Heute wird weltweit erinnert und gemahnt: Für Solidarität mit flüchtenden Menschen, für bessere Versorgung und die Reduzierung von Fluchtursachen.

Was aber fehlt, sind Taten, um zumindest das Leid und den Tod an Europas Außengrenzen zu verhindern. Was an den Außengrenzen stattfindet, hat mit Solidarität wenig zu tun. Viel mehr lassen die europäischen Staaten Flüchtende am unsichtbaren Stacheldraht scheitern.

Zivile Rettungsschiffe werden festgehalten, wie unsere ALAN KURDI und die AITA MARI der spanischen Organisation SMH. Die neue Marine-Mission im Mittelmeer „Irini“ der EU-Staaten soll auf keinen Fall Leben retten und bildet stattdessen die sogenannte libysche Küstenwache aus. Frontex-Flugzeuge koordinieren völkerrechtswidrige Push-backs. Währenddessen harren zehntausende Menschen in den unwürdigen Lagern auf den griechischen Inseln aus.

Die zivile Seenotrettung zeigt seit fünf Jahren, dass niemand an Europas Außengrenzen ertrinken müsste, wenn ausreichend Seenotrettung betrieben würde. Genauso wenig müssten Menschen seit Jahren in völlig unwürdigen Lagern leiden oder auf seeuntüchtige Boote steigen, die den Namen „Boot“ eigentlich nicht verdienen.

Wir beweisen seit fünf Jahren: Unsere Version von Europa steht für Solidarität und Menschenrechte. Wir erwarten, dass die EU-Staaten endlich Menschen schützen statt Grenzen.

Unsere Forderungen zum Weltflüchtlingstag:

  • Ein Ende der Kriminalisierung von ziviler Seenotrettung
    Anstatt gegen die humanitären Organisationen zu arbeiten, brauchen wir den ausdrücklichen Schutz, um weiter Menschenrechte überwachen und durchsetzen zu können.
  • Sofortige Verteilung und sichere Häfen für Rettungsschiffe
    Nach dem im Frühjahr das Malta-Abkommen ausgesetzt wurde, gibt es keinen Mechanismus mehr, der eine sofortige Verteilung von aus Seenot geretteten Menschen regelt. Um das teilweise wochenlange Abwarten vor europäischen Häfen zu beenden, brauchen wir einen planbaren und verlässlichen Mechanismus für die Verteilung der Geretteten.
  • Beendet die Unterstützung für die sogenannte libysche Küstenwache
    Die EU-Staaten finanzieren und unterstützen die sogenannte libysche Küstenwache, damit diese Menschen auf dem Mittelmeer abfängt und zurück in das Bürgerkriegsland Libyen bringt. Diese menschenverachtende Praxis muss beendet werden. Libyen ist kein sicherer Ort!
  • Schickt staatlich organisierte Seenotrettung!
    Die humanitären Organisationen sind nur Lückenfüller. Es ist Aufgabe der europäischen Mitgliedsstaaten, Seenotrettung zu betreiben. Wenn wir das können, können es die Länder der Europäischen Union erst recht. Dafür müssen die EU-Staaten sofort Schiffe ins zentrale Mittelmeer entsenden.
  • Schafft sichere Fluchtrouten
    Niemand soll erst auf ein völlig untaugliches Boot steigen müssen, um Schutz zu finden. Wir brauchen legale und sichere Fluchtwege für flüchtende Menschen. Humanitäre Visa wären ein sinnvoller Anfang, um die gefährliche Flucht über Land und See zu verhindern.
  • Evakuiert die Lager auf den griechischen Inseln
    Die europäischen Staaten müssen endlich gemeinsam solidarisch handeln und flüchtende Menschen aufnehmen, besonders während einer globalen Pandemie. 130 aufnahmebereite Kommunen und Städte haben sich als sichere Häfen bereit erklärt, Menschen auf der Flucht Schutz zu bieten.

Flucht hat viele Gesichter – Zwei Schicksale

Anlässlich des Weltflüchtlingstags 2020 zeigen wir zwei Fluchtschicksale. Denn egal worüber politisch diskutiert wird, am Ende geht es um Menschen und ihre Rechte.

Hamed

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Petition zur Freilassung der Rettungsschiffe

Die ALAN KURDI und die AITA MARI sind immer noch im Hafen von Palermo festgesetzt. Unterschreiben Sie die Petition und fordern Sie mit uns die Freilassung der Rettungsschiffe.

Seit über zwei Wochen blockiert das italienische Verkehrsministerium unser Rettungsschiff ALAN KURDI im Hafen von Palermo. Im selben Hafen wurde das Rettungsschiff AITA MARI der spanischen Organisation Salvamento Marítimo Humanitario (SMH) festgesetzt. Gleichzeitig sterben auf dem Mittelmeer immer noch Menschen, die verzweifelt nach Schutz suchen.

Die italienische Küstenwache begründete die Festsetzung mit Sicherheitsbedenken. Dieser Einschätzung widersprach unser deutscher Flaggenstaat entschieden und stellte fest, dass keine gravierenden Sicherheitsmängel vorliegen.

Italien geht restriktiv gegen zivile Rettungsschiffe vor und verhindert dadurch unsere humanitäre Arbeit. Unsere Mission im Juni wird durch dieses Vorgehen akut bedroht und damit Menschenleben gefährdet.

„An jedem Tag, an dem Rettungsschiffe an ihrer Arbeit gehindert werden, besteht die Gefahr, dass Menschenleben auf See verloren gehen“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye.

Unterstützen Sie unsere Petition und setzen Sie ein Zeichen für Menschlichkeit.

#freeAlanKurdi

Interview mit Stefan, Einsatzleiter auf der ALAN KURDI

Sie sind Einsatzleiter auf der ALAN KURDI. Können Sie den Job kurz beschreiben?

Im Prinzip bin ich für alles verantwortlich, was mit dem Rettungseinsatz zusammenhängt, direkt und indirekt. Das fängt bei der Organisation der Trainings im Hafen an und geht weiter bis zur gesamten Tagesstruktur. Dienstpläne werden erstellt, der Kontakt zu Behörden, zu unserem Flaggenstaat (Anm.: Deutschland) und natürlich der Kontakt mit unserer Einsatzleitung an Land. Für die Crew gibt es tägliche Besprechungen, die durch den Einsatzleiter abgehalten werden. Es ist eine Management-Aufgabe. Für die Schiffsführung ist die 1. Offizierin und die Kapitänin zuständig. In der Praxis gibt es viele Überschneidungen, das erfordert gute Zusammenarbeit.

