungsmission erfolgreich zu Ende führen. Der Empfang war jedoch alles andere als herzlich.

SEA-EYE 4: Gerettete

SEA-EYE 4: Die erste Rettungsmission

Die erste Rettungsmission der SEA-EYE 4 ist erfolgreich zu Ende gegangen. Wir haben die Ereignisse dieser besonderen Mission in einem Video zusammengefasst und wir haben eine Bitte.

Ein Beitrag von Michael Wüstenberg

Michael Wüstenberg, emeritierter Bischof, ist Teil der Crew, die die SEA-EYE 4 ins Mittelmeer überführt. An Bord denkt er viel über die Probleme und Ursachen, die zur humanitären Krise im Mittelmeer führen, nach.

Charles aus Ghana erzählt seine Geschichte im Adventskalender 2020 von United4Rescue und der Caritas-Hildesheim. Er gehört zu einer Fischerfamilie. Internationaler Fischfang vor ihrer Küste ließ sie ohne Einkommen. Er wurde nach Europa geschickt, um Geld zu verdienen. Die einen lassen vor fremden Küsten fischen, die anderen in Hamburg arbeiten. Wer ist wirklich ein Wirtschafts-“Migrant“?

Zur Kolonialzeit wurden Rohstoffe gewonnen und in Europa weiterverarbeitet. Heute ist die Ausbeutung von Koltan für unsere Handys ein Problem. Es ist wie mit unserer Umwelt: Die an der Natur verursachten Schäden gehen ebenso wenig in die Kostenrechnung ein wie die Schäden an der Arbeitswelt von Menschen im Kongo oder in Ghana.

Michael Wüstenberg

Zum Schutz des Urwalds Amazoniens, der zur Sojaproduktion „für uns“ gerodet wird, müsste eine Sauerstoffsteuer weltweit bedacht werden. Die einheimischen Menschen bräuchten dann nicht zu fliehen, sondern könnten Hüter weltweiter Sauerstoffvorräte sein. Lebensstil kann sich zur postkolonialen Fluchtursache entwickeln.

Immer mehr wird mir bewusst, dass wir Europäer all das wie selbstverständlich „dürfen“, was anderen untersagt sein soll. Es gibt heute eine Fernsehshow: „Die Auswanderer“. Im 19. Jahrhundert zogen arme Deutsche aus dem Westen Deutschlands nach Brasilien. Ob die von den Einheimischen eingeladen waren? Spanier, Engländer, Polen, Italiener … zog es nach Amerika. Die Hopi, die Dakota und andere Völker hatten ihnen keine Visa erteilt. Die jungen USA begannen die Immigration zu regeln.

Ein wichtiges Prinzip der Ethik ist die Verallgemeinerung. Was für die einen gilt, muss auch für die anderen gelten. Das unterscheidet sie von einer Mafiamoral, die streng ist, sich aber nur am Wohl der eigenen Gruppe ausrichtet.

SEA-EYE 4

Das Asylrecht für politisch Verfolgte erscheint mir als Anfang. Was gebraucht wird, wäre ein großzügiges, europäisch-solidarisches Immigrationsrecht, das unter anderem auch wirtschaftliche Gerechtigkeit, Verfolgung aufgrund sexueller Veranlagung und klimabedingte Faktoren in Betracht zieht. Dann könnten alle in Frieden ziehen – wie die Leute aus der Eiffel.

Vergangenheit verpflichtet. Europäische Museen zeigen das. Vielerorts sind sie dabei, Kulturgut an die ursprünglichen Eigentümer in Afrika und anderswo zurückzugeben. Es geht! Das kann sich sehr wohl auch auf wirtschaftliche Gerechtigkeit anwenden lassen.

Es gibt ein Verursacherprinzip. Das muss konsequent auch auf Verursacher von Fluchtbewegungen angewendet werden. Wenn ein Krieg mit Unwahrhaftigkeiten begonnen wird wie im Irak und im ungewollten wie effektiven Zusammenspiel mit tyrannischem religiösen Totalitarismus in einer Kettenreaktion vielerorts viele zur Flucht treibt, dann müssen die Verursacher für die immensen Folgen gerade stehen.

Michael Wüstenberg

Sinnvollerweise müsste das Mandat eines internationalen Gerichtshofs erweitert werden. Fairerweise sollten die Verantwortlichen nicht einfach Ärger oder Wut erfahren, sondern der Gegenwartskultur entsprechend in einem Prozess Rede und Antwort stehen.