Sie sind aber nicht Teil der Profi-Crew, sondern ehrenamtlicher Freiwilliger?

Ja, ich bin ehrenamtlicher Freiwilliger, wie viele andere der Crew auch.

Das bedeutet?

Das bedeutet, dass ich diesen Einsatz in meiner Freizeit und ohne Bezahlung mache.

Wenn ich das richtig verstanden habe, dann hängt der Erfolg der Mission zu großen Teilen von Ihnen ab?

Ich würde sagen, dass es von jedem einzelnen Crewmitglied abhängt.

Wie funktioniert ihr miteinander?

Es war natürlich eine außergewöhnliche Mission, auf der die Crew auch Außergewöhnliches geleistet hat. Durch die Corona-Pandemie mussten wir schon vor dem Auslaufen fast drei Wochen gemeinsam im Hafen verbringen. Da lernt man sich natürlich gut kennen. Das hat zu einer riesengroßen Solidarität und Rücksichtnahme untereinander geführt. Beispielsweise wurden freiwillig Nachtschichten übernommen, wenn jemand übermüdet war. Es war insgesamt ein gelungenes Miteinander ohne größere Konflikte. Und das ist garantiert worden durch das gegenseitige Vertrauen, was wir aufgebaut haben.

ALAN KURDI auf dem Mittelmeer

Wenn wir rückblickend die Quarantäne betrachten, liegen da nicht trotzdem die Nerven blank?

Es waren einige sehr erfahrene Crewmitglieder dabei, die schon auf mehreren Missionen waren. Die bringen natürlich eine gewisse Stabilität mit. Das hat sich mit den neuen Mitgliedern gut ergänzt. Dadurch war es tolles Teamwork, in dem jede und jeder Einzelne unheimlich wichtig war.

Was wäre gewesen wenn… doch mal jemand von der Crew die Nerven verliert?

So jemand wird erstmal aus den Schichten genommen, es wird Rücksicht genommen, Gespräche geführt, der oder die wird geschont und wenn es wirklich so gravierend ist, dass es keinen Ausweg mehr gibt, dann muss dafür gesorgt werden, dass die Person vom Schiff gebracht wird. Aber davon waren wir zum Glück ganz weit entfernt. Es hat bei uns überhaupt keine Ausfälle gegeben.

Sie sorgen an Bord für einen funktionierenden Ablauf. Wer unterstützt sie von Land?

Die Einsatzleitung an Land von Sea-Eye, die einwandfrei funktioniert hat. Es war eine tolle Zusammenarbeit, die mich wirklich begeistert hat. Ein gutes Gefühl, zu wissen, dass ein ganzer Stab den ganzen Tag damit beschäftigt ist, dass wir gut klarkommen. Beispielsweise gibt es ein Team von Jurist*innen, die einen in rechtlichen Fragen unterstützen. Wenn ich da Fachleute nach einer Einschätzung fragen kann, gibt das einem natürlich Sicherheit.

Die Gäste an Bord sind ja alle in einer psychologischen Ausnahmesituation. Wie vermeiden Sie da Panik?

Es gibt drei wichtige Punkte, auf denen wir aufbauen: Struktur, Information und Vertrauen. Und wir haben es geschafft, dass uns die Leute vertrauen. Sie hatten verstanden, dass wir es gut mit ihnen meinen. Zur Struktur gehören feste Essenszeiten. Es ist wichtig, dass die hygienischen Zustände erträglich sind. Zu einer funktionierenden Information gehört, dass die Gäste immer ausreichend über alle Schritte auf dem Laufenden gehalten werden. Wie ist der aktuelle Stand? Was ist als nächstes geplant? Wie geht es weiter? Wir hatten diesmal auf der Mission eine Psychologin dabei, die ganz tolle Arbeit geleistet hat. Sie hat als Teil des medizinischen Teams individuelle Gespräche geführt. Das war sehr wertvoll, da alle Schutzsuchenden in einer retraumatisierenden Ausnahmesituation waren.

ALAN KURDI mit Geretteten an Bord

150 Menschen machen nichts, außer warten. Wie beschäftigt man die? Wie werden die bei Laune gehalten?

Das ist wirklich eine Herkulesaufgabe. Nochmal: Wir reden von 150 Menschen auf einem kleinen Schiff: 38 Meter und 12 Tage. Aber zwei Dinge haben dazu geführt, dass wir das gut geschafft haben. Das war einerseits der Zusammenhalt der Crew und – was man nicht vergessen darf – die Geduld der Schutzsuchenden. Wir sind durch die Regierungen von Italien, Malta und Deutschland 12 Tage lang blockiert worden, eine unmögliche Situation, die absolut vermeidbar gewesen wäre.

Was wäre Ihr Wunsch für die Seenotrettung?

Die EU sowie deren Mitgliedsstaaten sollen aufhören die libysche Küstenwache zu unterstützen. Die libysche Küstenwache kassiert Geld, dabei gibt es eindeutige Hinweise, dass sie selbst ins Schleppergeschäft involviert ist. Unser erster Rettungseinsatz wurde von einem Schnellboot mit libyscher Flagge und vier Mann Besatzung gestört. Sie sind mit hoher Geschwindigkeit auf uns zugefahren, haben in die Luft geschossen und gezielt eine Massenpanik ausgelöst. Viele der Geflüchteten sind ohne Rettungswesten ins Wasser gesprungen. Eine lebensbedrohliche Situation.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelte es sich hier um die libysche Küstenwache oder Personen, die mit ihr in Verbindung stehen. Anschließend haben sie das Holzboot der Geflüchteten beschlagnahmt und ich halte es für naheliegend, dass dies in Libyen wieder verkauft wird.
Die libysche Küstenwache sollte weder finanziell noch durch Trainings oder Material unterstützt werden. Das ist mehr als nur Wegschauen. Europa macht sich schuldig!

Gibt es für sie eine Rückkehr auf die ALAN KURDI?

Ja, klar. Ich hoffe nur, dass es bald wieder verlässliche Reisemöglichkeiten gibt.

Nach der Corona-Odyssee, was erwartet sie daheim?

Zwei Wochen Quarantäne. Aber darauf habe ich mich schon eingestellt. Danach werden Familie und Freund*innen besucht.

(Martin Geiger)

Aktuell kein Rettungsschiff trotz zahlreicher Notrufe im Mittelmeer

  • Rettungsschiff ALAN KURDI in Palermo festgesetzt
  • Groteske Argumentation italienischer Behörden
  • Deutsche Behörden sehen keinen Grund für die Blockade

Am Dienstagabend wurde unser Rettungsschiff ALAN KURDI im Hafen von Palermo festgesetzt. Als Begründung gaben italienische Behörden an, das Schiff weise Mängel auf, die die Sicherheit beeinträchtigen würden. Jedoch wurde das Schiff vor dem letzten Einsatz einer fünfwöchigen Werftzeit unterzogen, die im März endete. Hierbei wurde das Schiff in vielen Bereichen grundlegend überholt.

Groteske Argumentation italienischer Behörden

„Dass unser Schiff festgesetzt wurde, ist reine Schikane, um die zivile Seenotrettung stückweise zum Erliegen zu bringen. Die ALAN KURDI kommt gerade aus der Werft und ist grundlegend überholt. Das einzige Ziel dieser Blockade ist, uns aktiv an der Seenotrettung zu hindern. Statt Menschenrechte zu schützen, werden diejenigen, die es tun, an allen Stellen aufgehalten“, sagt Sprecher Julian Pahlke.

Wir haben uns bereits mit den deutschen Behörden in Kontakt gesetzt, um darauf hinzuwirken, die Blockade zu beenden.

Ähnlich wie der ALAN KURDI vor wenigen Wochen ergeht es gerade dem Handelsschiff MV MARINA eines Hamburger Reeders in diesen Stunden vor Lampedusa. An Bord sind 78 gerettete Menschen. Der Reeder weist auf die Notlage der geretteten Menschen hin und erhält bisher keine Unterstützung.

„Der politisch motivierte Missbrauch dienstlicher Machtbefugnisse durch die italienische Küstenwache verhindert unseren geplanten Einsatz im Mai. Das ist unverantwortlich“, sagt Isler.

Deutsche Behörden sehen keinen Grund für die Blockade

Sea-Eye steht im Austausch mit den deutschen Behörden. Dort ist man ebenfalls um eine schnelle Klärung der Situation bemüht. Am Mittwoch bestätigten die deutschen Behörden gegenüber Sea-Eye, dass es keinen Grund gibt, die ALAN KURDI behördlich festzusetzen.

Die ALAN KURDI hatte am 6. April 150 Menschen aus Seenot gerettet und musste anschließend 12 Tage auf eine politische Lösung warten, ehe die verbliebenen 146 Menschen in Sicherheit gebracht wurden. Vier Personen mussten schon vorher aus medizinischen Gründen evakuiert werden. Am Montag lief das Schiff schließlich nach weiteren 16 Tagen in Quarantäne in den Hafen von Palermo ein, wo es heute festgesetzt wurde.

Quarantäneschiff RAFFAELE RUBATTINO legt ebenfalls am Montagmorgen an

  • Odyssee der ALAN KURDI endet nach 36 Tagen auf See
  • Crew wird auf Covid-19 getestet
  • bisher aufwendigste Mission der Regensburger Seenotretter*innen
  • Quarantäneschiff RAFFAELE RUBATTINO legt in Palermo an
  • Verteilung der geretteten Menschen weiter unklar

Die Odyssee der ALAN KURDI endete am Montagmorgen im Hafen von Palermo. Für die Crew wurde zuvor eine 14-tägige Quarantäne angeordnet, die in der Bucht von Palermo absolviert werden musste. Insgesamt verbrachten die 17 Crewmitglieder nun 36 Tage auf See.

Crew wird auf Covid-19 getestet

Bei der Ankunft im Hafen von Palermo wurde die Crew einem Covid-19-Test unterzogen. Die Mannschaft darf das Schiff weiterhin nicht verlassen, bis die Testergebnisse vorliegen. Anschließend wird die Crew das Schiff komplett reinigen. Ein italienisches Unternehmen wird die ALAN KURDI anschließend auf behördliche Anweisung desinfizieren. Das Sea-Eye-Crewmanagement wird die Crewmitglieder dann bei der Heimkehr in die jeweiligen Heimatländer Deutschland, Frankreich, Spanien und Österreich individuell unterstützen.

Crew der ALAN KURDI in Palermo

Bisher aufwendigste Mission der Regensburger Seenotretter*innen

Insgesamt dauerte der Einsatz 8 Wochen. Es handelt sich um den aufwendigsten Einsatz, den die Regensburger Seenotretter*innen bisher durchführten.

„Noch nie hatte die ALAN KURDI so lange, so viele Menschen an Bord. Keine Crew musste mehr Menschen versorgen und nie mussten wir so viele Ressourcen für eine Mission einsetzen. Das sind traurige Rekorde“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

Unterstützung erhielt Sea-Eye vom Bündnis United 4 Rescue (gegründet durch die Evangelische Kirche in Deutschland), die für die hohen Blockadekosten aufgekommen sind. Auch der von Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf initiierte Stiftungsfonds Zivile Seenotrettung wird Sea-Eye dabei helfen, den nächsten Einsatz der ALAN KURDI sicherzustellen.

„Die Solidarität mit unserer Crew und den geretteten Menschen war unglaublich. Dafür sind wir dankbar. Nur so können zivile Akteure die anspruchsvolle Aufgabe Seenotrettung bewältigen“, fügt Isler hinzu.

Quarantäneschiff RAFFAELE RUBATTINO legt in Palermo an

Anlegen durften am Montagmorgen auch das spanische Rettungsschiff AITA MARI und die italienisches Fähre RAFFAELE RUBATTINO, auf der die geretteten Menschen beider Schiffe vom Italienischen Roten Kreuz versorgt worden sind.

Quarantäneschiff: RAFFAELE RUBATTINO in Palermo

Verteilung der geretteten Menschen weiter unklar

Wie es für die geretteten Menschen der ALAN KURDI weitergeht ist noch immer nicht geklärt. Der Bundesinnenminister teilte am Sonntag mit, dass sich bisher nur Deutschland zur Aufnahme bereit erklärt habe.

„Schwer vorstellbar, dass europäische Innenminister über 150 Einzelschicksale diskutieren und verhandeln müssen. Erst forderte uns das BMI auf die Rettungen einzustellen, jetzt muss für 150 Menschen erst wieder auf europäischer Ebene verhandelt werden. In Deutschland gibt es 150 aufnahmebereite Städte, die ihre Hilfe anbieten. Die einfache Frage der Verteilung von Geretteten wird erneut unnötig politisch hochgeschaukelt“, sagt Julian Pahlke, Sprecher von Sea-Eye e. V.