Der Autor: Michael Wüstenberg

Michael Wüstenberg lebt als emeritierter Bischof in Hildesheim. Von 2008 bis 2017 war er Bischof der Diözese Aliwal in Südafrika. Sein Arbeitsschwerpunkt war das Netzwerken kleiner christlicher Gemeinschaften und die Ausbildung von verantwortlichen „Ehrenamtlichen“ in Gemeinden unter dem Leitbild einer Kirche, die der Menschlichkeit dient. Armut und HIV/AIDS waren da die wesentlichen Herausforderungen. Er beschäftigt sich weiter mit den Themen Rassismus und Immigration. Ihn interessiert kirchliches Leben, in dem das Herzblut der Menschlichkeit klar erkennbar ist.

Ein Beitrag von Michael Wüstenberg

Michael Wüstenberg, emeritierter Bischof, ist Teil der Crew, die die SEA-EYE 4 ins Mittelmeer überführt. An Bord denkt er viel über die Probleme und Ursachen, die zur humanitären Krise im Mittelmeer führen, nach.

Veränderung ist ein Schlüsselwort. Es ist eines meiner Lieblingsworte. Metanoia steht in unseren Schriften. Oft wird es mit Umkehr übersetzt: kehret um! Es meint aber: Ändert Euer Denken! Viele tun das. Die positiven Reaktionen auf meine Reise mit der SEA-EYE 4 und ihre späteren Einsätze zur Rettung von Flüchtenden aus Seenot bezeugen das.

Christen sind Mentalitätsarbeiter, Klimaarbeiter. Es geht um ein gutes „Betriebsklima“ unter allen Menschen. Wie das aussehen kann, das können wir aus unseren Schriften erheben, ohne der Versuchung zu erliegen, den eigenen Vorlieben und Vorurteilen nachzugeben.

Der „rote Faden“ der „heiligen Schriften“ will aufgegriffen werden. Es gilt, umfassend die am Rande: die Armen, die Fremden, die Witwen und Waisen … in die Mitte zu stellen.

SEA-EYE 4

Vieles ist möglich, besonders wenn wir in einer Koalition der Menschlichkeit einander den Rücken stärken. Wenn dann eine Gruppe oder ein Pfarrer als Sprachrohr auftritt, wird es denen guttun, dass ihre Leute sie aktiv unterstützen, wenn ihnen Gehässigkeiten entgegenschlagen. Es geht um Menschlichkeit, über alle Parteigrenzen hinweg.

Ob Christen da, wo herablassend oder abfällig über Flüchtende gesprochen wird, einen entschieden anderen Ton einbringen können? Das ist ja nicht verhandelbar. Man kann das sogar trainieren. Auch andere gesellschaftliche Gruppen tun das.

Ich wünsche mir, dass Glaubensgespräche und religiöse Bildung, wenn sie Themen der Menschlichkeit behandeln, in die Tiefe gehen. Das kann helfen, widerstandskräftig gegen schwarz-weiß-Malerei, gegen billige Polemik zu werden. Die analytischen Fragen „Warum? Warum? Warum?“ können alle stellen, um Dingen auf den Grund zu gehen: Warum verlassen Menschen, was einige so hochhalten: ihre Heimat? Warum haben Menschen Angst vor Fremden? Warum können sie deren Not nicht sehen? Warum kommt bei manchen Angst auf, weil sie sich an eigene Flucht oder Vertreibung erinnert fühlen? Warum fühlen sich einige in ihrer eigenen Not und Bedürftigkeit übersehen und brauchen Aufmerksamkeit – manches Sozialeinkommen ist ja wirklich beschämend gering?

SEA-EYE 4

Ich kann hier keinen Kurs in sozialer Analyse anbieten, aber jede Antwort kann noch tiefer hinterfragt werden. Vielleicht entdecken wir dabei sogar, dass einiges von dem auch mit uns und unserem Lebensstil zu tun hat. Da eröffnen sich neue Denkweisen und weite Aktionsfelder.

Das kann menschenfreundliches Engagement sein. Das kann auch weitergehen: durch öffentliche Aktionen, durch Überzeugungsarbeit. Manche sind als Influencer unterwegs. Etliches wird auch von denen getan, die Zugang zu weiteren Informationen und Einflussmöglichkeiten haben, wie den kirchlichen Hilfswerken, Brot für die Welt oder Misereor, Diakonie oder Caritas.