Interview mit Stephen, Menschenrechtsbeobachter auf der ALAN KURDI

Menschenrechtsbeobachter auf der ALAN KURDI. Wie muss man sich diesen Job vorstellen?

Der Menschenrechtsbeobachter hat im Prinzip mehrere Aufgaben. Die erste Tätigkeit ist der ganz normale Schichtbetrieb: Wachen übernehmen, Essen kochen, putzen, all die Aufgaben an Bord, die alle Crewmitglieder machen.

Während einer Rettung dokumentiert der Menschenrechtsbeobachter den Einsatz. Mit einem Minutenprotokoll wird jede Einzelheit festgehalten: Wann wurde welche E-Mail an welche Behörde verschickt, wer hat was über Funk mitgeteilt? Das dient der Dokumentation der Geschehnisse, falls es aus irgendwelchen Gründen zu juristischen Auseinandersetzungen kommen sollte. Es muss genau festgehalten werden, wo die Rettung stattfand und wie viele Personen gerettet wurden.

Dafür machen wir Fotos und Audioaufnahmen und ergänzen diese mit unseren Notizen. Dabei lege ich – wie der Name des Menschenrechtsbeobachters schon sagt – besonderes Augenmerk auf die Menschenrechtslage. Gerade wenn libysche Boote am Ort der Rettung auftauchen, kann das entscheidend sein. Wie verhalten sich die verschiedenen Akteur*innen, halten sich alle an geltendes Recht? Das kann auch die eigene Crew betreffen.

Die dritte Aufgabe besteht darin, Informationen über die Menschenrechtslage auf der Fluchtroute und in den Herkunftsländern zu sammeln. Dazu führe ich Interviews und frage die Menschen, was ihnen zugestoßen ist und nach ihren Gründen für die Flucht. Manchmal macht mich auch das medizinische Team auf eindeutige Folterspuren aufmerksam. Wenn die Person das Bedürfnis äußert, die Erlebnisse zu dokumentieren und ein Gespräch zu führen, biete ich ihr ein Interview an und versuche zu erfahren, was passiert ist.

Diese Menschenrechtsverletzungen müssen dokumentiert und schließlich öffentlich gemacht werden.

Milizen stören Rettungseinsatz

Wie gehen Sie mit dem Erlebten persönlich um?

Solange ich an Bord der ALAN KURDI bin, findet bei mir noch kein richtiger Verarbeitungsprozess statt, da bin ich noch nicht angekommen. Für die Zeit nach der Mission habe ich meine eigenen Techniken, die ich in ähnlichen Positionen, beispielsweise in Ghana, entwickelt habe. Dazu gehören Musik, Sport und Meditation, um diese Dinge aufzuarbeiten.

Andere Organisationen wie Repubblika dokumentieren zum Teil grausamste Folter an den Geflüchteten. Was erzählen Ihnen die Gäste?

Die Geschichten, die ich erzählt bekomme, beginnen fast immer in dem Moment, in dem die Menschen ihr Land verlassen. Sie erzählen von unrechtmäßigen Verhaftungen, von Korruption, von Menschenhandel. Doch der Fokus ihrer Erzählung über ihre Flucht liegt meist auf Libyen und den Detention Camps dort. Auf dieser Mission habe ich viel über Zwangsarbeit, Folter und über Menschenhandel gehört. Viele wurden bedroht, um von ihnen und ihren Familien Geld zu erpressen. Das erzählen fast alle. Dazu kommen Erzählungen über Menschenrechtsverletzungen, deren Zeuge sie wurden, wie Menschen willkürlich erschossen oder in der Wüste zurückgelassen wurden. Einige berichten über sexuelle Gewalt – im Prinzip die ganze Bandbreite an gewaltsamen Menschenrechtsverletzungen, die man sich ausmalen kann. All das haben die Menschen in diesen Interviews erzählt. Durch die angespannte Lage an Bord hatte ich wenig Zeit für diese Interviews. Aber das was ich gehört habe, war mehr als genug.

Wenn man von all diesen Grausamkeiten hört und sie dokumentieren muss, wie dünnhäutig wird man bei dem Argument, dass die Menschen wieder zurück nach Libyen geschickt werden sollen?

Das ist tatsächlich eine Argumentation, die mich wirklich wild macht. Die meisten geflüchteten Menschen kommen nicht ursprünglich aus Libyen, sondern sind über Libyen geflüchtet. Einige sind zum Arbeiten nach Libyen migriert. Mit der Verschärfung der Kriegszustände in Libyen ist der Rückweg in ihre Heimatländer abgeschnitten. Sie haben teilweise viel Geld für diese Flucht aufbringen müssen und haben dann Grauenhaftes erlebt.

Viele sind mit der Gewissheit in ein seeuntüchtiges Boot gestiegen, dass diese Reise in den Tod führen kann. Und sie waren trotzdem gezwungen es zu tun, weil die Lage vor Ort unerträglich ist.

Die jetzt von Malta durchgeführten Push-Backs machen mich sprachlos. Es gibt für mich kein Argument, das für eine Rückführung dieser Menschen nach Libyen spricht. Die Menschen flüchten vor Gewalt, Ausbeutung und Folter. Manche sagen sie würden lieber sterben als nach Libyen zurückzukehren. Ja, es stimmt, da werde ich dann schon sehr dünnhäutig.

Was glauben Sie, erwartet die geflüchteten Menschen in Libyen?

Das ist in Zeiten von Corona tatsächlich schwer zu sagen. Denn auch libysche Häfen sind gesperrt und flüchtende Menschen wurden auf Veranlassung Maltas durch Dritte und nicht von der eigenen Küstenwache oder libyschen Milizen zurückgebracht. Aber ich konnte aus den Interviews rekonstruieren, dass die Menschen nach der Rückführung erneut in Gefangenschaft geraten und zurück in die Detention Camps gebracht werden, aus denen sie nur entkommen können, wenn sie sehr hohe Geldbeträge aufbringen. Oder eben dort eine sehr lange Zeit ausharren.

Unser Menschenrechtsbeobachter Stephen

Seenotrettung in Corona-Zeiten. Was wäre Ihre Lösung?

Corona ist kein Argument, die Seenotrettung einzustellen. Wir retten einen Menschen ja auch aus einem Badesee vor dem Ertrinken und fragen nicht vorher, ob er vielleicht an Covid-19 erkrankt ist. Es wird uns im Augenblick unendlich schwer gemacht, Menschenleben zu retten. Daran wird sich vermutlich auch so schnell nichts ändern. Wahrscheinlich ist, dass die Menschen wie jetzt bei unserer Mission vorübergehend auf Fähren untergebracht werden und nach einer Quarantäne auf verschiedene Länder verteilt werden. Die Crews der Rettungsschiffe müssen nach einer Mission auch erstmal geschlossen in eine 14-tägige Quarantäne. Die Seenotrettung wird verlangsamt, sie wird erschwert, aber noch nicht unmöglich gemacht. Dabei ist es unnötig, dass wir nochmal 14 Tage festgesetzt wurden. Wir waren bereits 12 Tage mit den geflüchteten Menschen isoliert auf See. Alle Corona-Tests unserer Gäste wurden auf dem Quarantäneschiff bereits als negativ ausgewertet. Zudem waren wir vorab bereits 11 Tage mit den Geflüchteten isoliert auf See.

14 Tage Quarantäne, 14 Tage Untätigkeit. Was mache Sie als erstes, wenn diese Zeit vorbei ist?

Das ist eine gute Frage. Erstmal muss ich wieder einen Rückweg nach Deutschland finden, was in diesen Zeiten gar nicht so einfach sein wird.

Gibt es für Sie eine Rückkehr auf die ALAN KURDI?

Auf jeden Fall. Für mich war es ja die erste Mission und so richtig wusste ich nicht, worauf ich mich einlasse. Natürlich gab es Momente der Anspannung, aber eine ganz tolle Crew hat alles wieder wett gemacht.

(Interview: Martin Geiger)

Interview mit Bärbel, Kapitänin auf der ALAN KURDI

Immer, wenn ich an euch denke, fällt mir das alte Kinderlied ein: „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“. Gibts Parallelen?

Ich bin da eher bei Berthold Brecht „(…) ein Schiff mit acht Segeln und fünfzig Kanonen wird liegen am Kai (…)“. Aber im Ernst: Mich nervt das momentan und ich persönlich halte die Maßnahme für unnötig, weil ich ziemlich sicher bin, dass wir eben nicht die Pest bzw. Corona an Bord haben.

Aber die Nerven liegen trotzdem blank?

Ja, wir wissen einfach nicht, wie es weitergeht. Anweisungen ändern sich teilweise im Tagesrhythmus.

Kann man da als Kapitänin, die ja schließlich die Verantwortung trägt, überhaupt noch ruhig schlafen?

Na, ja. Jetzt wieder. Als die Gäste an Bord waren, war es schon sehr, sehr heftig. Aber in dem Moment, wo die Situation gelöst war und wir sie dem italienischen Roten Kreuz übergeben konnten, fiel die Anspannung. Jetzt ist ja nur noch die Crew an Bord und die funktioniert toll.

Schmerzt es sehr, jetzt zur Untätigkeit verdammt zu sein?

Wenn ich jetzt lese, dass wieder Boote mit Flüchtenden aus Libyen abgefahren sind und niemand gerettet wird, dann kommt natürlich Wut auf. Während wir hier zum Nichtstun verurteilt sind, ertrinken dort Menschen. Eine unerträgliche Situation.

Angenommen Sie hätten in Sachen Seenotrettung drei Wünsche frei, welche wären das?

Größere Unterstützung durch die Regierungen für die private Seenotrettung, eine funktionierende staatliche Seenotrettung, die den Großteil von diesem Job erledigt und eine Anlaufstelle, wo Menschen – egal ob sie von privaten Organisationen, von Handelsschiffen oder eben von staatlicher Seite gerettet worden sind – hingebracht werden können. Dieses unwürdige Geschachere, die Situation hier an Bord bis die Verteilung endlich geklärt wird, ist nur schwer erträglich.

Unsere Kapitänin Bärbel

Die psychologische Belastung war sicher enorm, wie gehen Sie damit um?

Wir haben ausführliche Debriefings und haben viel miteinander gesprochen. Solange die Rettung läuft und die Menschen an Bord sind, ist man natürlich voll unter Anspannung. Wir arbeiten fast rund um die Uhr und die wenigen Minuten dazwischen nutzt man zum Schlafen. Da kommt man nicht groß zum Nachdenken. Aber ab dem Zeitpunkt, wo die Geflüchteten von Bord sind, fängt man an, das aufzuarbeiten. Dazu hatten wir von Sea-Eye professionelle Hilfe zur Seite gestellt bekommen. Diesmal leider nur über Videokonferenz.

Wie geht es nach der Quarantäne weiter?

Eigentlich ist heute (Samstag) die Quarantäne vorbei. Aber jetzt ist hier Wochenende und wir können erst in den Hafen, wenn jemand da ist, der bei uns einen Corona-Test macht. Und das, nachdem wir 14 Tage von der Außenwelt abgeschlossen an Bord verbracht haben. Wenn sie dann feststellen, dass wir kein Corona haben – was im Übrigen wieder 24 Stunden dauert, bis das Ergebnis da ist – können wir anfangen, das Schiff zu desinfizieren, das dauert noch mal 48 Stunden. Und wenn das dann erledigt ist, suchen wir uns einen Hafen, wo wir die ALAN KURDI der nächsten Crew übergeben können.

Ob wir danach in Deutschland nochmal in Quarantäne müssen, ist noch nicht ganz klar. Vermutlich ist das dann von Bundesland zu Bundesland verschieden.

Haben Sie denn Angst vor Corona?

Nein. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns mit Corona infizieren, ist verschwindend gering. Die Seefahrt gehört zu den zehn gefährlichsten Berufen der Welt, da habe ich vor ganz anderen Dingen Angst. Die Gefahr, dass ich beispielsweise an Bord einen Schlaganfall bekomme, ist viel größer. Und den könnten wir mit unseren Mitteln an Bord nicht behandeln.

Unsere Kapitänin Bärbel

Was machen Sie als erstes, wenn Sie wieder daheim sind?

Eine Reederei anrufen und ihnen sagen, dass ich meinen neuen Job antreten kann. Durch die Quarantäne und die ganze Situation ist mein Urlaub auf null geschrumpft. Ab nächste Woche sogar im Minusbereich.

Sehr professionell. Gibt es für Sie eine Rückkehr auf die ALAN KURDI?

Das kann ich mir durchaus vorstellen, ja. Ich bin jetzt schon das zweite Mal für die Seenotrettung im Einsatz und auch diese Situation kann mich nicht schocken.