Nicht alle mögen, was die sagen, nicht Politiker, nicht Kirchenmitglieder. Auch deren Haltungen gehören dann auf den Prüfstand der uralten und sich weiter entwickelnden Charta der Menschenfreundlichkeit, die wir in der Bibel haben: Ändert Eure Denkweise.

SEA-EYE 4

Der Autor: Michael Wüstenberg

Michael Wüstenberg lebt als emeritierter Bischof in Hildesheim. Von 2008 bis 2017 war er Bischof der Diözese Aliwal in Südafrika. Sein Arbeitsschwerpunkt war das Netzwerken kleiner christlicher Gemeinschaften und die Ausbildung von verantwortlichen „Ehrenamtlichen“ in Gemeinden unter dem Leitbild einer Kirche, die der Menschlichkeit dient. Armut und HIV/AIDS waren da die wesentlichen Herausforderungen. Er beschäftigt sich weiter mit den Themen Rassismus und Immigration. Ihn interessiert kirchliches Leben, in dem das Herzblut der Menschlichkeit klar erkennbar ist.

Ein Bericht über Raissa und ihr Baby, die vor zwei Jahren von der ALAN KURDI gerettet wurden

Raissa, eine Frau die aus Kamerun geflohen war, wurde von der Sea-Eye Crew aus einem in Seenot geratenen Schlauchboot im Mittelmeer gerettet. Sie war im letzten Drittel ihrer Schwangerschaft und als die Besatzung sie aus dem Wasser zog, war sie bewusstlos, konnte weder gehen noch sprechen. Als sie schließlich an Land gehen durfte, erholte sie sich und brachte ein gesundes Mädchen zur Welt. Lesen Sie hier ihre Geschichte und helfen Sie dabei, mehr Menschenleben zu retten.

Raissa ist vor Krieg, Gewalt, Körperverletzung und Missbrauch in ihrem Heimatland Kamerun geflohen. Aber ihre erschütternde Reise nach Europa war nicht weniger gefährlich: Als alleinstehende Frau wurde sie von Schmugglern misshandelt und gewaltsam in einem libyschen Internierungslager eingesperrt. Sie wurde über ein Jahr lang gefangen gehalten und missbraucht.

„Ich bin vor dem Chaos von Krieg und Gewalt geflohen und war so gestresst, dass ich kaum wusste, wohin ich gehen würde“, sagte Raissa.

Raissa wurde gefoltert, zusammengeschlagen, unterernährt und plötzlich fand sie heraus, dass sie schwanger war. Während eines Luftangriffs, wie sie im vom Krieg heimgesuchten Libyen häufig vorkommen, gelang es Raissa, aus dem Internierungslager zu entkommen. Ein Mann aus der Gegend, der sah, dass sie schwanger war, hatte Mitleid mit ihr und half ihr, sich auf ein Schlauchboot Richtung Europa zu begeben.

Aber Raissas nicht seetüchtiges Schlauchboot begann 24 Stunden nachdem sie mit dutzenden anderen Menschen darauf zusammengepfercht wurde, in Seenot zu geraten. Wenn die ALAN KURDI nicht zu ihrer Rettung gekommen wäre, wären möglicherweise alle Passagiere gestorben.

„Ich war so krank, verwirrt und verletzt, dass ich nicht wusste, was mit mir geschah, und ich verlor das Bewusstsein, als die ALAN KURDI mich rettete“, sagte Raissa.

ALAN KURDI

Als sie sich erholte, hatte Raissa nur eine Hoffnung: ein anständiges Leben für ihr ungeborenes Kind aufzubauen und einen Ort zu finden, der frei von Gewalt und Missbrauch ist.

Vera, eine ehrenamtliche Krankenschwester an Bord der ALAN KURDI, erinnerte sich daran, dass Raissa, als sie gerettet wurde, im achten Monat schwanger war, das Bewusstsein verlor und stark zitterte.

„Später, als sie sich besser fühlte, umarmte sie mich und nannte mich immer wieder ‚Mama Vera‘. Das hat mich unglaublich berührt und es war mir eine große Ehre“, sagte Vera.