Welche persönlichen Schutzmechanismen haben Sie, damit die Bilder Sie nicht in den Schlaf verfolgen?

Bei der ersten Mission hat mich die Aktion der Libyer, dass sie mit Waffen auf uns gezielt haben, dass sie in die Luft geschossen haben, doch sehr beeindruckt. Diesmal schon nicht mehr. Ich dachte mir: die haben letztes Mal schon in die Luft geschossen, und wenn wir jetzt Cojones (Eier) zeigen, dann kommen wir weiter.

In diesem Sinne, zeigen wir das. Vielen Dank für das Gespräch!

(Interview: Martin Geiger)

Wir blicken in die Gesichter von Filimon, Hdru, Omar, Debesay, Huruy und Mogos. In die Gesichter von jungen Männern zwischen 18 und 25 Jahren. Sie hatten die Zukunft vor sich. Sie wollten Berufe erlernen, Familien gründen, in Frieden und Sicherheit leben. Doch sie sind tot. Ertrunken, verhungert und verdurstet auf der Flucht vor Tod, Folter, Krieg und Gewalt.

Ihr Tod wurde billigend in Kauf genommen, wenn nicht sogar eiskalt mit einkalkuliert. Es war und ist den Verantwortlichen schlichtweg egal, ob diese jungen Männer sterben. Das ist eine Unterstellung, das ist polemisch, aber die Fakten sprechen dafür.

Was wir wissen:

Anfang April (die ALAN KURDI ist im Rettungseinsatz) machen sich 63 flüchtende Menschen in einem Gummiboot auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer (siehe auch „Verhungert, verdurstet und ertrunken in einer europäischen Such- und Rettungszone“). Nach einer längeren Odyssee erreichen sie die maltesische Such- und Rettungszone. Malta ist verpflichtet, die Flüchtenden zu retten. Das ist geltendes Recht: Seerecht und Menschenrecht. Diese festgeschriebenen Rechte können auch aufgrund der Pandemie nicht außer Kraft gesetzt werden. Dies haben europäische Richter*innen festgestellt.

Doch Malta beauftragte einen dubiosen Geschäftsmann, der ein unauffälliges Fischerboot losschickte, um die flüchtenden Menschen wieder zurück nach Libyen zu schaffen. Bei dieser Aktion kommen zwölf Menschen ums Leben, darunter die mit Foto und Namen hier gezeigten jungen Männer.

Woher kommen die Fotos?

Zuerst hat avvenire.it die Namen und Fotos der Geflüchteten veröffentlicht. Das Portal ist eine offizielle Website der vatikanischen Nachrichtenagentur und bekannt für einen direkten Umgang mit dem Thema Migration. Die Journalist*innen haben gute Kontakte nach Libyen und so auch zu den Überlebenden des Push-Backs. Dadurch wurden ihnen vermutlich die Fotos zugespielt.

Bestätigt wurde die Recherche auch durch die „Times of Malta“, wo diese Fotos ebenfalls erschienen sind. Beide Portale gelten als vertrauenswürdig und seriös. Wir berufen uns bei der Veröffentlichung auf diese beiden Quellen, eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.

Warum zeigen wir die Fotos?

Weil die Toten ein Gesicht haben und einen Namen. Es sind eben nicht nur Zahlen und Statistiken.

„Es gibt in der Gesellschaft eine Tendenz, die die ganze Diskussion über Flucht und flüchtende Menschen extrem nach rechts gezogen hat. Die Gesprächskultur darüber ist entmenschlicht worden. Auch das ist gewaltsam. Und wenn wir diese Bilder zeigen – die Bilder von echten Menschen, von Schicksalen, die Geschichten dahinter – dann holen wir diesen Diskurs wieder auf eine menschliche Ebene zurück. Ich glaube, dass dieses entmenschlichte Bild korrigiert werden muss und daher ist es richtig, die Bilder zu zeigen“, so Gorden Isler, Vorstand von Sea-Eye.

Isler sieht Parallelen zu der Veröffentlichung des Bildes von Alan Kurdi. Auch damals sei es wichtig gewesen, dieses Bild zu veröffentlichen, weil es den öffentlichen Diskurs verändert habe.

Der Bischof von Malta, Charles Scicluna, ist der Auffassung, dass mit der Veröffentlichung der Bilder keine moralischen Grenzen überschritten werden.

„Die Opfer unserer Politik und unserer Gleichgültigkeit haben Namen und Gesichter, wie wir alle“, so der Bischof auf Twitter.

Ein politischer Skandal

Der maltesische Regierungsbeamte Neville Gafá erklärte unter Eid, dass er auf Anweisung des Büros des Premierministers die Push-Back-Aktion sowie eine weitere Aktion an Ostern organisiert habe.

„Ich bestätige, dass ich in der Osternacht und in den darauffolgenden Tagen an einer Mission beteiligt war, bei der ein Boot mit 51 irregulären Migrant*innen, darunter acht Frauen und drei Minderjährige, in den Hafen von Tripolis gebracht wurde. Auf demselben Boot befanden sich fünf Leichen“, so Gafá. (Quelle: Times of Malta, repubblika.org)

Er bezeugte, er sei auf Anweisung des Büros des Premierministers tätig geworden. Dieses hatte ihn gebeten, die direkte Koordination mit dem libyschen Innenministerium und der libyschen Küstenwache zu übernehmen. Außerdem bestehe der Verdacht, dass es schon mehrere illegale Push-Backs gegeben habe. Inzwischen wurde Strafanzeige gestellt und es soll eine offizielle Untersuchung geben.

(Martin Geiger)

Interview mit Caterina, Bordärztin auf der ALAN KURDI

Seenotrettung in Zeiten der Pandemie. Nach den dramatischen Ereignissen auf der ALAN KURDI liegt das Schiff von Sea-Eye mit seiner Crew in der Bucht von Palermo. 14 Tage Zwangspause. An Bord ist auch Caterina, Ärztin aus Berlin. Wir sprachen mit ihr.

Fangen wir mit einer scheinbar belanglosen Frage an, die aber in Zeiten der Pandemie eine besondere Bedeutung hat. Wie geht’s?

(lacht) Ja, das ist schwierig. Es geht mir gut, auch wenn wir noch eine Woche in Quarantäne auf der ALAN KURDI bleiben müssen. Die Mission war sehr anstrengend, ist dann aber doch gut gelaufen. Ich kann nicht sagen, es geht mir supergut, aber alle an Bord sind nett. Das ist viel wert.

Nach den dramatischen Ereignissen der letzten Wochen sind Sie jetzt zum Nichtstun verdammt. Wie geht man damit um?

Es ist für mich eine ganz komische Situation. Nachdem die Geflüchteten – unsere Gäste – von Bord waren, dachte ich erst, es ist nicht passiert. Wir waren fertig, fix und fertig. Wir haben in der Zeit, als wir die Geflüchteten an Bord hatten, kaum geschlafen und waren erstmal einfach nur müde (Anm.: Die Crew rettete am 6. April 150 Geflüchtete und übergab sie am 17. April dem italienischen Roten Kreuz). Vieles kann ich noch gar nicht realisieren oder psychologisch verarbeiten. Um das richtig einzuordnen, müssen wir erstmal die ALAN KURDI verlassen (Anm.: Während des Aufenthaltes gab es zwei Suizid-Versuche unter den Gästen).

Ausschiffung
Die Geflüchteten werden dem italienischen Roten Kreuz übergeben

Wie ist die Stimmung an Bord und was machen Sie den ganzen Tag?

Wir beschäftigen uns mit kleineren Arbeiten, bringen das Schiff auf Vordermann, machen Inventur von allen Dingen. Kleine Ausbesserungsarbeiten wie Malerarbeiten stehen an. Alles was wir auf See machen können. Die Stimmung ist gut.

Jetzt sind Sie 14 Tage in Quarantäne auf dem Schiff und wenn Sie an Land dürfen, kommt die nächste. Haben Sie dafür Verständnis?

Ich glaube, wir müssen in Italien nicht noch einmal in Quarantäne, aber wenn ich nach Berlin zurückkomme, dann schon. Natürlich bin ich auf der Reise nicht allein und das Risiko einer Ansteckung ist da. Insofern verstehe ich das. Auch wenn ich mich auf zwei Wochen erneute Quarantäne in Berlin nicht unbedingt freue. Meine Wohnung in Mitte hat keinen Balkon, und wenn man aus dem Fenster blickt, sieht man nur ein anderes Gebäude.  Es gibt schöneres, aber so ist es jetzt nun mal.

Alle Geflüchteten sind negativ auf Corona getestet worden. Beruhigt Sie das?

Ja, das ist schon eine ganz gute Nachricht. Auch die Gäste auf der AITA MARI (Anm.: Das Schiff der spanischen NGO rettete 43 Geflüchtete im Mittelmeer, die ebenso von der italienischen Fähre übernommen wurden) sind alle negativ auf das Virus getestet worden. Ja, das ist eine gute Nachricht.

Was hätten Sie im Fall eines Covid-19-Ausbruches getan?

Es gab im Vorfeld eine Richtlinie von Sea-Eye, die mit den medizinischen Fachkräften ausgearbeitet worden ist, was im Falle einer Infektion mit dem Corona-Virus zu unternehmen ist. Wir hätten die Patient*innen isoliert und diese wären dann ausschließlich von mir und unserer Rettungssanitäterin versorgt worden. So hätten wir die weitere Ausbreitung versucht zu stoppen. Natürlich verbunden mit der Hoffnung, dass keine Komplikationen entstehen, die wir an Bord nicht behandeln können.

Ausschiffung
Abschied von den geflüchteten Menschen

Seenotrettung in Zeiten der Pandemie. Ist das verantwortungsvoll?

Ja, diese Frage ist mir schon öfters gestellt worden. Menschen, die vor Krieg und Elend fliehen, wollen ihr Land verlassen. Viele von ihnen sind schon seit Jahren auf der Flucht, jenseits von Menschenrechten. Sie flüchten vor Folter, Hunger und Elend. Sie wollen in Sicherheit leben. Auch eine Pandemie wird sie nicht stoppen. Wissen Sie, ich bin gebürtige Italienerin. Die Situation in meinem Mutterland ist aufgrund der Corona-Krise extrem angespannt. Ich rede jeden Tag mit meiner Familie dort, mit meinen Verwandten. Ich blende das nicht aus oder ignoriere das. Aber auch die Geflüchteten haben ein Recht auf ein besseres Leben. Wir müssen diesen Menschen helfen. Wir können sie nicht einfach ertrinken lassen.

Machen Sie trotzdem weiter?

Ja! Ich mache trotzdem weiter, ja. Was wir gemacht haben, auch auf dieser Mission, ist notwendig.  Während dieser Zeit sind Menschen gestorben. Sie haben einen Notruf abgesetzt und weil niemand geholfen hat, sind sie ertrunken. Wir hatten schon 150 Personen an Bord und konnten nicht mehr helfen. Aber niemand anders ist gekommen. So etwas darf nicht passieren. Pandemie hin oder her.

Haben Sie Angst vor einer Ansteckung?

Nein. Wenn ich die Mission beendet habe, werde ich wieder im Krankenhaus arbeiten. Da ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass ich mich anstecken werde. Als Ärztin in einem Krankenhaus oder als Kundin in einem Supermarkt ist die Gefahr größer, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren, als als Ärztin auf der ALAN KURDI.

Was tun Sie als erstes, wenn Sie wieder zurück in Berlin sind?

Tja, was ich machen möchte ist, meine Freund*innen zu sehen, ein Bier zusammen am Wasser zu trinken. Aber all das wird so schnell nicht gehen. Wenn ich jetzt daran denke, dass in Berlin Frühling ist, das Wetter schön ist, dann bekomme ich Lust auf das Freiluftkino, auf die vielen kulturellen Möglichkeiten. Aber darauf werden wir alle noch eine Weile verzichten müssen.

(Martin Geiger)

Fünf Tage ignoriert Malta Notrufe und scheint sich Dritter für völkerrechtswidrige Zurückweisungen zu bedienen.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit spielte sich Anfang April ein Flüchtlingsdrama im Mittelmeer ab. Ein Fischerboot mit maltesischer Registrierung kümmerte sich um ein in Seenot geratenes Boot. Obwohl die Flüchtenden sich schon in der maltesischen Such- und Rettungszone befanden, wurden sie zurück nach Libyen gebracht. Das allein verstößt schon gegen geltendes Recht. Doch es liegt der Verdacht nahe, dass hinter dem Vorgehen System steckt.