Sophie, ein weiteres ehrenamtliches Crewmitglied an Bord des Schiffes, erinnerte sich daran, dass Raissa immer geholfen hatte, auf die anderen Kinder an Bord aufzupassen.

„Ich wusste, dass sie eine großartige Mutter sein würde“, sagte Sophie.

Trotz aller Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert war, wurde Raissas Baby, ein wunderschönes kleines Mädchen, kurz nach ihrer Ausschiffung gesund und voller Leben in Europa geboren. Dank der Arbeit von Sea-Eye überlebten Raissa und ihr kleines Baby.

Sophie erinnerte sich: „Als ich zum ersten Mal ein Bild von Raissas Baby erhielt, war mein Herz voller Freude: Dieses perfekte kleine Mädchen lebt und es geht ihr gut! Das ist alles, was ich mir zuvor gewünscht und erhofft hatte. Sie leben dank Menschen, die sich immer noch kümmern, denen andere Menschen nicht egal sind. Dank jener Menschen, die die zivile Seenotrettung unterstützen. Leute wie Sie, die diese Geschichte gerade lesen.“

Raissa mit ihrer Tochter

Heute leben Raissa und ihre Tochter in einem Flüchtlingslager in Portugal, und obwohl sie immer noch mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert sind, sind sie vorerst am Leben, gesund und in Sicherheit.

„Gott hat die Sea-Eye-Crew auf meinen Weg geschickt und bis heute sind diejenigen, die mich gerettet haben, meine einzige Familie in Europa – sie sind die einzigen, die mir auf diesem Weg etwas Freundlichkeit gezeigt haben“, sagt Raissa heute. „Ich wünsche mir nur, dass sie immer ihre Liebe zu refugees und die Freundlichkeit, die sie in ihren Herzen haben, behalten.“

Unterstützen Sie Sea-Eye und die Schiffe ALAN KURDI und SEA-EYE 4 bei der Durchführung lebensrettender Missionen und zeigen Sie Ihre Nächstenliebe, Ihre Empathie, Ihre Rücksichtnahme und Ihren Respekt für das Leben von Menschen auf der Flucht.

Helfen Sie, Frauen und Kinder wie Raissa und ihr Baby zu schützen. Lassen wir Menschen nicht ertrinken.

Friedliche Feiertage an all unsere Unterstützer*innen!
Vielen Dank.

Bericht von: Sara Cincurova, freie Journalistin mit Schwerpunkt Menschenrechte.

* Zu Raissas Sicherheit wurden ihr Name und sensible Details ihrer Geschichte redigiert.

Ein Beitrag von Stefano Lotumolo zur Ankunft der ALAN KURDI in Olbia

Übersetzung aus dem Englischen

Am Donnerstagabend (24.09.2020) hatte uns die Nachricht von der Ankunft der ALAN KURDI über Facebook erreicht. Unter dem Post zu dieser Nachricht lesen wir viele rassistische Kommentare.

Ich schaue meine Freundin an und sage: „Okay, das dürfen wir nicht verpassen.

Wir wachen um 5:30 Uhr auf, die Ankunft der ALAN KURDI ist für 6:00 Uhr geplant. Das Wetter ist schlecht, weshalb die ALAN KURDI ihren Kurs nach Marseille nicht fortsetzt und in Olbia anlegen darf.

Gegen 9:00 Uhr trifft ein jämmerlicher Haufen von Lega-Anhängern und Neofaschisten ein.

Die ALAN KURDI dockt um 10:00 Uhr an.

Nehmt sie mit zu euch nach Hause“, schreien sie uns an, mit ihrer arroganten und intoleranten Haltung.

Sie machen ihre Show für die üblichen Fotos. Angeben ist das Einzige, was für sie zählt.

Sie wollen die italienischen Grenzen vor 125 schutzsuchenden Menschen verteidigen, die vor Krieg fliehen, rausgefischt von den Engeln der ALAN KURDI in drei verschiedenen Rettungseinsätzen im Mittelmeer.

Ankunft der ALAN KURDI in Olbia

Fast die Hälfte der Migrant*innen sind minderjährig.

Der Jüngste ist fünf Monate alt.

Wir grüßen die verängstigten Männer und Frauen und versuchen zu verstehen, was passieren wird.

Der Aufbau der Zelte beginnt gegen 12:00 Uhr.

Warum konnte es nicht früher gemacht werden? Wir waren schon ab 6:00 Uhr morgens dort.

Der Wind weht stark, manchmal geht er in einen Sturm über und die Menschen sind gezwungen, auf dem Schiff zu bleiben.

Gegen 18 Uhr beginnen sie mit dem Aussteigen, auf dem Boden sitzen Frauen mit ihren Kindern.

Es ist kalt.

Die meisten von ihnen sind barfuß.

Sie schauen uns an, wir schauen sie an. Ich fühle mich schuldig. Furchtbar schuldig.

Geflüchtete und Polizei in Olbia

Ich wünschte, ich wäre auf diesem Schiff; ich möchte ihnen sagen, dass alles in Ordnung sein wird und dass in kurzer Zeit endlich alles vorbei sein wird.

Aber leider ist das nicht der Fall.

Für die Nacht wird ein Empfangszentrum außerhalb des Industriehafens eingerichtet, dort würden sie bleiben.

Willkommensgruß in Olbia

Wir fahren am Samstag zurück, um Neuigkeiten zu erfahren, und es gelingt uns, Josh, den ersten Offizier der ALAN KURDI, zu interviewen, der uns mit „offenen Armen“ hinter der Reling empfängt.

„NIEMAND SETZT SEINE KINDER IN EIN BOOT, WENN DAS WASSER NICHT SICHERER IST ALS DAS LAND.“

Aus dem Gedicht Home von Warsan Shire, einer jungen kenianischen Schriftstellerin und Dichterin.

Heute interessiert sich niemand mehr für die Nachrichten.

Ankunft in Olbia

Aber wie sehr kümmern wir uns wirklich um diese Menschen?

Oder kommen sie nur an einem Tag in die Nachrichten und sind am nächsten Tag verschwunden?

„Aber wie sehr kümmern wir uns wirklich um diese Menschen?“

Viele von ihnen sind unbegleitete Minderjährige, Kinder, die ohne ihre Eltern in einem unbekannten Land ankommen, nachdem sie, niemandem weiß welche, Tragödien erlebt haben.

„Liebe Hasser*innen, seht, auf wen ihr euren Hass geschüttet habt.“

Liebe Hasser*innen, seht, auf wen ihr euren Hass geschüttet habt.

Auf die verletzlichsten Menschen dieser ungerechten Welt.

Am Sonntagabend gelingt es uns, der gesamten Besatzung Pizzas zu bringen.

Eine große Ehre für uns.

Die Ankunft kurz vor meiner nächsten Erfahrung dokumentieren zu können, war ein großartiges Zeichen. Ich bin im Begriff, einen stillen Spaziergang zu beginnen, der mich von Assisi nach Riace führen wird, wo ich Domenico Lucano treffen werde.

Domenico, der ehemalige Bürgermeister von Riace, hat ein Integrationsmodell für Migrant*innen geschaffen, das weltweit Anerkennung gefunden hat.

Es liegt nun an Europa, Lösungen zu finden, auch für die Hotspots in Griechenland. Wir brauchen präzise Regeln.

Wir sind alle gleich, es gibt keine Menschen erster oder zweiter Klasse.

Liebe erzeugt Liebe.
Liebe erzeugt positive Gefühle.
Liebe erzeugt Leben.

Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Leben.

Mit Liebe.
Stefano.

Der Autor: Stefano Lotumolo

Mit einem Diplom in Buchhaltung arbeitete er bis zum Alter von 28 Jahren als Blumenzüchter im Familienbetrieb. Im Jahr 2015 verließ er seinen sicheren Hafen, um auf Reisen zu gehen und sich selbst und die Welt kennenzulernen.

Im Juni 2017 trat er seine erste fotografische Reise an, eine dreimonatige Rucksacktour in Afrika. Von dort aus änderte sich sein Leben völlig. Durch die Fotografie möchte er, dass die Menschen die Menschen so sehen, wie er sie durch seine Augen sieht, und er nimmt sie mit seinem Herzen wahr.

Er möchte dieselbe Liebe und denselben Respekt vermitteln, den er für das Leben empfindet.

Durch die Fotografie möchte Stefano eine Stimme für die Stimmlosen sein, Geschichten aus dem wirklichen Leben und den verschiedenen Unbeständigkeiten der Menschen erzählen, mit denen er seine Lebenserfahrungen teilt.

Fotos in diesem Beitrag: © Stefano Lotumolo