Es sind dramatische Szenen, die sich Anfang April auf der ALAN KURDI abspielen. Mit 150 Geretteten ist das SEA-EYE-Rettungsschiff hoffnungslos überfüllt. Kein Hafen lässt die Einfahrt zu. Zwischenzeitlich wird sogar die Versorgung mit Nahrungsmittel und Medizin verweigert. Seenotrettung in Zeiten des Corona-Virus. Die Pandemie verschließt Europas Herzen und Häfen.

Zeitgleich startet am 9. April ein Gummiboot aus dem libyschen Garabulli. An Bord befinden sich 63 Menschen – darunter sieben Frauen und drei Kinder. Ihr Ziel: ein sicherer Hafen. Das Boot wird am nächsten Tag von einem Flugzeug der EU-Grenzagentur Frontex in den libyschen Such- und Rettungsgewässern gesichtet.

Noch in der Nacht wird über Alarmphone ein Notruf abgesetzt. Das seeuntaugliche Boot nehme Wasser auf, das Leben der flüchtenden Menschen sei in akuter Gefahr. Die Position der GPS-Daten besagte, dass sie sich in internationalen Gewässern aufhielten. Alarmphone wandte sich an die maltesischen, italienischen und libyschen Behörden, es wurde jedoch keine Rettungsmission gestartet.

Am Morgen des 11. April werden schließlich die Zuständigen in Libyen erreicht. Aber wegen der Pandemie werden auch hier keine Rettungsmissionen mehr gestartet. Am Sonntag, den 12. April – Europa feiert das christliche Osterfest –, ist das in Not geratene Boot laut GPS-Daten in der maltesischen Such- und Rettungszone angekommen. 24 Stunden später starten sowohl italienische als auch maltesische Behörden Luftüberwachungsmissionen, die diese Angaben bestätigen. Angaben, die für die Zukunft wichtig werden könnten, da sie eine klare Zuständigkeit Maltas belegen und für eine Untersuchung des Vorfalls relevant werden könnten.

Das portugiesische Handelsschiff IVAN, dass sich in der Nähe des in Not geratenen Bootes aufhält, wird angewiesen, vor Ort in Warteposition zu gehen und erst im Notfall einzugreifen.

Dann überschlagen sich die Ereignisse. Migranten springen beim Anblick des großen Schiffes von Bord und versuchen schwimmend das rettende Boot zu erreichen. Vollkommen entkräftet ertrinken drei von ihnen im Meer. Einem Überwachungsflugzeug halten die Verzweifelten ein Baby in die Luft, um zu zeigen, wie groß ihre Not und Verzweiflung ist.

Kurz vor Sonnenaufgang kommt Rettung in Form eines Fischerboots. Die MAE YEMANJA übernimmt die Überlebenden, die IVAN wird angewiesen, sich zu entfernen. Da Malta seine Häfen geschlossen hat, bringt der Kapitän die Flüchtenden zurück nach Libyen. So weit, so einfach. Ist es aber nicht.

Die Wahrheit scheint viel schrecklicher. Die MAE YEMANJA, die am 15. April – sechs Tage nach ihrem Auslaufen – mit 56 Menschen an Bord den Hafen von Tripolis erreicht, ist wahrscheinlich kein harmloses Fischerboot.

Fünf Menschen kamen ums Leben. Verhungert und verdurstet. Sieben Menschen werden bis heute vermisst. Sie sind vermutlich alle ertrunken.

Nach Angaben des maltesischen Bloggers und Enthüllungsjournalisten Manuel Delia verließ die MAE YEMANJA den großen Hafen von Malta am 14. April ohne klares Ziel. Nach der Ausfahrt schaltete die Besatzung das Radar aus und erst am Folgetag in Libyen wieder ein.

Die Registrierung des Fischerbootes läuft auf Malta, als Eigner wird Carmelo Grech ausgewiesen, ein in Malta bekannter Geschäftsmann mit dubioser Vergangenheit. In einem Schmugglerprozess wurde er kürzlich trotz belastender Indizien von allen Anklagepunkten freigesprochen. 2015 wurde er mit 300.000 Euro in bar in Libyen aufgegriffen, was eine ausführliche Untersuchung nach sich zog, die allerdings wundersamer Weise im Sande verlief. Auch die maltesische Enthüllungsjournalistin Daphne Capuana Galizia, die am 16. Oktober 2017 durch eine Autobombe ermordet wurde, recherchierte über die weit verzweigten Geschäftsinteressen Grechs.

Offiziell heißt es, dass Grech die MAE YEMANJA kürzlich an ein libysches Unternehmen veräußert haben will. Eine Gesellschaft, die sich allerdings wieder auf den maltesischen Unternehmer zurückverfolgen lässt. Weiter heißt es, die MAE YEMANJA wurde nur entsandt, um die Flüchtenden mit Wasser und Lebensmittel zu versorgen.

Inoffiziell kommt der Verdacht auf, dass Malta kleinere, private Schiffe entsendet, um flüchtende Menschen wieder zurück nach Libyen zu bringen und sich so – gegen geltendes Recht – eines Problems zu entledigen. Die Menschen werden in solch dubiosen Missionen zurück verfrachtet in die Lager, in denen Misshandlungen, Vergewaltigung und Folter an der Tagesordnung sind.

Noch ist unklar, ob dem Schiffseigner der MAE YEMANJA für seine zweifelhafte Rettung Geld von staatlicher Seite bezahlt wurde.

„Eiskalt sollte es uns in Deutschland den Rücken hinunterlaufen, wenn der maltesische Ministerpräsident Robert Abela den Tod von bis zu 12 Menschen mit seinem ‚reinen Gewissen‘ kommentiert und meint er habe im ‚nationalen Interesse‘ gehandelt.“ sagt Gorden Isler Vorsitzender von Sea-Eye e. V.

„Wenn der Tod dieser Menschen in Maltas Interesse war, dann reden wir nicht mehr nur über unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge. Besorgniserregend und verstörend finden wir, dass es keine Kritik aus Deutschland an Maltas handeln gibt“, so Isler weiter.

Gegen die maltesische Regierung und Ministerpräsident Robert Abela wurde Strafanzeige erstattet. Die Justiz hat gegen ihn und Armeechef Jeffrey Curmi Ermittlungen aufgenommen. Neben diesem Vorfall geht es auch um den Vorwurf, die Besatzung eines Patrouillenboots habe den Motor eines Flüchtlingsboots zerstört und die Menschen ihrem Schicksal überlassen.

(Martin Geiger)

Quellen: Times of Malta, alarmphone.org, avvenire.it
Symbolfoto: Fabian Heinz/ Sea-Eye (Juni 2019)